Nummer 36

Der
Gute Kamerad

Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung.

2. Juni 1888

Der Geist der Llano estakata.

Von K. May, Verfasser von »Der Sohn des Bärenjägers«.


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»Das weeste nich? Nun ja, zu verwundern ist das grade nich, denn ich habe noch keenen einstmaligen Gymnasiasten getroffen, der sich viel gemerkt hätte. Es ist nur gut, daß der Hobble-Frank so een koloßzurhodusales Gedächtnis besitzt und euch Miniaturschtudenten mit seinen Kenntnissen aushelfen kann! Was das Wort >Schiebebock< betrifft, was eegentlich eenen Schubkarren bedeutet, so hat dasselbe damals, als die Hunnen zur Zeit des Kaisers Themistokles die Elbe erobern wollten, eene gewaltige Rolle geschpielt. Die Hunnen waren bekanntlich keene Reiter, sondern nur eene Rotte von fußgängerischen Infanteristen. Sie führten ihre Ausrüstung off Schiebeböcken bei sich. Als sie nun über die Elbe wollten, gedachten sie, inkognito hinüber zu kommen, und gaben sich für brasilianische Araber aus. Da aber schtand der alte Feldmarschall Derfflinger am Wasser und ließ eenen jeden das Wort Schiebebock ausschprechen. Wer das nich fertig brachte, dem wurde eenfach der Kopf abgesäbelt. Weil nun aber die Hunnen nich die nötigen Gutturalwerkzeuge besaßen, um das >Sch< behaglich ausschprechen zu können, so sagten sie alle >Siebebock< und verloren so viel Köpfe, daß der Maharadscha von Delhi bei Torgau an der Elbe mit diesen Köpfen die berühmte Schädelpyramide errichtet hat, dieselbige Pyramide, welche schpäter Timurlenk wieder umgerissen hat.«

Die beiden Zuhörer guckten den Sprecher groß an. Sie wußten dieses Mal nicht, ob sie lachen oder heulen sollten.

»Aber Frank!« rief Fred endlich. »Wohin gerätst du denn eigentlich! Schiebebock! Du meinst wohl das Wort Schiboleth, welches die Gileaditer den Kindern Ephraim abforderten, wie im Buche der Richter*) zu lesen ist?«

»Tacet! Oder weil du nich lateinisch verschtehst, so will ich es deutsch sagen: Klappe deine Schpeiseöffnung zu! Du wirscht mir doch nicht etwa mit dem Buch der Richter kommen wollen! Ich sage dir, ich kenne die Namen und Lebensumschtände sämtlicher Schtadtrichter und Dorfgeistlichen der Kinder Israel sehr genau. Der erschte Richter kam gleich nach Moses und hieß Josua. Er war derjenigte, welcher der Sonne und dem Monde eenen so großen Schreck einjagte, daß sie absolut nich weiter konnten. Das war in der Schlacht bei Tours und Poitiers gegen Karl Martell, dem Fürschten der Edomiter. Die Sonne wollte hinter dem Himalaja verschwinden, und der Mond war schon über dem Chimporasso herauf. Damit es noch länger Tag bleiben solle, streckte Josua seine Hand aus, machte den beeden Himmelsgeschtirnen eene drohende Faust und rief:

»Oribus pictus, Coa constrictus,
spiritus rectus, genua flectus!«

Sofort schtanden Phöbus und Lunette schtille und warteten gehorsam, bis die Schlacht gewonnen war. Siehste, Fred, ich kenne die Geschichte so genau, als ob ich damals selber der Mond gewesen wäre. Solche weltgeschichtliche Oogenblicke bleiben mir sehre fest im Rückenmarke sitzen, was bekanntlich der anatomische Sitz des Gedächtnisses ist. In dieser Wissenschaft bin ich dem Rotteck, dem Becker, dem Schlosser und sogar dem Töchter-Nösselt überlegen. Ihre Bücher sind leidlich gut, ja; aber den richtigen, begeisterten Schmiß haben sie nich, und die vielen Lücken, die sie offgelassen haben, hätte nur alleene ich ausfüllen können, wenn sie so gescheidt gewesen wären, sich an mich zu wenden.«

»Ja,« lachte Fred, »das glaube ich gern. Aber diese Geschichtsschreiber haben dich vielleicht gar nicht gekannt!«

»So brauchten sie nur nach Moritzburg zu kommen, wo ich zu finden war. Nachloofen thue ich keenem Geschichtsschreiber,

*) Siehe Buch der Richter 12, 6.


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der doch ooch weiter nichts als nur das schreibt, was er in Büchern und Urkunden gefunden hat. Das kann jeder! Ich aber setze mir die rhetorisch lexikale Weltgeschichte durch eegenes Ingenium zusammen; ich prüfe, wer sich ewig bindet, und der Feldherr oder Schtaatsmann, der Moltke oder Bismarck, welcher diese Prüfung beschteht, wird in die Annalen meiner kritischen Inschpiration offgenommen. Aber ja keen anderer nich, denn mit der Weltgeschichte muß man ungeheuer vorsichtig sein. Man darf keenen hineinbringen, der es nich verdient, in die Zahl der schterblichen Götter und unschterblichen Helden offgenommen zu werden, sonst ist man blamiert für alle Zeit. Denk da nur mal an den Geschichtsschreiber Rafael Sanzio! Dieser unbegreifliche Kerl ist so unvorsichtig gewesen, den Brandstifter Herodias durch seine Weltgeschichte unschterblich zu machen. Das war doch een Schwabenschtreich allererschter Sorte!«

»Herodias? Ein Brandstifter?« fragte Helmers.

»Ja. Da reichen eure chronikalischen Gedächtnisoffschlüsse wohl wieder mal nich aus? Herodias war derjenige mexikanische Hallunke, welcher in der berühmten Hafenschtadt Ephorus die Sommervilla der Göttin Diana in Brand geschteckt hat, und zwar nur aus dem triftigen Grunde, daß sein Name von dem Posaunenschall der Nachwelt geflüstert werden solle.«

»Da ist wohl Herostratos gemeint, welcher den Tempel der Diana zu Ephesus niederbrannte? Herodias war kein Mann, sondern eine Frau, nämlich das Weib des Herodes Antipas.«

»Ach? So! Was ihr nich alles wißt!« antwortete der Hobble-Frank in ziemlich höhnischem Tone. »Herostratos! Ephesus! Antipas! Nee, was da alles unternander gequirlt wird! Das sollte man gar nich für möglich halten! Herodes Antipas hat gar nich geheiratet; er ist unvermählt zu seinen Urvätern entschlafen und hat noch in seiner Todesschtunde das schöne Opernlibretto gedichtet:

»Ich hinterlasse keene Leibeserben
Und kann also frisch hinüberschterben,«

was nachher von dem belgischen Tonkünstler Schlagintweit Sakuntalawynsky im Sechsachteltakt komponiert worden ist. Dieser elegisch-pharmaceutisch ausgerüstete Reim beweist doch bis zur Konsistenz, daß Herodes als unvermählter Erbonkel ins geschteigerte jenseits hinübergeschlummert ist. Und den Herodias kenne ich beinahe noch genauer. Als er die Villa weggebrannt hatte, floh er nach Aegypten. Dort wurde er Vizekönig und ließ die Molukken ermorden.«

»Mameluken willst du wohl sagen?« verbesserte Fred.

»Unsinn! Die Mameluken sind Inseln, welche sich von Japan nach Schottland hinüberziehen. Die Molukken aber waren die Leibwächter des ägyptischen Selbstbeherrschers aller Reußen und Preußen. Herodias ließ sie abschlachten, weil sie ihm unbequem wurden, und ihre unteren Extremitäten ins Wasser werfen, woher das bekannte Schpruchwort kommt: »De mortuis nil nisi bene,« zu deutsch: von den Ermordeten warf man die Beene in den Nil. So, da habt ihr die unterminierte Ausbesserung eurer fehlerhaften Ansichten! In Zukunft aber bringt mir ja nichts Aehnliches wieder, sonst lasse ich euch abfahren wie den bekannten Astrologen Juvenis Mendax.«

»Wieso denn?«

»Das fragst du ooch noch? Juvenis Mendax war der Astrologe Wallenschteins; aber er hielt es mit der alten Schule und hatte so verkehrte Ansichten über das Schternenfirmament, daß er schließlich abgefahren wurde. Als am nächsten Tage Wallenschtein nach ihm gefragt hatte, antwortete er mit der geflügelten Charade: >Juvenis Mendax homo fur<, Juvenis Mendax fuhr heeme. Und grad so werde ich euch nach Hause leuchten, wenn ihr so fortfahrt, mit eurer Unwissenheit meine wissenschaftliche Inferiorität zu beleidigen.«

»Nun, die wird sich wohl nicht beleidigt fühlen können,« meinte Fred, indem er lustig mit den Augen blinzelte. »Wir erkennen sie vielmehr sehr gern an.«

»Das will ich mir ooch ausgebeten haben!«

»Ich denke nur, du hast nicht Inferiorität sondern Superiorität sagen wollen.«

»Fällt mir nich mal im Troome ein! Ich weeß schtets sehr genau, welchen assyrischen Gefühlsausdruck ich meinen Worten zu geben habe. Meine etymologische Rapidität schteht mir zu jeder Schtunde und Minute mit solcher oogenblicklicher Momentanheet zu Verfügung, daß es zu eener Verwechslung der Begriffsverbildungen gar keene Zeit nich gibt. Deine Behauptung von wegen der Superiorität war eben wieder eene Beleidigung, die ganz geeignet ist, meine moralische Anwesenheet offzuregen. Wenn du mich in dieser Weise weiter verbalinjurierst, so ist es ewig schade, daß ich gestern mit dir Bruderschaft gemacht habe, und wir können dieselbige wieder offheben. Ich werfe meine Perlen nich gern vor diejenigen Tierchen, von denen Johannes Parricida, der schtotternde Minstrel, so ergreifend gesungen hat:

>Ich kenne een li-li-li-liebliches Tier,
Dem schenk' ich a-alle A-Achtung.
Es lebt off jedem Ba-Bauernhof hier
Und ooch off jeder Pa-Pachtung.<

Ich will dich warnen, Fred. Verdirb es ja nich mit mir! Lasse ich mal meinem Zorne die Zügel schießen, so kann es sehr leicht kommen, daß dir die Haare zum Gebirge schtehen. Wenn meine Worte nich mehr helfen, so schreite ich zur That. Bei der nächsten beleidigenden Sophonisbe schieße ich mich mit dir. Meine Kugel wird dich niederschtrecken, und dann wird es dir ergehen wie dem oberbayrischen Holzknecht, der abends tot nach Hause kam.«

»Den kenne ich nicht.«

»Das gloobe ich, denn du kennst ja überhaupt nischt. Dieser Holzknecht war von eener Eiche, die er hatte fällen wollen, erschlagen worden. Der Dorftischler machte ihm die Gedenktafel, schtrich sie hübsch mit grüner Farbe an, malte ihn und die Eiche droff und schrieb darunter:

>Beglückt und ohne Sorgen
Ging ich am frühen Morgen
Off meine Arbeit aus.
Da traf mich eene Eiche,
Und ach, als eene Leiche
Kam abends ich betrübt nach Haus.<

Dieser majestätische Versch muß off die Melodie: >Nun ruhen alle Wälder<, gesungen werden. Nimm dich in acht, daß wir dieselbe nich ooch bei deinem abgeschiedenen Leichnam anschtimmen! Dein Maß ist voll; kommt noch een eenziger Tropfen dazu, so läuft's über, und dann ist es sofort zu Ende mit deiner individuellen Lebensmöglichkeet. Ich versammle deine subtellurischen Ueberreste zu ihren Großvätern, und deine arme, vom Tagesfichte abgeschnittene Seele kann nachher ooch als Avenging-ghost in tragödischen Jamben über die Llano estakata hinschwirren.«

Frank hatte sich in Zorn gesprochen und hätte seine Strafrede wohl noch nicht beendet, wenn er nicht unterbrochen worden wäre. Helmers deutete nämlich nach Norden, und als die beiden anderen ihre Blicke dieser Richtung folgen ließen, sahen sie drei Reiter, welche sich langsam näherten. Der Hobble-Frank stieß einen Ausruf der Freude aus und erhob sich schnell von seinem Sitze.

»Kennst du die Männer?« fragte Fred.


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»Na, und ob!« antwortete der Gefragte. »Das sind - - hm, ich will ihre Namen lieber noch nich nennen und es abwarten, wie sie euch gefallen.«

Von den drei sich Nähernden war der eine sehr dick und kurz, der zweite sehr dünn und lang. Der dritte hatte mittlere Gestalt und ritt einen herrlichen Rappen. Der Juggle-Fred beschattete seine Augen mit der Hand, blickte scharf nach ihnen hin und rief dann aus:

»Frank, du verschweigst die Namen, um uns zu überraschen. Aber ich müßte kein Westmann sein, wenn ich nicht sofort erraten könnte, wer diese drei Männer sind.«

»Nun, wer denn?«

»Zwei, von denen der eine so dick und der andere so dünn ist, der kleine auf einem hohen Klepper und der lange auf einem winzigen Maultiere, das kann nur der lange Davy mit dem dicken Jemmy sein. Und der dritte ist sicher Old Shatterhand.«

»Ach, wie kommst du zu dieser Vermutung?«

»Hast du nicht selbst gesagt, daß er mit Jemmy kommen werde? Reitet nicht Old Shatterhand stets einen Rapphengst, wie jeder hören kann, der sich nach ihm erkundigt?«

»Hm! ja, du bist alleweile een gescheiter Kerl, obgleich du in schprachlicher und wissenschaftlicher Beziehung es noch nich bis zu den Anfangsgründen des Contrabasses gebracht hast!«

»So sage, ob ich recht habe!«

»Ja, du hast dieses Mal recht. Sie sind es. Sie kommen viel eher, als ich dachte. Ich hoffe, daß ihr sie mit gebührender Achtung und Untergebenheit bewillkommnen werdet.«

Die drei Reiter waren jetzt herangekommen, hielten ihre Tiere an und stiegen ab. Sie trugen ganz dieselben Waffen und Anzüge, wie damals auf ihrem Ritte nach dem Nationalparke. Die Augen von Helmers und Fred waren besonders auf Old Shatterhand, diesen berühmtesten unter den Jägern, gerichtet. Er trat, ohne Frank nach den beiden Personen gefragt zu haben, zu Helmers, streckte ihm die Hand entgegen und sagte, und zwar gleich in deutscher Sprache:

»Ich darf annehmen, daß wir bei Ihnen angemeldet sind, Master Helmers. Hoffentlich sind wir Ihnen nicht unwillkommen.«

Helmers schüttelte ihm die Hand und antwortete:

»Der Hobble-Frank hat mir freilich gesagt, daß Sie kommen werden, Sir, und diese Nachricht hat mir unendliche Freude bereitet. Ich stelle Ihnen mein ganzes Haus zur Verfügung. Machen Sie es sich bequem, und bleiben Sie so lange wie möglich bei mir!«

»Nun, lange Zeit können wir uns nicht verweilen. Wir müssen über die alte Llano hinüber, um da drüben einen zu treffen, welcher uns erwartet.«

»Wohl Winnetou?«

»Ja! Hat Frank es Ihnen gesagt?«

»Er sagte es, und ich wollte, ich könnte mit Ihnen hinüber, um den Häuptling der Apachen zu sehen. Aber, sagt einmal, Sir, woher Sie mich kennen! Sie haben mich sofort bei meinem Namen genannt.«

»Meinen Sie etwa, daß ein so außerordentlicher Scharfsinn dazu gehört, Sie für den Besitzer von Helmers Home zu halten? Sie tragen den Hausanzug und gleichen ganz genau dem Bilde, welches man mir von Ihnen gemacht hat.«

»So, haben Sie sich nach mir erkundigt?«

»Natürlich! Im fernen Westen ist es ratsam, die Leute, welche man aufsucht, möglichst vorher kennen zu lernen. Ich erfuhr, daß Sie ein Deutscher sind, und habe Sie infolgedessen gleich in Ihrer Muttersprache angeredet. Darf ich vielleicht erfahren, wer der andere Master ist?«

»Man nennt mich gewöhnlich den Juggle-Fred,« antwortete der einstige Taschenspieler. »Ich bin ein einfacher Prairieläufer, Sir, und darf nicht annehmen, daß mein Name Ihnen bekannt ist.«

»Warum nicht? Wer sich so lange Zeit wie ich im Westen herumgetrieben hat, der wird doch wohl von dem Juggle-Fred gehört haben. Sie sind ein tüchtiger Fährtensucher und, was noch besser ist, ein braver Mann. Hier ist meine Hand. Wollen gute Kameradschaft halten, solange es uns erlaubt ist, beisammen zu bleiben. Oder nicht, Sir?«

Obgleich im fernen Westen keine Rangesunterschiede gelten, ist man doch gewöhnt, hervorragenden Siegern mit besonderer Achtung zu begegnen. Auf dem glücklich lächelnden Gesichte Freds sprach sich der Stolz aus, welchen er empfand, von Old Shatterhand in dieser Weise ausgezeichnet zu werden. Er ergriff die dargebotene Hand, drückte sie herzlich und antwortete:

»Wenn Sie von Kameradschaft sprechen, so ist das eine Ehre für mich, welche ich erst verdienen muß. Ich wollte, ich könnte recht lange bei Ihnen sein, um von Ihnen lernen zu dürfen. Auch ich will über die Estakata. Wenn Sie mir erlauben wollten, mich Ihnen anzuschließen, so würde ich Ihnen außerordentlich dankbar sein.«

»Warum nicht? Durch die Llano reitet man am liebsten so zahlreich wie möglich; darum ist es mir sehr lieb, daß Sie sich uns anschließen wollen. Natürlich setze ich voraus, daß nicht der eine auf den Aufbruch des anderen zu warten hat. Wann wollen Sie reiten?«

»Ich bin von einer Gesellschaft von Diamondboys als Führer engagiert. Diese Leute wollen heute hier eintreffen.«

»So paßt es gut, denn ich will morgen von hier aufbrechen. Da Sie von Diamondboys reden, so darf ich wohl annehmen, daß Sie hinüber ins Arizona wollen?«

»Allerdings, Sir!«

»Nun, so werden Sie wohl auch Winnetou sehen. Der Ort, an welchem ich mit ihm zusammentreffen werde, liegt in Ihrer Richtung. Jetzt aber will ich Ihnen meine beiden Begleiter vorstellen, damit Sie auch diese kennen lernen.«

»Kenne sie bereits, denn ihre Gestalten sind die deutlichsten Visitenkarten, welche man sich denken kann. Uebrigens hat Frank uns bereits ihre Namen genannt.«

Indessen hatte Helmers auch Jemmy und Davy begrüßt. Der Neger Bob kam herbei, um die Pferde in seine Obhut zu nehmen; dann setzte man sich nieder, und Helmers ging in das Haus, um einen guten Imbiß für seine Gäste zu bestellen. Einen Trunk brachte er gleich selber mit, und dann saßen die Männer beisammen, um die Ereignisse des gestrigen Tages zu besprechen, welche natürlich und vor allen Dingen erzählt werden mußten.

Der Dragoneroffizier hatte gesagt, daß er ausruhen wolle. Er that dies aber, als ihm die eine Giebelstube angewiesen worden war, keineswegs. Er hatte den Riegel vorgeschoben und schritt nachdenklich in dem Raume auf und ab. Dieser letztere lag nach Norden zu, und so kam es, daß er die Ankunft der drei Reiter bemerkt hatte. Er war an das Fenster getreten und betrachtete sie sehr genau.

»Wer mögen diese Kerls sein, und wohin mögen sie wollen?« fragte er sich. »Höchst wahrscheinlich haben sie auch die Absicht, durch die Llano zu gehen. Das ist bedenklich. Der eine ist außerordentlich gut beritten. Er macht den Eindruck eines erfahrenen Westmannes. Wenn diese Leute auf die Fährte der deutschen Einwanderer geraten, so können sie uns sehr leicht den famosen Streich verderben. Schon vor


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dem Juggle-Fred hat man sich in acht zu nehmen. Ein Glück, daß die Diamondboys nicht nach Helmers Home kommen werden! Da wird er auf ihre Ankunft so lange hier warten, bis er uns nicht mehr schaden kann. Ich muß versuchen, auch diese drei zu veranlassen, hier zu bleiben, bis wir unseren Coup ausgeführt haben. Meine Uniform ist echt, und wenn Helmers keinen Verdacht geschöpft hat, so werden auch diese Neuangekommenen nicht auf den Gedanken kommen, daß ich der verkleidete Anführer der »Llano-Geier« bin.«

Er wartete noch eine Weile und ging dann hinab, um sich zu den Männern zu gesellen, welche jetzt essend vor dem Hause saßen.

Dieser verkleidete Dragoner war kein anderer als jener Stewart, welcher gestern mit seinen Leuten die beiden Komantschen angegriffen und verfolgt hatte und dann mit den beiden Snuffles zusammengetroffen war. Die kleine Hasenscharte konnte man heute nicht sehen, weil er sie durch den niederhängenden Schnurrbart verdeckt hatte.

Als er unten ankam, war Old Shatterhand von den gestrigen Vorkommnissen bereits unterrichtet, und Helmers hatte eben erwähnt, daß ein Offizier angekommen sei. Als der Wirt den letzteren erblickte, fuhr er fort:

»Da kommt der Kapt'n. Er kann also selbst erzählen, in welcher Absicht er sich hier befindet. Holla, Frau, noch einen Teller für den Offizier!«


Ende des achtzehnten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Geist der Llano estakata