Nummer 34

Der
Gute Kamerad

Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung.

20. August 1887

Der Sohn des Bärenjägers.

Von
K. May


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Der Stoff, aus welchem sie bestand, war so luftig und duftig, daß man meinen konnte, sie vermöge nicht die mindeste Last zu tragen. Und doch erhoben sich auf und über ihr noch sechs solcher Terrassen, jede aus einem Bassin bestehend, welches sein Wasser aus der nächst höheren empfing, um es der nächst unteren entweder in schlanken, dünnen Strahlen, in einem fein zerteilten Staubregen, in welchem die Sonne ihre Strahlen brach, oder in breiteren Abflüssen, welche ein schleierartiges Gewebe zu bilden schienen, mitzuteilen.

So lehnte dieses Naturwunder sich schlank, strahlend und schneeglänzend an die dunkle Felsenwand, wie das aus Schneeflocken gewobene Kleid eines aus anderen Welten stammenden Wesens. Und doch war dieses Kleid von denselben Händen gefertigt, welche den schwarzen Basalt emporgetürmt und die Schlammvulkane durch die Erdrinde getrieben hatten.

Man brauchte nur empor zur Spitze dieser wunderbaren Pyramide zu blicken, da sah man sofort, wodurch sie gebildet worden war. Dort stieg nämlich gerade jetzt ein hoher Wasserstrahl auf, der sich oben schirmartig ausbreitete und dann als Regen rundum niedersank. Dabei war jenes Brausen zu hören, welches vorhin Moh-aw nicht hatte begreifen können. Diesem Wasserstrahle folgten pfeifende, zischende, stöhnende Dämpfe, und es war als ob die Erde unter der Gewalt dieser Eruption zerbersten werde.

Die Wasser des Geisers hatten sich diese Pyramide gebaut. Die feinen, leichten Bestandteile, welche der Strahl mit nach oben nahm, setzten sich beim Niederfallen fest und arbeiteten auch jetzt noch immerfort an dem wundersamen Gebilde. Das heiße Wasser floß von einer Terrasse auf die andere herab und wurde allmählich abgekühlt, so daß die einzelnen Bassins, von oben herab gerechnet, eine immer niedrigere Temperatur zeigten. Unten endlich überströmte die krystallene Flüssigkeit das niederste Bassin und floß nach kurzem Laufe in den Feuerlochfluß.

Wie ein Teufel neben einem Engel, so lag neben der herrlichen Gestalt dieser Pyramide ein weites, fast kreisrundes, dunkles, wallartiges Gebilde von schmutzigem Aussehen. Dieser Wall bestand aus einer festen Masse, auf welcher sich Reste vulkanischer Gebilde erhoben, welche die verschiedensten Gestalten besaßen. Es war, als habe ein Riesenkind mit Basaltstücken gespielt, dieselben in die abenteuerlichsten Formen gedrückt und gebogen und sie dann auf den runden Wall befestigt.

Dieser letztere hatte einen Durchmesser von vielleicht fünfzig Fuß und bildete die natürliche Ummauerung eines Loches, dessen dunkel gähnender Rachen nichts Gutes verhieß.

Das war die Krateröffnung eines Schlammvulkanes. Sie verengerte sich einwärts, um sich dann wieder zu erweitern. Sie hatte also, wenn man von oben hineinblickte, genau die Gestalt, als wenn man in zwei Trichter blickt, welche mit den dünnen Enden vereinigt werden.

Sobald es in dem herrlichen Feengeiser zu rauschen und zu brausen begann, stieg auch nebenan in dem finsteren Krater der Schlamm empor. Und wenn droben der Strahl des Wassers und des Dampfes sich zerteilt hatte, sank auch die brodelnde Oberfläche des Schlammes in die Tiefe zurück. Es war klar, Geiser und Schlammvulkan standen in innigster Verbindung zu einander. Die Geister der Unterwelt schieden die auszuschleudernden Massen, führten das krystallene Wasser dem Geiser zu und ließen die zurückbleibenden Excremente des Erdinnern in das Schlammloch rinnen.

»Das ist P'a-wakon-tonka (das Teufelswasser),« sagte Old Shatterhand, indem er auf das Schlammloch deutete.

»Kennst du es?« fragte Feuerherz.

»Ja. Ich bin bereits hier gewesen!«

»Und vorhin wußtest du nicht, wohin wir kommen würden?«

»Weil ich den Weg, welchen wir geritten sind, noch nie zurückgelegt habe. Ich bin damals da oben herabgekommen und längs des Flusses abwärts geritten. Da habe


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ich das Wasser des Teufels kennen gelernt. Jetzt lagern die Sioux-Ogallala dort. Warum reiten sie nicht weiter? Sie wollen doch nach dem Grabe der Häuptlinge, welches weiter oben liegt. Sie müssen irgend eine Absicht haben!«

Nämlich nahe am Rande des Schlammkraters lagen die Ogallala. Man konnte sie ganz deutlich sehen. Sogar die einzelnen Gesichter waren voneinander zu unterscheiden.

Die Pferde liefen oberhalb dieser Stelle herum oder lagen ruhend am Boden. Zu grasen gab es nichts, denn der Boden brachte keinen einzigen Halm hervor.

Ganz in der Nähe lagen mehrere zentner- und noch mehr schwere Steine. Auf diesen saßen die Gefangenen, jeder auf einem derselben. Man hatte ihnen die Hände auf den Rücken gebunden und mit Lassos ihre Füße an die Steine befestigt. So saßen sie bereits seit gestern abend, eine Stellung, welche ihnen außerordentliche Qualen bereiten mußte.

Eben jetzt, als Old Shatterhand seine Aufmerksamkeit auf die Ogallala richtete, kam Bewegung in sie. Sie erhoben sich aus ihrer liegenden Stellung und setzten sich in einen Kreis zusammen, in dessen Mitte der Häuptling Platz nahm.

Der Medizinmann der Upsarocas, welcher neben Old Shatterhand stand, hielt die Hand an die Augen, um besser sehen zu können, hielt den Blick nur kurze Zeit auf die Ogallala gerichtet und sagte dann im Tone des Grimmes:

»Dort sitzt er, inmitten seiner Hunde, der >schwere Moccassin<. Er wird eine Beratung mit ihnen halten.«

»Du kennst ihn, deinen Feind, und wirst also wohl genau wissen, ob er es auch wirklich ist,« antwortete Old Shatterhand.

»Wie könnte ich ihn verkennen! Sieh' seine lange, hagere Gestalt und sein Gesicht! Er hat mir das Ohr geraubt, ich werde ihm alle beide nehmen. Sein Tomahawk ist mir in die Schulter gedrungen; mein Messer aber wird ihm in das Herz reichen!«

Natürlich waren auch die Gefangenen deutlich zu erkennen. Old Shatterhand sah Jemmy, Davy, Martin und den Hobble-Frank. Baumann und die anderen kannte er nicht. Wohkadeh war abseits an einen Stein gefesselt und zwar in einer Stellung, als ob ihm alle Glieder verrenkt werden sollten.

Zu ihm trat einer der Sioux, band ihn vom Steine los und führte ihn in den Kreis.

»Sie wollen ihn verhören,« sagte Old Shatterhand. »Vielleicht halten sie Gericht über ihn und haben die Absicht, ihm die Strafe an diesem Orte zu geben. Ah, ich möchte hören, was jetzt gesprochen wird!«

»Warum sollen die Ogallala überhaupt mit ihm sprechen dürfen?« stieß der Medizinmann hervor. »Wir wollen hinab und hinüber. Der Tomahawk soll sie alle fressen!«

»So schnell geht das nicht,« warf Old Shatterhand ein. »Mein roter Bruder mag bedenken, daß wir noch tüchtig zu klettern haben, bevor wir diese Steilung hinab und an den Fluß kommen. Sie sehen uns ja, sobald wir unter den Bäumen hervortreten. Ehe wir den Fluß erreichen und ihn durchschwimmen, haben sie ihre Maßregeln getroffen.«

»Hat mein weißer Bruder einen besseren Plan?«

»Ja! Wir müssen ganz plötzlich über sie kommen, ganz ungeahnt. Denn ich befürchte, daß sie die Gefangenen lieber töten als in unsere Hände kommen lassen werden. Hier hinab können wir nicht; da bemerken sie uns. Dort unten aber tritt der Wald bis an den Fluß. Wir können also unbemerkt bis an das Ufer. Wenn wir vorsichtig sind, werden sie uns gar nicht sehen, denn die Bassinwand des Geisers ist dann zwischen ihnen und uns.«

»Mein Bruder hat recht. So soll es geschehen. Aber ich mache eine Bedingung.«

»Welche?«

»Keiner darf den Häuptling der Ogallala töten. Ich habe eine Rache mit ihm, und er gehört mir!«

Old Shatterhand blickte sinnend vor sich nieder. Dann hob er den Kopf und sagte, indem seine Brauen sich zusammenzogen:

»Dort sind über fünfzig Feinde. Es wird sehr viel Blut fließen, und doch möchte ich das vermeiden. Aber es ist ganz unmöglich, sie in die Hand zu bekommen, ohne mit ihnen zu kämpfen.«

Der Neger Bob, welcher während des Rittes sich immer am Ende des Zuges gehalten hatte, war nach vorn gekommen, um sich die Ogallala anzusehen. Da Old Shatterhand mit dem Indianer in dessen Sprache redete, verstand der Schwarze nicht, was gesagt wurde. Er trat jetzt herbei, deutete hinab und sagte:

»Dort Massa Baumann und auch jung Massa Martin! Will Massa Shatterhand sie frei machen?«

»Ja!«

»Oh, oh! Sehr gut sein das, sehr gut! Neger Bob wird mithelfen frei machen. Neger Bob wird gleich hinunter und über Wasser hinüber. Massa Bob sich nicht fürchten vor Ogallala. Massa Bob sein stark und kühn. Er sie schlagen alle tot!«

Er wollte wirklich fort. Old Shatterhand hielt ihn zurück. Er nahm das Fernrohr aus der Satteltasche und richtete es auf die Sioux. Eben jetzt wurde Martin Baumann losgebunden und auch in den Kreis geführt und neben Wohkadeh gestellt. Old Shatterhand hatte durch das Glas die Gesichter so nahe vor sich, daß er die Lippenbewegungen der Sprecher sah. Es war, als ob die Sioux kaum zwanzig Schritte von ihm entfernt seien.

Der Häuptling sprach zu Martin Baumann, mit der Hand nach dem Schlammkrater deutend. Old Shatterhand sah ganz deutlich, daß Martin totenbleich wurde. Zu gleicher Zeit ertönte ein schriller Schrei, wie ihn die menschliche Kehle nur im Augenblicke des größten Entsetzens ausstoßen kann.

Einer der Gefangenen hatte ihn ausgestoßen, der alte Baumann. Old Shatterhand sah, daß der arme Mann aus allen Kräften an seinen Fesseln zerrte. Das, was der Häuptling gesagt hatte, mußte etwas geradezu Fürchterliches sein.

Und das war es auch, etwas so Teuflisches, daß ein Vater wohl aus Angst um seinen Sohn einen solchen Schrei ausstoßen konnte.

Die Sioux-Ogallala waren gestern erst nach Einbruch des Abends auf der Höhe des Geiserflusses angekommen. Sie hatten erwartet, daß der »schwere Moccassin« da unter den Bäumen des Waldes Lager machen werde, aber sie hatten sich verrechnet. Trotz der Dunkelheit und trotz der Beschwerlichkeit des Abstieges bestimmte er, daß noch über den Fluß gesetzt werden solle.

Er kannte die Gegend; er war bereits mehreremal hier gewesen, und in seinem Hirn brütete ein Gedanke, noch finsterer und unheimlicher als der Schlammkrater, welcher da unten im Dunkel der Nacht seine scheußlichen Massen hob und senkte.

Voransteigend und sein Pferd am Zügel führend, zeigte er den Seinen den Weg. Auch die Gefangenen mußten mit hinab, was natürlich außerordentliche Schwierigkeiten bereitete, da sie nicht von den Tieren losgebunden werden durften. Schließlich gelangten doch alle glücklich unten am Ufer an.

An dieser Stelle war das Wasser des Feuerlochflusses nicht heiß, sondern nur warm. Man konnte hindurch, ohne sich Schaden zu thun. Je zwei Sioux nahmen das Pferd eines Gefangenen zwischen sich, und dann ging es hinüber. Am Schlammkrater wurde Halt gemacht.

Die Gefangenen wurden an die dort liegenden großen Steine gefesselt und Wächter bei ihnen aufgestellt; dann legten sich die anderen nieder, ohne von dem Häuptlinge Auskunft erhalten zu haben, warum er hier Lager machte, im Gestank des Kraters, und wo es weder Gras noch Wasser für die Pferde gab.

Bei Anbruch des Morgens wurden die letzteren eine Strecke abwärts geführt, wo, wie der Häuptling wußte, eine reine Quelle aus dem Felsen strömte. Nach Rückkehr der Leute, die das besorgten, zog jeder ein Stück getrocknetes Büffelfleisch hervor, um zu frühstücken. Jetzt nun erklärte der »schwere Moccassin« seinen Leuten mit leiser Stimme, was er in Beziehung auf Wohkadeh und den jungen Baumann beschlossen habe.

Alle hielten den ersteren für einen Verräter. Er hatte zwar nichts gestanden, aber in ihren Augen war er überführt. Daß Martin an demselben Schicksale teilnehmen solle, machte ihnen nicht die geringsten Bedenken. Die Gefangenen waren alle dem Tode gewidmet, und je mehr Abwechselung bei ihrer Hinrichtung angebracht wurde, desto interessanter war es ja.


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Zunächst galt es, sich an den Qualen, welche die bloße Verkündigung des Urteiles den Gefangenen bereiten mußte, zu weiden. Darum wurde ein Kreis gebildet und zunächst Wohkadeh vorgeführt.

Er wußte natürlich, daß ihm der sichere Tod beschieden war, aber er glaubte keineswegs, daß das Urteil bereits jetzt an ihm vollzogen werden solle. Er war überzeugt, daß Old Shatterhand und Winnetou sehr bald erscheinen würden, und stellte sich getrosten Mutes vor seine Richter hin.

Die Verhandlung wurde mit lauter Stimme geführt, damit auch die anderen Gefangenen, soweit sie die Sprache der Sioux verstanden, alles hören sollten.

»Hat Wohkadeh sich besonnen, ob er weiter leugnen oder den Kriegern der Ogallala alles gestehen will?« fragte der Häuptling.

»Wohkadeh hat nichts Böses gethan und also auch nichts zu gestehen,« antwortete der Gefragte.

»Wohkadeh lügt. Wollte er die Wahrheit erzählen, so würde sein Urteil ein sehr mildes sein!«

»Mein Urteil wird dasselbe sein, gleichviel ob ich schuldig oder unschuldig bin. Ich muß sterben!«

»Wohkadeh ist jung. Die Jugend hat einen kurzen Gedanken. Sie weiß oft nicht genau, was das, was sie thut, zu bedeuten hat. Darum sind wir bereit, Milde walten zu lassen; aber derjenige, welcher falsch gehandelt hat, muß aufrichtig sein!«

»Ich habe nichts zu sagen!«

Da ging ein höhnisches Lächeln über das Gesicht des Häuptlings. Er fuhr fort:

»Ich kenne Wohkadeh. Er wird uns dennoch alles, alles sagen!«

»Ihr werdet vergebens darauf warten.«

»So ist Wohkadeh ein Feigling. Er fürchtet sich. Er hat den Mut, Böses zu thun, aber es fehlt ihm der Mut, es einzugestehen. Wohkadeh ist trotz seiner Jugend ein altes Weib, welches vor Angst heult, wenn es von einer Fliege gestochen wird!«

Wohl kannte der Häuptling den jungen Mann. Seine Worte erreichten ihren Zweck.

Kein Indianer läßt sich einen Feigling nennen, ohne sofort zu zeigen, daß er mutig sei. Von früher Jugend an an Entbehrungen, Anstrengungen und allerhand Schmerzen gewöhnt, achtet er den Tod nicht. Er ist ja überzeugt, nach dem Tode sofort in die ewigen Jagdgründe zu gelangen. Er ist also, falls er ein Feigling genannt wird, bereit, das Gegenteil zu beweisen und dabei selbst sein Leben auf das Spiel zu setzen. So auch Wohkadeh. Kaum hatte der Häuptling die Beleidigung ausgesprochen, so antwortete er rasch:

»Ich habe den weißen Büffel getötet. Alle Sioux-Ogallala wissen das!«

»Aber keiner von ihnen war dabei. Keiner hat gesehen, daß du ihn wirklich tötetest. Du hast das Fell gebracht, das wissen wir; weiter nichts!«

»Gibt der Büffel sein Fell freiwillig her?«

»Nein! Aber wenn er gestorben ist, so liegt er auf der Prairie. Wohkadeh kommt dazu, nimmt ihm die Haut, trägt sie heim und sagt dann, daß er ihn getötet habe. Der Büffel aber war von selbst verendet.«

»Das ist eine Lüge!« rief Wohkadeh, in höchstem Grade erzürnt über diese neue Beleidigung. »Kein verendeter Büffel liegt in der Prairie. Die Geier und Koyoten fressen ihn auf.«

»Und der Koyot bist du!«

»Uff!« rief Wohkadeh, an seinen Riemen zerrend. »Wäre ich nicht gefesselt, so wollte ich dir zeigen, ob ich ein feiger Prairiewolf bin oder nicht!«

»Du hast es bereits gezeigt. Du bist ein Feigling, denn du fürchtest dich, die Wahrheit zu sagen!«

»Ich habe nicht aus Angst geleugnet!«

»Warum denn?«

»Aus Rücksicht für die anderen, welche sich in Eurer Hand befinden.«

»Uff! Also jetzt gestehst du ein, daß du schuldig bist?«

»Ja!«

»So erzähle, was du gethan hast!«

»Was soll ich erzählen? Das ist mit wenigen Worten gesagt. Ich bin nach dem Wigwam des Bärentöters gegangen, um zu erzählen, daß er von Euch gefangen genommen worden ist. Dann sind wir aufgebrochen, ihn zu befreien.«

»Wer?«

»Wir fünf. Der Sohn des Bärentöters, Jemmy, Davy, Frank und Wohkadeh.«

»Weiter niemand?«

»Nein!«

»So hat wohl Wohkadeh die Bleichgesichter sehr lieb gewonnen?«

»Ja! Einer unter ihnen ist mehr wert, als hundert Sioux-Ogallala.«

Der Häuptling ließ seinen Blick im Kreise herumgleiten und freute sich heimlich über den Eindruck, welchen die letzten Worte des roten Jünglings bei den Ogallala hervorgebracht hatten. Dann fragte er:

»Weißt du, was du gewagt hast, uns das zu sagen?«

»Ja! Ihr werdet mich töten!«

»Aber unter tausend Martern!«

»Ich fürchte sie nicht.«

»Sie mögen sofort beginnen. Bringt den Sohn des Bärentöters herbei!«

Jetzt wurde, wie auch Old Shatterhand gesehen hatte, Martin herbeigeführt und neben Wohkadeh gestellt.

»Hast du gehört und verstanden, was Wohkadeh gesagt hat?« fragte ihn der Häuptling.

»Ja,« antwortete Martin ruhig.

»Er hat euch geholt, damit ihr die Gefangenen befreien solltet. Fünf Mäuse ziehen aus, um fünfzig Bären zu fressen! Die Dummheit hat euer Hirn verzehrt; sie mag euch nun auch ganz verzehren. Ihr werdet sterben!«

»Das wissen wir!« lächelte Martin Baumann. »Kein Mensch kann ewig leben bleiben!«

Der Häuptling verstand ihn nicht sogleich. Dann aber begriff er den Sinn dieser Worte, denn er antwortete:

»Ich meine, daß ihr sterben werdet von unserer Hand!«

»Ich glaube, daß das Eure Absicht ist!«

»Was du jetzt nur glaubst, sollst du sehr bald als Wahrheit erkennen. Hofft ihr etwa noch auf eine Gelegenheit, uns zu entkommen? Die soll euch genommen werden. Ihr werdet heute schon sterben, jetzt, sogleich!«

Er blickte die beiden scharf an, um zu sehen, welche Wirkung seine Worte hervorbringen würden. Wohkadeh verhielt sich so, als ob er sie gar nicht gehört habe; Martin aber veränderte die Farbe seines Gesichtes, obgleich er sich die größte Mühe gab, seinen Schreck zu verbergen.

»Der >schwere Moccassin< sieht, daß ihr große Freunde seid,« fuhr der Häuptling fort. »Er will euch die Freude machen, miteinander zu sterben.«

Er hatte geglaubt, die Bestürzung der beiden zu vermehren. Aber Wohkadeh sagte unter einem heiteren Lächeln:

»Du bist besser, als ich dachte! Ich fürchte den Tod nicht. Kann ich mit meinem weißen Freunde sterben, so wird er mir sogar süß sein.«

»Süß?« hohnlachte der Häuptling. »Ja, süß soll er sein. Ihr sollt seine Süßigkeiten auskosten, langsam, ganz und gar. Und weil eure Liebe eine so seltene ist, so sollt ihr auch auf eine ganze seltene Weise in die ewigen Jagdgründe gehen!«

Er stand auf, trat aus dem Kreise und ging zu der Umwallung des Schlammkraters.

»Das ist euer Grab!« sagte er. »In wenigen Augenblicken soll es euch empfangen!«

Er deutete in die Tiefe, aus welcher der stinkende Brodem emporstieg.

Das hatte niemand erwartet. Das war mehr als unmenschlich. Martin wurde totenbleich. Sein Vater stieß jenen Angstschrei aus, welchen Old Shatterhand und seine Begleiter drüben, jenseits des Flusses, gehört hatten. Er zerrte mit aller Gewalt an seinen Fesseln.

Baumann hatte vom ersten Augenblicke seiner Gefangenschaft an bis jetzt mit keinem Worte und mit keiner Miene gezeigt, wie unglücklich er sich fühle. Er war zu stolz, sich das merken zu lassen. Jetzt aber, als er hörte, was seinem Sohne drohte, war es mit all seiner Selbstbeherrschung vorüber.

»Das nicht, das nicht!« rief er. »Werft mich in den Krater, mich, mich, nur ihn nicht, ihn nicht!«

»Schweig!« herrschte der Häuptling ihm zu. »Du würdest heulen vor Entsetzen, wenn du den Tod deines Sohnes sterben solltest!«

»Nein, nein, keinen Laut sollt Ihr hören, keinen einzigen!«


Ende des dreiunddreißigsten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Sohn des Bärenjägers