Nummer 32

Der
Gute Kamerad

Spemanns Illustrierte Knaben-Zeitung.

6. August 1887

Der Sohn des Bärenjägers.

Von
K. May


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Dorthin brachte der Häuptling die neuen Gefangenen. Während sie herbeigeschritten waren, hatte Martin zu Jemmy leise gesagt:

»Wohin wird er uns führen? Vielleicht zu meinem Vater?«

»Möglich. Aber um Gottes willen nicht merken lassen, daß Ihr ihn kennt, sonst ist alles verloren.«

»Hier liegen gefangene Bleichgesichter,« sagte der Häuptling. »Der >schwere Moccassin< kennt ihre Sprache nicht genau. Er weiß also nicht, wer sie sind. Die weißen Männer mögen zu ihnen treten, um sie zu fragen, und es mir sodann sagen.«

Er führte die Vier nach dem Winkel. Jemmy, welcher wußte, daß Baumann ein geborner Deutscher war und daß der Sioux unmöglich ein Wort dieser Sprache verstehen konnte, trat rasch vor und sagte:

»Hoffentlich finden wir hier den Bärentöter Baumann. Lassen Sie sich um Gottes willen nicht merken, daß Sie Ihren Sohn kennen. Hier hinter mir steht er. Wir kamen zu Ihrer Rettung, gerieten aber selbst in die Hände der Roten, doch haben wir die Gewißheit, daß wir samt Ihnen bald wieder frei sein werden. Haben Sie den roten Schuften Ihren Namen genannt?«

Baumann antwortete nicht. Der Anblick seines Sohnes raubte ihm die Sprache. Erst nach einer Weile stieß er mühsam hervor:

»O mein Gott! Welche Wonne, und zugleich auch welches Herzeleid! Die Sioux kennen mich und auch die Namen meiner Gefährten.«

»Schön! Hoffentlich werden wir hier bei Ihnen interniert. Da werden Sie alles Weitere erfahren.«

Obgleich der Häuptling keine Silbe verstand, war er doch ganz Ohr. Er schien aus dem Tonfall den Inhalt der Worte erraten zu wollen. Mit scharfem Auge blickte er zwischen Baumann und dessen Sohne hin und her. Seine Beobachtung blieb erfolglos. Martin hatte sich so in der Gewalt, daß er ein ganz gleichgültiges Gesicht zeigte, obgleich der Jammer, welchen er beim Anblicke seines Vaters em-


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pfand, ihm die Thränen in die Augen treiben wollte.

Der Hobble-Frank hätte fast eine Unvorsichtigkeit begangen. Es war ihm, als ob das Herz ihm brechen müsse. Er machte eine Bewegung, als ob er sich auf Baumann werfen wolle; doch der lange Davy ergriff ihn am Arme, hielt ihn zurück und warf ihm einen zornigen Blick zu.

Leider hatte der Häuptling das bemerkt. Er fragte Jemmy:

»Nun, haben sie dir ihre Namen genannt?«

»Ja. Aber du weißt sie ja auch bereits.«

»Ich dachte, sie hätten mich belogen. Du wirst mit deinen Gefährten auch hier bleiben.«

Die bis jetzt von ihm gezeigte halbe Freundlichkeit wich aus seinem Gesichte. Er winkte die Ogallala herbei, welche mitgekommen waren. Diese leerten die Taschen der Gefangenen und legten ihnen sodann Fesseln an.

»Prächtig!« brummte Jemmy, indem er den letzten Inhalt seiner Taschen verschwinden sah. »Es ist nur zu verwundern, daß sie uns nicht auch die Kleider abnehmen. Das ist doch sonst so Rothautart.«

Die neuen Gefangenen wurden zu den alten auf die Erde gelegt. Der Häuptling entfernte sich und ließ einige Wächter zurück.

Die Beklagenswerten getrauten es sich nicht, laut zu sprechen. Sie flüsterten sich, was sie sich zu sagen hatten, einander zu. Baumann, der Sohn, war gerade neben seinem Vater zu liegen gekommen, ein Umstand, welcher von beiden natürlich zum Austausche aller hier möglichen Zärtlichkeiten ausgenutzt wurde.

Nach einiger Zeit trat ein Sioux herbei, entfernte einem der früheren Gefangenen die Fesseln von den Beinen und gebot ihm, ihm zu folgen. Der Mann konnte nicht gehen. Er wankte mühsam neben dem Roten her.

»Was wird man mit ihm wollen?« fragte Baumann, so daß Jemmy es hörte.

»Den Verräter wird er machen sollen,« antwortete dieser. »Ein wahres Glück, daß ich und auch meine Gefährten noch nichts von der Hilfe, die wir erwarten, gesagt haben.«

»Erwähnt haben Sie es aber doch.«

»Das ist nicht gefährlich. Hüten wir uns, dem Manne, sofern er zurückkehrt, irgend eine wichtige Mitteilung zu machen. Wir müssen uns erst überzeugen, daß wir ihm trauen können.«

Jemmy hatte ganz richtig vermutet. Der Mann war zu dem Häuptlinge geführt worden, der ihn mit finsterem Blicke empfing. Der Aermste konnte sich nicht auf den Füßen erhalten. Er mußte sich auf die Erde setzen.

»Weißt du, welches Schicksal dich erwartet?« wurde er von dem Häuptlinge gefragt.

»Ja,« antwortete der Gefragte mit matter Stimme. »Ihr habt es uns doch oft genug gesagt.«

»Nun, sage es auch mir!«

»Wir sollen getötet werden.«

»Ja, der Tod ist euch sicher, der qualvollste Tod. Ihr sollt Martern ausstehen, wie noch niemals ein Bleichgesicht ausgestanden hat, dem Grabe zu Ehren, auf welchem ihr sterben werdet. Was würdest du geben, wenn diese Qualen dir erspart blieben?«

Der Weiße antwortete nicht.

»Wenn du dein Leben retten könntest?«

»Ist es denn zu retten?« fragte der Mann hastig.

»Ja.«

»Was muß ich da thun? Was verlangst du von mir?«

Der Gedanke, sich retten zu können, brachte seine geschwächten Lebensgeister in Aufregung. Seine Augen bekamen Glanz, und seine matt zusammengesunkene Gestalt richtete sich auf.

»Es ist ganz wenig, was ich von dir verlange,« antwortete der Häuptling. »Du sollst mir einige Fragen beantworten.«

»Gern, gern!« stieß der Mann freudig hervor.

»Aber du mußt die Wahrheit sagen, sonst wirst du unter verzehnfachten Qualen sterben müssen. Hast du die Hütte des Bärentöters gekannt, welche er bewohnte?«

»Ja.«

»Bist du drin gewesen?«

»Ja. Wir alle fünf waren mehrere Tage bei ihm, bevor wir den Ritt in die Berge unternahmen.«

»So weißt du auch, wer bei ihm wohnte?«

»Natürlich.«

»So sage es.«

»Er hatte seinen Sohn und - -«

Der Mann stockte. Es kam ihm doch der Gedanke, daß die Auskunft, welche man von ihm forderte, vielleicht von größter Wichtigkeit für die Betreffenden sei.

»Warum sprichst du nicht weiter?« fragte der »schwere Moccassin« in strengem Tone.

»Warum fragst du mich?«

»Hund!« fuhr der Häuptling auf. »Weißt du, was du bist? Der Wurm, den ich zertrete! Sprich noch eine einzige so freche Frage aus, so gebe ich dich meinen Kriegern als Zielscheibe ihrer Messer! Ich will das, wonach ich frage, wissen. Sagst du es mir nicht, so erfahre ich es von einem anderen!«

Der Weiße war bei diesen zornigen Worten zusammengezuckt wie ein Hund, welchem sein Herr die Peitsche zeigt. Körperlich halb tot und geistig gefoltert, hatte er nicht mehr die Kraft des Widerstandes. Er wagte nur noch die Frage:

»Und du wirst mir das Leben und die Freiheit schenken, wenn ich dir alles sage?«

»Ja. Ich habe es gesagt, und ich halte mein Wort. Also, bist du bereit, mir die volle Wahrheit einzugestehen?«

»Ja,« erklärte der beklagenswerte, von dem Versprechen verblendete Mann.

»So antworte! Hat der Bärentöter einen Sohn?«

»Ja. Er heißt Martin.«

»Ist es das junge Bleichgesicht, welches jetzt mit bei euch liegt?«

»Ja, er ist es.«

»Uff! Die Augen des >schweren Moccassin< sind scharf. Kennst du auch die anderen weißen Männer?«

»Nur den einen, welcher hinkt. Er wohnte mit bei dem Bärentöter und heißt Hobble-Frank.«

Der Häuptling sah eine Weile sinnend vor sich hin. Dann fragte er:

»Was du sagst, ist die Wahrheit?«

»Ja; ich kann es beschwören.«

»So ist es gut. Wir sind fertig.«

Der Ogallala, welcher den Weißen herbeigeholt hatte, erhielt einen Wink. Er ergriff ihn beim Arme, um ihn empor zu ziehen und fort zu führen. Da aber fragte der Weiße:

»Du hast mir das Leben und die Freiheit versprochen. Wann erhalte ich die letztere?«

Da grinste ihm das Gesicht des Häuptlings mit grimmigem Lachen entgegen.

»Du bist ein weißer Hund, dem man nicht Wort zu halten braucht,« antwortete er. »Du wirst ebenso sterben wie die anderen, denn du bist - -«

Er hielt inne. Es schien ihm plötzlich ein Gedanke gekommen zu sein, denn sein Gesicht nahm einen ganz anderen, viel freundlicheren Ausdruck an, und nun fuhr er fort:

»Du hast mir zu wenig gesagt.«

»Ich weiß nicht mehr.«

»Das ist eine Lüge!«

»Ich kann nicht mehr sagen, als ich weiß.«

»Haben die Bleichgesichter, welche vorhin gebracht wurden, mit dem Bärentöter gesprochen?«

»Ja.«

»Was?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wenn du weißt, daß sie gesprochen haben, mußt du auch wissen, was geredet worden ist.«

»Nein, denn sie redeten in einer Sprache, welche ich nicht verstehe, und sprachen überhaupt sehr leise.«

»Weißt du nicht, wie sie mit Wohkadeh zusammengetroffen sind?«

»Ich weiß gar nicht, wer Wohkadeh ist.«

»Und weißt du, ob sie sich allein in dieser Gegend befinden, oder ob noch andere Bleichgesichter vorhanden sind?«

»Auch davon weiß ich nichts.«

»Nun, das ist es, was ich wissen will und was du erfahren sollst. Frage sie aus. Wenn du es erfahren kannst, so will ich dich frei geben. Du sollst uns auf dem Rückwege begleiten, und wenn wir in Gegenden kommen, wo sich Bleichgesichter befinden, werden wir dich zu ihnen bringen. Jetzt kannst du gehen; heute abend, wenn wir den Lagerplatz erreicht haben und die Bleichgesichter alle schlafen, sollst du mir erzählen, was du erfahren hast.«

Der Mann wurde wieder zu seinen Mitgefangenen gebracht, an seinen Platz gelegt und an den Füßen gefesselt.


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Die anderen schwiegen, und auch er verhielt sich still. Es war ihm gar nicht wohl zu Mute. Er war ein ganz braver Kerl. Wenn er über das Verhalten des Häuptlings nachdachte, erschien es ihm als gar nicht sehr wahrscheinlich, daß derselbe sein Wort halten werde. Er begann einzusehen, daß er sich hatte überlisten lassen. Er hätte gar nichts sagen sollen. Je länger er nachdachte, desto mehr sah er ein, daß er dem »schweren Moccassin« nicht trauen dürfe, und daß es seine Pflicht sei, Baumann zu sagen, was er mit dem Häuptling gesprochen habe.

Der Bärentöter kam ihm zuvor. Als eine lange Weile vergangen war, fragte er:

»Nun, Master, Ihr verhaltet Euch so schweigsam! Es versteht sich ganz von selbst, daß wir gespannt sind, zu erfahren, was man von Euch gewollt hat; bei wem waret Ihr?«

»Beim Häuptling.«

»Konnte es mir denken. Was wünschte er denn von Euch?«

»Ich will es Euch aufrichtig sagen. Er wollte wissen, wer Martin und Frank seien, und ich sagte es ihm, weil er mir die Freiheit versprach.«

»O weh! Das war eine Dummheit, wie Ihr sie größer gar nicht machen konntet. Also Ihr habt es ihm gesagt. Wie steht es aber nun mit der Freiheit?«

»Die soll ich erst erhalten, wenn ich noch erfahren habe, wie die anderen Masters mit einem gewissen Wohkadeh zusammengetroffen sind, und ob sich noch mehrere Weiße hier in der Gegend befinden.«

»So! Und Ihr glaubt, daß der Kerl sein Versprechen halten wird?«

»Nein. Nachdem ich über die Sache nachgedacht habe, bin ich der Ueberzeugung, daß er mich betrügen will.«

»Daran thut Ihr klug. Und weil Ihr so aufrichtig seid, wollen wir Euch die Dummheit verzeihen. Uebrigens dürft Ihr nicht meinen, daß Ihr uns hättet aushorchen können. Wir ahnten, was Ihr bei dem Häuptlinge solltet und hätten uns gegen Euch gewiß sehr schweigsam verhalten.«

»Was aber soll ich antworten, wenn er mich wieder fragt?«

»Das will ich Euch sagen,« antwortete Jemmy. »Ihr sagt, daß wir Wohkadeh gerettet haben, als er bei den Schoschonen gefangen war, und mit ihm hierher geritten sind, um ihn sicher zu den Seinigen zu bringen. Andere Weiße als wir sind nicht da. Ueberhaupt haben wir außer uns selbst weder einen weißen noch einen roten Menschen gesehen. Das ist die ganze Antwort, die Ihr gebt. Und wenn er Euch doch übertölpeln will, so geht nicht auf den Leim. Von uns habt Ihr viel eher Rettung zu erwarten als von ihm.«

»Wie so?«

»Da fragt Ihr mich für jetzt zu viel. Vielleicht gewinne ich so viel Vertrauen zu Euch, daß ich Euch recht bald eine angenehme Mitteilung mache.«

Damit war die Angelegenheit einstweilen zur Ruhe gesprochen.

Die Gefangenen hatten nicht den freien Gebrauch ihrer Glieder. Ihre einzige Bewegung bestand darin, daß sie sich von der einen Seite auf die andere wälzen konnten. Das benutzte Jemmy, um neben Baumann zu liegen zu kommen. Es gelang ihm, und als er nun rechts und Martin links von dem Bärentöter lagen, konnten sie diesem alles erzählen und ihm auch ihre Hoffnung mitteilen, daß die jetzige Gefangenschaft nur eine kurze sein werde.

Indessen hatte der Häuptling die hervorragendsten seiner Krieger zu sich rufen und sodann Wohkadeh holen lassen. Als der letztere in die Hofabteilung trat, in welcher sich die Sioux befanden, saßen sie in einem Halbkreise, dessen Mitte der Häuptling einnahm. Der Gefangene mußte sich ihnen gegenüberstellen. Zu seinen beiden Seiten nahmen zwei Wächter Platz, welche ihre Messer in den Händen hatten.

Dieser letztere Umstand war für Wohkadeh höchst bedenklich. Es war aus demselben zu ersehen, daß sich seine Angelegenheit für ihn verschlimmert habe. Dennoch aber sah er dem Verhöre in aller Ruhe entgegen.

Nachdem die Augen der Anwesenden ihn mit finsteren Blicken eine Weile beobachtet hatten, begann der Häuptling:

»Wohkadeh mag nun erzählen, was er seit dem Augenblicke, an welchem er uns verließ, erlebt hat.«

Wohkadeh folgte der Aufforderung. Er brachte das Märchen vor, daß er von den Schoschonen bemerkt und gefangen genommen worden, von den gefangenen Weißen aber befreit worden sei. Er erzählte das möglichst im Tone der Wahrheit, mußte aber doch bemerken, daß man ihm keinen Glauben schenkte.

Als er geendet hatte, verlor niemand ein Wort darüber, ob man ihm glaube oder nicht. Der Häuptling fragte:

»Und wer sind diese vier Bleichgesichter?«

Wohkadeh nannte zunächst Jemmys und Davys Namen und stellte es als eine Ehre für die Sioux hin, daß so berühmte Jäger zu ihnen gekommen seien.

»Und die beiden anderen?«

Diese Frage brachte Wohkadeh freilich nicht in Verlegenheit. Er hatte sich bereits überlegt, was er sagen solle. Er nannte Franks Namen und gab Martin für den Sohn desselben aus. Der Häuptling zuckte mit keiner Miene, fragte aber:

»Hat Wohkadeh vielleicht erfahren, daß der Bärentöter einen Sohn hat, welcher Martin heißt?«

»Nein.«

»Und daß bei ihm ein Mann wohnt, welcher Hobble-Frank genannt wird?«

»Nein!«

Er behielt seine äußere Ruhe bei, obgleich er jetzt innerlich überzeugt war, daß sein Spiel nun ein verlorenes sei. Jetzt aber donnerte der Häuptling los:

»Wohkadeh ist ein Hund, ein Verräter, ein stinkender Wolf! Warum lügt er noch? Denkt er vielleicht, wir wissen nicht, daß Frank und der Sohn des Bärenjägers sich als Gefangene bei uns befinden? Wohkadeh hat diese beiden und auch die anderen herbeigeholt, um die Gefangenen zu retten. Er soll nun auch ihr Schicksal teilen. Die Versammlung wird heute am Lagerfeuer beraten, welch eines Todes er sterben soll. Jetzt aber mag er so fest gebunden werden, daß die Riemen sein Fleisch durchschneiden!«

Er wurde fortgeführt und wirklich so fest geschnürt, daß er hätte laut aufschreien mögen. Nach kurzer Zeit band man ihn aufs Pferd, denn es sollte aufgebrochen werden.

Dasselbe geschah auch mit den anderen Gefangenen, doch kam er nicht in die Nähe derselben, sondern er wurde fern von ihnen gehalten und bekam zwei Krieger als besondere Bedeckung.

Es war traurig anzusehen, wie armselig und matt Baumann und seine fünf Schicksalsgenossen in ihren Fesseln zu Pferde saßen. Wären sie nicht mit den Füßen angebunden gewesen, so wären sie vor Erschöpfung von den Tieren gestürzt.

Davy flüsterte darüber seinem Jemmy einige mitleidige Worte zu. Der Dicke antwortete:

»Nur kurze Zeit Geduld, Alter! Ich müßte mich sehr irren, wenn Old Shatterhand nicht bereits in unserer Nähe wäre. Was wir erst jetzt eingesehen haben, nämlich daß wir die schrecklichsten Dummköpfe sind, das hat er jedenfalls bereits heute früh gewußt. Jedenfalls kommt er uns mit einer Anzahl Roter nach, und da habe ich denn gesorgt, daß er auf unsere Fährte kommt.«

»Wieso?«

»Schau her! Ich habe mir da einen Fetzen vom Pelz gerissen und mit Hilfe der Zähne in kleine Stückchen zerzaust. Da drin, wo wir gelegen haben, habe ich ein solches Stückchen zurückgelassen, und während des Rittes werde ich von Zeit zu Zeit eins fallen lassen. Sie bleiben liegen, denn es geht kein Wind. Kommt Old Shatterhand nach diesem verteufelten Gebäude, so findet er ganz gewiß das Pelzstückchen, und wie ich ihn kenne, wird er sofort wissen, daß in dieser Sommerhitze nur der dicke Jemmy mit einem Pelze dort gewesen sein kann. Er wird weiter suchen, die anderen Stücke finden und also erfahren, welche Richtung wir eingeschlagen haben. Das ist für ihn mehr als genug.«

Der Zug der Sioux folgte nicht der Richtung des Flusses. Für sie wäre das ein Umweg gewesen. Sie ritten nach den Höhen zu, welche den Namen »Elefantenrücken« tragen, und wendeten sich dann in gerader Richtung nach der langgezogenen Höhenfolge, welche die Wasserscheide zwischen dem Atlantischen Oceane und dem Stillen Meere bildet.

Der dicke Jemmy hatte nicht ganz unrecht vermutet, als er meinte, daß Old Shatterhand sich vielleicht bereits in der Nähe befinde. Die Sioux waren kaum drei Viertelstunden hinter den Höhen verschwunden, so kam er mit seinen Schoschonen und Upsarocas von Norden her geritten, ganz genau auf der Linie, welche


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die Pferde der fünf Deserteure gegangen waren.

Er ritt mit dem Häuptlingssohne der Schoschonen und dem Medizinmanne der Upsarocas voran. Sein Auge hing fest an der Erde. Ihm entging nicht das Mindeste, was darauf deuten konnte, daß hier Menschen geritten seien. Und in Wahrheit hatte er sich seit heute früh nicht für einen einzigen kurzen Augenblick über die Spur der Fünf in Zweifel befunden.

Beim Anblicke des scheinbaren Bauwerkes stutzte er zunächst, doch antwortete er auf eine Frage des Medizinmannes sogleich:

»Ich besinne mich. Das ist kein Haus, sondern ein Felsen. Ich bin bereits drin gewesen, und es sollte mich wundem, wenn diejenigen, welche wir suchen, nicht auch hineingegangen wären, um sich den Ort zu betrachten. Es ist - - alle Teufel!«

Er sprang, indem er diesen Ruf ausstieß, vom Pferde und begann, den harten Basaltfelsen zu untersuchen. Es war genau die Stelle, wo seine Richtung auf die Richtung, welche die Sioux eingeschlagen hatten, traf.

»Hier sind viele Leute geritten, und zwar vor kaum einer Stunde,« sagte er. »Ich will nicht befürchten, daß es die Sioux gewesen sind! Und doch, wer soll sonst als sie in solcher Zahl hier gewesen sein! Das Haus kommt mir verdächtig vor. Teilen wir uns, um es zu umringen.«


Ende des einunddreißigsten Teils - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Sohn des Bärenjägers