Lieferung 90

Karl May

3. September 1887

Deutsche Herzen, deutsche Helden.

Vom Verfasser des »Waldröschen« und »der Fürst des Elends«.


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»Ein sehr einfaches. Wir haben hundert Mann Fußkosaken und sechzig Reiter zur Verfügung. Die Fußkosaken marschieren auf die Stelle zu. Die Reiterei ist halbirt worden, je dreißig Mann auf den Flügel, so daß die Kavallerie die beiden Endpunkte des Halbkreises bilden, mit welchem die »armen Leute« eingeschlossen werden. Wenn es uns gelingt, uns unbemerkt zu nähern, wird uns kein einziger Mann entgehen.«

»So befindest Du Dich unterwegs?«

»Ja.«

»Ach, erlaubst Du mir, mit meinen Leuten den Ritt mitzumachen? Wir sind auch zwanzig Mann.«

»Sehr gern, Brüderchen! Komm mit.«

»Und darf ich mich auch anschließen?« fragte der Graf. »Ich bin nämlich Graf Alexei Polikeff und hier mein Freund Lomonow aus Orenburg wird sich auch gern die Freude machen, die Hallunken mit fangen zu helfen.«

»Alle sind willkommen, Alle,« antwortete der Lieutenant höflich. »Vorausgesetzt natürlich, daß keine Ansprüche auf die Prämie gemacht werden.«

Das wurde acceptirt und bald ritt der nun vergrößerte Trupp von dannen. Die Zobeljäger unter Anführung der Nummer Fünf blieben sitzen.

Peter Dobronitsch war wieder aus dem Hause getreten, grad als die Kosaken angekommen waren. Seine Tochter stand bei ihm. Als sie hörte, um was es sich handelte, wurde sie todtesbleich.

»Um Gotteswillen, Vater,« flüsterte sie ihm leise zu. »Wir müssen sie retten!«

»Natürlich!«

»Aber wie?«

»Wir müssen Boroda durch einen Boten benachrichtigen.«

»Das ist aber höchst gefährlich!«

»Leider. Es wird sich nicht leicht Jemand dazu hergeben wollen. Ich werde selbst reiten müssen.«

»Aber hast Du gehört, daß die Armen eingeschlossen werden sollen?«

»Alles habe ich gehört.«

»Da wirst Du nun nicht mehr zu ihnen gelangen können.«

»Es muß eben, gewagt werden. Vielleicht komme ich, noch bevor die Linie der Angreifer geschlossen worden ist.«

»Dann kannst Du zwar hindurch, später aber nicht wieder zurück.«

»Das ist eben das große Bedenken, welches ich habe. Schau, da reiten sie ab!«

Die Häscher hatten den Hof noch nicht alle verlassen, so kam der Zobeljäger Nummer Fünf zu Peter Dobronitsch geeilt und flüsterte ihm zu:

»Du willst die Armen retten?«

»Ja.«

»Hast Du einen tüchtigen Mann dazu?«

»Nein. Ich reite selbst.«


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»Du nicht. Ich werde reiten, hast Du vielleicht Etwas an Boroda auszurichten?«

»Nein. Sage ihm, was Du hier gesehen hast. Das reicht aus. Ich würde den Dienst von Dir nicht annehmen, wenn ich nicht dächte, daß ich möglicher Weise hier sehr nöthig gebraucht werden kann.«

»Bleib in Gottes Namen!«

»Auch weiß ich, wer Du bist. Einen bessern Mann kann ich gar nicht senden.«

Nummer Fünf stieg zu Pferde, legte seine Doppelbüchse quer über die Kniee und wollte schon dem Pferde die Sporen geben, als er sich auf Etwas besann. Er wendete sich an seine Gefährten, die Zobeljäger:

»Brüder, würdet Ihr unter Umständen an dem Kampfe mit theilnehmen?«

»Ja,« lautete die Antwort.

»Für wen?«

»Für die armen Leute natürlich.«

»Schön! Ich verlasse mich auf Euch. Reitet jetzt nach dem Flusse und wartet an der Fähre. Vielleicht hole ich Euch.«

Jetzt ritt er davon, erst langsam und dann, als er das Gehöft hinter sich hatte, im Trabe.

Er blickte sich nach den Kosaken um und sah sie etwas rechter Hand vor sich grad nach Osten reiten. Sie bildeten jetzt noch kein Glied sondern ritten in einem zusammengedrängten Trupp.

Das war ihm ungeheuer lieb, denn so konnte er zwischen ihnen und dem Flusse unbemerkt hindurchkommen.

Er gab seinem Pferde die Sporen, legte sich weit vorn über und sprengte nun in sausender Carriere in der eingeschlagenen Richtung weiter.

Bald hatte er sie eingeholt und noch schneller überholt, aber ohne von ihnen gesehen worden zu sein, da ihr Trupp mehr in die Augen fiel als er als einzelner Reiter.

Bald hatte er sie soweit hinter sich zurückgelassen, daß er sie gar nicht mehr sehen konnte. Aber anstatt sein Pferd nun langsamer gehen zu lassen, spornte er es zu möglichst noch rascherem Laufe an.

So war er kaum eine halbe Stunde unterwegs, als der Fluß eine Biegung nach links machte und nach rechts wieder zurückkehrte. Dadurch entstand ein Bogen, welcher eine Halbinsel einschloß. Sie war mit dichtem Gestrüpp und einzelnen Bäumen , bestanden und bildete den Ort, an welchem die »armen Leute« sich versteckt hielten.

Er rannte in völligem Galopp mitten in das Gestrüpp hinein, bis vor ihm einige Männergestalten auseinander fuhren.

»Wo ist Boroda?« fragte er, sein Pferd anhaltend.

»Boroda? Wir kennen keinen Boroda,« antwortete Einer.

»Um Gottes willen, sagt die Wahrheit! Ihr seid »arme Leute« und lagert hier. Die Kosaken haben Euch entdeckt und sind schon unterwegs, Euch


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zu fangen. Wenn Ihr mich nicht schnell zu Boroda führt, seid Ihr Alle verloren.«

»Um Gott! Ists wahr?«

»Ja, schnell, schnell!«

»Bist Du ein Freund von uns?«

»Sonst käme ich doch nicht, um Euch zu retten!«

»Wie heißest Du?«

»Ich bin der Zobeljäger Nummer Fünf.«

»Also auch ein Verbannter. Ich vertraue Dir. Siehst Du die dicklaubige Esche da drüben links?«

»Ja.«

»Reite hin. Dort befindet er sich.«

Der Zobeljäger folgte der Weisung. Je weiter er vorwärts kam, desto mehr Menschen erblickte er, und Allen rief er seine Warnung zu. Laute Rufe erschollen, und als der Maharadscha bei der Esche anlangte, war fast schon das ganze Lager alarmirt.

Unter dem Baume standen vier oder fünf bewaffnete Männer.

»Wer von Euch ist Boroda?« fragte der Reiter.

»Ich bin es,« antwortete der Jüngste.

»Wer bist Du? Was willst Du?«

»Ich komme von Peter Dobronitsch, bei dem soeben sechzig Kosaken abgeritten sind; von der andern Seite kommen dreißig und hier von grad aus sollt ihr von hundert Fußkosaken angegriffen werden. Alle sind bereits unterwegs.«

»Alle Teufel! So sind wir verrathen?«

»Ja, und zwar von einem Manne, welcher gestern Abend hierherkam, um Krebse zu fangen. Er ist bis in die Frühe in der Nähe gewesen.«

Die Männer blickten sich einige Sekunden lang ruhig an, dann sagte Boroda:

»Das sind neunzig Reiter und hundert Fußsoldaten. Wir zählen ebenso viele; aber wir haben nur dreißig Pferde, und von uns sind nur gegen sechzig Mann bewaffnet. Aber, wollen wir uns ergeben?«

»Nein, nein!«

»Gut! So giebt es nur einen einzigen Rettungsweg: Wir ziehen uns kämpfend nach dem Hofe von Peter Dobronitsch hin, wo wir sofort in dem Verstecke, welches ich Euch allen beschrieben habe, verschwinden. Oder hat Einer von Euch einen besseren Plan?«

»Nein, nein.«

»Gut! Die Bewaffneten treten vor Diejenigen, welche keine Waffen haben, und diese stellen sich hinter ihnen auf. Kommt es ja zum Handgemenge, so können sich auch die Letzteren nach Kräften wehren, indem sie jeden beliebigen Gegenstand als Waffe gebrauchen.«

»Verzeihe,« sagte der Maharadscha. »Du willst Dich nach dem Hofe des Peter Dobronitsch hinziehen. Wird Dir das gelingen?«

»Es muß gelingen!«


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»Auf dieser Seite stehen Dir sechzig Reiter gegenüber, alle wohlbewaffnet. Durch diese mußt Du Dich schlagen.«

»Das ist freilich schlimm!«

»Du hast dann zur rechten Seite den Fluß, vor Dir sechzig Reiter, zu Deiner linken Seite hundert Linienkosaken und hinter Dir wieder dreißig Reiter.«

»Es ist eine verzweifelte Lage; aber wir sterben lieber, als daß wir uns ergeben.«

»Ich will Dir einen Vorschlag machen. Suche die Angreifenden hinzuhalten.«

»Wodurch?«

»Durch Parlamentiren.«

»Wozu?«

»Ich kehre natürlich jetzt zurück, um Dobronitsch zu benachrichtigen, daß die Warnung gelungen ist. Dort an der Fähre habe ich elf tapfere Kameraden, welche Euch helfen wollen. Die bringe ich her, in den Rücken der sechzig Reiter. Diese kommen dadurch zwischen zwei Feuer und werden fliehen. Dadurch wird der Weg nach dem Hofe für Euch offen. Das Uebrige muß der Augenblick ergeben.«

»Schön! Ein prächtiger Gedanke! Wann können wir die Feinde erwarten?«

»In kürzester Frist.«

»So müssen wir uns beeilen.«

»Aber, wenn Ihr klug sein wollt, so schont die Menschenleben. Schießt lieber die Pferde todt. Das giebt eine größere Panik als wenn die Reiter fallen.«

»Wenn es möglich ist, werden wir menschlich sein; aber ergeben wird sich von uns Keiner.«

»So ist meine Sendung beendet, und ich kehre zurück.«

»Wirst Du noch durchkommen können?«

»Ich hoffe es.«

»Und wann triffst Du mit Deinen Freunden ein?«

»In längstens einer halben Stunde. Lebt wohl bis dahin!«

»Leb wohl, Brüderchen!«

Er drehte sein Roß um und sprengte davon.

Es war die höchste Zeit gewesen, wenn er noch durchkommen wollte. Er hatte kaum einen Werst zurückgelegt, als er sich zur Linken die sechzig Kosaken bemerkte, welche eben im Begriffe standen, eine Linie zu bilden, welche bis herüber an den Fluß stoßen sollte.

Er legte sich ganz nieder auf den Rücken seines Pferdes, um ja nicht beachtet zu werden. Und doch wurde er gesehen, wenn auch nicht erkannt.

Mehrere Kosaken stießen von der Truppe ab, um ihn zu verfolgen. Da er aber sein Pferd zur höchsten Eile trieb und sie sahen, daß sie ihn nicht einholen konnten, kehrten sie wieder zurück.

Als er wiederum zwei Werst hinter sich hatte, sah er einen Reiter auf


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sich zukommen. Nach einiger Zeit gewahrte er, daß es kein Reiter sondern eine Reiterin sei. Mila war es, die Tochter von Peter Dobronitsch.

Die Angst hatte ihr keine Ruhe gelassen. Sie jagte auf ihn zu und fragte:

»Wie steht es? Hast Du ihn getroffen?«

»Ja, er ist gewarnt.«

»Und wird er kämpfen?«

»Gewiß! Reite schnell nach Hause und sage Deinem Vater, er solle das Versteck bereit machen. Boroda will sich mit seinen Leuten nach dem Hofe zurückziehen und in dem Verstecke verschwinden.«

»Das ist klug! Das ist gut! Ich eile! Hast Du noch eine Botschaft?«

»Nein, außer Du magst Deinem Vater sagen, daß auch ich mit kämpfen werde. Meine Kameraden werden sofort mit mir aufbrechen. Ich hole sie.«

Sie trennten sich. Sie ritt nach dem Hofe und er nach der Fähre. Als er dort ankam, fand er die Elf seiner wartend. Sie hielten aber ihre Blicke auf das andere Ufer gerichtet, wo soeben drei Reiter ihre Pferde auf die Fähre lenkten und sich dann am Seile herüberzogen.

Es waren zwei hagere, außerordentlich lange Kerls und ein kleiner dicker Mensch. Alle drei trugen Kleidungsstücke, welche hier zu Lande fremd waren. Sie bildeten einen Anblick, welcher dem Maharadscha vergessen ließ, daß er Eile habe. Er blieb mit den Seinen halten, bis die Drei herüber waren.

Sie kamen langsam die Steilung herangeritten. Als sie oben anlangten, betrachteten sie die zwölf Sibirier mit forschenden Blicken. Der kleine Dicke legte die Hand an die Krämpe seines Hutes, lüftete denselben ein Wenig und sagte:

»Guten Tag, Ihr Männer! Seid Ihr hier bekannt?«

»So leidlich,« antwortete der Maharadscha.

»So bitten wir Euch, uns Auskunft zu geben. Wir suchen einen Mann, welcher Peter Dobronitsch heißt.«

»Der wohnt auf seinem Gute hier ganz in der Nähe.«

»Kennt Ihr ihn?«

»Ja. Wir sind Freunde von ihm.«

»Freut mich! Wir wollen auch Freunde von ihm werden.«

»Sendet Euch Jemand zu ihm?«

»Ja.«

»Wer?«

»Bula, der Tungusenfürst und Karparla, seine Tochter.«

»Dann seid Ihr ihm jedenfalls willkommen. Reitet grad aus, so werdet Ihr bald dort sein.«

»Danke, danke!«

Die Drei wollten weiter, blieben aber doch noch halten, als der Maharadscha die Bemerkung machte:

»Ihr habt freilich die Zeit Eurer Ankunft schlecht gewählt.«

»Wieso?«

»Es ist - es wird - - ah, ich darf es Euch doch nicht sagen.«


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»Warum denn nicht?«

»Weil ich Euch nicht kenne.«

»Was thut das? Nur immer heraus damit. Wir hören es ja auch an, ohne daß wir Euch kennen.«

»Sage mir erst, was Du von flüchtigen Verbannten hältst, welche verfolgt werden!«

»Das sind arme Leute, mit denen ich herzliches Mitleid habe.«

»Wirklich?«

»Ja, natürlich! Ich bin doch ein Mensch und habe da, wo Andere das Herz haben, keinen Klumpen Schuhpech stecken.«

»Nun, so kann ich es Dir sagen. Es wird auf Dobronitschens Hof in vielleicht einer halben Stunde einen blutigen Kampf geben.«

»Sakkerment! Und wir kommen dazu? Besser konnten wir es doch gar nicht treffen!«

»Freust Du Dich etwa darüber?«

»Nun, die Augen weine ich mir nicht aus dem Kopfe, wenn sich einige verständige und gescheidte Leute einander gegenseitig die Hälse brechen.«

»Du scheinst ein sonderbarer Mann zu sein!«

»Hm! Dem Menschen ist alles Fremde sonderbar.«

»Ihr seid fremd? Nicht aus dem Lande?

»Von weit her sogar, aus Amerika.«

Da dachte der Maharadscha an das, was er vorhin zwischen dem Grafen und dem Derwisch erlauscht hatte.

»Aus Amerika?« fragte er schnell. »Seid Ihr etwa Prairiejäger?«

»Ja.«

»Mein Gott! Kennt Ihr vielleicht einen Mann, welcher Steinbach heißt?«

»Natürlich! Aber wie kommst Du darauf, diesen Namen zu nennen? Woher kennst Du ihn?«

»Ich habe ihn erst vorhin nennen hören.«

»Von wem?«

»Von einem Manne, welcher sich Graf Polikeff nennt.«

»Polikeff! Donnerwetter! Ist der Lump also da! Na, warte, Bursche, wenn wir Dich beim Fell erwischen, so sollst Du jauchzen wie ein Pudel, der geschunden wird.«

»Ich weiß, daß Ihr ihn sucht, und Ihr sollt ihn bekommen, heute noch!«

»Wo ist er denn?«

»Da oben am Flusse. Er hilft den Kosaken gegen den - - mein Gott, da stehe ich und schwatze anstatt meine Pflicht zu thun!«

»Männchen, warte nur noch einen Augenblick! Du redest von einem Kampfe und von dem Grafen, welcher den Kosaken hilft. Gegen wen ziehen denn diese Kerls vom Leder?«

»Gegen eine Schaar von »armen Leuten«, welche gern über die Grenze wollen.«

»So! Und da wird es zum Kampfe kommen?«


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»Ja.«

»Wie viele Kosaken sind es denn?«

Der Maharadscha machte die Drei mit wenigen Worten mit der Lage der Sache bekannt.

»So, so!« meinte der Dicke. »Also der Graf hilft den Kosaken. Wem helft denn Ihr?«

»Den Flüchtigen.«

»Das freut mich. Wir werden ihnen auch helfen.«

»Ihr?«

»Ja. Wunderst Du Dich darüber?«

»Ihr seid doch fremd. Was gehen Euch diese »armen Leute« an?«

»Donnerwetter, was gehen denn überhaupt einen guten Kerl seine Mitmenschen an! Keile kriegen die Kosaken, riesige Keile. Ihr nehmt uns mit. Und wenn Ihr das nicht wollt, nun so führen wir Krieg auf unsere eigne Faust. Bin doch begierig, zu sehen, was diese Herren Kosaken für Gesichter machen werden, wenn unsere amerikanischen Schlüsselbüchsen zu knallen beginnen!«

»Ist das Dein Ernst, Brüderchen?« fragte der Maharadscha.

»Wenn Du mich etwa für einen Schafskopf hältst, der mit solchen Sachen seinen Scherz treibt, so kannst Du grad eben solche Keile kriegen wie die Kosaken! Willst Du uns mitnehmen oder nicht?«

Der Maharadscha wußte noch immer nicht, woran er war. Er antwortete:

»Wir wollen es versuchen.«

»Ja, Freundchen, versuche es einmal,« lachte der Dicke. »Ich bin überzeugt, daß Ihr diesen Versuch nicht bereuen werdet. Und damit Ihr wißt, mit wem Ihr es zu thun habt, so ist mein Name alleweile Sam Barth aus Herlasgrün in Sachsen, und diese beiden braven Herren heißen Jim Snaker und Tim Snaker. Wer bist Du?«

»Ich bin ein Zobeljäger und heiße nur Nummer Fünf.«

»Also ein Verbannter! Freut mich, daß ich so einen braven Kerl kennen lerne. Gieb mir Deine Hand, Alter! Wir wollen zusammenhalten. Und nun vorwärts!«

Sie reichten sich die Hände, und dann ging es im Galopp den Fluß hinauf.

Das derbe, gutmüthige Auftreten des Dicken hatte doch einen günstigen Eindruck auf Nummer Fünf gemacht. Er hielt sich an seiner Seite und erklärte ihm im Reiten den Feldzugsplan der Kosaken und den Gegenplan der Bedrängten.

»So!« meinte Sam. »Hier durch wollen die wackern Kerls? Da werden wir ihnen hübsch Luft machen müssen, sonst bleiben sie stecken und müssen in das Gras beißen oder sich ergeben.«

»Aber hast Du Dir auch überlegt, was Du thust?«

»Da giebts gar nichts zu überlegen. Ich schieße den Kosaken die Pferde zwischen den Beinen fort. Dann laufen sie davon. Das giebt ein Hauptvergnügen.«


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»Aber dieses Hauptvergnügen kann doch viel kosten!«

»So? Was denn?«

»Die Freiheit und gar das Leben.«

»Mach keinen Unsinn!«

»Was Du als Fremder thust, ist Landfriedensbruch und Empörung!«

»Landfriedensbruch? Pah! Aus so einem Bischen Bruch mache ich mir gar nichts, mag es nun ein Friedensbruch oder ein Leistenbruch oder gar ein Steinbruch sein.«

»Ueberlege es Dir wohl! Du kannst ewige Deportation und Verbannung davontragen!«

»Das ist mir grad Recht, denn da komme ich nach Sibirien, und da bin ich freilich schon. Männchen, laß es Dich nicht anfechten! Wir thun mit, und dabei bleibt es! Pasta!«

Sie jagten in gestrecktem Galoppe fort am Flußufer hin, Sam mit Jim und Tim jetzt voran. Sie schauten aufmerksam nach vorn und bemerkten nach und nach menschliche Gestalten, welche eine lange, mehrgliederige Linie bildeten und über die nicht sehr hohen Büsche hervorragten.

»Das sind Reiter,« sagte Sam. »Die Pferde werden durch die Sträucher verdeckt, während die im Sattel Sitzenden über dieselben herausgucken. Jedenfalls haben wir da die feindliche Kavallerie vor uns. Das freut mich, denn nun geht der Walzer los.«

»Well!« lachte Jim. »Ein Kampf mit Kosaken. Habe ich auch noch nicht erlebt.«

»Besser wäre es freilich, wenn sie uns nicht genau sehen könnten, damit sie später nicht wissen, daß wir es gewesen sind.«

»Schleichen wir uns zu Fuße an!«

»Ja. Aber jetzt noch nicht. Wir sind noch nicht nahe genug. Zum Glück erwarten die Kerls keinen Feind von hinten. Sie kehren uns voller Verachtung und Unhöflichkeit die Rücken zu. Ich hoffe, daß sie das bald bleiben lassen werden. Reitet alle in einer einfachen Linie hinter mir, und legt Euch auf die Pferde nieder, damit wir nicht gesehen werden, wenn sich ja einer dieser guten Gentlemen umdrehen sollte!«

Die Anderen folgten dieser Aufforderung, und so ging es noch eine ziemliche Strecke an dem mit Büschen eingesäumten Ufer hin.

So kamen sie, was sie kaum für möglich gehalten hatten, bis auf ungefähr dreihundert Schritte an die berittenen Kosaken heran.

»Halt!« gebot nun Sam. »Steigt ab, und bindet die Pferde an. Die stehen dann hinter den Büschen so, daß sie nicht gesehen werden können. Wir aber schleichen uns noch ein Wenig weiter, bis wir gut auf die feindlichen Thiere zielen können.«

Dieser Befehl wurde ausgeführt. Es war doch eigenthümlich, daß die Zobeljäger sofort stillschweigend den Dicken als ihren Anführer anerkannten. Das war die Folge seines kurzen, entschlossenen und dabei umsichtigen Auftretens.


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Die Pferde waren angebunden, und nun schlichen die fünfzehn Männer in einer eng geschlossenen Linie zwischen den Büschen vorwärts, bis Sam mit leiser Stimme Halt gebot.

Sie waren jetzt nur noch kaum zweihundert Schritte von den Reitern entfernt. Zwischen beiden Parteien war das Gebüsch hier viel niedriger, so daß die Körper der Pferde zur Genüge aus demselben hervorblickten.

Geschossen wurde noch nicht. Die Kosaken saßen still und bewegungslos in ihren Sätteln.

»Boroda hat meinen Rath befolgt,« sagte der Maharadscha. »Er unterhandelt noch, um Zeit zu gewinnen.«

»Ist nun nicht mehr nöthig,« meinte Sam. »Wir sind ja nun da.«

Als ob die Flüchtlinge diese Worte gehört hätten, ließ sich jetzt ein einzelner, scharfer Knall vernehmen, welchem mehrere folgten.

»Es beginnt!« sagte Sam. »Wir warten noch. Aber dann, wenn wir uns dreinlegen, so verschwendet Eure Kugeln nicht nutzlos! Es dürfen nicht Zwei auf ein und dasselbe Pferd schießen. Wir sind Fünfzehn. Wir schießen in zwei Abtheilungen, nämlich Acht und Sieben. Während die eine Abtheilung ladet, schießt die Andere und zählt da drüben acht oder sieben Pferde ab. Jeder weiß, wo er sich befindet und weiß also auch genau, auf welches Pferd er zu zielen hat. Schont aber die Reiter! Die reißen ganz von selber aus.«

Das Schießen wurde jetzt allgemeiner, und die Flüchtlinge schienen sich im Nachtheile zu befinden, denn die Reiter legten jetzt ihre Lanzen ein und schienen zum Angriffe vorgehen zu wollen.

»Jetzt wirds Zeit!« rief Sam. »Meine Abtheilung, acht Mann hier, Feuer!«

Acht Schüsse krachten fast zu gleicher Zeit, und einen Augenblick später bäumten sich drüben acht Pferde. Einige brachen unter ihren Reitern zusammen, wohl diejenigen, auf welche Sam, Jim und Tim gezielt hatten. Die übrigen waren nur verwundet und stürmten davon, mitten unter die Ihrigen hinein.

Die Kosaken waren von diesem so unerwarteten Angriffe ganz erschrocken. Sie drehten sich nach den verborgenen Feinden um.

"Feuer!" kommandirte Sam.

»Zweite Abtheilung, Feuer!« kommandirte Sam.

Sieben Gewehre krachten, und zwar mit demselben guten Erfolge wie vorhin. Die Kosaken schrieen laut auf. Man hörte ihren Anführer fluchen und wettern. Er gab sich Mühe, seine Leute in Ordnung zu halten; aber der Kosak ist eben ein Kosak, kein gut gedrillter, regulärer Soldat. Als die fünfzehn Mann noch zwei Salven abgegeben hatten, ballten sich die Reiter zu einem wirren, heulenden Knäuel und jagten davon, mitten unter die hundert Mann Infanterie hinein.

»Vorwärts!« gebot Sam. »Aber langsam und gebückt. Die Lücke, welche wir brechen wollten, ist da. Nun müssen wir sie offen halten. Lassen wir nicht sehen, daß wir nur so Wenige sind, so haben sie desto größere Angst vor uns. Ach, siehe da! Schaut hin!«

Der Sotnik hatte, als er die Kavallerie seines linken Flügels fliehen sah,


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diejenige des rechten Flügels, dreißig Mann, herbei befohlen. Sie kamen in guter Ordnung angeritten, und da sie keinen Feind erblickten, ritten sie den unter den Büschen versteckten fünfzehn Männern grad in die Mündungen ihrer Gewehre. Sam Barth versäumte es natürlich nicht, diesen Umstand auszunutzen.

»Schont die Reiter, aber tödtet die Pferde,« befahl er. »Gebt Feuer!«

Die Schüsse krachten, erst sieben und dann acht. Wer ein Doppelgewehr besaß, gab nun schnell auch noch den zweiten Schuß ab, um darauf schleunigst wieder zu laden.

Die Fünfzehn hatten nur zu gut zielen können. Alle ihre Kugeln trafen. Mehr als zwanzig Pferde waren gestürzt und hatten dabei die Reiter abgeworfen, welche unter wildem Angstgeschrei die Flucht ergriffen. Die ganze Kavallerieabtheilung gerieth in Unordnung, kam erst ins Stocken und wendete sich dann um, um dem gefährlichen Feinde zu entgehen.

»Das war brav!« lachte Sam. »Das hat geholfen! Diese Kerls haben einen so heilsamen Schreck davongetragen, daß sie ganz sicher das Wiederkommen vergessen werden. Nun muß sich auch ihre Infanterie zurückziehen, und es fragt sich nur, ob sie den Flüchtlingen überlegen ist.«

»Ganz bedeutend,« erhielt er zur Antwort.

»Wohl in Beziehung der Waffen nur, oder auch der Anzahl?«

»In beiden Beziehungen.«

»Sapperment! Da ist es freilich gerathen, daß die Flüchtlinge an ihre Sicherheit denken. Giebt es einen Ort, den sie aufsuchen können?«

»Ja, der Hof des Peter Dobronitsch da hinter uns. Er hat ein sehr gutes Versteck für sie.«

»Schön! So ziehen wir uns auf diesen Hof zurück. Auf der einen Seite sind wir durch den Fluß gedeckt, und auf der andern Seite werden wir Fünfzehn den Flügel bilden, weil wir die besten Schützen sind. Ich werde das dem Anführer der Flüchtigen mittheilen und bei dieser Gelegenheit gleich einmal recognosciren. Ihr gebt indessen das Ufer frei und rückt weiter rechts vor in das Land hinein. So können zwischen Euch und dem Flusse die armen Leute marschiren, und Ihr sorgt dafür, daß die Kosaken ihnen nicht zu nahe kommen. Ich werde bald wieder zu Euch stoßen.

Er ging zu seinem Pferde und stieg auf. Aber er setzte sich nicht aufrecht in den Sattel, denn da wäre er von den Kosaken gesehen und später wohl wieder erkannt worden. Sondern er hing sich nach der Weise der Indianer mit dem rechten Beine in den Sattel und mit dem linken Arme in den Halsriemen des Pferdes, so daß er sich hinter dem Körper des Pferdes versteckte. Auf diese Weise konnte er nicht gesehen werden, während es ihm möglich war, Alles genau zu beobachten.

Nun ritt er fort, in langsamem Schritte, um Alexius Boroda aufzusuchen.

Er sah, daß die Kosaken sich weit zurückgezogen hatten. Sie schienen sich damit begnügen zu wollen, die Flüchtigen zu beobachten und nicht entkommen


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zu lassen. Aber sie wieder direct anzugreifen, dazu hatten sie wohl einstweilen die Lust verloren.

Dies erkannte man daraus, daß ihr Fußvolk, welches doch noch gar nicht ins Feuer gekommen war, sich hinter die Reiterei zurückgezogen hatte.

Sam Barth erkannte das auf den ersten Blick und war über diesen Erfolg seiner Angriffsweise sehr erfreut. Er ritt nach der Flußbiegung zu, an welcher sich das Lager der Flüchtlinge befunden hatte. Ein junger Mann kam ihm entgegen geritten, betrachtete ihn mit prüfendem Blicke und fragte dann, sein Pferd anhaltend:

"Wen suchst Du?"

»Wen suchst Du?«

»Alexius Boroda.«

»Der bin ich.«

»Ah, Du bist der Anführer dieser Leute, Du!«

Er warf einen erstaunten Blick auf den Jüngling. Dieser fragte:

»Kommt Dir das so unwahrscheinlich vor?«

»Beinahe!«

»Warum?«

»Weil Du so jung bist. Einen so berühmten Zobeljäger habe ich mir anders gedacht.«

»Wer aber bist Du? Ich kenne Dich nicht. Wer sind die Schützen, welche uns so kräftig beigestanden haben? Ihnen werden wir Alles zu verdanken haben. Du kommst aus dieser Richtung, in welcher geschossen wurde und wirst mir also Auskunft geben können.«

»Das kann ich. Geschossen haben die Zobeljäger, angeführt von Nummer Fünf.«

»Aha! Dachte es mir. Aber Du? Wer bist Du?«

»Ich bin ein fremder Reisender und kam mit zwei Kameraden des Weges daher. Wir hörten, daß arme Leute sich in Gefahr befanden, und beschlossen, ihnen zu helfen. Das ist Alles. Jetzt habe ich Dich aufgesucht, um Dir zu sagen, daß es für Euch das Beste ist, ein sicheres Versteck aufzusuchen. Ich höre, daß der Bauer Peter Dobronitsch - -«

»Weiß schon, weiß schon!« unterbrach ihn der Zobeljäger. »Wir ziehen uns nach dem Gute von Peter Dobronitsch zurück. Dort giebt es ein Versteck, welches für uns Alle ausreicht. Niemand kann es finden. Die Hauptsache ist, daß wir uns den Weg dorthin offen halten.«

»Das werde ich besorgen. Wir sind fünfzehn Personen. Ich habe den Andern bereits den Befehl ertheilt, den linken Flügel beim Rückzuge zu bilden. Du kannst Dich also ruhig an die Spitze Deiner Leute stellen und den Marsch beginnen. Wir werden Dir die Kosaken vom Leibe halten.«

Boroda schüttelte den Kopf.

»Das sagst Du, als ob es sich ganz von selbst verstehe! Weißt Du denn, was Du eigentlich thun willst?«

»Natürlich. Ich will einigen braven Flüchtlingen aus der Patsche helfen.«


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»Und dabei eine That begehen, welche nach dem Gesetze mit dem Tode bestraft wird!«

»Pah! Vor dem Tode ist mir gar nicht bange!«

»Glücklichstenfalls wirst Du unendliche Scherereien davon haben.«

»Auch das nicht. Bisher weiß kein Mensch, daß ich Euch geholfen habe.«

»Aber die Kosaken werden es erfahren. Sie müssen Dich ja sehen und werden Dich im Auge behalten.«

»Den Teufel werde ich mich sehen lassen! Mein Gewehr trägt so weit, daß ich ihnen die Pferde aus solcher Entfernung wegputze, daß sie mich gar nicht deutlich erkennen können. Ich habe nämlich verboten, einen Kosaken zu tödten. Nur die Thiere haben wir erschossen.«

»Recht so. Das freut mich sehr. Aber wenn Du unsern Rückzug decken willst, so mußt Du dem Feinde nahe bleiben. Du wirst keine Zeit haben, uns in unser Versteck zu folgen. Dann kommt es ja an den Tag, daß Du es bist, der auf sie geschossen hat!«

»Das laß meine Sorge sein. Mache Dich nur schleunigst auf, Deine Leute in Sicherheit zu bringen. Für mich werde ich schon selbst zu sorgen wissen.«

Er lenkte sein Pferd wieder rückwärts und stieß bald zu seinem Trupp. Der besprochene Plan wurde ausgeführt und ging außerordentlich regelrecht von statten. Die Kosaken legten kein Hinderniß in den Weg. Sie befanden sich in der festen Ueberzeugung, die Flüchtlinge in ihren Händen zu haben, denn diese Letzteren konnten nicht über den Fluß und auf der andern Seite lag der Baikalsee, nach dessen Ufer man sie nur zu treiben brauchte, um sie dann in aller Gemächlichkeit gefangen zu nehmen.

Als sie bemerkten, daß sich die Flüchtlinge am Flusse hinabzogen, und zwar in der Richtung auf die Besitzung von Peter Dobronitsch, folgten sie ihnen langsam und vorsichtig nach. Die »armen Leute« glichen ja Mäusen, welche langsam und sicher in die Falle getrieben werden.

So gestaltete sich der Rückzug in aller Gemüthlichkeit folgendermaßen: Voran die Flüchtlinge, ihre Weiber und Kinder an der Spitze, kommandirt von Alexius Boroda. Nach ihnen die fünfzehn Jäger unter dem Kommando von Sam Barth, und hinterher die Kosaken.

Der schlaue Sam zog sich nur äußerst langsam zurück, damit die Flüchtlinge genug Zeit finden konnten, sich in Sicherheit zu bringen. Diese Letzteren hatten den Hof des Bauers längst erreicht, als Sam noch fast eine Viertelstunde von demselben entfernt hielt und durch einzelne, auf die Pferde sehr wohl gezielte Schüsse die Kosaken bedeutete, sich mehr Zeit zu nehmen.

Was nun Peter Dobronitsch betraf, so verhielt er sich möglichst klug bei der ganzen Angelegenheit.

Denjenigen Knechten, deren er nicht sicher war, befahl er, sich in der Wohnstube zu sammeln, da es nicht gerathen sei, in solchen Fällen Augenzeuge zu sein. Er selbst setzte sich zu ihnen, blieb bei ihnen und that ganz so, als ob er sich gar nicht um das draußen Geschehene bekümmere.


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Auch die sämmtlichen Mägde waren mit in der Stube versammelt.

Während der Bauer sich dafür sorgte, daß er später nicht der Theilnahme beschuldigt werden könne, war seine Tochter mit denjenigen Knechten, denen sie vertrauen konnte, draußen mit der Rettung der Flüchtlinge beschäftigt.

Einige Knechte nahmen die Pferde in Empfang, um sie augenblicklich abzusatteln und nach dem Weideplatze zu bringen. Es mußte dafür gesorgt werden, daß es den Kosaken unmöglich war, die Pferde der Flüchtigen aufzufinden.

Die Höhle war von Mila schnell zum Empfange so Vieler vorbereitet worden. Es brannten oben alle Lampen. Die Flüchtlinge kannten das Versteck zwar noch nicht; aber so wie sie an dem Baume anlangten, stiegen sie an demselben empor, Einer hinter dem Andern. Mila brauchte nur den Vordersten zu führen, so verstand sich ganz von selbst, daß die Hinteren demselben genau folgen würden.

Wer beritten gewesen war, nahm sein Sattelzeug mit hinauf, während die ledigen Pferde schnell verschwanden.

Alexius Boroda, der Anführer der Flüchtigen, machte den Letzten. Wie ein Seekapitän, welcher sein Schiff nicht eher verläßt, als bis alle seine Leute gerettet sind, wollte auch er erst alle seine Gefährten in Sicherheit wissen.

Als nun der Letzte von ihnen auf dem Baume verschwunden war, wollte er zurück zu Sam, um auch dafür zu sorgen, daß dieser Letztere keine Gefahr laufen könne. Aber Mila entgegnete ihm energisch:

»Das ist nicht nöthig. Mit diesem Manne werde ich selbst sprechen. Steige Du nur immer hinauf. Die Hauptsache ist, daß Ihr spurlos verschwunden seid, wenn die Kosaken kommen.«

»Aber diese fremden Jäger werden dann von den Feinden ergriffen werden. Ich will nicht haben, daß sie sich für uns opfern.«

»Die drei Fremden habe ich noch nicht gesehen. Aber Nummer Fünf ist bei ihnen, und wie ich den kenne, wird er schon wissen, wie er es anzufangen hat, die Kosaken zu täuschen. Um ihn, also auch um seine Leute, braucht Dir gar nicht bange zu sein. Also begieb Dich schleunigst nach der Höhle. Ich werde die fünfzehn Männer aufsuchen.«

Die fünfzehn Jäger hielten noch immer die sämmtlichen Kosaken in Schach, als Mila bei ihnen anlangte. Der dicke Sam betrachtete sich die hübsche Russin und sagte, als er eben wieder einen sichern Schuß auf ein Kosakenpferd abgegeben hatte:

»Sapperment, ist das ein allerliebstes Vögelchen! Du bist also die Tochter von Dobronitsch?«

»Ja, Väterchen.«

»So höre, was ich Dich frage! Werden Eure Leute verrathen, daß wir hier geschossen haben?«

»Nein. Die Treuen werden nichts sagen und die Andern wissen nichts, denn mein Vater sitzt mit ihnen schon seit langer Zeit in der Stube.«

»Das ist mir lieb, mein Töchterchen. Wir werden also nach Eurem


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Hofe eilen und uns dort niederlassen. Da thun wir, als ob uns die ganze Sache gar nichts angegangen wäre. Kommt, Ihr Brüderchen! Wollen doch sehen, ob diese Herren Kosaken es wagen werden, uns Etwas am Zeuge zu flicken.«

Sie eilten nach dem Hofe. Dort setzte sich der einstige Maharadscha mit seinen Leuten wieder dahin, wo er vorher gesessen hatte. Sam nahm mit Jim und Tim bei ihnen Platz. Sie alle nahmen die unschuldigsten Mienen der Welt an.

Die Kosaken merkten nach einiger Zeit, daß sie keinen Widerstand mehr fanden. Sie waren höchst zornig. Sie hatten zwar nicht einen einzigen Mann verloren, aber Einige von ihnen waren verwundet und die meisten ihrer Pferde todt geschossen worden.

Ein Major kommandirte sie. Bei ihm befand sich der Graf und auch der einstige Derwisch. Als der Offizier Bericht erhielt, daß von Seiten der Flüchtlinge nichts mehr zu sehen und zu hören sei, lachte er grimmig und sagte:

»Wir werden sie in einigen Minuten Alle haben. Sie können nicht über den See hinwegfliegen.«

»Aber sie können sich in den Gebäuden des Hofes festsetzen und da ein verheerendes Feuer gegen uns richten,« bemerkte der Graf.

»Das werden sie bleiben lassen; denn in diesem Falle würde ich nach weiteren Mannschaften senden, und wir wären ihnen dann so überlegen, daß wir sie leicht erdrücken könnten. Nein, so dumm sind sie nicht.«

»Aber sie werden sich doch auch nicht bisher so gewehrt haben, um sich dann zu ergeben.«

»Warum nicht? Warum haben sie bisher nur die Pferde erschossen? Um ein mildes Schicksal zugesprochen zu erhalten, wenn wir uns dann ihrer bemächtigen.«

»Dann brauchten sie überhaupt gar keinen Widerstand zu leisten!«

»Daß sie sich trotz der sichern Aussicht, ergriffen zu werden, noch vertheidigen, ist sehr leicht zu erklären. Sie haben auf Boroda's Befehl von ihren Waffen Gebrauch gemacht. Dieser weiß sehr wohl, daß die Seinen nun verloren sind; aber er hat wenigstens sich retten wollen. Er hat an den See gelangen wollen. Am Ufer liegen Kähne. Wenn er sich in den Besitz eines solchen setzt, ist es ihm nicht schwer, in irgend ein Versteck zu gelangen, wo wir ihn nur schwerlich finden können. Der Schlaukopf ist also für uns verloren, seine ganze Schaar aber ist uns desto sicherer. Beeilen wir uns also, sie vollends gegen den See zu treiben.«

Er gab den dazu nöthigen Befehl, und die Spitze der Kosaken setzte sich vorsichtig in Bewegung. Sie gelangte, ohne Widerstand zu finden, bis in den Hof von Peter Dobronitsch, wo keine Spur der Flüchtlinge zu finden war.

Die fünfzehn Jäger saßen mit vergnügten Gesichtern bei einander und thaten, als ob sie die anrückenden Kosaken gar nicht bemerkten.

Der Offizier, welcher die Vorhut derselben führte, war derselbe, welcher


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bereits heut früh hier gewesen war und mit dem Wachtmeister Wassilei verhandelt hatte. An seiner Seite ritt der Oberlieutenant aus Platowa. Diese beiden Offiziere blieben bei den Jägern halten.

»Kerls,« sagte der Anführer, »Ihr sitzt ja so ruhig hier, als ob gar nichts geschehen sei!«

»Herr, was gehen uns die »armen Leute« an?« fragte der einstige Maharadscha.

»Nichts, aber unter Umständen auch sehr. Ihr konntet Euch Ihnen entgegenstellen.«

»Fällt uns nicht ein! Wir sind keine Polizisten und auch keine Kosaken.«

»Wer sind denn diese drei Fremden, welche sich da bei Euch befinden?«

»Sie sind Reisende, welche von Platowa kommen.«

»Was wollt Ihr hier?« fragte der Offizier nun Sam, Jim und Tim direct.

»Wir reisen zum Vergnügen,« antwortete der Dicke.

»Zum Vergnügen? Seid Ihr toll? Wer seid Ihr denn eigentlich?«

»Frag den Oberlieutenant da an Deiner Seite. Ich habe keine Lust eine lange Rede zu halten.«

»Mensch, sei höflicher! Weißt Du, wen Du vor Dir hast?«

»Nun, den Zaren doch wohl nicht!«

»Aber einen seiner Offiziere.«

»Schön! Das weiß ich nun, und so ist die Sache also abgemacht.«

Der Offizier wollte ihm zornig antworten, aber der Oberlieutenant winkte ihm ab und sagte leise zu ihm:

»Laß den Kerl! Er hat famose Papiere bei sich, direct vom Kaiser. Wir haben uns bereits in Platowa die Zähne vergeblich an ihm ausgebissen. Gehen wir weiter!«

»Aber vorher muß ich doch wissen, wo die Flüchtlinge stecken!«

Er wendete sich an den einstigen Maharadscha.

»Seid Ihr seit unserm Aufbruch bis jetzt hier sitzen geblieben?«

»Ja, Herr.«

»Ihr habt also die Flüchtigen gesehen?«

»Alle. Sie ritten und liefen an uns vorüber.«

»Wohin?«

»Nach dem See zu.«

»Sprachen sie mit Euch?«

»Kein Wort. Sie schienen große Eile zu haben.«

»Sonderbar! Daraus werde der Satan klug. Sie müssen doch mit Euch geredet haben, und wenn es nur einige Worte gewesen sind.«

»Nein. Einer wollte allerdings auf uns sprechen; aber ich habe ihm einen Wink gegeben, daß er gehen soll. Es ist für uns gefährlich, mit solchen Leuten zu sprechen. Man kann sehr leicht in den Verdacht gerathen, mit ihnen im Einverständnisse zu stehen.«


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»Das war dumm von Dir. Hättest Du mit ihm gesprochen, so wäre es Dir wohl leicht geworden, Etwas von ihm zu erfahren.«

Die Brauen des Maharadscha zogen sich finster zusammen:

»Herr, ein Spion bin ich nicht. Ich bin selbst ein Verbannter und habe keineswegs die Pflicht, meine Leidensgefährten noch unglücklicher zu machen, als sie bereits so schon sind. Euer Kampf geht mich gar nichts an. Macht, was Ihr wollt!«

Er wendete sich ab. Der Offizier erkannte, daß hier nichts zu erfahren sei, und that nun weiter, was ihm seine Pflicht vorschrieb. Er sendete einige Fußkosaken zur Aufklärung voran. Sie mußten sehen, ob der Engpaß, welcher sich an der Pechtanne vorüber nach dem See zog, besetzt sei.

Nach kurzer Zeit wurde er zu seinem Erstaunen benachrichtigt, daß kein einziger Feind sich dort befinde. Er rückte also mit seiner Vorhut in den Paß ein. Vorher aber ließ er dem Major diesen Umstand wissen.

Unterdessen war dem dicken Sam der Gedanke gekommen, daß es wohl besser sei, wenn er mit seinen beiden Begleitern hier nicht sofort gesehen werde. Er wendete sich an den Maharadscha:

»Du erwähntest vorhin den Grafen Alexei Polikeff. Bist Du sicher, daß er sich wirklich hier befindet?«

»Ich weiß es gewiß. Er ritt fort, um sich den Kosaken anzuschließen.«

»So kehrt er wohl auch mit ihnen zurück?«

»Jedenfalls.«

»Hm! Jim, Tim, kommt mit herein in das Haus. Wir wollen uns diesem braven Peter Dobronitsch vorstellen. Ich denke, es ist besser, wenn der Graf uns nicht sogleich bemerkt.«

Die Beiden gaben ihm Recht und gingen mit ihm in die Wohnstube, in welcher sich jetzt auch Mila bei ihrem Vater und den Knechten befand. Auch Gisa hatte sich dahin zurückgezogen. Als er die Drei eintreten sah, kam er ihnen erfreut entgegen und stellte sie dem Bauer vor.

»Das sind die Fremden, welche - hm, Du weißt es ja bereits. Ich habe es Dir erzählt!« sagte er.

Er besann sich noch zur rechten Zeit, daß den hier anwesenden Knechten nicht zu trauen sei. Der Bauer verstand ihn sofort.

»Ah, die Fremden, welche Karparla's Freunde sind?« fragte er. »Ihr seid mir herzlich willkommen, meine lieben Brüder. Setzt Euch nieder!«

Er reichte ihnen die Hände und führte sie zu den Stühlen, welche für sie noch übrig waren.

Uebrigens war es jetzt gar nicht mehr nöthig, die Knechte in der Stube zu behalten. Was sie nicht hatten sehen sollen, das war jetzt vorüber, und so erhielten sie den Befehl, wieder an ihre Arbeit zu gehen. Sie entfernten sich.

Die Anderen konnten nun vertraulich mit einander reden. Das machte Sam sich sogleich zu nutze, indem er sagte:

»Wir kommen, Dir zu melden, daß Karparla bereits unterwegs ist. Sie


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wird mit ihrem Stamme baldigst, vielleicht noch heut hier eintreffen. Sodann aber muß ich Dich gleich nach einer Person fragen, welche wir bei Dir suchen.«

»Wer ist das?«

»Der Mann nennt sich Peter Lomonow und giebt vor, ein Kaufmann aus Orenburg zu sein.«

»Der ist da.«

»Wo befindet er sich?«

»Bei den Kosaken, denen er sich anschloß, als es sich darum handelte, die >armen Leute< zu fangen.«

»So kommt er also wieder?«

»Ja. Er will hier ausruhen. Er begehrte ein Zimmer von mir, hat aber kein passendes gefunden.«

»Hm! Er soll einen Aufenthalt bekommen, wo es ihm gefallen muß, mag er nun wollen oder nicht. Wir sind nämlich gekommen, ihn gefangen zu nehmen.«

»Was hat er verbrochen?«

»Verschiedenes. Schau, da kommt die Hauptschaar der Kosaken. Ich kenne das Versteck nicht, in welchem Du diese Verfolgten untergebracht hast. Ist es sicher?«

»Vollständig. Kein Mensch wird sie dort finden.«

»So möchte ich sehen, was die Herren für Gesichter machen, wenn sie bemerken, daß die Gesuchten spurlos verschwunden sind.«

Er trat an das Fenster. Soeben kam der Major in den Hof getrabt.

»Sapperment!« meinte Sam. »Er ist's. Jim, Tim, kommt her und schaut Euch den Kerl an!«

Diese Beiden eilten zu ihm und erkannten sofort den einstigen Derwisch.

»Well!« lachte Jim. »Der Kerl wird eine unaussprechliche Freude haben, wenn er uns so unerwartet hier trifft.«

»Ja, er wird ganz außer sich vor Entzücken sein, wenn wir ihn daran erinnern, was damals drüben in Amerika, besonders im Thale des Todes geschehen ist. Ich wollte, er käme herein zu uns.«

Der Major hielt draußen vor dem Hause und betrachtete die Umgegend aufmerksam. Auch er hatte die Ansicht, daß die zwölf Zobeljäger sich mit seiner Angelegenheit gar nicht befaßt hätten; darum beachtete er sie gar nicht.

Da kam der die Vorhut befehligende Offizier selbst herangesprengt und meldete:

»Kein Flüchtling ist zu sehen, Herr Major.«

»Unsinn! Sie müssen sich doch am Ufer des Sees befinden!«

»Kein Einziger.«

»Nun, ausgebrochen können sie doch nicht sein!«

»Allerdings nicht.«

»Rechts ist die weite Ebene, in welcher wir sie sehen müßten. Diese haben sie aber gar nicht erreichen können, weil die Mündung des Flusses ihnen


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im Wege ist. Links sind die himmelhohen Felsenmauern. Hinter ihnen wir und vor ihnen der See. Sie können also nicht fort sein. Sie müssen da sein.«

»Aber es ist wirklich keine Menschenseele zu sehen.«

»Unglaublich! Es ist doch nicht zu denken, daß sie auf den Booten von Peter Dobronitsch entkommen sind. Der hat nur einige, und die sind so klein, daß kaum der fünfte Theil der Flüchtigen darinnen hätte Platz finden können.«

»Auch das ist nicht der Fall, denn die Boote liegen alle am Strande. Sie sind aus dem Wasser auf das Land gezogen worden.«

»So müßt Ihr alle blind sein, geradezu blind! Ich werde selbst nachsehen.«

Er hatte das im Tone des Zornes ausgerufen und ritt davon. Der Graf und der Derwisch folgten ihm. Auch sie konnten das plötzliche Verschwinden so vieler Menschen nicht begreifen und wollten sich durch den Augenschein überzeugen, ob die Meldung auf Wahrheit beruhe oder nicht.

Als sie die Felsenenge hinter sich hatten, breitete sich rechts von ihnen die Mündung des Mückenflusses aus. Jenseits desselben gab es eine vollständig baum- und strauchlose Ebene. Hätten sich die Flüchtigen da hinüber gerettet, so hätte man sie jetzt unbedingt sehen müssen.

Zur linken Hand gab es eine steil himmelanstrebende Felsenmasse, welche sich bis an den See erstreckte. Kein Weg, kein Pfad oder dem Aehnliches führte hinauf. Die Kosaken kannten die Oertlichkeit genau, um zu wissen, daß die Flüchtlinge nicht da hinaufgekonnt hatten.

Und vor ihnen lag der See. Sein Wasser war glatt und unbewegt. Wenn sich Jemand auf einem Boote da hinausgerettet hätte, so wäre dieses Boot unbedingt zu sehen gewesen.

Die Kosaken standen da oder hielten auf ihren Pferden und warfen sich bedenkliche Blicke zu. Diesen abergläubischen Leuten erschien es als ganz sicher, daß hier irgend eine Zauberei im Spiele sei. Einige von ihnen bekreuzigten sich sogar.

Die Offiziere hatten sich um den Major gesammelt. Er selbst befand sich in einer Stimmung, welche sehr, sehr nahe an Verlegenheit grenzte.

»Was sagen Sie dazu, meine Herren?« fragte er.

Ein allgemeines Achselzucken war die Antwort.

»Aber, zum Teufel! Die Kerls haben doch keine Flügel!« rief er zornig aus.

Die Anderen schüttelten die Köpfe.

»Pah!« rief der Graf. »Die Zeiten der Wunder sind vorbei. Selbst was Einem zuerst als ganz und gar mirakulös vorkommt, läßt sich, wenn man der Sache mit nüchternem Auge näher tritt, sehr leicht erklären.«

»Nun, so erklären Sie!« forderte der Major ihn in fast höhnischem Tone auf.

Der Graf mochte sich durch diesen Ton beleidigt fühlen, denn er antwortete:


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»Mich geht die Sache gar nichts an. Ich bin vollständig unbetheiligt. Mögen Diejenigen, deren Amt es ist, nach einer Erklärung suchen.«

Er zog sein Pferd um einige Schritte zurück. Der Major wollte den begangenen Fehler wieder gut machen. Er bat:

»Gnädiger Herr, so war es nicht gemeint. Ich hoffe nicht, daß Sie zürnen. Sie werden einsehen, daß meine Lage geradezu eine fatale ist.«

»Allerdings,« lächelte der Graf nun seinerseits schadenfroh.

»Wenn Sie irgend einen Gedanken haben, mit dessen Hilfe sich das Verschwinden vieler Menschen erklären läßt, so bitte ich, ihn mir mitzutheilen.«

»Ich muß aufrichtig gestehen, daß es auch mir ganz unmöglich ist, eine Erklärung zu finden. Ich bin hier fremd. Ich kann mir nicht denken, daß so viele Menschen sich einfach in das Wasser gestürzt und ersäuft haben, nur um Ihnen zu entgehen.«

»Das ist ihnen sicherlich nicht eingefallen!«

»Nun, so muß es hier irgend einen Ausweg geben. Anders ist es ja gar nicht möglich. Leider bin ich als Fremder mit den hiesigen Geheimnissen nicht vertraut. Sie aber sollten doch alle Schliche kennen!«

»Die kennen wir Alle. Hier aber giebt es keinen Schleichweg.«

»Hm! Dann sind die Flüchtlinge also noch da!«

»Noch da? Wo denn?«

»In irgend einem Versteck.«

»Giebt es keins.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ja.«

»So ist es mit meiner Wissenschaft zu Ende. Es giebt meines Erachtens hier nur zwei Möglichkeiten. Entweder können diese Menschen fliegen, oder sie befinden sich in einem Verstecke. Welches von beiden wahrscheinlicher ist, das lehrt der gesunde Menschenverstand.«

Dem konnte der Major nicht absprechen. Er fragte seine Offiziere. Er ließ durch dieselben auch die Mannschaften fragen, aber es gab keinen Einzigen unter ihnen, welcher hier einen Ort kannte, an welchen sich so viele Personen verstecken konnten.

»So müssen wir Peter Dobronitsch fragen. Vielleicht weiß er es,« meinte der Major.

Der Graf lachte hörbar vor sich hin.

»Sie lachen!« bemerkte der Major. »Ueber mich!«

»Nein, sondern über Ihre Worte.«

»Kommen dieselben Ihnen etwa lächerlich vor?«

»Lächerlich nicht, aber naiv sind sie doch höchst wahrscheinlich!«

»Herr!« fuhr der Offizier auf.

»Pah! Zanken wir uns nicht! Nicht wahr, dieser Grund und Boden gehört dem Genannten?«

»Ja.«


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»Er muß die Oertlichkeit also besser kennen als jeder Andere.«

»Natürlich.«

»Befindet sich ein Versteck hier, so weiß er von dessen Dasein. Also muß er auch wissen, daß die Flüchtigen sich dort versteckt haben.«

»Nicht unumgänglich nöthig. Sie können es auch ohne sein Wissen gethan haben.«

»Glaube ich nicht. Ich kenne den Mann zwar nicht näher, aber er hat keineswegs den Eindruck einer allzu großen Loyalität auf mich gemacht.«

»Das ist er auch nicht.«

»Ach so! Er ist also als Einer bekannt, dem man zutrauen kann, daß er sich der sogenannten >armen Leute< annimmt?«

»Ja.«

»Nun, da haben Sie es. Wenn es hier ein Versteck giebt - und ich möchte fast schwören, daß ein solches vorhanden ist - so hat er es den so plötzlich verschwundenen Leuten angeboten.«

»Das soll er wohl bleiben lassen!«

»Versuchen Sie es! Sie haben ja noch gar nicht mit ihm gesprochen.«

»Das soll sofort geschehen. Kommen Sie!«

Er ritt im Trabe zurück. Der Graf, der Derwisch und die Offiziere folgten ihm. Die Soldaten aber blieben zurück.

Als sie vor dem Hause anlangten, trat der Bauer eben aus der Thür.

»Dobronitsch, hierher!« gebot der Major, mit dem Finger auf die Bodenstelle deutend, welche sich vor seinem Pferde befand. Er that grad so wie Einer, der seinen Hund ruft.

Der Bauer gehorchte. Er stellte sich vor das Pferd des Offiziers. Kein Zug seines Gesichtes verrieth eine Spur von Angst, oder daß er über die gegenwärtige Behandlung zornig sei.

»Bauer, weißt Du, was geschehen ist?« fuhr der Major ihn an.

»Nein,« antwortete der Gefragte ruhig.

»Nein? Da lügst Du!«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Du mußt doch gesehen haben, was hier vorgegangen ist!«

»Zuweilen ist es gefährlich, so Etwas zu sehen.«

»Wie meinst Du das?«

»Ich bin kein Kosak. Mich gehen die armen Leute gar nichts an. Als ich bemerkte, daß es zum Kampfe kommen werde, habe ich mich mit den Knechten hinein in die Stube gesetzt und mich um gar nichts gekümmert.«

»Das glaube ich nicht«

»Frag meine Knechte, Herr. Sie haben mit bei mir gesessen.«

»Alle?«

»Alle, außer denen, welche sich bei den Heerden auf der Weide befanden.«

»Du willst also behaupten, daß Du mit keinem Flüchtlinge gesprochen habest?«

»Ja.«


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»Mit keinem Einzigen?«

»So ist es.«

»Hast Du sie aber hier vorüberkommen sehen?«

»Ja. Sie ritten und gingen nach dem See.«

»Aber dort sind sie nicht.«

»Sie müssen dort sein.«

»Es ist nicht eine Spur von ihnen zu entdecken.«

Der Bauer machte jetzt ein Schafsgesicht, welches gar nicht dümmer sein konnte.

»Herr, das ist nicht möglich!« meinte er.

»Wenn ich es Dir sage, so ist es nicht nur möglich, sondern sogar wirklich!«

»Sind sie denn davongeflogen?«

»So habe ich mich auch gefragt. Aber Du wirst wohl zugeben, daß Menschen keine Flügel haben!«

»Ja, das weiß ich wohl!«

»So sinne einmal nach, wie dieses Verschwinden so vieler Menschen zu erklären ist.«

»Ja, Väterchen, kannst denn Du es Dir erklären?«

»Nein.«

»Warum fragst Du da mich? Wenn die Klugheit eines Majors und Oberstwachtmeisters nicht dazu ausreicht, wie kann da ein dummer Bauer es fertig bringen?«

»Hallunke! Willst Du höhnen?«

Der Bauer machte sein ehrlichstes und aufrichtigstes Gesicht.

»Höhnen?« meinte er kopfschüttelnd. »Ich werde mich hüten, Etwas zu thun, wofür ich sehr leicht die Knute bekommen könnte.«

»Das laß Dir allerdings gerathen sein! Uebrigens kannst Du leicht auch außerdem geknutet werden. Du bist ein Freund der armen Leute.«

»Herr, die Religion gebietet dem Christen, ein Freund aller Menschen zu sein!«

»Aber nicht auch solcher Menschen, welche mit dem Gesetz zerfallen sind. Du aber speisest die verfolgten Flüchtlinge.«

»Niemals!«

»Schweig! Ich weiß es! Dein Fenster ist des Nachts stets offen. Du beschützest sie und wirst ihnen auch jetzt geholfen haben, uns zu entkommen.«

»Ich habe ja mit Keinem von ihnen gesprochen!«

»Zum Scheine, ja. Aber ich habe die Meldung erhalten, daß Boroda gestern bei Dir gewesen sei. Willst Du das leugnen?«

»Nein; aber ich kannte ihn nicht.«

»So hat er sich Dir zu erkennen gegeben, und Ihr habt Euch über das, was heut geschehen soll, besprochen.«

»Herr, er ist ja entflohen, und ich bin gar nicht daheim gewesen.«

»Schweig! Euch kennt man schon! Ich weiß auch, auf welche Weise


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Du Dich seiner und seiner Leute angenommen hast. Du hast sie vor uns versteckt.«

Der Bauer gab sich alle Mühe, um nicht bemerken zu lassen, daß er erschrak. Er machte ein echt russisches, dummdreistes Gesicht und antwortete dem Offizier:

»Versteckt? Heiliger Iwan! Wohin denn?«

»Das wirst Du wohl wissen.«

»Ich? Kein Wort weiß ich!«

»Sei still! Dich kennen wir! Verschwinden können so viele Leute nicht. Sie müssen hier einen Ort gefunden haben, den wir nicht entdecken können.«

»Ich weiß nichts davon. Väterchen, willst Du nicht diesen Ort suchen lassen?«

»Hund! Bilde Dir nicht etwa ein, mich verspotten zu können. Es kann mir gar nicht beikommen, nach einem Orte zu suchen, den Du mir sehr leicht nennen und zeigen kannst. Heraus damit! Wo sind die Leute?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich werde Dir es beweisen, daß Du es weißt. Du wirst die Knute erhalten, und zwar so lange, bis Du gestehest.«

»Und wenn Du mich todtschlagen lässest, so kann ich nichts gestehen, denn ich weiß von nichts.«

»Werden sehen! Bindet ihn!«

Dieser Befehl war an einige Soldaten der Nachhut gerichtet. Sie wollten sich des Bauers sogleich bemächtigen.

»Herr!« rief dieser. »Du hast nicht das Recht, mich schlagen zu lassen!«

»So? Ah!«

»Ich bin nicht Dein Untergebener, und ich bin ein freier Unterthan des Zaaren. Ich kann nur auf ein gerichtliches Erkenntniß hin bestraft werden.«

»Nun, so bin jetzt ich das Gericht, und mein Erkenntniß hast Du gehört.«

»Ich protestire!«

»Und ich horche nicht auf Dich!«

»So werde ich mich beschweren!«

»Hund! Drohst Du mir sogar! Du wirst nun doppelte Hiebe erhalten. Bindet ihn!«

Dobronitsch mochte die Absicht haben, sich zur Wehr zu setzen, denn er überflog die Anzahl der Soldaten, welche ihn ergreifen wollten. Da aber fiel sein Blick zufälliger Weise durch das Fenster in die Stube. Er sah den dicken Sam für einen Augenblick am Fenster erscheinen. Dieser gab ihm einen Wink, sich alles ruhig gefallen zu lassen. Darum verzichtete der Bauer auf den geplanten Widerstand.

Die Fenster des Wohnzimmers standen offen. Darum hatten die dort Befindlichen Alles ganz deutlich gehört.

»Herrgott, sie wollen ihm die Knute geben!« sagte die Bäuerin erschrocken, als sie den Befehl des Majors vernahm.

»Keine Sorge! Sie werden ihn nicht schlagen,« tröstete Sam.


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»O doch! Du kennst den Major nicht.«

»Er mich aber auch nicht.«

»Willst Du ihn etwa hindern?«

»Jawohl.«

»Er wird nicht auf Dich hören!«

»Du wirst bald sehen, daß er sehr wohl auf mich hören wird. Habe nur keine Angst, mein gutes Schwesterchen.«

Draußen wurde der Bauer gebunden und mit dem Bauche auf die Erde gelegt. Rechts und links von ihm stellte sich je ein Kosak auf, mit der Knute in der Hand.

»Nun,« fragte der Major, »willst Du offen gestehen, Peter Dobronitsch?«

»Ich weiß nichts,« antwortete dieser.

»Wo sind die Flüchtigen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ah! Du denkst, ich mache mit der Knute nur Spaß? Du sollst sofort erkennen, wie Ernst es mir damit ist. Zieht ihm die Hose herab.«

Dieser Befehl war an die beiden Kosaken gerichtet, welche sich anschickten, demselben sogleich nachzukommen. Aber sie kamen nicht dazu, denn es ertönte ein lautes >Halt!< von der Hausthüre her. Aller Augen richteten sich natürlich dorthin. Sam, Jim und Tim traten heraus, ihre Büchsen in der Hand.

»Alle Teufel!« flüsterte der einstige Derwisch ganz erschrocken dem Grafen zu.

»Was ist?« fragte dieser.

»Das sind die drei Kerls!«

»Die Amerikaner?«

»Ja. Habe ich es nicht gesagt! Sie befinden sich auf meiner Fährte.«

»Pah! Es ist nichts zu befürchten. Ich bin ja da.«

»O, darnach fragen diese Menschen nicht!«

»Ich werde sie wohl lehren, darnach zu fragen! Was wollen sie jetzt? Ah!«

Sam war nämlich in aller Gemüthlichkeit zu dem an der Erde liegenden Bauer getreten, hatte den ihm im Wege stehenden Kosaken zur Seite geschoben, zog sein Messer, zerschnitt die beiden Leinen, mit denen Dobronitsch gebunden worden war und sagte:

»Peter Dobronitsch, stehe auf! Es versteht sich ganz von selbst, daß der Oberstwachtmeister nur Spaß macht.«

Der Bauer sprang natürlich sofort vom Boden auf.

Der Major machte ein Gesicht, als ob er seinen Augen nicht traue.

»Kerl! Was fällt Dir ein!« rief er.

»O, nichts Besonderes,« lachte Sam. »Ich mache mir den Spaß, auf Dein Spiel einzugehen. Du lässest die Leute fesseln, und ich erlöse sie.«

»Unverschämter! Wer bist Du?«

»Frage Den da!«

Er deutete auf den einstigen Derwisch. Der Major blickte also diesen an und fragte ihn:


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»Kennst Du diesen Mann?«

»Nein,« antwortete der Gefragte.

»Nicht?« lachte Sam. »Das glaube ich gar wohl, denn sobald er zugiebt, uns zu kennen, ists um ihn geschehen. Er ist der größte Hallunke, den es auf Erden giebt.«

»Schweig!« rief der Derwisch. »Du verkennst mich!«

»O nein! Nicht wahr, jetzt bist Du der Kaufmann Peter Lomonow aus Orenburg?«

»Der bin ich freilich.«

»Und wer warst Du vorher?«

»Derselbe und kein Anderer.«

»Ach so! Warst Du nicht in Amerika, wo Du Dich Bill Newton nanntest?«

»Nein.«

»Nanntest Du Dich nicht vorher in Constantinopel als Derwisch Osman?«

»Ist mir niemals eingefallen!«

»Und ist nicht Florin Dein eigentlicher Name? Wenigstens hast Du ihn als Kammerdiener geführt.«

»Ich weiß nichts davon. Ich habe nichts mit Dir zu schaffen. Laß mich in Ruhe!«

»Schön! Ganz wie Du willst. Du sollst sehr bald Deine Ruhe haben.«

Der Major hatte vor Erstaunen versäumt, Etwas zu sagen. Jetzt ergriff er das Wort:

»Du siehst, daß dieser Mann Dich nicht kennt. Er ist wirklich Peter Lomonow aus Orenburg. Er mag mit Dir nichts zu schaffen haben.«

»Desto mehr aber will ich mit ihm zu schaffen haben.«

»Du hast zu schweigen! Wie kannst Du es wagen, Dich in meine Angelegenheit zu mischen! Wie ist Dein Name?«

»Ich heiße Samuel Barth.«

»Das ist ein fremder Name.«

»Ein deutscher.«

»Ah, Du bist ein Ausländer und wagst es, Dich hier der Execution zu widersetzen! Weißt Du, daß ich Dich selbst auch knuten lassen werde?«

»Nein. Das weiß ich nicht.«

»Du wirst es bald erfahren!«

»Pah! Du bist nicht der Mann dazu, mir mit der Knute zu drohen! Hier, siehe Dir einmal meine Legitimation an!«

Er zog sie aus der Tasche und reichte sie ihm hin. Der Major las sie, blickte den Dicken und dessen beide Kameraden erstaunt an, zog dann die Stirn in Falten und sagte:

»Nun, was ist das weiter?«

»Das wirst Du wissen!«

»Ja, das weiß ich, denn ich lese es. Du heißest Samuel Barth, und


Ende der neunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Deutsche Herzen, deutsche Helden

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