Lieferung 27

Karl May

19. Juni 1886

Deutsche Herzen, deutsche Helden.

Vom Verfasser des »Waldröschen« und »der Fürst des Elends«.


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braucht Ihr zwei Tage, und Eure Krieger werden drei Tage reiten müssen, ehe sie zum Angriffe kommen. Sodann bedarf es einiger Tage zu der Rüstung. Dabei geht sehr viel Zeit verloren, und so ist es möglich, daß Diejenigen, welche ich in Eure Hände liefern will, dann bereits wieder abgereist sind. Dann allerdings dürftet Ihr nicht sagen, daß ich nicht Wort gehalten habe.«

»Du darfst keine Sorge haben. Es steht Alles besser, als Du denkst. Wir sind bereits gerüstet, ja, wir befinden uns nicht etwa auf unsern Weideplätzen. Nur die Greise, die Knaben, die Frauen, und die Mädchen sind dort.«

»Wie! So sind Eure Krieger bereits unterwegs?«

»Seit drei Tagen.«

»So sind sie schon in der Nähe?«

»Ja.«

»Wo?« fragte der Riese in erstauntem Tone.

»Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf.«

»O Allah! Wenn ich heut Sieger und Scheik geworden wäre, so wäre doch vielleicht in zwei oder drei Tagen schon die ganze Herrlichkeit hin gewesen.«

»Ja, wir hätten Euch überfallen und vernichtet. Ihr hättet nichts geahnt. Wir wären über Euch gekommen, wie das Heer der Millionen Heuschrecken über die Felder kommt - vom Himmel herab, aus den Wolken hernieder, ohne daß man es vorher denkt.«

»Wie gut, daß ich also unterlegen bin! Nun wird Alles gut, Alles, Alles! Ihr könnt Euch auf mich verlassen; Ihr könnt mir vertrauen und dürft mir sagen, wo sich Eure Krieger befinden. Bedenkt, daß ich meine Worte und mein ganzes Verhalten darnach einzurichten habe!«

»Du magst Recht haben, wenn Du glaubst, wissen zu müssen, wo unsere Krieger sind. Sie halten sich im Ferß el Hadschar verborgen.«

»Im Ferß el Hadschar! Wie viele sind ihrer?«

»Volle sechshundert Mann, Alle gut bewaffnet.«

»Beritten?«

»Mit Pferden. Speise und Munition haben wir auf Lastkameelen mitgebracht.«

»Wie ist das möglich? Sechshundert Mann mit ebenso vielen Pferden außer den Lastkameelen in dem wilden öden Ferß el Hadschar!«

Nämlich ziemlich halbwegs zwischen den Weideplätzen der Beni Suef und der Beni Sallah steigen aus der tiefsandigen Wüste steile, nackte Felsenhöhen empor. Wie Trümmer eines vor Jahrtausenden eingestürzten Gebirges liegen hier Felsen auf- und übereinander gethürmt. Man glaubt weder Weg noch Steg zu finden. Alles rings bietet den Anblick des Todes, der Leblosigkeit. Dieses Felsenwerk wird Ferß el Hadschar genannt, zu Deutsch das Bett der Steine.

Der Beduine hat für hunderte ähnlicher in der Wüste liegender Orte auch ähnliche Bezeichnungen: Battn el Hadschar, Bauch der Steine, Om el


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Hadschar, Mutter der Steine, Abu'l Hadschar, Vater der Steine. Der Riese kannte dieses »Bett der Steine«. Er hielt es für unmöglich, daß so viele Menschen und so viele Thiere dort Aufenthalt nehmen könnten.

»Warum wunderst Du Dich?« fragte der Andere.

»Es ist kein Wasser da.«

Wasser ist allerdings in der Wüste das allererste und alleroberste Existenzbedürfniß. Wo dieses fehlt, da ist kein Leben, da flieht selbst der kühnste Beduine schnell wie ein lebloser Schatten vorüber.

»Kein Wasser? Weißt Du das so gewiß?«

»Ja. Wir haben seit Menschenaltern dort nach Wasser gesucht und keinen Tropfen gefunden.«

»Ihr seid eben Beni Sallah und kein Beni Suef. Es giebt Wasser dort. Hast Du nicht von den geheimen Quellen der Wüste gehört?«

»Wie sollte ich nicht. Das Kameel des dürstenden Wanderers bleibt in der dürrsten Einöde stehen, wo es keinen Tropfen zu geben scheint, und scharrt mit den Füßen im Sande. Der Reiter springt ab und gräbt mit den Händen weiter. Da kommt eine Quelle zum Vorschein. Er trinkt, läßt sein Thier sich satt trinken und füllt sich auch die Schläuche. Dann breitet er seine Decke über die Stelle und legt den Sand auf die Decke, so daß kein Vorüberkommender es ahnt, daß hier eine Quelle sei. Zu dieser Stelle kehrt er dann zurück, wenn er Wasser braucht. Sie bietet ihm Rettung in Noth und Verfolgung. So lange er sie allein besitzt, kann kein Feind ihn überwinden.«

»So ist es aber nicht nur in der Wüste des Sandes, sondern auch in der Wüste des Felsens. Hast Du nicht gehört aus dem Kuran, daß Musa (Moses) Wasser aus dem Felsen schlug? Auch im Ferß el Hadschar giebt es zwei Quellen. Sie sind nur uns bekannt. Sie wurden von unseren Vätern entdeckt, und kein Angehöriger eines andern Stammes wird jemals einen Tropfen aus ihnen erblicken und kosten. Dort befinden sich unsere Krieger.«

»Dorthin bedarf es nur einer Tagereise. Wir könnten also morgen Abend dort sein?«

»Ja. Wir werden dort anlangen, wenn die Sonne niedergesunken ist. Du meinst also, daß die beiden Gesandten mitreiten werden?«

»Ja. Ich werde Euch jetzt nach der Stelle führen, wo ich sie erwarte.«

»Werden sie gute Reitthiere haben?«

»Suef wird dafür sorgen, daß sie die besten bekommen, welche vorhanden sind. Ich danke Allah, der Euch in meinen Weg geführt hat. Vielleicht wäre ich verschmachtet und gestorben, ehe ich Eure Weideplätze erreicht hätte. Der Schmerz frißt an meinem Marke. Das Wundfieber hätte mich niedergeworfen, mitten in der Wüste.«

»Ist die Wunde so schlimm?«

»Jener Hund hat mir das Auge herausgeschlagen, daß es mir über die Wange hing. Er hat es mir, als er mich für besinnungslos hielt, wieder


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hineingesteckt, aber es ist verloren. Habt Ihr einen Mann in Eurem Stamme, welcher Krankheiten heilt?«

»Wir haben Mehrere.«

»So werde ich mir das Auge wegschneiden lassen, damit es mir nicht im Kopfe verfault und auch noch das Hirn in Fäulniß bringt. Bis dahin werde ich mich auf Eure Hilfe verlassen müssen. Wasser habe ich genug, die Wunde zu kühlen, aber das ist doch unzureichend. Es ist kein Arzt und keine Salbe vorhanden.«

»Wir haben bei unseren Kriegern zwei weise Männer, die sich auf Wunden verstehen, die werden Dir helfen. Wir nehmen sie mit, weil wir kämpfen werden. Sie sollten die Verwundeten verbinden und pflegen.«

»Ich werde ihnen sehr dankbar sein, wenn sie mich wieder herstellen. Derjenige aber, welcher mir das Auge genommen hat, soll seine beiden hergeben und die Ohren und die Zunge dazu!«

Er stand von seinem Platze auf, streckte den Arm nach der Gegend aus, in welcher sich das Lager befand, und fuhr in drohendem Tone fort:

»Sie haben mich ausgestoßen als den Schwachen, aber ich werde wiederkommen mit Macht. Die Alten sollen sterben und die Jungen verderben, die Mütter sollen jammern über die Frucht in ihren Leibern, und die Jungfrauen sollen sein wie die abgeschlachteten Schafe. Es wird ein Blutgeruch ausgehen von diesem verfluchten Orte, über den sich alle Welt entsetzen wird. Die aber, welche ich mir aussuche, die werde ich krumm fesseln und in Käfige stecken und mit mir herumführen, wie man die Brut der alten Krokodile in Töpfe steckt, um sie sehen zu lassen. Ich habe es gesagt, und Allah hat es gehört. Was ich schwöre, das halte ich auch!«

Es schauderte die Zuhörer bei seinen Worten.

»Glaubt Ihr nun, daß ich ein Feind dieser von Allah und dem Teufel verfluchten Beni Sallah bin?« fragte er.

»Ja, jetzt glauben wir es.«

»So kommt! Ich werde Euch zur Stelle führen, an welcher wir zu warten haben.«

»Wird man uns dort nicht bemerken?«

»Nein. Ihr könnt Euch doch denken, daß ich selbst nicht dahin gehen werde, wo man mich bemerken kann. Der Stamm hat mich für vogelfrei erklärt; ich erkläre nun alle Söhne und Töchter des Stammes für vogelfrei, und ich werde nicht ruhen, bis das Verhängniß über sie gekommen ist!«

»Haben wir lange zu warten?«

»Vor Mitternacht werden sie sich nicht entfernen können. Das ist mir aber um meines Auges willen lieb. Ich kann mich bis dahin ausruhen und pflegen.«

Er stieg auf und die Andern thaten dasselbe. Sie ritten fort und verschwanden im Dunkel der Nacht, ebenso wie ihre Absichten nächtig dunkle waren.

Steinbach und Hilal hatten sich nicht weiter um ihren Feind gekümmert. Hätten sie von seiner baldigen Begegnung mit den Kundschaftern eine Ahnung


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haben können, so wären sie wohl nicht so heiter und sorglos nach dem Lager zurückgekehrt.

Bereits von Weitem bemerkten sie den Schein des Lagerfeuers, um welches sich die Aeltesten nun schon versammelt hatten, um ihre Berathung zu halten. Steinbach hatte natürlich daran theilzunehmen; vorher aber suchte er Normann auf.

Er fand denselben in der Nähe der beiden Zelte, in denen der Pascha und der Graf wohnten. Nachdem er ihm die Weisung gegeben hatte, in seiner Aufmerksamkeit nicht nachzulassen, begab er sich nach dem Versammlungsorte, wo es bereits sehr lebhaft zuging.

Sein Erscheinen war schon längst erwartet worden. Die Wenigen, welche als Gegner des Vicekönigs bekannt waren, wagten nach den heutigen Ereignissen nicht, ihre Ansichten zur Sprache zu bringen. Steinbach hielt eine längere, siegreich wirkende Rede, und als er am Schlusse derselben mittheilte, was er als Geschenk des Vicekönigs mitgebracht habe, erhob sich ein lauter Jubel, welcher sich über das Lager fortpflanzte. Man verlangte, die Gewehre zu sehen. Steinbach ließ nur einige kommen, welche er den Aeltesten verehrte. Die Anderen wurden für später vertröstet. Doch hatte er seine Sache vollständig gewonnen.

Am Schlusse der Verhandlung wurden der Graf und der Pascha geholt, um das Resultat zu erfahren. Als sie herbeitraten, ertönten die drei Schläge des Mueddin von oben herab und dann verkündete er:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Preis sei ihm, daß er den Männern Weisheit gegeben hat, das Gute vom Bösen zu unterscheiden! Gelobt sie Taufik Pascha, der Herrscher von El Kahira und Egypten. Sein Leben währe tausend Jahre und seinen Schritten möge Glück und Segen folgen. Er ist unser Freund und wir sind seine Freunde. Wer gegen ihn ist, der ist gegen uns und soll unsere Rache kosten. Das haben die Aeltesten beschlossen. Hört es, Ihr Männer und Ihr Frauen! Allah ist die Weisheit; er giebt den Verstand. Er sei gelobt, denn er ist Gott und Muhammed ist sein Prophet!«

Nach dieser in echt muhammedanischem Style erfolgten Verkündigung wußten die beiden oben Genannten nur zu genau, woran sie waren.

»Verdammt!« flüsterte der Russe. »Dieser verfluchte Deutsche siegt stets und überall! Erst in Konstantinopel!«

»Dann in Tunis und nun hier!« fiel der Pascha ein. »Unseres Bleibens ist nun hier nicht mehr.«

»Nein. Wäre doch erst Mitternacht vorüber! Kommen Sie mit in mein Zelt. Wir wollen beisammen bleiben, damit Suef keine Mühe hat, uns zu finden.«

Sie wollten gehen, wurden aber zurückgehalten, indem der Scheik noch mit ihnen zu sprechen habe.

Tarik hatte nämlich heut Abend zum ersten Male in seiner neuen Würde fungirt, indem er während der Verhandlung den Vorsitz geführt hatte. Der


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junge, scheinbar so einfache Mann hatte sich dabei nicht nur keine Blöße gegeben, sondern im Gegentheile Allen imponirt. Die beiden hochgestellten Herren ärgerten sich trotzdem nicht wenig, vor dem Forum eines Mannes erscheinen zu müssen, welcher nicht nur noch ein Jüngling sondern in ihren Augen ein halbwilder Mensch war. Er musterte sie mit ernstem Blicke und fragte dann:

»Habt Ihr gehört, was der Mueddin verkündet hat?«

»Ja. Wir sind nicht taub!« antwortete der Pascha.

»Man kann taub sein und dennoch hören, und man hört zuweilen nicht und ist doch nicht taub. Habt Ihr der Versammlung der Ehrwürdigen oder auch mir vielleicht noch Etwas zu sagen?«

»Nein, der Versammlung nicht und Dir nun erst gar nichts.«

»Es ist gut, daß Du so aufrichtig sprichst, denn nun weiß ich, was ich zu wissen habe. Bei Euch werden die klugen Männer, welche die Geschicke ihrer Völker lenken, Diplomaten genannt. Man sagte mir, daß auch Ihr Diplomaten seiet; aber ich erkenne jetzt, daß man Euch Unrecht gethan hat. Wehe dem einzelnen Menschen, dessen Geschick in Eure Hand gelegt wäre! Wehe also millionenmale einem ganzen Volke!«

»Ich danke Dir! Aber wir haben Dich gar nicht nach Deiner Meinung über uns gefragt.«

»Das wäre auch sehr verwegen von Euch gewesen, da es sich für Euch nicht schickt, dem Scheik eines berühmten Stammes Fragen vorzulegen. Nur ich bin es, der zu fragen hat, und so frage ich Euch jetzt, wann Ihr unser Lager zu verlassen gedenkt.«

»Wir bestreiten, daß Du ein Recht zu dieser Frage hast.«

»Was Ihr bestreitet oder nicht, das kann hier gar nichts ändern. Ihr mögt zuweilen nutzlose Worte machen, ich thue das niemals. Wenn ich Euch frage, so habe ich einen Grund dazu.«

»Welcher ist das?«

»Ich brauchte Euch nicht zu antworten, will es aber dennoch thun, damit Ihr seht, daß ich höflicher bin als Ihr. Ihr genießt unsere Gastfreundschaft. Wir müssen also wissen, wie lange Ihr sie noch zu genießen gedenkt.«

»Lange nicht mehr.«

»Sagt mir den Tag.«

»Gut. Wir werden morgen früh abreisen.«

»Das kann ich nicht erlauben.«

»Nicht! Ah! Warum nicht?«

»Früh abzureisen, ist gegen das Gesetz der Wüste. Ein Gast, welcher dem Stamme, dessen Wohlthat er genaß, dankbar ist, reist nicht anders ab als kurz nach dem Nachmittagsgebet, drei Stunden vor Untergang der Sonne. Wißt Ihr das nicht?«

»Wir wissen es, aber wir werden doch das Recht besitzen, über unser Thun selbst bestimmen zu können!«

»Das habt Ihr, und darum könnt Ihr abreisen, wann es Euch beliebt.


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Aber ich will abermals höflicher sein, als Ihr es seid, und Euch warnen. Es ist nicht gut für Euch, wenn Ihr bereits früh abreist.«

»Warum?«

»Ihr habt eine Feindschaft mit unsern andern Gästen.«

»So habt Ihr uns zu schützen.«

»Das können wir nur dann thun, wenn Ihr Euch bei uns befindet. Sobald Ihr uns aber verlasset, steht Ihr nach unsern Gesetzen nur noch drei Stunden lang in unserm indirecten Schutze.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Wenn Ihr unsere Gesetze nicht kennt, solltet Ihr auch nicht unhöflich gegen mich, den Scheik des Stammes, sein. Ihr könnt abreisen, wann es Euch beliebt, wie ich Euch schon gesagt habe. Drei Stunden lang beschützen wir Euch noch, das heißt, wir lassen Diejenigen, welche Euch verfolgen wollen, vor Ablauf dieser drei Stunden nicht fort von hier. Versteht Ihr nun, was ich meine?«

»Sie mögen nur nachkommen. Wir sind ebenso bewaffnet wie sie.«

»Ihr seid meine Gäste, und so will ich Euch nicht sagen, ob ich Euch für ebenso tapfer halte, wie sie es sind. Reitet Ihr früh fort, so können sie Euch, wenn sie drei Stunden später aufbrechen, noch im Laufe des Tages erreichen. Ihr könnt ihnen gar nicht entgehen, da sie Eure Spuren sehen. Reist Ihr aber zur gehörigen Zeit ab, nach dem Nachmittagsgebet, drei Stunden vor Sonnenuntergang, so können sie, wenn sie aufbrechen, Eure Spuren nicht mehr sehen, und Ihr reitet die ganze Nacht hindurch, bekommt also einen Vorsprung von vollen zwölf Stunden. Darauf mache ich Euch aufmerksam, weil ich meine Pflicht erfülle selbst Männern gegenüber, welche unhöflich gegen mich sind.«

»Gut, so reisen wir morgen nach dem Nachmittagsgebete ab, wie Du es gesagt hast.«

»Daran thut Ihr klug. Ihr werdet also auf keinen Fall früher fortreiten?«

»Nein.«

»Wißt Ihr, was man unter dem Yrza mebei wad versteht?«

»Ja, es ist das Ehrenwort.«

»Ich muß Euch bitten, mir das Yrza mebei wad zu geben, daß Ihr wirklich nicht eher fort geht.«

»Welches Recht könntest Du besitzen, uns dieses Ehrenwort abzufordern?«

»Meine Pflicht den andern Gästen gegenüber gebietet es mir.«

»Das begreife ich nicht.«

»Ihr scheint grade das, was sehr selbstverständlich ist, nicht leicht zu begreifen. Ihr sagt vielleicht, daß Ihr morgen am Nachmittage reiset, reist aber bereits in dieser Nacht heimlich ab, dadurch werden unsere anderen Gäste geschädigt, welche Euch verfolgen wollen.«

»So mögen sie aufpassen!«

»Ich muß gegen Euch und gegen sie gerecht sein. Ihr sollt keinen Schaden


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haben, sie aber auch nicht. Entweder gebt Ihr das Ehrenwort, oder ich muß dafür sorgen, daß Ihr nicht eher fort könnt.«

»Was thust Du da?«

»Ich nehme Euch gefangen!«

»Deine Gäste?«

»Sobald Ihr Euch weigert, Euch nach unsern Satzungen zu richten, habt Ihr aufgehört, unsere Gäste zu sein!«

»Du giebst Dir ganz das Wesen eines klugen, erfahrenen und mächtigen Mannes, der Du doch noch sehr jung und erst seit heute Scheik bist!«

»Ich habe freilich gehört, daß es bei Euch auch sehr alte Leute giebt, welche noch nicht klug geworden sind, darum wundert Ihr Euch, wenn hier bei uns bereits die Jünglinge gerecht und vorsichtig handeln. Ich habe Euch nun Alles gesagt, was mir die Pflicht gebot, Euch mitzutheilen. Wenn Ihr mir keine Antwort gebt, so nehme ich an, daß Ihr überhaupt nicht antworten wollt, und werde meine Maßregeln darnach treffen.«

»Also Ehrenwort oder Gefangenschaft?«

»Ja.«

»Was thun wir?« flüsterte der Pascha dem Grafen zu.

»Pah! Was hat bei solchen Hallunken das Ehrenwort für eine Bedeutung! Geben wir es getrost!«

»Nun?« fragte Tarik, der ungeduldig zu werden begann.

»Wir geben es,« sagte der Pascha.

»Und Dein Gefährte?«

»Ich auch,« antwortete der Russe.

»So legt Eure Hände in die meinige!«

Dies geschah, und dann fuhr der junge Scheik fort:

»Ich muß Euch noch darauf aufmerksam machen, daß der Bruch des Ehrenwortes bei uns ein todeswürdiges Verbrechen ist. Haltet Ihr nicht Wort, so kann ein Jeder Euch tödten. Es wird gut sein, wenn Ihr Euch dies zu Herzen nehmt. Jetzt sind wir fertig. Vielleicht geht Ihr zur Ruhe, um Euch im Schlafe für die morgende weite Reise zu stärken. Allah gebe Euch Frieden!«

Dieser Wink war deutlich, und so zogen sich die Beiden zurück, nicht sehr erbaut von der Rolle, welche sie hier gespielt hatten. Desto zufriedener mit seinem Erfolge aber war Steinbach. Dies sagte auch Normann, den er jetzt wieder aufsuchte.

»Ein verteufelter Kerl, dieser Tarik!« meinte er. »Er verhielt sich wirklich so, als ob er schon seit einem Menschenalter Häuptling gewesen sei. Er hat mir wirklich Respect abgenöthigt. Wie er diese beiden Herren abkanzelte! Es war wirklich brav!«

»Ja, unter diesen Natursöhnen giebt es mehr klaren Verstand und Mutterwitz als Tausende meinen. Das Ehrenwort ist abgegeben worden, aber ich traue den Zweien doch nicht recht.«

»Ich auch nicht.«


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»Wo sind sie?«

»Da drinnen mit einander. Warum geht nicht ein Jeder in sein Zelt? Warum stecken sie beisammen? Doch nur, um irgend Etwas auszuhecken!«

»Vielleicht auch nur, um ihre Reise zu besprechen.«

»Meinetwegen! Aber warum brachte der Eine vorhin ein ganzes Packet Sachen zu dem Andern? Warum schleppt er seine Habseligkeiten in das Zelt, in welchem sie sich jetzt befinden?«

»Das hätte er gethan?«

»Ja. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»So haben sie wirklich Etwas vor. Sie werden meinen, ein einem Beduinen gegebenes Ehrenwort habe keine Bedeutung. Direct haben sie es ihm, indirect aber doch uns gegeben. Ich werde Tarik bitten, das Zelt durch die ganze Nacht bewachen zu lassen.«

Er that dies sofort. Tarik war sogleich bereit, ihm den Willen zu thun, meinte aber, daß es so unauffällig wie möglich geschehen werde, um die beiden Männer nicht zu beleidigen, deren Ehrenwort eigentlich zu achten sei. Darum saß bald ein junger, wohl bewaffneter Araber so in der Nähe, daß er die Eingänge der beiden Zelte im Auge hatte und jeden Ein- und Austretenden genau erkennen konnte.

Im Lager herrschte natürlich ein sehr reges Leben. Die Königin hatte die fettesten Thiere ihrer Heerde geopfert und auch ihre sonstigen Vorräthe nicht geschont. Der Araber ist mäßig und enthaltsam, aber wenn er einmal ißt, so ißt er ordentlich. Er zeigt bei einem Schmause, daß ein menschlicher Magen Quantitäten aufzunehmen vermag, welche ein großes, fleischfressendes Thier sättigen würden. So viele Menschen der unter der Ruine gelegene freie Platz zu fassen vermochte, so viele saßen da an den riesigen, schmoorenden Spießbraten beisammen, und wenn zehn Gesättigte gingen, so setzten sich zwölf Andre an ihre Stelle. Es wurde gesungen, gejubelt und auf der einsaitigen Geige gespielt.

Bei diesem Durcheinander und regem Hin und Her fiel es gar nicht auf, daß auch der junge Suef, der Sclave des Riesen, erschien und sich mit an dem Braten erlabte. Dabei aber behielt er die beiden Zelte scharf im Auge. Er erblickte den Beduinen, welcher als Wächter in der Nähe saß. Er schnitt ein großes, saftiges Stück des köstlichen Hammelbratens ab, trug es ihm hin und sagte, es ihm überreichend:

»Ich sehe, daß Du fern sitzest, ohne zu essen. Warum kommst Du nicht zu Denen, welche am Mahle theilnehmen?«

»Ich darf nicht,« antwortete der Jüngling, in das Bratenstück beißend, daß ihm hüben und drüben der Saft vom Munde tropfte.

»Wer verbietet es Dir?«

»Der Scheik.«

»Warum? Hat nicht ein Jeder das Recht, die Gaben der Königin zu genießen?«


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»Das hat ein Jeder.«

»Aber Du nicht?«

»Auch ich habe es, nur jetzt noch nicht. Ich habe Wache zu halten. Dann, wenn ich abgelößt bin, setze ich mich zu den Andern hinüber.«

»Wächter bist Du? Was sollst Du denn bewachen?«

»Wen, meinst Du wohl? Die beiden Fremdlinge da drin. Der Scheik denkt, daß sie sich heimlich aus dem Lager entfernen.«

»Er hat ihnen doch das Ehrenwort abgenommen!«

»Aber ob sie es auch halten!« meinte der Wächter mit altkluger Betonung.

»Sie werden es doch nicht wagen!«

»Der Scheik befürchtet es.«

»Wann wirst Du abgelößt?«

»Aller zwei Stunden kommt ein Anderer.«

»Sollen die Beiden denn gar nicht aus dem Zelte?«

»O doch! Sie würden ja sonst gleich merken, daß sie bewacht werden. Aber sobald sie heraustreten, gebe ich das Zeichen, und dann folgen wir ihnen bis sie wieder zurückkehren.«

»Das ist eigentlich sehr unnöthig. Ich an des Scheikes Stelle würde es viel klüger machen.«

»Wie denn?«

»Ich würde zu ihnen gehen oder ihnen einen klugen Mann senden, der sie heimlich auszuforschen hätte, was sie beabsichtigen.«

»Der müßte sehr klug sein. Sie werden es wohl Keinem anvertrauen, wenn sie wirklich fort wollen.«

»O, es kommt ganz darauf an, wie man die Fragen stellt. Ich möchte eine Probe machen.«

»Du? Hm!«

»Traust Du es mir nicht zu?«

»Ich meine nicht, daß es Dir gelingen werde.«

»Darf man denn nicht zu ihnen?«

»Das ist nicht verboten.«

»So werde ich einmal hineingehen. Meinst Du nicht?«

»Ich möchte freilich wohl wissen, was sie sagen. Es muß spaßhaft sein, von solchen Leuten Dinge zu hören, welche sie eigentlich verschweigen wollen. Aber sie werden sogleich Mißtrauen fassen.«

»O nein!«

»Was für einen Vorwand willst Du sagen?«

»Das ist doch sehr leicht. Haben sie gegessen?«

»Ich habe nichts gesehen.«

»Nun, so paß auf, was ich thue!«

Er ging zum Feuer, über welchem die Braten an den Spießen gedreht wurden, und schnitt ein tüchtiges Stück ab. Dasselbe an sein Messer spießend, kam er zurück und sagte lachend:


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»Ist das nicht ein guter Vorwand?«

»Der beste, den es giebt. Du bist wirklich nicht so dumm, wie ich dachte.«

»O, ich werde es drinnen noch klüger anfangen. Du sollst es hören.«

Er ging nach dem Zelte und trat ein.

Drinnen saßen die Beiden, ihre Pfeifen rauchend. In einem kleinen hörnernen, mit Palmöl gefüllten Gefäße brannte ein Docht. Der matte Schein dieser einfachen Lampe erleuchtete das Innere des Zeltes nur nothdürftig.

»Suef!« sagte der Pascha erfreut. »Endlich!«

»Leise, Herr, draußen sitzt ein Wächter.«

»Hölle und Tod! Werden wir bewacht?«

»Ja. Man traut Dir nicht. Nach jeder zweiten Stunde wird der Wächter abgelöst.«

»So dürfen wir gar nicht hinaus?«

»O doch, aber Ihr werdet verfolgt und scharf beobachtet. Nöthigen Falls würde man Lärm machen.«

»Allah! So wird aus der Flucht nichts!«

»Es wird Etwas daraus. Der Wächter sitzt da vorn. Ihr müßt hinten hinaus.«

»Wo keine Thür ist?«

»Ihr schneidet einen Riß in die Zeltwand. Ich werde zur geeigneten Zeit kommen. Ich schleiche von hinten an das Zelt heran. Sobald Ihr merkt, daß ich in das Zelt schneide, helft Ihr mit und kommt hinaus. Auf der Erde kriechend, folgt Ihr mir dann.«

»Man wird uns sehen!«

»Nein. Ich komme erst dann, wenn wir sicher sein können.

Der Dattelsaft, welcher heut getrunken wird, hat stark gegohren; das macht müde und schließt die Augen.«

»Haben wir denn Reitthiere?«

»Ja. Ich bin mit hinaus zu den Wächtern der Heerden postirt und werde für drei der besten und schnellsten Kameele sorgen. So viel ist sicher, daß man uns nicht ereilen wird, wenn wir einmal fort sind.«

»Und wir werden den Riesen treffen?«

»Ganz gewiß. Hier ist Fleisch. Ich habe es als Vorwand genommen, zu Euch hereintreten zu können. Der jetzige Wächter ist dumm. Gebe Allah, daß die späteren nicht etwa sehr viel klüger sind!«

Er ging wieder hinaus. Draußen fragte ihn der neugierige Posten, ob er Erfolg gehabt habe.

»Ja, aber keinen guten.«

»Wieso? Wollen Sie entfliehen?«

»O nein. In dieser Beziehung ist der Erfolg sehr gut. Aber sie schliefen bereits, und da ich sie störte, wurden sie grob und drohten sogar mit Schlägen. Sie sagten, daß sie bis zum zweiten Gebete schlafen wollten, da der Ritt morgen ein sehr beschwerlicher sei. Willst Du ihnen einen Gefallen erweisen, so sorge dafür, daß sie nicht wieder von irgend Wem gestört werden!«


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Er entfernte sich. Der Wächter legte sich bequem zurück und dachte bei sich, daß er diese beiden Männer wohl nicht stören werde. Er hatte heut Anderes und Besseres zu thun, als sich gar zu sehr um sie zu bekümmern.

Als sein Nachfolger kam, vertraute er diesem an, daß Suef drin gewesen sei und von ihnen den Wunsch gehört habe, daß man sie nicht stören solle, da sie sehr gern schlafen wollten. Das sprach sich weiter, von einem Posten zum andern, bis allmählich das Leben im Lager verstummte und die Feuer erloschen. Selbst ein Fest geht einmal zu Ende, und auch ein Schmauß kann nicht ewig währen. Man suchte die Lagerstätten auf.

Steinbach war auch müde geworden. Oben in der Ruine war ebenso Freude und Wohlleben gewesen wie unten vor derselben. Dann hatten sich die Mädchen zuerst zurückgezogen. Die Männer waren ausdauernder gewesen, hatten sich dann aber auch von einander verabschiedet. Als weitgereister, vielerfahrener und vorsichtiger Mann stieg Steinbach noch einmal die Stufen hinab, um nach dem Wächter zu sehen. Auch er traute dem Lagmi, dem Dattelsaft nicht recht. Und, richtig, als er zu dem Posten kam, saß dieser am Boden und schnarchte ein Solo, welches gar nicht energischer und ausgiebiger sein konnte. Natürlich weckte er ihn. Der Mann fuhr empor, rieb sich die Augen, starrte Steinbach an und murmelte dann, als er ihn erkannte, irgend eine Entschuldigung.

»Hast Du hier zu schlafen oder zu wachen?« frug der Deutsche ihn in strengem Tone.

»Verzeihung, Herr! Die Augen fielen mir zu.«

»Du sollst sie aber offen halten.«

»Das thue ich jetzt.«

»Schön! Wenn aber indessen Etwas geschehen ist!«

»O, was sollte geschehen sein?«

»Die Beiden, welche Du bewachen sollst, können sich entfernt haben.«

»Die? Nein, nein! Die schlafen.«

»Woher weißt Du das?«

»Suef ist bei ihnen gewesen. Ihm haben sie gesagt, daß sie schlafen wollen bis zum zweiten Gebete; man solle sie nur nicht stören.«

»Bis zum zweiten Gebete? Unsinn! So lange schläft kein Mensch. Wenn sie das wirklich gesagt haben, so ist es höchst auffällig. Suef? Wer ist Suef?«

»Ein gefangener Beni Suef, der Sclave des Riesen.«

Steinbach machte eine Bewegung des Schreckes.

»Was höre ich? Ein gefangener Beni Suef? Der Sclave des Riesen? Hatte er es gut bei ihm?«

»Ja. Er war seinem Herrn sehr treu.«

»Und der ist drin bei den Beiden gewesen? Wann?«

»Während der ersten Wache. Er hat ihnen Fleisch zum Essen hineingetragen.«

»Bist Du um die beiden Zelte patrouillirt?«


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»Nein. Ich habe hier gesessen.«

»Und die Anderen wohl auch?«

»Ja. Warum sollte man um die Zelte herumlaufen? Hinten haben sie doch keine Thür.«

»Aber sie sind von Leinwand, welche zerschnitten werden kann! Wollen einmal sehen.«

Er begab sich hinter das Zelt. Zwar brannten die Feuer nicht mehr, aber im Osten begann der Tag zu dämmern, so daß man bereits einen hinreichenden Lichtschein hatte, bei welchem Steinbach sofort die große Oeffnung bemerkte, welche in die Leinwand geschnitten worden war.

»Da, schau her!« rief er. »Während Ihr vorn wachtet, sind sie hinten entflohen.«

»Oh Allah!« rief der Mann, indem er vor Schreck seine Flinte fallen ließ.

»Lauf schnell und wecke den Mueddin! Er soll das Zeichen geben, daß Alle sich versammeln.«

Der Wächter stürzte von dannen. Steinbach trat in das Zelt. Es war leer. Er eilte nach der Ruine, um Normann und Tarik und Hilal zu wecken. Diese hatten sich kaum erhoben, so tönten auch bereits die Schläge des Mueddin und darauf seine Stimme:

»Auf auf, Ihr Gläubigen! Schüttelt den Schlaf von Euch und jagt die Träume von dannen. Die Zelte der Gäste sind leer. Es ist ein Unglück geschehen im Lager der Söhne und eine Schande in der Wohnung der Väter. Kommt herbei, herbei, um wieder einzufangen die Entflohenen. Eilt mit den Beinen und ruft mit den Stimmen! Allah verderbe die Lügner, welche ihr eignes Wort nicht achten!«

Natürlich erhob sich ein großer Tumult im Lager. Steinbach wirkte vor allen Dingen darauf hin, daß Keiner das Lager verlassen durfte. Es handelte sich zunächst darum, daß die Spuren der Entflohenen nicht verwischt würden. Sodann wurde nach dem Sclaven Suef gesucht. Er war nicht zu finden, und bei näherer Nachforschung ergab es sich, daß mit ihm drei der besten Reitkameele verschwunden seien.

»Er ist fort mit ihnen!« sagte Tarik zornig. »Aber wehe ihm, wenn ich ihn ereile! Wüßte man nur, wo hin sie sind!«

»Zu den Beni Suef natürlich!«

»Die Beiden wollten doch nach Egypten!«

»Sie werden zunächst Schutz suchen bei Euren Feinden und sich dann von diesen sicher nach Egypten begleiten lassen.«

»Dann sind sie Deiner Ansicht nach gen Süden?«

»Ja. Laß uns nachsehen! Aber nur wir allein, damit die Spuren nicht verdorben werden!«

Sie brauchten nicht lange zu suchen, so fanden sie allerdings die Spuren dreier Kameele im tiefen Sande. Steinbach untersuchte dieselben sorgfältig und sagte dann in zuversichtlichem Tone:

»Es ist über drei Stunden her, daß sie fort sind. Die Ränder der


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Tapfen sind bereits eingefallen. Es wird schwer halten, ihnen diesen Vorsprung wieder abzugewinnen. Mit Pferden läßt sich dies nicht thun, doch wollen wir zunächst uns versichern, ob sie sich draußen in der Wüste nicht vielleicht nach einer anderen Richtung gewendet haben.«

Zwei Minuten später jagte er mit Tarik und Hilal hinaus, in wahrer Sturmeseile. Bald erreichten sie einen Ort, wo der tiefe Sand weit umher aufgewühlt war.

»Was ist das?« fragte Tarik erstaunt. »Hat hier etwa ein Kampf stattgefunden?«

»Wartet! Ich werde untersuchen!«

Bei diesen Worten sprang Steinbach vom Pferde. Er verwendete eine außerordentliche Sorgfalt auf seine Nachforschung, so daß die beiden Anderen die Geduld zu verlieren begannen.

»Was nützt es, daß Du jedes einzelne Sandkorn betrachtest!« meinte Tarik. »Wir verlieren dabei eine sehr kostbare Zeit!«

»Nein, wir gewinnen Zeit. Je sorgfältiger wir jetzt sind, desto größere Gewißheit bekommen wir, und desto schneller können wir dann handeln. Uebrigens bin ich fertig. Aber was ich gesehen habe, das ist keineswegs etwas Erfreuliches. Nämlich hier sind die drei Flüchtlinge mit dem Riesen Falehd zusammengetroffen.«

»Allah! So hattest Du Recht. Er hat sie erwartet!«

»Ja. Seht hierher! Da hat er gesessen und sich Umschläge gemacht. Er hat Blut aus dem Munde gespuckt, und zwar unvorsichtiger Weise immer nach einer Stelle hin. Hier liegt es. Hier von West ist er gekommen, aber nicht allein.«

»Wer sollte bei ihm gewesen sein? Er ist ja allein fort. Sollte er unterwegs mit Jemand zusammengetroffen gewesen sein?«

»Jedenfalls. Hier kommen zwei breite Fährten. Ihr wißt, daß das Pferd das Kameel haßt; es kann dasselbe nicht erriechen. Darum sind sie in zwei Gruppen geritten und haben auch ihre Thiere in zwei Gruppen aufgestellt. Hier rechts lagen die fünf Kameele des Riesen, und hier links befanden sich fünf oder sechs Pferde. Zu diesen sind nachher die drei Flüchtlinge gestoßen und mit ihnen weiter geritten, grad nach Süden, wie Ihr hier seht.«

»Wer mögen die fünf oder sechs Reiter gewesen sein?«

»Ich vermuthe, daß es feindliche Beni Suef waren.«

»Allah, Allah! Das wäre gefährlich! Woraus aber schließest Du es?«

»Feinde waren es, sonst hätten sie sich nicht mit dem Riesen abgegeben.«

»Grad darum können es Freunde gewesen sein. - Er hat ihnen nicht gesagt, daß er aus dem Stamme gestoßen worden ist.«

»Sie müßten sehr dumm gewesen sein, wenn sie dies nicht gemerkt hätten, zumal er verwundet war. Ich bin sehr überzeugt, daß es Feinde waren. Welche Feinde aber kann es hier geben?«

»Nur Beni Suef.«

»Gewiß! Was aber wollen sie hier, so in der Nähe Eures Lagers?«


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»Sollten sie zufällig hierher gekommen sein?«

»Zufällig? Kein Mensch kommt zufällig so nahe an ein wohlbekanntes, feindliches Lager. Da ist stets eine Absicht dabei.«

»Die wäre eine feindliche!«

»Gewiß. Reiten wir dahin, wo sie hergekommen sind. Vielleicht bekommen wir noch mehrere Anhaltepunkte.«

Er stieg wieder auf und jagte davon, immer der Fährte entgegen, die beiden Anderen ihm nach. Es dauerte auch gar nicht lange, so riß er sein Pferd in die Häksen zurück. Er hatte während des Galoppes den Blick stets am Boden gehalten und jetzt Etwas bemerkt. Aus dem Sattel springend, hob er es auf und hielt es den Beiden hin.

»Gehört das etwa dem Riesen?«

Es war eine Messerscheide, sehr kunstvoll in Eisen geschnitten. Gar nicht weit davon lag das Messer oder vielmehr der Dolch.

»Nein,« sagte Hilal, »der Riese hatte niemals ein solches Messer. Es muß einem der anderen Reiter gehört haben, und er hat es während des Rittes aus dem Gürtel verloren.«

»Hier,« sagte Steinbach, den Messergriff betrachtend, »ist ein Kuranspruch eingegraben und ein Name.«

»Wie lautet er?«

»Kurze Wehr und starke Faust ist besser als eine lange Waffe aber schwache Hand. Omram el Suefi.«

»Allah 'l Allah!« rief Hilal, und sein Bruder stimmte in diesen Ruf des Erstaunens mit ein.

»Kennt Ihr denn diesen Mann?«

»Ob wir ihn kennen! Omram el Suefi ist der Eidam des Scheiks der Beni Suef. Er ist der verschlagenste, listigste und auch verwegenste unsrer Feinde. Also er ist da gewesen!«

»Reiten wir weiter.«

Wieder ging es vorwärts, und bald wurde wieder gehalten. Steinbach untersuchte die Stelle. Dann erklärte er:

»Hier haben die Beni Suef gelagert, und da ist er auf sie gestoßen. Das scheint mir gar nicht weit von der Stelle zu sein, wo wir noch mit ihm sprachen. Jetzt ist Alles klar. Omram el Suefi reitet mit noch fünf Anderen um Euer Lager. Welchen Zweck hat er?«

»Zu spioniren!«

»Natürlich ist er als Kundschafter abgesandt worden. Wann aber sendet man Kundschafter?«

»Vor einem Kriegszuge.«

»Die Beni Suef haben also vor, Euch zu überfallen.«

»Bei Allah, wir werden sie empfangen!«

»Nicht so hitzig! Noch sind wir nicht fertig.

Diese sechs Reiter ritten Pferde, aber keine Kameele. Was folgt daraus?«


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Die beiden blickten ihn fragend an. Sie fanden die Antwort nicht. Hilal sagte endlich:

»Was soll daraus folgen? Sie hatten Pferde, aber keine Kameele. Darum haben sie sich auf die Pferde und nicht auf Kameele gesetzt.«

»Das ist sehr wahr aber nicht sehr scharfsinnig,« lachte Steinbach. »Ihr sagtet gestern, es sei zwei bis drei Tagereisen von hier bis zu den Weideplätzen der Beni Suef?«

»Das ist richtig.«

»Können Pferde einen solchen Ritt aushalten und dann des Nachts die Rückreise wieder antreten?«

»Nein, zumal es unterwegs kein Wasser giebt.«

»Aber ohne Wasser können die Pferde keinen Tag aushalten; darum - - -?«

»Darum?« fragte Tarik, da er die Antwort unmöglich zu finden vermochte.

»Darum,« fuhr Steinbach fort, »darum haben sie zwischen hier und ihren Weideplätzen Wasser.«

»Es giebt keine einzige Quelle da!«

»So kann man sich nur denken, daß sie Kameele mit Wasserschläuchen in der Nähe haben.«

Die beiden Brüder erschraken jetzt sichtlich.

»Kameele mit Wasserschläuchen in der Nähe!« rief Hilal. »Das könnte nur der Fall sein, wenn sie sich bereits zu dem Ueberfall unterwegs befänden!«

»Das wird wohl so sein. Sie sind unterwegs und haben die sechs Reiter als Kundschafter vorausgesandt, Euer Lager zu umschleichen.«

»Oh Allah! Und diese sind auf Falehd getroffen! Er brütet Rache! Er wird Alles thun, was gegen uns ihm möglich ist. Aber vielleicht irren wir uns doch!«

»Nein. Es ist so, wie ich vermuthe,« sagte Steinbach.

»Wie kannst Du dies so fest, so bestimmt behaupten? Du hast sie weder gesehen noch mit ihnen gesprochen. Du hast in dem Sande gelesen, als ob Worte in demselben geschrieben seien.«

»Das ist auch der Fall. Ich war Jahre lang in einem fernen Lande, wo es wilde Völker giebt, Indianer genannt. Dort ist man keinen Augenblick seines Lebens sicher; da lernt man im Grase, im Sande, in den Blättern der Bäume, in den Höhen und Tiefen, in den Stimmen der Vögel und im Brausen des Windes die Mahnungen lesen, welche ganz allein im Stande sind, den Bedrohten zu beschützen. Glaubt mir, was ich Euch sage: Die Beni Suef sind zu einem Ueberfalle unterwegs und haben diese sechs Reiter auf Kundschaft gesandt. Ich weiß dies so genau, als ob ich bei ihnen gewesen sei.«

»So müssen wir handeln, und zwar schnell handeln!«

»Zunächst rasch in das Lager zurück!«

Während sie nun wieder der Ruine entgegen flogen, theilten sie sich ihre Gedanken mit.


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»Die Hauptsache ist, den Feind auszukundschaften,« sagte Steinbach. »Das werde ich thun.«

»Du? Willst Du Dich für uns in Gefahr begeben?«

»Bin ich nicht Euer Gast? Ist nicht eine Gefahr, welche Euch droht, auch mir gefährlich?«

»Ja, Du bist ein Held. Du hast uns bereits errettet und errettest uns wieder. Aber allein kannst Du doch nicht reiten?«

»Nein, Ihr gebt mir einige gute Krieger mit.«

»Ich selbst reite mit!« sagte Tarik.

»Nein, Du bist der Scheik, der Anführer. Die Augen des ganzen Stammes ruhen auf Dir. Früher konntest Du als Kundschafter gehen, jetzt aber nicht mehr.«

»So nimm mich mit!« bat Hilal.

»Ja, Du magst mitgehen und noch drei Andere.«

»Dein Gefährte Normann Effendi?«

»Nein. Der muß bei Euch im Lager bleiben, um Euch schleunigst zu lehren, wie man mit den neuen Gewehren schießt.«

»Allah! Du hast Recht. O, nun mögen die Beni Suef kommen! Wir haben ja diese Gewehre.«

»Und sie ahnen davon nichts. Wie weit wohnen die anderen Ferkah Eures Stammes von Euch?«

Ferkah heißt Unterabtheilung.

»Die nächsten eine halbe Tagereise.«

»Sendet sofort Boten, welche die Krieger dieser Ferkah eiligst zu Eurer Hilfe aufbieten. Bis sie bei Euch ankommen, bin auch ich von meinem Kundschafterritte zurück, und dann wird sich leicht sagen lassen, was zu thun ist.«

»Nehmen wir Pferde zu unserm Ritte?« fragte Hilal.

»Nein. Wir wissen nicht, ob und wann wir Wasser finden. Wir müssen Kameele nehmen.«

»Die besten hat Suef, der Hund, uns entwendet. Er soll mir dafür büßen! Da sind wir angekommen. Ich will gleich die Kameele besorgen.«

»Ja. Und sagt allen Leuten, daß sie sich so ruhig wie möglich verhalten sollen, damit etwaige weitere Spione nicht von Weitem bemerken, daß wir uns vorbereiten.«

Es läßt sich denken, welche Aufregung die drei mit ihrer Botschaft hervorbrachten; diese legte sich aber sehr bald. Steinbachs ruhiges, überlegenes Wesen war von einer Wirkung, welche gar nicht glücklicher genannt werden konnte.

In kurzer Zeit ritten Boten um Hilfe fort, und Normann vertheilte die mitgebrachten Zündnadelgewehre an die geübteren Schützen. Er als früherer einjährig Freiwilliger und jetziger Reserveoffizier war ganz der Mann dazu, den Beduinen in so kurzer Zeit die unbekannte Waffe wenigstens handgerecht zu machen. Bevor er aber noch eigentlich hatte beginnen können, flogen Steinbach, Hilal und noch drei andere erfahrene Beduinen auf windesschnellen


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Laufkameelen in die Wüste hinaus und dem gefahrdrohenden Süden entgegen. Die kräftigen, langbeinigen Thiere trugen außer dem Reiter nichts als einen wohlgefüllten Wasserschlauch und einen kleinen Vorrath von Datteln.

Die Flüchtlinge waren mit den Beni Suef in der Nacht davongeritten; ihr einziges Bestreben war gewesen, einen möglichst großen Vorsprung zu erzielen. Sie hatten gar nicht daran gedacht und auch nicht daran denken können, ihre Spur zu verwischen oder wenigstens eine möglichst unauffällige zurückzulassen. Darum war es den Verfolgern leicht, ihnen genau auf der Fährte zu bleiben.

Zwar befindet sich der staubfreie Wüstensand, selbst wenn das menschliche Gefühl gar keinen Lufthauch zu empfinden vermeint, in immerwährender, ununterbrochener, leiser Bewegung; aber Löcher, welche ein weit ausgreifendes Eilkameel mit seinen großen Füßen in den Sand reißt, werden binnen einer halben Nacht nicht wieder verweht, wenn es nicht einen wirklichen Wind giebt.

Es gab nichts zwischen den fünf Reitern zu sprechen. Was sie jetzt wissen konnten, das wußten sie; alles Andere wollten sie ja erst erfahren, und so flogen sie schweigend neben und hinter einander dahin, jetzt nur bemüht, alles Auffällige sofort bereits am Horizonte zu bemerken. Eine Hauptaufgabe war es ja, daß sie sahen, ohne selbst gesehen zu werden.

So ging es fort und immer fort. Es wurde Mittag und Nachmittag. Nur ein einziges Mal hatte man den Thieren eine fünf Minuten lange Ruhe gegönnt, um ihnen einige Schlucke Wassers zu geben; dann war es in ganz derselben Eile wieder weiter gegangen.

Um die Mitte des Nachmittages stieg Steinbach wieder einmal ab, um die Fährte zu untersuchen. Er nickte befriedigt vor sich hin und sagte:

»Wenn wir wollten, könnten wir sie in einer Stunde einholen.«

»Unmöglich!« antwortete Hilal ungläubig.

»Ganz gewiß.«

»Dann drauf, Effendi!«

»Du scherzest!«

»Es ist mein Ernst. Ich glaube doch nicht, daß Du Dich vor sechs Beni Suef, dem Riesen und den Flüchtlingen fürchtest! Dazu kenne ich Dich zu gut.«

»Das will ich denken. Was haben wir davon, wenn wir sie niederschießen?«

»Gerächt haben wir uns!«

»Die Andern aber bleiben!«

»Ah! Du hast Recht. Sie dürfen nicht ahnen, daß wir um ihren Plan wissen. Sie kommen, und wir empfangen sie. Aber sind wir ihnen denn wirklich so sehr nahe?«

»Ja. Ich erkenne es aus der Gestalt der Spuren. Siehe hier einmal die Pferdespuren! Sie sind nicht mehr scharf wie früher; der Tritt ist unsicher geworden. Die Thiere sind sehr müde. Da! Halt!«


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Er deutete vor sich hin, hinaus nach dem Horizonte, wo gerade jetzt eine Reihe kleiner Punkte erschien.

»Das sind sie!« rief Hilal.

»Ja. Unsere Thiere mögen sich für einige Minuten niederlegen, damit wir nicht gesehen werden.«

Diese Vorsichtsmaßregel wurde befolgt, und sodann ging es weiter. Aber bereits nach kurzer Zeit waren sie den Verfolgten wieder so nahe gekommen, wie vorher. Diese Letzteren schienen jetzt nur langsam zu reiten und hatten auch eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Hilal schüttelte den Kopf und sagte:

»Es scheint fast, als ob sie da rechts hinüber nach dem Ferß el Hadschar wollten.«

»Was ist das?«

»Ein eingestürztes Gebirge, ohne Baum und Strauch und Wasser.«

»Aber Verstecke giebt es da?«

»Mehr als genug für tausend Mann.«

»Nun, was wollen wir da mehr? So wissen wie ja gleich, wo wir sie zu suchen haben. Sie sind im Ferß el Hadschar. Wasser haben sie sich auf ihren Kameelen mitgebracht; da leiden sie keine Noth. Wenn mir nur die Gegend bekannt wäre; da wollte ich sie belauschen!«

»Ich will sie Dir abzeichnen.«

Hilal stieg ab und zeichnete mit dem Kameelsstabe im Sande. Steinbach dachte eine kleine Weile nach; dann fragte er:

»Wie weit haben wir noch bis hin?«

»Wir würden leicht noch vor Sonnenuntergang dort sein, wenn wir nicht noch langsamer reiten müßten als Die da vorn.«

»Nun, das paßt; das paßt ganz ausgezeichnet! Wir schlagen einen Bogen, um von einer anderen Seite an den Ferß el Radschar zu kommen, von welcher her sie nichts Feindseliges erwarten können. Kennt Ihr das Felsgewirr in seiner ganzen Ausdehnung?«

»Nein. Es giebt Stellen, wohin noch kein Mensch gelangt ist.«

»Und so habt Ihr auch keine Ahnung, wo ungefähr die Beni Suef zu finden sein werden?«

»Nein.«

»Nun, ich hoffe trotzdem, daß unser Ritt nicht ein vergeblicher sein werde.«

Hilal machte ein sehr nachdenkliches Gesicht und sagte:

»Vielleicht ist er dennoch vergeblich. Nur die Spur, welcher wir bisher gefolgt sind, kann uns zu ihnen führen. Wenn wir sie verlassen, können wir sie im Finstern nicht wieder auffinden. Aber Du bist in jenem Lande gewesen, von welchem Du heute erzähltest, wo vom richtigen Verständnisse einer Fährte das Leben abhängt. Vielleicht vermagst Du auch im Dunkel die Tapfen der Kameele zu erkennen und zu verfolgen.«

»Mein Auge ist durch die viele Uebung allerdings sehr geschärft; aber ich bin auch nur ein Mensch. Wie eine Katze oder ein Panther vermag ich in


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der Nacht nicht zu sehen, doch hoffe ich, daß mir die Verfolgten nicht entgehen werden. Wir müssen vor allen Dingen verhüten, gesehen zu werden, denn sobald sie uns bemerken, ist nicht nur unsere Absicht vereitelt, sondern wir begeben uns sogar in persönliche Gefahr, da wir so Wenige gegen so Viele sind.«

»O, sie mögen nur kommen!«

»Das sagt Dein Muth. Wenn aber der Muth nicht mit der nöthigen Vorsicht gepaart ist, so wird er leicht verderblich. Wir mögen noch so tapfer sein und noch so gut bewaffnet, gegen Hunderte, wie sie uns gegenüber stehen werden, vermögen wir nichts. Was diese Fährte betrifft, so will ich Dich fragen, ob Du den Entflohenen wohl zutraust, daß sie einen Umweg machen?«

»Nein, ganz gewiß nicht.«

»Das denke ich auch. Ich meine, daß sie gerade auf ihr Ziel zureiten werden. Seit zwei Stunden hat die Fährte eine schnurgerade Linie gebildet, und ich bin überzeugt, daß diese Linie ganz bestimmt zu dem Orte weist, an welchem sich die Beni Suef befinden.«

»Du bist sehr scharfsinnig; ich gebe Dir Recht.«

»Nun laß Deinen Blick einmal ganz gerade dieser Richtung folgen. Was siehst Du da?«

»Ich sehe nur die Massen der Felsen, welche sich am Horizonte emporthürmen.«

»Das ist der Ferß el Hadschar also. Ich will sehen, ob sich nicht vielleicht eine Einzelheit unterscheiden läßt, nach welcher wir uns richten können.«

Er zog sein Fernrohr hervor und hielt es einige Augenblicke lang an das Auge. Dann sagte er:

»Ganz gerade in der Richtung, in welche die Fährte führt, liegen nahe an einander zwei einzelne hohe und ziemlich schmale Felsen, welche fast das Aussehen von Säulen haben. Kennst Du sie?«

»Laß mich einmal durch das Rohr blicken.«

Er erhielt es. Da er aber im Gebrauche eines Telescops ein Neuling war, fiel es ihm nicht leicht, die erwähnten Felsen zu fixiren. Als es ihm endlich gelungen war, sagte er:

»Ich kenne sie. Es sind die Benat el Hawa.«

»Benat el Hawa, also die Töchter der Stürme. Warum nennt man diese Felsen so?«

»Weil sie von den Stürmen von dem Gebirge herabgeworfen und dort hingestellt worden sind.«

»Ich erkläre mir ihre Entstehung anders, doch ist das Nebensache. Hauptsache ist aber, daß sie uns einen festen Anhaltepunkt geben. Da Diejenigen, welche wir verfolgen, auf diese Töchter der Stürme zureiten, werden wir bei den Felsen jedenfalls ihre Spuren wiederfinden können. Ich bin überzeugt, daß wir jetzt ohne Besorgniß unsere Richtung ändern können. Laßt uns dies also thun.«

Sie schlugen nach dieser Unterredung einen Bogen, welcher sie mehr nach links, also nach Ost führte. Dabei mußten die Kameele alle ihre Schnellig-


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keit entfalten. Daher kam es, daß die Reiter bereits vor Sonnenuntergang sich auf gleicher Höhe mit dem Ferß ei Hadschar befanden, nur Etwas links von demselben. Jetzt wendeten sie scharf nach rechts um, gerade auf die Felsen zu. Als sie dieselben erreichten, ritt Steinbach eine kurze Strecke in das Gewirr hinein und ließ dann halten. Sie befanden sich an einer Stelle, welche rings von Trümmerhaufen umgeben war und ihnen Sicherheit bot, nicht so leicht gesehen zu werden. Die Anderen folgten dem Beispiele des Deutschen; sie ließen ihre Thiere niederknieen und stiegen von den hohen Sitzen herab.

»Wollen wir hier lagern?« fragte Hilal.

»Wir Beide nicht, sondern nur die Andern.«

»Was aber thun wir?«

»Wir gehen nun zwischen diesen Felsenmassen weiter, bis zu den beiden Töchtern der Stürme hin. Nach meiner Berechnung erreichen wir sie noch vor Einbruch der Dunkelheit. Da werden wir die Spuren sehen und ihnen folgen, bis wir die Gesuchten finden.«

»Warum wir Beide allein?«

»Meinst Du, daß wir uns auf diesem Terrain der Kameele bedienen können?«

»Nein. Einer genügt aber, bei ihnen zurückzubleiben.«

»Die Anderen würden uns nur hinderlich sein. Wir Zwei werden weniger leicht gesehen, als wenn wir zu Fünfen gehen. Und bemerkt man uns, so können Zwei sich leichter verbergen und leichter entkommen als Mehrere.«

»Wenn man aber während unserer Abwesenheit diese Drei hier entdeckt, so sind sie verloren und wir mit ihnen. Wir haben keine Thiere, um zu entkommen.«

»Man wird sie nicht entdecken, wenn sie klug und vorsichtig sind. Einer von ihnen, aber auch nur Einer, mag hier auf den Felsen steigen und sich da im Geröll verstecken. Er kann die ganze Gegend überblicken und ist also im Stande, zu warnen. Kommt Jemand nahe vorüber, so mögen sie sich ruhig verhalten. Werden sie aber entdeckt, so mögen sie fliehen, nach verschiedenen Richtungen, damit es schwer ist, sie zu verfolgen. Um Mitternacht dann kehren sie nach hier zurück, um uns abzuholen. Ihre Thiere sind noch schnell genug, zu entkommen, und wenn es einmal Nacht geworden ist, so dürfte es schwer oder gar unmöglich sein, sie hier zu entdecken und dann zu verfolgen.«

Nachdem er den Zurückbleibenden noch einige specielle Instructionen ertheilt hatte, brach er mit Hilal auf.

Der Weg, welchem sie zu folgen hatten, führte zwischen Trümmern hin und war so mit größeren und kleineren Felsstücken bestreut, daß es nicht leicht war, schnell vorwärts zu kommen, zumal sie bei jeder Felsenecke sich erst überzeugen mußten, daß nicht etwa ein Feind sich hinter derselben befinde.

Dennoch erreichten sie die beiden Schwestern der Stürme noch ehe es Nacht wurde. Als sie den ersten dieser zwei Felsen erreichten, hatte der Sonnenball eben sich hinter den Horizont hinabgesenkt. Das war die Zeit des Abendgebetes, und Hilal kniete trotz der gefährlichen Lage, in welcher sie sich


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befanden, nieder, um seine Andacht zu verrichten. Er that dies aber jetzt nicht laut, sondern, den Umständen angemessen, leise. Dann setzten sie ihren Weg fort, um den zweiten Felsen zu erreichen.

Von Weitem hatte es geschienen, als ob die beiden Schwestern ganz nahe bei einander ständen; jetzt aber zeigte es sich, daß sie wohl dreiviertel Kilometer weit aus einander lagen.

Die beiden Kundschafter schritten hinter einander her, Steinbach voran. Er suchte hinter jedem Felsblock Deckung, um ja nicht etwa bemerkt zu werden. Noch hatte er die zweite Schwester nicht erreicht, so deutete er auf den Boden.

»Siehst Du es! Hier sind die Spuren; ich hatte also Recht. Sie laufen hier nach links schnurgerade in die Felsen hinein. Schwenken wir also ab, um ihnen zu folgen!«

»Man wird uns bemerken. Gerade hier öffnen die Steine einen Weg, indem sie weiter aus einander treten.«

»Wir folgen ihm natürlich nicht direct, sondern zur Seite, hinter Steinen verborgen.«

Sie bemühten sich, keine Spur zu erzeugen. Immer von Weitem die Fährte im Auge behaltend, schlichen sie in südlicher Richtung immer tiefer in das Steingewirr hinein. Plötzlich blieb der vorangehende Steinbach stehen, gab einen Wink und flüsterte:

»Horch! Hörtest Du Etwas?«

»Ja. Das Bret eines Mueddin.«

Beide lauschten angestrengt, und wirklich, da ertönte wie aus einer anderen Welt herüber durch die tiefe Stille der Steinwüste die klare, sonore Stimme des Ausrufers:

»Ïa el Moslemin, haï el sallah - auf, Ihr Gläubigen, rüstet Euch zum Gebete!«

»Sie sind hier!« sagte Hilal, vorwärts deutend.

»Ja, aber in ziemlicher Entfernung. Wir werden also nun unsere Vorsicht verdoppeln müssen.«

»Sie beten zu spät. Sie konnten hier in Mitten der Felsen nicht sehen, wann die Sonne sich in das Sandmeer taucht. Allah wird also ihr Gebet nicht erhören; er liebt die Pünktlichkeit.«

Steinbach mußte über die Naivität des frommen Jünglings lächeln, sagte aber kein Wort. Aus der Ferne drang ein tiefer, dumpfer Ton zu ihnen, wie das Rauschen eines Wassers.

»Sie beten,« flüsterte Hilal. »Wie unvorsichtig! Damit zeigen sie uns den Weg. Auf einem Kriegszuge muß man jeden Lärm vermeiden.«

»Daß sie dies unterlassen, beweist, daß sie sich ganz sicher meinen. Gehen wir weiter!«

Es wurde dunkler. Dies aber war den Beiden lieb. Sie brauchten jetzt die Spuren nicht mehr zu lesen; sie wußten ja, in welcher Richtung und in welcher ungefähren Entfernung die Gesuchten zu finden seien.


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Noch waren sie nicht weit fort gekommen, da stand Steinbach in Begriff, um einen Felsen zu biegen, prallte aber blitzschnell wieder zurück.

"Was giebt es?" flüsterte Hilal.

»Was giebt es?« flüsterte Hilal.

»Zwei Männer. Fast hätten sie mich gesehen!«

»Kommen sie?«

»Nein. Sie stehen da vorn, jenseits des freien Plätzchens, welches hinter diesem Felsen beginnt.«

»Laß mich einmal nachschauen!«

Hilal legte sich auf den Boden und kroch langsam vor, so weit, daß er sehen konnte, ohne selbst erblickt zu werden. Da blieb er eine kurze Zeit lang unbeweglich liegen, die Augen scharf auf die Männer gerichtet. Dann zog er sich zurück.

»Es sind natürlich feindliche Beni Suef?« fragte Steinbach.

»Ja. Ich kenne Beide genau.«

Steinbach hörte aus dem Tone der letzten Worte, daß er da keine unbedeutenden Leute vor sich habe. Auf seine darauf gerichtete Frage antwortete Hilal:

»Es ist der Scheik der Suef und sein Eidam Omram.«

»Dessen Messer wir gefunden haben?«

»Ja, Herr.«

»Die muß ich mir natürlich ansehen.«

Er legte sich, ganz ebenso wie vorher Hilal, auf den Boden nieder, betrachtete sich die Beiden, kam aber ganz plötzlich mit einer hastigen Bewegung wieder zurück und sagte, sich suchend umblickend:

»Sie kommen langsam näher.«

»Fliehen wir?«

»Nein. Schnell zwischen jene Steine! Sie werden da doch nicht etwa hineinblicken! Aber hüte Dich um Allahs willen, ein Geräusch zu verursachen!«

Sie waren an einem Felsen vorübergekommen, an welchen ein zweiter, halb umgefallener lehnte, so daß zwischen Beiden eine Oeffnung war, welche allerdings als Versteck zu dienen vermochte. Im nächsten Augenblicke kauerten die zwei Männer da drin die Gewehre eng an sich gezogen. Das Loch war gerade groß genug, sie vollständig zu verbergen.

Jetzt ließen sich Schritte vernehmen. Die beiden Beni Suef kamen herbei.

»Wenn sie uns bemerken!« raunte Hilal dem Deutschen zu, unwillkürlich sein Gewehr bewegend.

»Pst! Nicht schießen; im Nothfall nur das Messer gebrauchen!«

Gerade vor dem Versteck hielten die Feinde ihre Schritte an, um ihr Gespräch fortzusetzen.

»Also meinst Du, daß wir Wachen ausstellen?« fragte der Scheik.

»Ja. Ich bin überzeugt, daß sie kommen.«

»Ich bezweifle es. Sie wissen doch von uns gar nichts.«

»Aber sie werden den Russen und den Türken verfolgen. Dabei stoßen sie auf unsere Fährte.«


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»Glaube das nicht! Sie werden sich freuen, die Beiden los geworden zu sein.«

»Die Beni Sallah, ja. Aber der Fremde, von welchem der Riese erzählte, wird ihnen ganz sicher folgen.«

»Auch ihm wird es nicht einfallen. Der Riese ist besiegt worden und der Stamm hat einen neuen Scheik erhalten. Das giebt große Feste. Dazu die Hochzeit zwischen der Königin und diesem verdammten Knaben, dem Tarik. Sie kann zwar erst später gefeiert werden; aber es müssen doch Vorbereitungen getroffen werden. Da wird Niemand daran denken, den beiden Genannten nachzureiten. Das glaube mir! Ich bin älter und erfahrener als Du.«

»Ja, Du bist erfahrener, und Du bist der Scheik. Darum will ich nicht mit Dir streiten. Aber einen Wachtposten könntest Du doch an die beiden Töchter des Sturmes stellen. Es ist auf alle Fälle besser.«

»Nun, wenn es Dich beruhigt, werde ich es thun. Dazu ist aber noch Zeit. Es wird Nacht, und da ist es diesen Beni Sallah unmöglich, Eure Spuren zu sehen. Kommen sie wirklich, so kommen sie mit Tagesanbruch, und da werden wir sie empfangen.«

»Was wirst Du mit Falehd, dem Riesen thun?«

»Wir müssen ihm das Wort, welches Du ihm gegeben hast, nicht halten, denn nach Allem, was ich vernommen habe, ist er ein Ausgewiesener, ein Ehrloser.«

»Ja. Er erzählt es freilich nicht; aber er ist besiegt worden und hat um Gnade gebeten. Wollen wir ihn da in unseren Stamm aufnehmen?«

»Nein; er würde uns schänden.«

»So erhält er auch keine Beute?«

»Nichts, gar nichts. Und wenn er sich einbildet, die Königin oder deren Schwester zum Weibe zu erhalten, so irrt er sich sehr. Wir benutzen ihn, um zu erfahren, was wir wissen müssen, und dann jagen wir ihn fort. Dieser Mensch hat übrigens eine Zähigkeit wie ein wildes Thier. Die Augenwunde würde es einem Jeden unmöglich machen, einen solchen Ritt zu unternehmen; er aber will sogar den Ueberfall mitmachen. Ich habe Dir gewinkt, Dich mit mir zu entfernen. Ich wollte mit Dir berathen, und was wir besprachen, braucht einstweilen kein Anderer zu wissen.«

»Was hast Du mit dem Türken und Russen vor?«

»Sie sind Feinde des Vicekönigs, also unsere Freunde. Ich habe ihnen Salz und Brod gegeben; sie sind also unsere Gäste, so lange sie wollen. Sie sagen, daß sie Offiziere seien; sie können uns also bei dem Ueberfalle der Beni Sallah von großem Nutzen sein.«

»Ich bin damit sehr einverstanden, obwohl ich ihnen eine große Tapferkeit nicht zutraue.«

»Der Tapferkeit braucht es hierbei gar nicht. Wir sind sechshundert Krieger und werden so plötzlich über den Feind herfallen, daß ein Kampf gar nicht stattfinden wird. Jeder wird getödtet, so bald er aus seinem Zelte tritt.«


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»Hund von einem Henker!« flüsterte Hilal hinter dem Steine. »Feiger Mord, nichts weiter!«

»Wenn uns dies so gelingt, wie Du denkst, so will ich es loben,« meinte Omram.

»Warum soll es nicht gelingen?«

»Ich denke da unwillkürlich an den Deutschen. Der Riese flucht ihm, und die beiden Anderen thun dies auch. Sie geben ihm alle möglichen Schimpfnamen; aber gerade aus der Wuth, mit welcher sie von ihm sprechen, schließe ich, daß er ein tüchtiger Mann sein mag.«

»Er mag sein, was und wie er will, er wird uns in die Hände fallen.«

»Willst Du ihn tödten?«

»Ich nicht. Wenn er mein Gefangener wird, schneide ich ihm den Bart und die Ohren ab und schicke ihn zu seinem Freunde, dem Vicekönig, zurück. Aber der Riese hat geschworen, sich an ihm zu rächen; er wird der Erste sein, der sich an ihn macht; es scheint mir also, daß das Leben dieses Deutschen keinen Dattelkern mehr werth ist. Er wird sterben müssen.«

»So erhält also der Pascha das Mädchen zurück, welches man ihm abgenommen hat. Wann aber soll der Ueberfall stattfinden? Doch während der Nacht?«

»Nein. Ich werde eine viel bessere Zeit wählen.«

»Welche könnte besser sein als die Nacht? Oder hättest Du die Absicht, am hellen Tage anzugreifen?«

»Nein, das würde Vielen von uns das Leben kosten. Aber mitten in der finsteren Nacht werde ich es auch nicht thun. Dabei giebt es eine Verwirrung, bei welcher wir selbst großen Schaden leiden können. Wir schießen auf uns selbst; die Feinde können uns unbemerkt entkommen und entfliehen, und gerade unsere beste Beute können wir verderben.«

»Du hast Recht. So meinst Du also vielleicht die Zeit des Morgenanbruches?«

»Ja. Um diese Zeit schläft man am Festesten. Ueberdies feiern jetzt die Beni Sallah ihre Feste. Sie legen sich also spät nieder und werden bei der Dämmerung so ermüdet sein, daß wir sie niederstechen können, ehe es ihnen möglich ist, sich vom Lager zu erheben.«

»Hund!« knirrschte Hilal leise.

»So brauchen wir auch nicht zeitig aufzubrechen,« meinte Omram, der Eidam des Scheiks.

»Nein. Wir ziehen morgen um die Mittagszeit von hier fort, geradewegs auf das Lager des Feindes zu. Einen halben Stundenritt vor demselben halten wir an, um uns auszuruhen. Dann eine Stunde vor Morgens gehen wir zum Kampf.«

»Gehen? Nicht reiten?«

»Nein. Unsere Thiere sind uns bei dem Ueberfalle doch nur hinderlich. Sie werden uns von den fünfzig Männern, welche wir bei ihnen zurücklassen, nachgebracht werden. Oh Allah, welche Beute werden wir machen!«


Ende der siebenundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Deutsche Herzen - Deutsche Helden

Karl May – Forschung und Werk