Lieferung 24

Karl May

29. Mai 1886

Deutsche Herzen, deutsche Helden.

Vom Verfasser des »Waldröschen« und »der Fürst des Elends«.


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gerichtet, kam er abermals herauf. Tarik ließ ihn nicht direct zu der Königin, sondern er meldete ihn.

»Was wird er wollen?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht. Er hat es mir nicht gesagt und ich frage ihn natürlich nicht.«

»Sind unsere beiden Gäste wach, oder schlafen sie noch?«

»Sie sind längst schon wach. Sie wollten spazieren reiten und ich habe ihnen Deine zwei Stuten gegeben. Soll Falehd zu Dir kommen?«

»Ja. Aber bleibe auch Du mit da.«

Er ging nach der Treppe, um ihn zu holen und kehrte mit ihm zurück. Der Riese machte darüber ein höchst grimmiges Gesicht. Er maß den Sohn des Blitzes mit verächtlichem Blicke und sagte zu Badija:

»Ich wollte mir Dir sprechen.«

»So sprich!«

»Meinst du, daß ich auch mit Diesem da sprechen will?«

»Das brauchst Du nicht.«

»Soll er etwa hören, was ich rede?«

»Warum sollte er es nicht hören dürfen?«

»Weil ich nicht gewöhnt bin, Lauscher in meiner Nähe zu dulden.«

»Ist das, was Du mir zu sagen hast, eine Bosheit?«

»Nein.«

»So brauchst Du Dich auch nicht zu schämen, es hören zu lassen. Also sprich!«

»Vor den Ohren dieses Mannes nicht.«

»So willst Du also wieder fortgehen? Ich habe Dir nichts zu befehlen. Du kannst thun, was Du willst.«

Sie wendete sich ab; er aber sagte zornig:

»Bei Allah, es kommt mir vor, als ob Ihr ein lächerliches Spiel mit mir treiben wolltet. Laßt Euch das ja vergehen. Ich bin nicht der Mann dazu. Ich komme, um zu fragen, wo die beiden Fremden sind.«

»Warum fragst Du?«

»Weil ich es wissen will, natürlich!«

Er sagte das in grobem, drohendem Tone. Sie sah ihm kalt und unerschrocken in die Augen und antwortete:

»Mußt Du es etwa wissen?«

»Ja.«

»Warum?«

»Hölle und Teufel! Bin ich etwa ein Knabe, daß Du mich in dieser Weise ausfragst?«

»Bist Du etwa mein Gebieter und bin ich etwa Deine Sclavin, daß Du es wagst, in diesem Tone mit mir zu verkehren? Die Fremden sind meine Gäste und nicht die Deinigen. Du hast Dich gar nicht um sie zu kümmern.«

»Oho! Ich habe mit dem Einen zu kämpfen!«


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»Was thut das?«

»Er ist fort. Wenn die Zeit des Kampfes kommt, wird er fehlen.«

»So sei froh, denn dann wird es Dir erspart sein, von ihm besiegt zu werden.«

»Von ihm? Ich will Dir auf diese Worte gar nicht antworten. Aber diese beiden Männer haben unsere besten Stuten mitgenommen.«

»Unsere? Es sind die meinigen.«

»Diejenigen meines Bruders!«

»Er ist todt.«

»Und ich bin sein Erbe.«

»Noch nicht. Jetzt gehören die Pferde mir. Ich thue mit ihnen, was mir beliebt.«

»Sie gehören nicht allein Dir, sondern dem ganzen Stamme. Solche Pferde zu besitzen ist eine Ehre für den ganzen Stamm, und diese Ehre hat man sich zu erhalten. Wer weiß, wohin die Beiden sind!«

»Allah weiß es!«

»Vielleicht reiten sie mit den Stuten davon und bringen sie nicht wieder.«

»So geht es doch Dich nichts an.«

»Du vergissest wieder, daß sie mein späteres Eigenthum sind!«

»Und Du vergissest immer wieder, daß ich Dein Weib noch nicht bin und es auch nie sein werde.«

»Wer will Dich mir nehmen?« lachte er höhnisch auf. »In einigen Stunden sind wir fertig.«

»So will ich Dir geradezu sagen, daß ich Dich nicht mag. Du bist mir widerlich und verhaßt. Deine Rohheit und Heimtücke stoßen so ab, daß man, wenn Du Einem nahst, das Gefühl hat, als ob man sich in der Nähe einer Viper oder eines Scorpions befinde. Wenn Du klug bist, so giebst Du mich auf!«

Er zögerte mit der Antwort. Er kreuzte die Arme über der Brust, fixirte sie mit stechenden Augen und sagte dann im höhnischsten Tone:

»Du bist sehr aufrichtig! Also Du hassest mich?«

»Ja.«

»Und damit meinst Du mir etwas Neues zu sagen? Thörichtes Weib! Damit spornst Du nur meinen Widerstand an! Deinen guten Rath, Dich aufzugeben, kannst Du für Dich behalten. Nun strecke ich erst recht die Hand nach Dir aus. Ich werde Dir zeigen, wie man ein widerstrebendes Weib zum Gehorsam zwingt. Deine Liebe brauche ich nicht, ich werde Dich nehmen, so wie Du bist, und werde mit Dir machen, was ich will!«

»Bilde Dir das nicht ein. Noch bist Du nicht als Sieger aus dem Kampfe hervorgegangen.«

»Pah!«

»Und selbst dann, wenn Du siegtest, würdest Du mich nicht erlangen. Wenn Du es wagen solltest, mich zu berühren, würde ich Dich auf der Stelle tödten.«


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»Wahnsinn!«

»Ich sage es und halte es!«

»Mit einem Griffe meiner Hand zermalme ich Dich. Wie könntest Du mir, Deinem Herrn, widerstehen!«

»Mit diesem hier.«

Sie griff in die Tasche und zog einen winzigen Revolver von wunderbar feiner und schöner Arbeit hervor. Er gehörte zu den Geschenken, welche ihr Steinbach überbracht hatte. Sie richtete den dünnen aber trotzdem höchst gefährlichen Lauf auf den Riesen. Dieser sprang schnell zurück und rief:

»Weib, willst Du etwa schießen?«

»Nein, ich will Dir nur zeigen, was ich thun würde, wenn Du mich anrührtest.«

»Von wem hast Du diese Waffe?«

»Das geht Dich auch nichts an.«

»Ich habe sie noch nie bei Dir gesehen. Ah, die Fremden werden sie Dir gebracht haben. Sie sollen ihren Lohn erhalten. Aber nimm das Ding weg! Es könnte losgehen!«

»Ja,« lächelte sie überlegen, »Du geberdest Dich wie ein Held, bist aber doch ein großer Feigling. Allah hat Dir eine große Körperkraft verliehen, auf welche Du pochst. Da aber, wo diese Kraft Dir nichts nützen kann, da ist es mit diesem Muth zu Ende. Du bist der Riese Falehd und zitterst doch vor dieser kleinen Waffe. Schäme Dich!«

»Ich lasse Dich sprechen, denn ich werde dafür sorgen, daß Deine Zunge und Dein giftiger Stachel später unschädlich werden. Du bist eine schöne Spinne, weiter nichts, aber die Schönheit der Spinne wird nicht bewundert, sondern verabscheut. Ich gehe jetzt, indem ich über Dich lache. Heut Abend bereits wirst Du ganz anders sprechen; dann bin ich der Herr, und Du bist die Sclavin. Diejenigen aber, von Denen Du Deine Rettung erhoffst, werden mit zermalmten Knochen unter dem Sande liegen, um der Hölle und ewigen Verdammniß entgegen zu warten!«

Er ging. Tarik blickte ihm finster nach und sagte:

»Allah scheint mir viel Kraft, mich zu beherrschen, gegeben zu haben, sonst hätte ich diesem Kerl das Messer zwischen die Rippen gestoßen. Ich habe geschwiegen, weil ich ganz genau weiß, daß um die Mittagszeit seine letzte Stunde geschlagen hat.«

Seine Augen leuchteten dabei in einer Siegesfreudigkeit auf, welcher ein Unterliegen gar nicht möglich schien. Er stand allein bei Badija, da Hiluja sich entfernt hatte, als der Riese gekommen war. Sie hatte nicht neugierig erscheinen wollen. Die Königin bemerkte den Blick des Geliebten. Sie sagte in gedämpftem, fast traurigem Tone:

»Ich kann dieses Bewußtsein nicht theilen.«

»O, ich weiß gewiß, daß er mir nicht widerstehen kann. Seine Kraft reicht nicht an die meinige.«

»Oh! Seit wann bist Du denn so stark geworden?«


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»Seit - - gestern Abend. Weißt Du, Badija?« flüsterte er ihr in liebevollem Tone zu.

»Macht denn die Liebe so stark?« fragte sie erröthend.

»Ja, sie macht unüberwindlich. Ich fühle es.«

»Aber Masr-Effendi kommt vor Dir!«

»Was ändert das?«

»Wenn er ja siegen sollte, so gehöre ich ihm.«

»Er ist ein edelmüthiger Mann, und Allah kennt unsere Liebe. Er wird Alles zum Besten wenden.«

Da kehrte Hiluja zurück und meldete:

»Kommt einmal mit auf die andere Seite. Ich sah dort, weit draußen, einen Reiter, welcher in größter Eile auf das Lager zugesprengt kommt.«

Sie folgten ihr und erblickten den Genannten.

»Wer mag das sein?« fragte die Königin. »So schnell reitet nur ein Eilbote.«

»Ich kenne ihn,« antwortete Tarik in besorgtem Tone. »Es ist Masr-Effendi. Er reitet so schnell, daß Ihr in einer Minute sein Gesicht erkennen werdet.«

»O Allah! Wenn er es wirklich ist, so ist irgend ein Unglück geschehen. Wo mag sein Gefährte sein!«

»Das werden wir bald hören.«

Steinbachs Pferd warf die Entfernung förmlich hinter sich. In einer Minute war er deutlich zu erkennen, und in noch einer halben sprang er unten aus dem Sattel und kam die Stufen herauf.

»Ist's ein Unglück?« rief ihm Tarik bereits von Weitem aus lauter Besorgniß entgegen.

»Nein, sondern eine frohe Botschaft.«

»Allah sei Dank! Komm schnell zu uns.«

»Es sah allerdings zuerst wie ein Unglück aus,« erklärte Steinbach, »doch hat es sich über alle Erwartung sehr schnell zum Guten gewendet.«

»Wo ist Dein Gefährte?«

»Noch weit da draußen. Er wird bald kommen. Man wollte uns gefangen nehmen. Ich komme, um Euch zu melden, daß Ihr viele Gäste empfangen werdet.«

»Heut! Gerade heut!« sagte Tarik. »Da können sie uns nicht willkommen sein.«

»O, Ihr werdet sie im Gegentheile mit Jubel empfangen.«

»Wer könnte das sein? Sage es!«

»Ihr sollt es errathen. Wir sahen von Weitem eine Karawane und ritten hinzu. Als wir so nahe waren, daß man uns deutlich sehen konnte, kam eine ganze Anzahl Reiter herbei, um uns zu umzingeln. Sie hatten die Absicht, uns gefangen zu nehmen.«


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»Waren sie denn von einem feindlichen Stamme, da sie das thun wollten?«

»Nein, aber sie hielten uns für Pferdediebe.«

»Ah,« lachte Tarik. »Sie haben die Stuten erkannt und geglaubt, daß Ihr sie gestohlen hättet. Sie gehören also einem in der Nähe wohnenden Stamme an.«

»Meinst Du? Sie hatten kein einziges Pferd. Sie ritten nur Kameele.«

»Das ist ein Zeichen, daß sie sehr weit herkommen. Wie aber ist es da möglich, daß sie unsere Pferde kennen?«

Steinbach antwortete unter einem forschenden Blicke, den er auf die beiden Schwestern warf:

»Sie sagten, die Pferde seien bei ihnen geboren und aufgezogen worden.«

Da stießen Badija und Hiluja zugleich einen lauten Freudenschrei aus, und ebenso vereint fragten sie:

»So sind es Beni Abbas?«

»Ja.«

»Hamdulillah! Preis sei Gott! Boten unseres Vaters! Ja, ja, Du hast sehr Recht. Sie werden uns hochwillkommen sein. Sind sie noch weit von hier?«

»Soeben meinte ich, daß sie noch weit zurück seien; aber sie müssen mir sehr schnell gefolgt sein, denn da draußen am Horizonte sehe ich einen weißen Punkt. Das ist der Sonnenstrahl, den ihre weißen Burnus zurückwerfen. Sie kommen. Euer Vater hatte gehört, daß Hiluja ermordet worden sei. Er hat ihren vermeintlichen Tod an den Tuareg gerächt, und nun - -«

»Nun sendet er mir Boten, um mich von dem Tode der Schwester zu benachrichtigen?« fragte die Königin.

»Er hat solche Sehnsucht gehabt, die einzige Tochter noch einmal zu sehen, die ihm nach dem Tode Hilujas übrig geblieben war, daß - - daß - - daß - -«

»Daß - - sprich doch weiter!«

»Rathe es doch lieber.«

»Daß er selbst gekommen ist?«

Die beiden Schwestern hatten seine Arme erfaßt, die Eine hüben und die Andere drüben. Er blickte abwechselnd herüber und hinüber in ihre vor Entzücken gerötheten Angesichter, nickte lächelnd und antwortete:

»Ja, er kommt selbst.«

»Herrlich, herrlich!« rief die Königin, indem sie ihr Gewand raffte, ein Wenig empor hob und ganz uneingedenk ihrer Würde die steilen Stufen hinuntersprang.

»Allah, Allah! Welch eine Freude! Welch Entzücken!« rief auch und zwar zu gleicher Zeit Hiluja, indem sie schnell wie der Wind ihrer Schwester nacheilte.


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Steinbach blickte ihnen nach. Er sah sie nach dem Platze laufen, an welchem die Pferde standen. Alle, denen sie begegneten, blieben stehen, verwundert über dieses Gebahren.

»Khawam, Khawam! El Fantasia! Schnell, schnell! Eine Fantasia! Es kommen Gäste! Der Vater kommt mit seinen Beni Abbas! Schnell, schnell!«

Beide warfen sich je auf ein ungesatteltes Pferd und sprengten fort. Im Lager erhob sich ein ungeheurer Jubel. Man sah die Gäste bereits nahe. Die Kameele der Beni Abbas hatten ihre letzten Kräfte zu einem windesschnellen Ritte aufbieten müssen, aber schon flogen ihnen die Reiter der Beni Sallah entgegen, welche nach ihren Flinten gesprungen waren und sich auf die Pferde geworfen hatten, gar nicht erst fragend, ob Jeder auch das seinige erwischte. Es gab ja eine Begrüßung, eine Fantasia, und da bleibt kein Beduine nur einen Augenblick zurück.

Fantasia wird nämlich jedes Waffen- und Reiterspiel genannt, welches bei gewissen feierlichen oder frohen Begebenheiten unternommen wird. So reiten gewöhnlich bei Begrüßung willkommener Gäste sämmtliche verfügbaren Krieger des Stammes unter lautem, wildem Geschrei den Ankömmlingen in sausendem Galoppe entgegen, umringen sie, legen ihre Gewehre auf sie an, schießen die Letzteren ab, werfen die Speere, zücken die Messer unter drohenden Geberden und thun ganz so, als ob sie die Gäste als Feinde ansähen und vom Erdboden vertilgen wollten. Das sieht wirklich gefährlich aus und wer im Lande und mit den Gebräuchen der Beduinen nicht bekannt ist, der kann eine solche Fantasia sehr leicht für Ernst nehmen und dadurch und dabei einen Fehler begehen, der ihm das Leben kostet.

Das war nun hier bei den Beni Abbas freilich nicht der Fall. Sie wußten, daß die ihnen entgegenstürmenden Männer nur zu ihrer Begrüßung kamen. Darum beantworteten sie deren Geschrei in der gleichen Weise. Sie zielten, schossen ab, ließen sich in Scheinkämpfe ein und thaten ganz so, als ob sie die Beni Sallah vernichten wollten. Es war ein Heidenlärm, ganz als ob es sich wirklich um Leben und Tod handele.

Nur drei Personen nahmen nicht Theil. Die beiden Schwestern hatten die Gäste natürlich zuerst erreicht. Sie sprangen von ihren Pferden und stürzten auf das Kameel des Vaters zu. Er ließ das Kameel augenblicklich halten und niederknieen. Es lag aber noch nicht am Boden, so stieg er schon herab und öffnete seine Arme.

»Hamdulillah, Preis sei Gott, dem Allbarmherzigen!« rief er aus. »Er hat mir die Verlorene wiedergegeben. Ihm sei Dank und Anbetung im Himmel und auf Erden!«

Die Kinder hatten sich an seine Brust geworfen. Sie hielten ihn umschlungen, so fest, als ob sie ihn gar nicht wieder lassen wollten. Unter strömenden Freudenthränen und lautem Schluchzen nannten diese Drei sich bei den zärtlichsten Namen. Kurze, abgerissene Fragen gingen von Lippe zu Lippe


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und Keines von ihnen hatte auf die sie umtobende Fantasia acht, bis Falehd, der Riese, von seinem Pferde sprang und zu der Gruppe trat.

»Habakek ïa Scheik - sei willkommen, o Scheik!« sagte er, ihm die Hand bietend.

Der Vater wand sich aus der Umarmung der Töchter und erwiderte seinen Gruß. Die Augen des Riesen waren gar nicht etwa in freundlichem Ausdrucke auf ihn gerichtet. Er kam mit seinen Leuten dem Goliath gar nicht gelegen, zumal heut, wo er der Mann und Herr der Königin werden wollte.

»Ziehst Du weiter, oder wirst Du bei uns einkehren?« fragte Falehd.

Der Scheik war mehr als überrascht von dieser unerwarteten Frage. Er blickte die Königin an, sah deren zorniges Erröthen und antwortete:

»Weiter ziehen! Wohin meinst Du, daß ich zu reisen die Absicht haben könnte?«

»Allah ist allwissend, nicht aber ich.«

»Selbst wenn ich weiter ziehen wollte, würde doch mein Herz drängen, meine Töchter zu sehen.«

»Du siehst sie hier!«

»Ich komme nicht in meinen alten Tagen durch die Wüste geritten um die Tochter nur für einen Augenblick zu sehen und nur hier vor dem Lager mit ihr zu sprechen. Oder haben die Beni Sallah kein Zelt für den Vater ihrer Königin?«

»Alle, alle Zelte stehen Dir natürlich offen!« sagte Badija. »Höre nicht auf ihn, den ein finsterer Geist bewohnt! Er glaubt, hier gebieten zu können, und ist doch nicht mehr als jeder Andere. Komm!«

Der Scheik wurde mit seinen Begleitern unter Jubel nach dem Lager geschafft. Falehd aber blieb mit einigen seiner Anhänger zurück. Indem er mit ihnen langsam den Vorangerittenen nachfolgte, sagte er:

»Nur der Teufel kann diesen Alten auf den Gedanken gebracht haben, heut zu uns zu kommen. Es ist möglich, daß er alle unsere Absichten zu nichte macht.«

»Das wird er nicht vermögen,« antwortete ein Anderer. »Er ist nicht Mitglied unseres Stammes und hat also weder Sitz noch Stimme bei der Berathung.«

»Das ist von gar keinem Gewichte. Seine einfache Anwesenheit verstärkt die Anhänger der Königin in ihrem Selbstvertrauen. Zudem ist er ihr Vater und hat als solcher gewisse Rechte über sie.«

»Diese Rechte hat er ja an Deinen Bruder abgetreten, indem er sie ihm zum Weibe gab.«

»Der Bruder ist gestorben.«

»So bist Du sein Erbe, also auch der Erbe dieser Rechte.«

»Ich wäre es, wenn ihr Vater fern wäre, da er sich aber jetzt bei uns befindet, hat er mehr über sie zu sagen als ich. So ist es nach den


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Gesetzen der Wüste. Der Gast steht ja höher als jeder Angehörige des Stammes.«

»Aber wenn Du Deine drei Gegner besiegt hast, kann er sich doch nicht etwa weigern, sie Dir zum Weibe zu geben?«

»Darüber bin ich mir nicht klar. Für diesen Punkt giebt es kein Gesetz; es ist so Etwas noch gar nicht vorgekommen. Ich glaube, daß darüber die Versammlung der Aeltesten zu entscheiden hätte.«

»Diese Alten sind aber gegen Dich.«

»So werden sie es mit mir zu thun bekommen. Ich habe nicht die Absicht, mich in meinen Plänen stören oder mir über Das, was ich thun soll, Vorschriften machen zu lassen. Auf Euch kann ich rechnen, und so werden wir gemeinschaftlich handeln, mag da kommen, was wolle.«

Sie hatten jetzt nun auch das Lager erreicht, wo es jetzt ein frohlautes Leben gab. Die Beni Sallah standen mit ihren Gästen in verschiedenen kleinen Gruppen beisammen. Jeder wollte Einen von ihnen in seinem Zelte haben. Einige kannten sich noch von früher her, als die Beni Sallah bei den Beni Abbas gewesen waren, um die Tochter des Scheiks von dort abzuholen. Da gab es Erkundigungen und Erklärungen die schwere Menge. Ebenso geschäftig oder vielmehr noch viel geschäftiger waren die Weiber. Es gab ja für die Bewirthung so vieler Gäste zu sorgen. Es wurden Schafe hinaus vor das Lager gebracht, um unter gewissen vorgeschriebenen Ceremonieen geschlachtet zu werden. Diese Ceremonieen sind unumgänglich nothwendig. Wer ohne ihre Befolgung ein Thier schlachtet, der macht sich nach dem muhammedanischen Ritus unrein und darf während einer gewissen Zeit nicht mit Anderen verkehren, da diese sonst von seiner religiösen Verunreinigung angesteckt würden und nun auch die Einsamkeit suchen müßten.

Bald loderten viele Feuer empor, über denen die Braten schmorten und an welchen sich geschäftige Gestalten bewegten. Oben aber auf der Ruine war es nicht so lebhaft und bewegt. Die Königin hatte sich mit dem Vater und der Schwester in ihre Gemächer zurückgezogen, wo es ja so viel, so außerordentlich viel zu erzählen gab. Sie fanden keine Zeit, an Andere zu denken. Normann und Steinbach hatten sich in einen schattigen Winkel der Außenseite des Gemäuers zurückgezogen, von welchem aus sie das geschäftige Treiben ruhig beobachteten. Tarik und Hilal befanden sich unten bei den Gästen; sogar die Wache hatte ihre Posten verlassen, so daß also oben vollständige Ruhe herrschte.

Da trat der Scheik aus der Thür der Ruine hervor und blickte sich um. Von dem Platze aus, an welchem er stand, konnte er den Winkel sehen, in welchem die beiden Deutschen saßen. Als er sie erblickte, kam er sehr eilig auf sie zu. Vor ihnen dann stehen bleibend, fixirte er Steinbach mit leuchtenden Augen und sagte:

»Welch ein Mann bist Du!«

»Ein Mensch wie jeder Andere,« antwortete Steinbach lächelnd, indem er sich aus seiner sitzenden Stellung erhob.


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»Nein, nicht wie jeder Andere. Du bist viel, viel anders als tausend Andere. Du bist ein Liebling Allahs, an welchen er die schönsten und besten seiner Gaben verschenkt hat. Zu diesen Vorzügen gehört die Verschwiegenheit. Zu mir aber hättest Du doch sprechen können!«

»Ich habe es ja gethan!«

»Aber nicht vollständig. Warum hast Du mir denn verschwiegen, daß Du der Mann bist, der Hiluja gerettet hat?«

»Ich wußte ja, daß Du es von Anderen ebenso gut erfahren würdest.«

»Du bist bescheiden und wolltest Dich meinem Danke entziehen. Meine Tochter hat mir Alles erzählt. Du hast Dein Leben gewagt, um sie zu retten. Du hast sie dann hierher gebracht nach einer weiten Reise. Du hast ihretwegen große Ausgaben gehabt, und da - -«

»O nein,« fiel Steinbach ihm in die Rede. »Ich würde hierher gegangen sein, auch wenn ich Hiluja, Deine Tochter, nicht kennen gelernt hätte.«

»Das verringert gar nichts an der Größe dessen, was ich Dir schuldig bin. Wie aber soll ich Dir danken - -?«

»Danke mir dadurch, daß Du gar nicht von Dank sprichst!«

»Das ist unmöglich. Was im Herzen wohnt, das soll man mit dem Munde aussprechen, und Du kannst nicht von mir verlangen, daß ich Dein Schuldner bleibe, ohne wenigstens diese Schuld einzugestehen und zu bekennen.«

»Das hast Du nun gethan, und wir sind quitt.«

»Quitt? Oh Allah! Wenn ich Dir gäbe Alles, was ich besitze, meine Heerden, meinen Reichthum, mein Leben, so wären wir doch noch nicht quitt. Sage mir, ob Du nicht vielleicht einen Wunsch hast, den ich Dir erfüllen kann!«

»Ich habe ihn, wirst Du mir ihn auch erfüllen?«

»Ja, wenn es mir möglich ist.«

»Es ist der, welchen ich bereits vorhin ausgesprochen habe: Sprich nicht mehr von Dank!«

»Und ich habe Dir bereits gesagt, daß ich Dir gerade diesen Wunsch nicht erfüllen kann. Ich muß von Dir sprechen und von Dir erzählen. Ich werde Deinen Ruhm verkündigen, so weit mein Ruf und meine Stimme reicht.«

»Das kann aber mir persönlich keinen Nutzen bringen. Ich werde diese Gegend sehr bald wieder verlassen und dann wohl niemals wiederkommen.«

»Verlassen?« fragte der Scheik. »Ich denke, Du willst für immer bei den Beni Sallah bleiben!«

»O nein. Das ist unmöglich.«

»Aber Badija sagte mir, daß Du für sie kämpfen willst.«

»Das ist allerdings der Fall.«

»Dann wirst Du Scheik des Stammes.«

»Es ist mir doch möglich, diese Würde von mir zu weisen.«

»Nein. Du erkämpfest Dir ein Weib und diese Würde.«

»Ich trete die Würde an einen Andern ab.«


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»Das ist unmöglich. Nur abgerungen könnte Dir Beides wieder werden, das Weib und die Würde. Hast Du vielleicht bereits eine Frau?«

»Nein.«

»Oder bist Du verlobt mir einer Tochter Deines Stammes?«

»Auch das nicht.«

»Ist Badija Dir nicht schön genug?«

»Sie ist die Schönste der Schönen.«

»Oder nicht reich genug?«

»Ich weiß nicht, was sie besitzt; aber ich selbst bin reich; wenn ich mir eine Frau nehme, kann sie ganz arm sein, wenn nur ihr Herz reich ist.«

»Warum willst Du da Badija von Dir weisen?«

»Eben weil ihr Herz arm ist.«

Er lächelte dabei so eigenthümlich, daß sein Lächeln die Aufmerksamkeit des Scheiks erweckte.

»Ihr Herz arm?« sagte dieser. »O, da kennst Du sie nicht!«

»Ich kenne sie. Ihr Herz ist reich an allen guten Eigenschaften, aber für mich ist es arm. Badija liebt mich nicht.«

»Sie liebt Dich, ich habe es aus der Art und Weise bemerkt, in welcher sie von Dir spricht.«

»Sie liebt mich als den Retter ihrer Schwester, als ihren Freund, aber sie liebt mich nicht so, wie das Weib den Mann lieben soll.«

»O, das ist Schwärmerei. Das Weib hat zu gehorchen. Die Liebe kommt ganz von selbst, wenn der Kadi und der Mollah das Paar verbunden hat.«

»O nein! Ist Badija mit dem Manne, der ihr starb, nicht durch den Kadi und den Mollah verbunden gewesen?«

»Ja.«

»Sie hat ihn aber doch nicht geliebt; er hat sie nicht anrühren dürfen. Ein solches Weib möchte ich nicht haben.«

»So verachtest Du sie? Das thut meinem Herzen wehe.«

»Ich verachte sie nicht, sondern ich verehre sie. Ich wollte nur sagen, daß ich nur eine Frau haben will, welche mich so liebt, daß ihr ganzes Herz mir gehört.«

»Warum aber sollte Badija Dir nicht das ihrige schenken?«

»Sie hat es nicht mehr.«

»Nicht mehr? Wer sollte es denn besitzen? Du sagtest doch, daß sie den Verstorbenen nicht geliebt habe.«

»Du scheinst anzunehmen, daß eine Frau ihr Herz nur an ihren Mann verschenken kann.«

»Ja, das ist ihre Pflicht. Sie darf es keinem Andern schenken, das wäre gegen das Gebot des Propheten.«

»Aber nicht gegen die Gebote der Natur. Das Herz fragt nicht nach dem Zwange, der ihm angethan wird. Es bäumt sich vielmehr gegen ihn auf.«

»Oh Allah, Allah! Welchen Schmerz bereitest Du mir!«

»Schmerz? Das begreife ich nicht.«

»Du sagst doch, daß Badija ihr Herz nicht ihrem Manne gegeben habe!«

»Kann Dich das schmerzen?«

»Das nicht, aber das Andere: Sie hat es also einem Andern geschenkt? Nicht?«

»Ja.«

»Das durfte sie nicht. Das ist Ehebruch. Wer hätte das von ihr gedacht! Oh Badija, mein Kind, meine Tochter! Und noch vor wenigen Augenblicken saß sie so rein, so unschuldsvoll an meiner Seite. Welche Verstellung!«

»Sie ist ja rein und unschuldig. Erlaubte sie ihrem Manne nicht, sie anzurühren, so hat sie es auch keinem Andern erlaubt.«

»Ist das wahr?«

»Ja. Ueberhaupt hat sie ihr Herz erst nach seinem Tode verschenkt, das darfst Du glauben.«

»Hamdulillah! Preis sei Gott! Jetzt ist mir meine Seele wieder leicht. Sie ist also rein und gut geblieben! Aber wem hat sie denn ihre Liebe gewidmet?«

»Hat sie davon nicht zu Dir gesprochen?«

»Nein.«

»So darf auch ich nichts sagen.«

»Warum?«

»Weil das ihre eigene Sache ist.«

»Aber Du kennst ihn?«

»Ja.«

»Wer ist er?«

»Soeben sagte ich Dir, daß ich es Dir nicht mittheilen kann. Aber komm, setze Dich hier neben mich, ich habe mit Dir noch Einiges zu besprechen.«

Der Scheik folgte dieser Aufforderung, neugierig, was dieser Masr-Effendi ihm zu sagen habe. Dieser begann:

»Warum hast Du Deine Tochter einst dem Scheik der Beni Sallah zum Weibe gegeben?«

»Er hielt um sie an.«

»Ich meine den eigentlichen Grund. Sie liebte ihn doch nicht.«

»Sie liebte auch keinen Andern, sie hat mir ganz willig Gehorsam geleistet.«

»Also nur um Gehorsam hat es sich gehandelt!«

»Ja. Der Anführer eines berühmten Stammes hat nach ganz Anderem zu fragen, als nach den Grillen eines Mädchenkopfes. Weißt Du vielleicht, was ein Muameleti düweli aschna ist?«

»Ja,« antwortete Steinbach lächelnd.


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»Giebt es in Deutschland auch solche Muameleti düweli aschnalar?«

»Du hast von einem von ihnen gesprochen, von Bismark. Er ist der allergrößte unter ihnen. In Deutschland werden diese Leute anders genannt als bei Euch. Man nennt sie dort Diplomaten.«

»So ein Diplomat bin ich auch.«

Er sagte das im Tone eines so naiven Selbstbewußtseins, daß Steinbach lachend ausrief:

»Ah! Ich gratulire!«

»Du lachst? Glaubst Du es etwa nicht?«

»O ja. Du hast es gesagt, folglich ist es wahr.«

»Ein Scheik muß stets ein Diplomat sein. Die großen Könige und Sultane verheirathen ihre Töchter an solche Herrscher, von denen sie dafür Vortheile erwarten. Dasselbe ist auch bei mir der Fall. Es lag mir sehr viel an der Freundschaft der Beni Sallah, darum gab ich Badija dem Scheik derselben zum Weibe.«

»Wirst du an Deiner anderen Tochter vielleicht auch als Diplomat handeln?«

»Ja. Es ist das meine Pflicht.«

»Du wirst sie an einen Scheik verheirathen?«

»An den Sohn eines Scheiks.«

»Das ist bereits bestimmt?«

»Ja. Ich will ein Bündniß schließen mit dem Stamme der Mescheer, welche im Süden von Tunesien wohnen. Der Scheik ist sehr alt, er heirathet nicht wieder, aber er hat einen Sohn, welcher der Mann Hiluja's sein wird.«

»Weiß sie es schon?«

»Wozu braucht sie es zu wissen? Sie wird mir gehorchen, so wie Badija mir gehorcht hat.«

»Badija gehorchte, weil ihr Herz noch frei war.«

»Willst Du etwa sagen, daß Hiluja das ihrige bereits verschenkt habe?«

»Ich möchte blos wissen, was Du thätest, wenn dies der Fall wäre.«

»Ich würde mich natürlich nicht nach ihr richten können. Sie würde mir leid thun. Aber die Frauen haben ganz andere Seelen als die Männer. Heute meinen sie, Einen zu lieben, und wenn morgen das Gebot an sie herantritt, einen Anderen zu lieben, so thun sie es gern, denn es gefällt ihnen Jeder, den sie lieben wollen.«

»Wollen, ja, wollen! Aber es gefällt ihnen nicht auch Jeder, den sie lieben sollen.«

»O doch, wenn sie nur den guten Willen haben und sich einige Mühe geben.«

»Du bist ein großer Menschenkenner!« sagte Steinbach in stiller, unbemerkter Ironie.

»Das bin ich, ich bin ja auch alt genug dazu. Ich habe viele hundert Frauen beobachtet. Sie sind arme, gutwillige Wesen. Warum sollten sie auch nicht! Sind sie schön, so betet man sie an, sind sie häßlich, so bemit-


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leidet man sie, und beides, die Anbetung und das Mitleid, thut doch dem Herzen wohl. Sie fühlen sich also glücklich, mögen sie nun schön oder häßlich sein. Und in diesem Gefühle des Glückes sind sie allen Männern gut. Es hat doch ein Jeder seine gute Seite. Will Eine Einen nicht haben, so braucht er ihr nur diese seine gute Seite zu zeigen, so hat sie ihn sofort lieb und wird ihn heirathen.«

»Da hast Du es allerdings zu sehr erfreulichen Resultaten gebracht mit Deinen Beobachtungen,« lachte Steinbach, und Normann stimmte in dieses Lachen ein.

»O, es wird ein Jeder, welcher die Augen und die Ohren offen hält, zu ganz denselben Resultaten kommen.«

»Hier bei Euch vielleicht!«

»Bei Euch nicht?«

»Nein.«

»Sind die deutschen Frauen und Mädchen anders?«

»Es scheint fast so.«

»Inwiefern sind sie denn anders?«

»Es genügt ihnen nicht, daß der Mann nur eine gute Seite habe, es sollen vielmehr alle seine Seiten gut sein.«

»Wie unbescheiden. Sind denn auch ihre Seiten alle so gut?«

»Ja. Nur Einige giebt es darunter, bei denen irgend eine Seite vielleicht nicht ganz so ausgezeichnet ist.«

»Viele?«

»Nein, wenige, fünf oder sechs. Wenn in Deutschland ein Mädchen ihr Herz verschenkt hat, so mag sie keinen Anderen.«

»Wie dumm! Der Andere ist doch auch ein Mann!«

»Aber nicht ihr Mann, nicht der Mann nach ihrem Geschmack.«

»Dann hat sie eben einen falschen Geschmack und der Vater darf sich nicht nach demselben richten. Ich wollte, ich hätte einmal so einige deutsche Töchter. Ich würde ihnen sehr bald den richtigen Geschmack beibringen!«

»Das traue ich Dir zu.«

»Ja, das kannst Du mir auch zutrauen. Wenn Eure Mädchen verlangen, daß der Mann lauter gute Seiten haben soll, so bekommt doch Derjenige, welcher unglücklicher Weise nur eine gute Seite hat, gar Keine.«

»Das sollte man denken, ist aber nicht so. Es kommt zuweilen vor, daß Einer, der gar keine gute Seite hat, die allerbeste Frau bekommt.«

»Allah ist groß! Bei ihm ist Alles möglich!«

»Und ebenso kommt es vor, daß ein recht böses Weib einen sehr guten Mann bekommt.«

»Das ist die verkehrte Welt. So giebt es also bei Euch wirklich böse Weiber?«

»Ja, einige wenige.«

»Schickt sie uns hierher! Wir werden sie kuriren.«

»Womit?«


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»Sie bekommen nichts als Koloquinthen zu essen und werden bis an den Kopf in Sand gegraben. Das treibt alle bösen Eigenschaften aus dem Leibe. Wir könnten sie Euch sehr bald gebessert wiederschicken.«

»Das ist gut. Wir sollten darum ein Bündniß mit Euch schließen, um Euch unsere bösen Frauen in die Cur geben zu können. Hast Du keine Tochter mehr, welche unser Kaiser zur Besiegelung dieses Bündnisses heirathen könnte?«

»Nein,« antwortete der Scheik ernsthaft. »Aber ich habe einen Sohn, welcher eine Tochter Eures Kaisers nehmen könnte, wenn wir über den Preis einig werden, welchen er in Burnussen und Tüchern auszuzahlen hat.«

»Du könntest doch Hiluja hergeben!«

»Nein, die bekommen die Beni Mescheer.«

»Ist das unerschütterlich fest?«

»Ja.«

»So hast Du wohl mit dem Scheik der Mescheer bereits diese Angelegenheit besprochen?«

»Besprochen und abgeschlossen. Hiluja sollte ihre Schwester besuchen und nach ihrer Rückkehr wollten wir die Verlobung feiern.«

»O wehe!«

»Warum klagest Du?«

»Weil es da wohl besser gewesen wäre, wenn sie von den Tuareg getödtet worden wäre. Sie wird jedenfalls sehr unglücklich sein.«

»Das glaube ich nicht. Der Sohn des Scheiks der Mescheer ist ein sehr tapferer Mann. Sie wird ihn bald lieb haben.«

»Der, welchen sie liebt, ist wenigstens ebenso tapfer.«

»Ist er Scheik?«

»Nein.«

»Oder der Sohn oder Verwandte eines solchen?«

»Auch nicht.«

»Aber doch reich?«

»Sehr arm.«

»So mag er ja nicht daran denken, mein Eidam zu werden. Er ist kein Schwiegersohn für mich.«

»Aber sie lieben einander!«

»O, sie werden sehr bald nichts mehr von einander wissen wollen. Die Liebe ist nur in der Ehe möglich. Was Du da Liebe nennst, ist etwas ganz Anderes.«

»So will ich Dir wenigstens Eines sagen: Du bist Dem, den Hiluja liebt, großen Dank schuldig.«

»Warum?«

»Er hat ihr in Kairo einen bedeutenden Dienst erwiesen.«

»Allah! Meinst Du etwa Hilal?«

»Hat sie von ihm gesprochen?«

»Ja. Ist er es?«

»Er ist es. Ich will es verrathen.«


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»So thut mir der arme Teufel leid! Er ist ein guter Junge und ein tapferer Krieger. Aber das ist auch Alles. Er wird sich seine Liebe aus dem Kopfe schlagen müssen. Er ist arm und ohne Würde. Es kann nicht sein.«

»Bedenke, daß sein Bruder Tarik auch arm ist und auch aus keiner berühmten Familie stammt.«

»Wie kommst Du auf diesen? Er hat doch mit dieser Angelegenheit gar nichts zu thun.«

»Sogar sehr viel. Er hat sich mit zum Kampfe gemeldet. Denke Dir den Fall, daß ich unterliege, daß aber Tarik den Riesen besiegt, dann wird Badija sein Weib.«

»Ja, sie wird es.«

»Und Du hast nichts dagegen?«

»Gar nichts. Er ist dann Scheik. Du siehst, welcher Unterschied da stattfindet.«

»Der Unterschied ist gar nicht so groß, wie Du meinst. Ich will Dir erklären, daß - ah, horch.«

Drei sonore, eigenartige Töne erklangen weit über das Lager hin. Der Mueddin hatte die Ruine bestiegen und an das Bret geschlagen. Dann ertönte seine Stimme von oben herab:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Blickt empor zur Sonne, o Ihr Gläubigen! Sie hat beinahe den Scheitelpunkt erreicht! Und blickt hinunter auf Eure Füße. Der Schatten Eures Körpers ist kaum noch eine Spanne lang. In wenigen Augenblicken also ist die Zeit des Kampfes gekommen. Versammelt Euch an dem Orte desselben und preiset Allah, der dem Manne Kraft gegeben hat, zu kämpfen, zu siegen und zu vernichten. Allah illa Allah we Muhammed Rassuhl Allah!«

Er stieg langsam wieder hernieder. Sein Ruf war überraschend gekommen. Die Ankunft der Beni Abbas hatte die Beni Sallah so in Anspruch genommen, daß sie gar nicht sehr auf die Zeit geachtet hatten. Jetzt nun eilte ein Jeder, einen guten Platz zu erhalten. Die höchsten Kameele wurden bestiegen, damit man über etwaige Nachbarn gut hinwegzuschauen vermöge. Alle, Männer und Frauen, Bursche und Mädchen, eilten herbei. Den Kindern war es natürlich verboten, mitzukommen; sie entschädigten sich aber dadurch, daß sie einzelne Gruppen bildeten bei deren jeder einige Jungens um ein Mädchen sich prügelten, welche die Königin Badija vorstellte. Das gab Beulen und blaue Flecke genug und war viel hübscher, als das ruhige Zusehen dort beim wirklichen Kampfe.

Auch Steinbach selbst war überrascht gewesen, daß die Zeit so nahe gerückt war. Er stand auf und sagte:

»Wir müssen leider unser Gespräch beendigen. Ich hätte so gern länger über diesen Gegenstand gesprochen.«

»So bist Du wohl Hilal's Freund?«

»Ja. Ich würde mich sehr freuen, ihn glücklich zu sehen.«

»So mag er mit mir ziehen. Mein Stamm zählt sehr viele schöne


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Mädchen; er mag sich unter ihnen eine Frau wählen und kein Vater soll ihn abweisen, dafür werde ich Sorge tragen.«

»Er mag keine Andere.«

»Hiluja kann er nicht bekommen, ich habe Dir das ja bereits erklärt. Jetzt nun wird es aber Zeit, daß Du Deinen letzten Willen sagst. Wenn der Riese Dich erschlägt, so müssen wir wissen, was Deine Wünsche sind.«

»Hier mein Gefährte kennt diese Wünsche bereits.«

»Und wenn Du siegest, so befindest Du Dich in einer sehr fatalen Lage; Du hast Badija und willst sie doch nicht haben. Ich habe keine Ahnung, wie das enden soll.«

»Ich habe eine Ahnung und bitte Dich, Dich ja nicht mit sorgenvollen Gedanken herumzuschlagen. Jetzt aber wird es hohe Zeit. Dort kommt die Königin, um sich nach dem Kampfplatze zu begeben. Begleite Du sie, sie wartet auf Dich!«

Es ist leicht erklärlich, daß der ganze Stamm sich in einer ungeheuren Aufregung befand. Es sollte sich entscheiden, wer Scheik sein werde. Ein vollständig Fremder und Unbekannter hatte sich mit zum Kampfe gemeldet. Falehd's Riesenkraft war bekannt. Es gab keinen Einzigen, welcher gezweifelt hätte, daß er Sieger sein werde.

Draußen vor dem Lager war der Kampfplatz mit Speeren abgesteckt. Rund herum standen einige Reihen Zuschauer zu Fuße, hinter ihnen Reiter zu Pferde und hinter denselben dann die Reiter auf hohem Kameelshöcker. So ragten die Köpfe je weiter hinten desto höher empor, gerade wie in einem Amphitheater.

Die Königin kam gegangen. Sie nahm an einem Ende des Kampfplatzes auf einem Teppiche Platz, welcher für sie ausgebreitet worden war. Ihr Gesicht war leichenblaß, vollständig blutleer. Sie vermochte kaum, ihre innere Angst zu verbergen. Neben ihr saß ihr Vater und ihre Schwester. Zu beiden Seiten standen Tarik und Hilal, die beiden Brüder.

Der Riese hatte sich am entgegengesetzten Ende der Wahlstatt niedergesetzt. Sein häßliches Gesicht zeigte den Ausdruck der Schadenfreude und des Triumphes. An seiner Seite saßen Ibrahim Pascha und der Russe, hinter ihnen einige seiner Anhänger. Einige mit Wasser gefüllte, ausgehöhlte Kürbisse waren vorhanden, damit die Kämpfenden sich erquicken oder aber vorkommenden Falles auch sich das Blut abwaschen könnten.

Der alte Mueddin und Kalaf, der oft erwähnte Alte, standen in der Mitte des Platzes. Sie waren von der Versammlung der Aeltesten erwählt worden, die Angelegenheit zu leiten.

»Er ist noch nicht da,« sagte der Riese zu seinen beiden Nachbarn. »Der Hund wird Angst bekommen haben.«

»Er wird es sich doch nicht einfallen lassen, vom Kampfe zurückzutreten,« meinte Ibrahim Pascha.

»Das ist unmöglich.«

»Es wäre das höchst fatal. Der Kerl muß sterben. Wenn er sich aber


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durch den Zurücktritt aus der Schlinge zieht, kann er uns auch großen Schaden machen.«

»Ich gebe ihn nicht los.«

»Wenn er aber doch nicht mit thut?«

»So zwinge ich ihn. Wenn ich auf ihn einschlage, so wird er sich wohl vertheidigen müssen. Uebrigens hat er sich, wenn er sein Wort nicht hält, als Feigling hingestellt, und kein Mensch wird ihn dann nur noch ansehen. Nur die Flucht kann ihn noch vor mir retten.«

»Vielleicht ist er fort. Ich habe ihn während der ganzen Zeit nicht gesehen.«

»So reite ich ihm nach und steche ihn nieder.«

»Ich möchte nur wissen, was er, falls er Sieger - -«

»Sieger?« fiel Falehd höhnisch ein. »Das ist unmöglich.«

»Bei Allah ist nichts unmöglich, und auch die bösen Geister besitzen große Macht. Wenn sie Dir einen Schabernack spielen wollen, so siehst Du Deinen Gegner nicht und schlägst daneben. Dann siegt er.«

»Verdammt! Diese Geister werden doch nicht etwa -«

»Ich möchte doch nur wissen, was dieser Mann mit der Königin machen will! Will er als Scheik hier bleiben?«

»Der Teufel soll es ihm rathen,« fuhr der Riese auf. »Aber Du hast von bösen Geistern gesprochen. Ich will vorsichtig sein und mir ein Amulet einstecken, daß sie mir nichts anhaben können.«

Er borgte sich von einem seiner Anhänger ein Amulet, welches in einem Zettelchen bestand, auf welches ein Kuranspruch geschrieben war. Der Zettel war in Leder eingenäht. Wer ihn bei sich trug, dem konnte weder der Teufel, noch sonst irgend ein böser Geist Etwas anhaben. Jetzt nun hielt der Riese sich gegen alle Eventualitäten gerüstet. Er befürchtete nur noch, daß sein Gegner gar nicht erscheinen werde.

Darin hatte er sich aber geirrt, denn jetzt kam Steinbach, von Normann begleitet.

Aller Augen richteten sich neugierig auf ihn, ob er wohl Angst verspüren möge. Aber es war ihm nicht das Geringste anzusehen. Sein Gesicht hatte ganz die gewöhnliche Farbe, sein Auge blickte ruhig und mild; sein Mund lächelte leise. Das bildete nun freilich einen großen Gegensatz zu Falehd, welcher sich jetzt erhoben hatte. Seine Augen starrten wie die eines wüthenden Stieres auf Steinbach; seine Zähne waren zusammengebissen, und die quer über sein Gesicht laufende Narbe hatte sich dunkelroth gefärbt, ein sicheres Zeichen, daß die Kampfeswuth ihm das Blut emportrieb.

»Warum kommst Du nicht?« rief er Steinbach zornig entgegen.

»Hier bin ich ja,« antwortete dieser ruhig.

»Aber zu spät!«

»Für Dich jedenfalls nicht.«

»Ein Tapferer läßt keinen Feind warten.«

»Sieh Deinen Schatten an. Es ist jetzt genau Mittag. Uebrigens bin


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ich nicht gekommen, mich mit Dir in Worten zu streiten. Thaten sollen es thun.«

»Und sie werden es thun. Beginnen wir!«

Er wollte mit geballten Fäusten geradewegs auf Steinbach los; da aber trat ihm Kalaf, der Alte, entgegen:

»Halt! Vorher müssen hier vor all diesen Zeugen die Regeln besprochen werden!«

»Regeln? Ich brauche keine Regeln!«

»Der Kampf soll ehrlich sein. Also vor allen Dingen, in welcher Kleidung wird gekämpft?«

»Jeder thut, was er will.«

»Giebt es Gnade?«

»Nein.«

»Das ist gegen unsere Gesetze. Der Kämpfer, welcher um Gnade bittet, muß geschont werden.«

»Das ist ehrlos.«

»Darum wird er aus dem Stamme gestoßen, aber sein Leben hat er doch gerettet. Nach welchen Regeln soll geschlagen werden?«

»Nach gar keiner Regel. Jeder schlägt so zu, wie es ihm beliebt.«

»Bist Du mit dem Allen einverstanden?« fragte Kalaf jetzt Steinbach.

»Ja,« antwortete dieser.

»So wird die Königin das Zeichen des Beginnnes geben.«

Der Riese warf den Burnus ab und stand nun da, blos noch mit der Hose bekleidet. Der nackte Oberkörper war eingeölt, damit die Hand des Gegners abrutschen solle. Dieser mächtige Knochenbau schien gar nicht erschüttert werden zu können, und diese gewaltigen Muskeln waren wie aus Stahl gespannt.

»Also todt!« flüsterte ihm der Pascha zu.

»Auf den ersten Hieb schlage ich ihn nieder!« antwortete Falehd, indem er mit geringschätziger Miene Steinbach musterte, welcher auch seinen Burnus abgeworfen hatte.

Er war auch jetzt noch vollständig bekleidet. Er hatte nicht einmal die türkische Jacke, welche er unter dem Burnus getragen hatte, aufgeknöpft.

»Um Allahs willen, ziehe Dich aus!« warnte der wohlmeinende Alte. »Er kann Dich ja ganz leicht fassen!«

»Das wird er unterbleiben lassen.«

»Du bist unvorsichtig!«

»Pah!«

Jetzt trat tiefe Stille ein und Aller Augen richteten sich auf die Königin, welche das Zeichen des Beginnes geben sollte. Da aber sagte der Scheik, ihr Vater, mit lauter Stimme:

»So wie jetzt darf doch der Kampf nicht beginnen. Ist es hier nicht Sitte, daß vor dem Anfange sich die Gegner die Hände reichen als Versicherung, daß Keiner den Anderen übervortheilen werde?«

»Die Hand reichen? Diesem Hund?« lachte der Riese auf. »Er ist


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es nicht werth, daß ich ihn anspucke, wie kann ich ihm da die Hand reichen! Der Hund mag nur herkommen, daß ich ihn erwürge!«

Er streckte Steinbach die beiden Fäuste entgegen. Dieser antwortete:

»Ich hatte es gut mit Dir vor, aber da Du mich auch hier noch mit Schimpfreden beleidigest, so werde ich Dich nicht so sehr schonen, wie ich es beabsichtigte. Höre also: Mein erster Hieb wird Dir Dein linkes Auge kosten, der zweite die Zähne, und beim Dritten wirst Du zu meinen Füßen liegen.«

»Mensch, Du bist toll! Bereits mit dem ersten Schlage werde ich Dir den Schädel zerschmettern.«

»Gut. Versuche es!«

Er stand da, mit dem Rücken nach der Königin gewendet, in einer Haltung, als ob er sich um nichts auf der Welt zu kümmern habe, die Hände in den Taschen seiner Hose. Der Riese hingegen hielt den Blick mit wahrhaft thierischer Spannung nach der Königin gerichtet.

»Na, schnell,« rief er. »Ich habe Durst nach dem Blute dieses Menschen.«

Man sah es Badija an, wie schweres ihr wurde. Jetzt aber erhob sie die Hand.

»Los!« sagte Kalaf.

Es ist gar nicht zu beschreiben, mit welchem Ausdrucke die hunderte von Gesichtern sich nach dem Kampfplatze richteten. Der Riese stieß einen lauten Jubelruf aus und kam aus der Entfernung von vielleicht zwanzig Schritten auf Steinbach losgestürmt, als ob er ein Haus umarmen wolle. Die linke Hand ausgestreckt, um ihn zu packen, holte er mit der rechten Faust schon von Weitem zum tödtlichen Schlage aus. Steinbach stand immer noch so scheinbar gleichgiltig da wie vorher. Er schien gar nicht auf den Gegner achten zu wollen.

»Paß auf! Paß doch auf!« schrie es ihm von allen Seiten zu. »Er kommt ja.«

Er warf verächtlich den stolzen, männlich schönen Kopf nach hinten, obgleich der Riese von ihm kaum noch sechs Schritte entfernt war. Dann aber ein Ruck, seine Gestalt schien gewachsen zu sein, sein Auge sprühte förmlich dem Beduinen entgegen.

»Hier, Hund, hast Du!« brüllte dieser.

Da aber that Steinbach einen Sprung ihm entgegen, so daß Beide in einem weithin hörbaren Stoße fürchterlich zusammenprallten. Der Riese wurde nicht nur zum Stehen gebracht, sondern er prallte förmlich zurück und fuhr sich mit beiden Händen nach dem Gesichte, sie auf das linke Auge legend und wie erstarrt stehen bleibend.

Er hatte in seinem blinden Anstürmen den Punkt, an welchem Steinbach stand, genau im Auge gehabt. Der beabsichtigte Griff seiner Linken und der Hieb, den er mit der Rechten thun wollte, waren beide auf diesen Punkt gerechnet gewesen. Durch den Sprung Steinbachs aber war dieser Punkt mit blitzähnlicher Schnelligkeit um mehrere Fuß weit vorgerückt worden, als sie


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zusammenprallten hatte der Riese die beiden Arme noch weit auseinander, und ehe er sich besann und sie schloß, erhielt er mit der Linken Steinbachs einen Hieb unter das Kinn, während die rechte geballte Hand desselben ihn an den Augenknochen traf und der Daumen jener ihm das Auge aus der Höhle trieb.

Steinbach stand im nächsten Momente wieder da, als ob er gar nicht von seiner Stelle gewichen sei. Er wendete sich zur Königin und rief:

»Rakam wahid, el ain el alßemal - Nummer Eins, das linke Auge!«

Diese Worte weckten den Riesen aus seiner momentanen Betäubung. Er fühlte die Verwundung und stieß einen furchtbaren Fluch aus. Als er die Hände vom Gesicht nahm, sahen die Zuschauer wirklich das Auge aus der Höhle hängen.

»Tajib, tajib! Ahsant, ahsant - Gut, gut! Bravo, bravo!« rief es von allen Seiten.

Die Zuschauer waren von Bewunderung hingerissen. Er hatte nicht nur den ersten, todtdrohenden Angriff des für unüberwindlich gehaltenen Riesen parirt, sondern sogar sein Wort wahr gemacht, ihm das Auge zu nehmen.

Diese Bravorufe entsprangen nicht etwa der Parteilichkeit, sondern ganz allein nur der Bewunderung. Der beduinische Krieger erkennt die Tapferkeit und Geschicklichkeit selbst seines ärgsten Feindes an. Dennoch aber wurde dadurch die Wuth des Riesen verdoppelt. Er stand in einer Entfernung von nur vier Schritten von Steinbach, erhob beide geballte Fäuste und brüllte:

»Das war Zufall. Jetzt aber fährst Du zur Hölle!«

Er that einen Sprung vorwärts, und zwar mit aller Gewalt, um Steinbach gleich umzurennen und dann, am Boden liegend, zu tödten. Der Deutsche aber empfing ihn mit schnell erhobenem Fuße versetzte ihm einen Tritt in die Magengegend, so daß er aufschreiend zurücktaumelte und gar nicht dazu kam, den Gegner auch nur zu berühren. Dann - Keiner wußte, wie es gekommen war und wie es hatte geschehen können - ward er zu Boden geschleudert. Man hatte nur den rechten Arm Steinbachs in Bewegung gesehen. Dieser wendete sich ruhig an die Königin und meldete:

»Rakam itnehn, el asnahn - Nummer Zwei, die Zähne!«

Die Beifall spendenden Zurufe erhoben sich von Neuem. Falehd sprang vom Boden auf. Sein Gesicht war schrecklich entstellt. Das Auge hing herab und aus dem zerschlagenen Munde und der schwer getroffenen Nase rann das Blut. Er speite die aus den Kiefern geschlagenen Zähne aus, brüllte auf wie ein wild gewordener Büffelstier und rief:

»Er hat den Teufel! Die bösen Geister helfen ihm! Aber ich sende ihn trotzdem in die Hölle!«

Vor Wuth auch auf dem unbeschädigten Auge fast blind, hatte er doch die Ueberlegung, daß er mit dem zweimal vergeblich versuchten Ansprunge nichts erreichen werde. Er schritt also langsam auf Steinbach zu und zischte ihm, von tödtlichem Hasse erfüllt, entgegen:

»Komm her, Wurm! Jetzt zermalme ich Dich.«


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»Wenn Du es fertig bringst, will ich Dich loben!«

Der Deutsche sagte das unter einem überlegenen Lächeln. Er erwartete ihn in größter Ruhe und Gleichmüthigkeit, während die Brust des Anderen vor innerer und äußerer Aufregung sichtbar auf- und niederwogte. Jetzt streckte der Letztere die Arme aus, um den Feind zu erfassen, wurde aber in demselben Augenblicke selbst gepackt. Steinbach hatte ihn mit einer schraubenartigen Bewegung seiner Arme hart hinter den Handgelenken ergriffen. Er hatte dabei seine Hände so verdreht, daß, wenn er sie wieder in die rechte Lage brachte, Falehd's Arme ebenso verdreht werden mußten. Er zog sie mit einem wahrhaft furchtbarem Rucke an sich. Der Riese brüllte auf. Seine Arme waren ihm durch dieses unvorhergesehene Manoeuvre fast aus den Achseln gerissen und gedreht worden. Sie hingen einen Augenblick lang schlaff herab. Dieser Augenblick wurde benutzt. Steinbach faßte den Goliath bei den Hüften, hob ihn hoch empor, schmetterte ihn zu Boden und versetzte ihm, sich leicht bückend, zugleich einen Faustschlag an den Schädel, daß man es weithin dröhnen hörte.

Das war natürlich viel, viel schneller geschehen, als man es zu erzählen vermag. Man hatte die gedankenschnell auf einander folgenden Bewegungen Steinbach's gar nicht von einander unterscheiden können. Es war klar, daß er durch seine Gewandtheit und Besonnenheit dem Riesen überlegen war, aber daß er dabei auch eine so erschreckliche Körperkraft entwickelte, das war beinahe undenkbar, das versetzte Alle in Erstaunen, so daß sie geradezu vergaßen, ihm Beifall zu spenden. Die Arme des Riesen so in Unfähigkeit zu versetzen, ihn emporheben und zur Erde schleudern, das war mehr, als man für möglich halten konnte, das machte die guten Leute starr vor Erstaunen und raubte ihnen momentan die Sprache.

Er aber wendete sich zum dritten Male zur Königin um und meldete:

»Rakam salahsa, el ard - Nummer Drei, auf der Erde!«

Da brach es los. Erst halblaut und einzeln, dann aber stärker und immer stärker erhoben sich die Beifallsrufe. Alle, außer den Anhängern Falehds, fühlten es wie Erlösung über sich kommen. Der Riese war ihnen ein wirklicher Tyrann gewesen, ohne daß sie es sich gegenseitig offen eingestanden hatten. Bei dem Blicke auf die hohe, edle, ritterliche Gestalt des Deutschen hatte ein Jeder ihm im Stillen den Sieg gegönnt und ihn heimlich bedauert, da er ja von Allen für verloren betrachtet wurde. Jetzt nun, wo er stolz neben dem Feinde stand, wie der Löwe an der Leiche des von ihm erlegten, häßlichen und riesigen Krokodils des Nils, fragte man sich zunächst, ob dieser unerwartete Sieg denn auch in Wirklichkeit bestehe, und nun man sich überzeugte, daß es keine Täuschung sei, brach der Jubel desto lauter und aufrichtiger hervor. Wäre Falehd Sieger geworden, ihm hätte man gewiß nicht einen solchen Beifall gespendet.

Obgleich alle Anwesenden förmlich electrisirt waren, bewegte sich doch Keiner von seinem Platze. Das Schauspiel war ja nicht zu Ende. Nur Kalaf, der Alte, trat auf Steinbach zu, gab ihm die Hand und sagte:

»Du hast wahr gemacht, was Du gestern während unseres nächtlichen


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Spazierganges zu mir sagtest. Ich habe es für unmöglich gehalten. Allah hat Dir die Stärke des Elephanten und den Stolz des Löwen gegeben. Meine Worte sind unzureichend zu Deinem Lobe, darum schweige ich lieber. Ist Falehd todt?«

»Ich will einmal nachsehen.«

Er fühlte dem Riesen an das Herz. Es schlug, wenn auch sehr langsam und leise.

»Er lebt noch. Er ist nur besinnungslos.«

»Tödte ihn!«

»Meinst Du das im Ernste?«

»Ja. Du hast Dein Messer im Gürtel. Stoße es ihm in das schwarze Herz!«

»Ich bin kein Mörder.«

»Er befindet sich aber in Deiner Gewalt!«

»Es wurde ja festgestellt, daß der Besiegte um Gnade bitten darf.«

»Er hat es nicht gethan, er hat sogleich die Besinnung verloren. Wie lange soll der Sieger auf die Bitte warten? Sein Leben gehört Dir!«

»Ich werde ihn erst wieder bewußt werden lassen, mich aber versichern, daß er unschädlich ist.«

Er zog mehrere Riemen aus der Tasche.

»Was willst Du?«

»Ihn binden.«

»Welche Schande für ihn! Fesseln getragen zu haben, das verwindet kein Beduine. Falehd kann Dich unmöglich um Schonung, um sein Leben bitten. Hast Du diese Riemen stets bei Dir?«

»Nein. Ich brachte sie nur zu dem Zwecke mit, ihn zu fesseln.«

»So genau wußtest Du, daß Du Sieger sein werdest?«

»Ja.«

»Du bist ein großer Mann. Binde ihn und komme dann zur Königin.«

Normann trat auch herbei.

»Ich gratulire!« sagte er im Tone aufrichtigster Bewunderung. »Das war ein Meisterstück. Ich gestehe, daß ich für Sie gezittert habe!«

»Pah! Ich kannte mich und hielt ihn zwar für stark, aber auch für dumm und unbeholfen. Daß ich mich da nicht geirrt habe, bedarf gar keines Lobes. Wollen Sie mir mit helfen, ihm die Arme und Beine zu binden? Es geht rascher.«

»Gern. Ah! Sehen Sie den Kerl an! Welch ein schreckliches Gesicht! Sie haben ihm die Zähne wirklich eingeschlagen. Und dieses Auge!«

»Bringen wir es in die Höhle zurück. Sehen wird er freilich nicht wieder darauf lernen. Wie ich bemerke, ist der Nerv zerrissen.«

»So wollen Sie ihm das Leben wirklich schenken?«

»Ich ermorde ihn auf keinen Fall. Sein Leben mag nach den hiesigen Gebräuchen mir gehören, ich aber bin Christ und nebenbei auch Mensch. Seine


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Tödtung wäre nichts als ein feiger Mord, der mir mein Gewissen bis an das Ende meines Lebens beschweren würde.«

»Aber bedenken Sie, wie gefährlich es ist, ein wildes Thier am Leben zu lassen. Sie leisten damit sich selbst und den Beni Sallah gewiß keinen guten Dienst.«

»Ich weiß das, aber ich thue meine Pflicht.«

So banden sie ihn also und wuschen ihm auch das Gesicht. Keiner seiner Anhänger näherte sich ihm. Nach ihrer Ansicht war er das ausschließliche Eigenthum des Siegers und sie hatten kein Recht mehr, sich um ihn zu bekümmern.

Als dann Steinbach zu der Königin trat, streckte sie ihm die Hand entgegen und sagte:

»Ich danke Dir. Du hast mich von einem schlimmen Feind befreit. Ich werde Dir das nie vergessen!«

Dennoch aber vermochte sie nicht, ihn dabei frei anzusehen. Ihr war trotz der Ueberwindung ihres Feindes angst und bange im Herzen. Sie gehörte dem Sieger. Wie sollte das werden?

Ihr Vater aber streckte Steinbach die beiden Hände entgegen und rief laut aus:

»Sei mir willkommen! Du bist der Held der Helden und der Tapferste unter den Tapferen. Meine Tochter wird sicher wohnen in Deinem Zelte, und Du wirst die Beni Sallah von Sieg zu Sieg führen, daß sie berühmt werden von Aufgang bis zum Niedergange!«

Jetzt kam auch der Mueddin herbei. Er frug gar nicht erst, was er zu thun habe. Er wußte es ja. Er schlug an sein Bret und rief:

»Hört, Ihr Männer und Frauen vom edeln Stamme der Beni Sallah! Masr-Effendi, der berühmte Kämpfer aus fernem Lande hat erlegt Falehd, den Bewerber um die Königin. Sie gehört dem Sieger. Allah segne ihn und gebe ihm Kinder und ihr Kindeskinder, soviel, wie Sandkörner in der Wüste liegen. Es wird eine großartige Fantasia veranstaltet werden, dem neuen Scheik zu Ehren, und Boten werden in alle Winde reiten, um seinen Namen den Stämmen zu verkündigen. Schlachtet die Schafe und Lämmer, backt Brode und kocht fetten Kuskussu mit Rosinen. Holt herbei Lagmi, den Saft der Palmen, und bringt die Saiten und Pfeifen, mit Musik und Gesang, zu verherrlichen die Thaten des Siegers und den Glanz seiner zukünftigen Tage!«

Er war im Flusse seiner Rede. Er wollte weiter, wohl viel weiter sprechen, aber jetzt machte er eine kurze Pause; das benutzte Steinbach, um mit lauter, weithin hörbarer Stimme einzufallen:

»Hört auch mich, Ihr tapferen Männer und ihr schönen Frauen der Beni Sallah! Ich bitte die Versammlung der Aeltesten zusammen zu treten, um zu berathen und mir ganz genau zu sagen, ob die Königin und die Würde des Scheiks mir so gehören, daß Niemand einen Einspruch erheben kann.«

Sofort erschollen die drei Schläge des Mueddin und die Greise traten


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zu einander zu einer kurzen Berathung. Bereits nach wenigen Minuten erhob Kalaf, der Aelteste, seine Stimme, um zu verkünden:

»Masr-Effendi ist Sieger, ihm gehört die Königin, und er wird unser Anführer sein, ohne daß ihm ein Mensch dieses Beides streitig zu machen vermag!«

Steinbach antwortete laut, so daß Alle es hören konnten:

»Ich danke den grauen Vätern des Stammes für das Vertrauen, welches sie mir erweisen. Es giebt keine größere Ehre, als der Anführer eines so berühmten Stammes zu sein, und ich kenne kein größeres Glück, als ein Weib zu besitzen, wie Badija, die Königin. Aber Gerechtigkeit ist des Mannes Zierde. Ich will nicht ein Gut besitzen, welches zu besitzen auch Andere ein Recht haben. Vier Männer hatten sich zum Kampfe gemeldet. Einer wurde besiegt, der Zweite hat den Preis einstweilen erstritten, hier nun steht der Dritte und der Vierte, die Söhne des Blitzes. Sollen sie sich den Preis entgehen lassen? Sollen sie auf ihn verzichten, ohne um ihn gekämpft zu haben? Die Versammlung der Aeltesten mag entscheiden, ob sie ein Recht haben zu dem Versuche, ihn mir im Kampfe wieder abzunehmen.«

»Dein Wille soll geschehen!« sagte Kalaf.

Die Greise beriethen eine kurze Weile und dann verkündete der Genannte die Entscheidung:

»Die Söhne des Blitzes haben das Recht, mit Masr-Effendi zu kämpfen.«

Ein allgemeiner Beifall belobte diesen Beschluß. Gab es doch nun eine Fortsetzung des interessanten Schauspieles.

»Wollt Ihr den Kampf aufnehmen?« fragte der Deutsche die beiden Brüder.

»Herr, wollen wir einander tödten? antwortete Tarik.

»Das ist nicht meine Absicht.«

»Ich weiß, daß Du uns besiegen wirst. Hast Du den Riesen erlegt, so bist Du uns noch viel mehr überlegen. Ich fürchte mich nicht, mein Leben zu wagen, aber ich würde anders kämpfen als Falehd, und ich glaube nicht, daß Du unverletzt aus dem Kampfe hervorgehen würdest. Soll ich aber Denjenigen verletzen, welcher an uns so Großes gethan hat?«

»Es wird ganz anders werden. Kalaf mag mir sagen, ob ich jetzt, da ich der Besitzer der Königin bin, die Waffen zu bestimmen habe.«

»Du hast sie zu wählen,« antwortete der Alte.

»So werden wir nicht mit Fäusten kämpfen, sondern mit unseren Flinten.«

»O Allah!« rief Tarik aus. »So bist Du ja verloren!«

»Meinst Du wirklich?«

»Ja. Bedenke, daß wir die Söhne des Blitzes genannt werden, weil stets und unfehlbar unser Feind fällt, sobald unser Gewehr aufleuchtet.«

»O,« lächelte Steinbach, »auch der beste Schütze wird zuweilen einen Fehlschuß thun!«

»Wir aber nicht. Paß auf! Blicke da hinauf!«

Oben über ihnen schwebte ein Aasgeier. Tarik legte sein Gewehr an,


Ende der vierundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Deutsche Herzen - Deutsche Helden

Karl May – Forschung und Werk