A&D und The Pilgrim's Progress
Verfasst: 21.12.2005, 15:53
Gibt's darüber eigentlich schon Untersuchungen? fragte Sandhofer und meinte die Beziehung von "Ardistan und Dschinnistan" zu Bunyan "The Pilgrim's Progress".
Ich kenne bislang nur die einschlägigen Statements von Arno Schmidt, in dessen Werk der Name "Bunyan" eigentlich nur im Zusammenhang mit Karl Mays Spätwerk fällt.
Das klingt dann z. B. so wie in "Vom neuen Großmystiker" (1957):
Ich kenne bislang nur die einschlägigen Statements von Arno Schmidt, in dessen Werk der Name "Bunyan" eigentlich nur im Zusammenhang mit Karl Mays Spätwerk fällt.
Das klingt dann z. B. so wie in "Vom neuen Großmystiker" (1957):
Und er bleibt bei solcher [...] Probe seiner Spätkunst nicht stehen. Annähernd dem ‹Pilgrim’s Progress› des Bunyan vergleichbar, erzählt er auf 1200 Seiten die mystische Großfabel von Ardistan (= Erde; Irdenes) und Dschinnistan (= Hochland; Geisterwelt).
In einem pränatalen Zustand beginnt der (1908 entstandene, 1910 erstmalig in Buchform erschienene) Bericht; vor ihrer irdischen Existenz flüstern Seelen mit Seelen: der Held, nunmehr unverkennbar als ‹Schutzengel› angelegt, wird im Schiff ‹Wilâhde› (= Die Geburt) nach Ardistan entsandt. Dort befreit er ein ‹Kind Gottes›, den ‹Schirbani›, aus dem Stachelkäfig der Feindschaft und des Aberglaubens; aus heulend umkreisenden Geschlechtlichkeiten (symbolisiert in den bärenstarken Hunden, ‹Er› und ‹Sie›; die aber durch Kreuzung mit himmlischen Rassen zu ‹Bruder› und ‹Schwester› veredelt werden können – also ganz im Sinne des späten Tolstoi der ‹Kreutzersonate›). Durch mohammedanisch=feindliche Reitervölker, durch lamaistische Städte, wird der Erdengast geleitet, hinauf nach Dschinnistan, zu Gott: der erscheint persönlichst als liebevoller Vater, der den zurückgekehrten Sohn in die Arme schließt! (Für Feinde allerdings auch der ‹Emir›, ganz ‹Herr der Heerscharen›, an der Spitze blaugeschildeter Panzerreiter).
Und während bei dem Engländer alles doch recht puritanisch hölzern bleibt, wuchert May in blühend nackter Mystik, bei der man die Kühnheit und Anmut des Fortschreitens von einer Bilder= und Gedankenreihe zur anderen, ohne sich etwas zu vergeben, voll bewundern kann. Bedeutende Vorteile über den beschränkten Briten verschafft er sich zudem dadurch, daß er, sehr geschickt, eine historische und religionsphilosofische Entwicklung mit einer subjektiv=seelischen koppelt. Und zwar in weit vielfältigerem, farbigerem und künstlerisch konkurrenzfähigerem Sinne, als es vom bloßen Christentum her möglich wäre: der Nomade und Manichäer – denn das beides ist May letzten Endes! – hat sein angemessenes künstlerisches Ausdrucksmittel gefunden. Wie ergreifend und ewig=modern wird da etwa die Friedenssehnsucht der Menschen als Schrei nach Wasser verbildlicht, in den Gestalten der Brunnenengel, umheult=vergessen von kriegerischen wiederaufrüstenden Wildvölkern; auf den versandenden Sockeln nur die Spuren von Vogelfüßen; dennoch Treffpunkt aller, die überleben wollen.
Jedenfalls ist dieses Zwölfhundertseitenbuch von ‹Ardistan und Dschinnistan› nicht nur, wie May vor allem wollte (und man beachte die Naivität des Greises) »zur Lektüre für den Kaiser; für einflußreiche Menschen« gedacht – für die wohl am allerwenigsten! – sondern der, auch uns Außenstehenden geheimnisvoll=zugängliche Beleg, für das Vorhandensein einer eigenartigen geschlossenen Gedankenwelt; eines Binnenreiches, sehr wohl vergleichbar dem ‹Orplid› Mörikes, oder der ‹Gondal=World› der Brontë’s: ich weiß, was ich sage:
In seiner vierten Periode war Karl May der bisher letzte deutschsprachige Großmystiker!