Hans Wollschläger hat geschrieben:Hin führt es uns zu Arno Schmidt und den Spuren s e i n e r intensiven Jugendlektüre, und das ist, kurzum, ganz ohne Zweifel die von Karl May gewesen (bei dem ihm jener Satz von den >intensiven Spuren< denn auch einfiel) dominant wohl selbst neben Cooper, Poe und Verne. Bezeugt hat uns das einwandfrei die Schwester Lucy, in ihrem späten Gespräch mit John Woods: »He loved Karl May. (...) Karl May, when he could lay his hands on Karl May he loved it. He really went in for that« [...]
Und es hat sicher kaum eine frappierendere Eröffnung in Schmidts so vieles eröffnendem Werk gegeben als die dieses Buches: »What a man!« - nämlich der Winnetou Mays, mit der >Bronzehaut< und den >küßlichen Lippen< - »Aber ich will mir & dem Leser wohlfeile Ironie ersparen, und mich lediglich auf die Frage beschränken: wenn Ihnen ein Bekannter, oder Junge, von seinem >Freunde< in Wendungen der obigen Art vorschwärmte, was würden Sie dann denken? - -:!?! - -: Sehr richtig; einverstanden.«
Das alles ist in bester Laune geschrieben und mit höchster Virtuosität - dazu mit einem Triumph, der weit über jede artistische Genugtuung hinausgeht -: ein ur-komisches Buch, voll von flitzendem Gelächter, das mühelos auch die Schmuddeligkeit ins Literarische zurückholt, aus dem sie ausgebrochen war -: eine Wörter-Orgie, wie sie dann nur noch der >Abend mit Goldrand< übertroffen hat : eine gewaltig inszenierte Menschliche Komödie, ein ganz fraglos starkes Kunst-Stück ... was ist es noch mehr? Ist es zugleich auch eine inszenierte Tragödie und als solche, als Tat eines Autors, >unmenschlich<, wie Heinz Stolte in seiner Abwehrschrift geurteilt hat, »eine Denunziation, eine hämische Nachrede, eine öffentliche Verspottung, ein Höllengelächter, ein Fingerzeigen auf den Mohr, ein Gassengeschrei um den Mann mit dem Buckel, ein Hepp Hepp, das zum fröhlichen Jagen hetzt«? [...] In der Sekundärliteratur um Schmidt herrscht hier eine auffällige Entscheidungsscheu, die vielleicht auf der Ahnung beruht, daß es am Ende zwischen >Kunst< und >Menschlichkeit< zu entscheiden gälte, was ja auch eine ganz verfluchte Sache wäre. Soll ich mich nun ebenfalls drücken?
Ich riskiere es einmal, Ihnen meine bloße gegenwärtige (von meiner damaligen inzwischen abweichende) Meinung zu sagen, ohne ihrer im mindesten sicher zu sein: dem Saurier gleichfalls auf die Schwanzspitze zu treten und mich, Kismet, mit möglichstem Anstand zu blamieren. Im >Abend mit Goldrand< tragen fiktive Personen die Last des »Welt- und Menschenhasses«, die das Lebensthema Arno Schmidts war; hier ist es eine historische, noch gegenwärtige, ja in der Gegenwart für viele (wie für Schmidt, wie Schmidt für viele) empathisch empirische Person »ein gewaltiger Pfuscher«, »ein gruselig unklarer Kopf (...) nicht nur ohne rechte Bildung, ohne Forschungs- & Erkenntnisbedürfnis; sondern von Natur aus flach, flüchtig, aquarienbunt«, der »geborene Abderit«, »der alte Wirrkopf«, »jedweden wissenschaftlichen Bedürfnisses baar«, ein »literarischer Pfuscher, der >frech & gottesfürchtig< (& bettelsuppenbreit) aufs Papier hinsudelt, was immer ihm durchs Kleinhirn säuselt«, »Groß-Stümper« , »der schwule Theodule«, »mondaminenes Gleisnertum von wahrhaft bonner Ausmaßen«,»wenig Individuum, (...) primitivstes Mund-Stück«, »unwiderstehlich für die Primitiven, (...) unsterblich in den Bezirken der lebenslänglich Halb-Starken«, »ein übelriechendes Gemisch aus irenischem Zähnegefletsch & gut entwickeltem Erwerbssinn«, ein »>Sakral-Hirn<« von »dumpfer Zwanghaftigkeit«, voll »archaischer Primitivität«, »androgyner Wirrköpfigkeit« und »mild-verlogener (obschon einer gewissen Größe fähigen) Verschwommenheit + Mangel in secunda Petri, die ihm, im Verein mit seiner permanenten abdominalen Necessitierung, das klare logische Denken, und Alles was damit zusammenhängt, unmöglich machten«, ein »alternder Schwätzer & Schludrian«, ein Bube mit der »erzenen Stirn«, mit »wenig entwickeltem Verstande« (296), »ein S-Golem« von »unzulänglicher Tragik« - - -: What a man! Aber ich will mir und Ihnen wohlfeile Ironie ersparen und mich lediglich auf die Frage beschränken: wenn Ihnen ein Bekannter von seinem >Freunde< in Wendungen der obigen Art vorschwärmte, was würden Sie dann denken? - -: ! ? ! - - : Sehr richtig; einverstanden. He loved him; wir wohnen einer äußerst rabiaten Scheidung eines Liebesverhältnisses bei.
Und in ihrer quantitativ und qualitativ aberwitzige Affektmenge fließen die Nebenmotivationen nur als Verstärker ein: das Vergeltungs-Motiv, dem Karl-May-Verlag das bunte Geschäft zu ruinieren (das bestritt er Brief an Michels vom 17. 12. 62) - so ungefragt ausdrücklich, daß es schon wieder einem Beweis gleichkommt: er rechnete ja durchaus direkt mit >pädagogischen Konsequenzen<, fragte (Brief vom 6. 12. 62) gespannt nach Michels' »Folgerungen als Pädagog«, was Michels auch eigens zu einer beschwichtigenden Argumentation bewog (Brief vom 13. 12. 62), und griff sich erst an den Kopf, als Robert Neumann dann im >Spiegel< tatsächlich konsequent die Indizierung Mays beantragte), - ferner das durch sein ganzes Leben wachgebliebene Bedürfnis nach wissenschaftlichem Verdienst und in dessen Folge hier die strikte Verwerfung des Mayschen Abenteuer-Werks (die er mir gegenüber immer als strategische List bezeichnete; die Kolportageromane hat er seiner Frau gern an den langen Winterabenden vorgelesen): weder wissenschaftlich noch taktisch erklärt sich auch hier die »wiederholungsfreie Fülle« des >Schmähvermögens<: »Künstlerisch ernstzunehmen (...) in keiner Hinsicht« sei das Werk, von »herzschneidender Versimpeltheit« oder »Pfuscher-Frechheit«, »allererzabderitischster Kitsch«, ein »reinrassiges >Schwulen-Brevier<«, »Erstgeburten eines Esels«, »läppisch«, »schmalzig«, »gehässig«; »dieVolksschriftstellerei ist ein Zweig der Toilettenpapierindustrie« ...
Nein, dies alles versteht sich nicht mehr >von selbst<, aus Gegenstand und Material heraus, gar aus einem Kunstkonzept, sondern ist verstehbar nur noch als gewaltig ausgebrochene Lebens-Äußerung, als Hohlform einmal mehr jener phantastischen (und so oft auch phantasierten, ja halluzinierten) Selbstdarstellung, zu der sein ganzes Werk zuletzt nur Bausteine bildet. Wäre dies nicht so, stünde nicht die Wesens-Tragödie dieses sehr großen Autors über seinem Thema hier, so müßte nun die Kritik am Detail beginnen, an der Absicht, an der Legitimität der Sicht- und Verfahrensweise, an der Redlichkeit der Argumentation, an der Plausibilität der Ergebnisse, - es könnte auch die Versuchung zu einer Art Vorwärtsverteidigung eintreten, indem man Technik und Verfahren von »Literaturanalysen der vorliegenden Art« auf Schmidt und seine Texte selber anwendete, um ihn dann als »S-Golem« vorzuführen : und da dies alles für ihn gelinde gesagt ungünstig, grob gesagt katastrophal ausginge und die materiellen Rechtfertigungen ins Bodenlose brächte, bliebe neben der Anerkennung des Kunstwerts der Darstellung wirklich nur noch übrig, auch den Menschenwert der Darstellung zu bewerten. Ich will mich, wie gesagt, nicht drücken, sage also meine Meinung frei heraus: >Sitara< wäre dann auch für mich nur noch ein Mordversuch; es wäre das inhumanste Literatur-Buch, das ich kenne.
[HANS WOLLSCHLÄGER,
Arno Schmidt und Karl May, Vortrag, gehalten am 7. 10. 1989 auf der 10. Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Augsburg. gedruckt in: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1990.; Fußnoten und Seitenangaben entfernt, Absätze neu gesetzt, T.K.]