rodger hat geschrieben:Kürzlich las ich „Unterm Rad“ wieder, das ich zuvor vor knapp vierzig Jahren gelesen hatte und offenbar ganz falsch in Erinnerung. Es geht gar nicht um die Schule, es geht um ein [Langzeit-] Seminar [im Kloster Maulbronn], und die Hauptfigur geht nicht an den Umständen kaputt, sondern an sich selber.
…… schön gesagt, aber wodurch werden wir denn wir selbst? Werden wir nicht alle geprägt von Erziehung, Kindheitserlebnissen und emotionalen Erfahrungen?
Die Befreiung aus solchen Verstrickungen ist äußerst heikel und schwierig … und den meisten gelingt es bis an ihr Lebensende überhaupt nicht. Meist brechen sie aus diesen Kreisläufen in Form von schwerster Krankheit aus, in Form von Zusammenbrüchen (Burn out), Drogensucht, Alkoholismus oder eben Suizid.
Wenn wir die verletzten Wesensanteile in uns nur anschauen lernen, würden wir beginnen zu heilen.
(wie sagt auch Alfons der Viertelzwölfte immer so schön: hinschauen – auch bei sich selbst … ;o))
Hinschauen, hinwenden, zuwenden …. das allein sind wunderbewirkende Taten.
Las ich neulich (weiß aber nicht mehr wo):
„Wir alle selbst kennen den Weg! In unserem tiefsten Herzen! Wir haben es nur vergessen, weil wir schon so lange vom Weg abgekommen sind, und umherirren!
Und wir brauchen nur unserem Herzen zu folgen! Und dazu gehört mehr Mut, als zu den größten weltlichen Abenteuern!“
Und Hesse hat eben bei sich selbst hingeschaut und seine Kindheitstraumata in „Unterm Rad“ verarbeitet. Hierzu fand ich bei Tante Wiki folgenden Eintrag:
"Autobiografischer Hintergrund
Der Autor Hermann Hesse lässt einen autobiografischen Hintergrund durchscheinen. Ortskundige erkennen unschwer die Ähnlichkeit der Heimatstadt Hans Giebenraths mit Calw. Hesse verarbeitet mit diesem Werk seine Zeit im Evangelischen Seminar Maulbronn. Er benutzt beispielsweise Arbeitszimmernamen, die noch heute in Gebrauch sind. Hermann Hesse zeigt sich auch in diesem Buch in den beiden Charakteren Hans und Heilner wieder. Auch er floh und wurde eingefangen, und auch er war künstlerisch veranlagt und hatte eine homosexuelle Phase, so wie Heilner. In Hans sind jedoch nur seine damaligen Gefühle gespiegelt. Er hatte Suizidgedanken und wurde durch diesen Aufschrieb geheilt. Hesses Bruder Hans beging jedoch Suizid."
rodger hat geschrieben:Soo schlimm sind die geschilderten Lehrer und Mitseminaristen nicht ... und daß er sich halt in einen Mitschüler verliebt und damit nicht zurechtkommt wie überhaupt mit Sexualität dafür können weder sie noch er selber ... Und mit dem Saufen muß man halt aufpassen, wenn man’s nicht verträgt, sonst kann man auch schon einmal zu Tode kommen ... (bissel hemdsärmelig vorgetragen aber so ist das.)
([Vorsichtshalber] Königs [Alfons des Viertelvorzwölften] Erläuterungen: Die Hauptfigur in „Unterm Rad“ kommt am Ende nach exzessivem Alkoholgenuß unter nicht geklärten Umständen ums Leben.)
Naja, man kann es auch so sehen, dass er sich Mut angetrunken hat, um diesen letzten Schritt zu gehen, der für ihn in seiner Verzweiflung der einzig noch gangbare war.
Zu „Unterm Rad“ fand ich auch eine schöne Rezension, der ich (mit Blick auf meine Patenkinder) rundum zustimmen kann:
„Die Geschichte ist sehr schön geschrieben und man kann sich sehr gut in das sensible Gemüt der Hauptperson einfühlen. Man fühlt die Unverstandenheit und Verzweiflung des Jungen. Die Geschichte ist ebenfalls ein Hinweis darauf, wie wichtig eine Kindheit ist. Auch in der heutigen Zeit, in der Kinder teils entweder verwahrlosen oder aber mit Ganztagsschulen und tausend Zusatzkursen (man will ja nur das beste für das Kind, teils trauen sich Kinder ja auch gar nicht zu sagen, dass sie Kurs XYZ schon seit Jahren gar nicht besuchen möchten) halb tot gefördert werden ist es immer noch aktuell. Vor allem sensiblere Gemüter brauchen Freiraum zur Entfaltung, zur Muße, zur Erholung für private Dinge und Spiele, um auch herauszufinden, was sie selbst am besten können und vor allem auch wollen und können nicht rund um die Uhr Leistung bringen (auch wenn sie sehr begabt sind). Dies gilt einmal besonders für die sensible Phase der Kindheit und des jungen Erwachsenenalters, allerdings auch später im Berufsleben, in welchem einige durch ihren eigenen Ehrgeiz erstickt werden, manche allerdings auch durch Konkurrenzdruck und harte Chefs oder Angst um den Arbeitsplatz mit vielen Überstunden an den Rand des Wahnsinns getrieben werden.“