Ich habe das Buch jetzt gelesen; einige lose Anmerkungen:
"Ich suche nach Worten und spüre – der Himmel ist unaussprechlich." Das ist ein Satz von der letzten Seite (173), für mich eine Art Fazit nach allerhand spekulativer Theorie in verschiedene Richtungen (die halt beim Vorstellen ganz unterschiedlicher Denkrichtungen nicht ausbleibt).
Der erste Satz (S. 9) heißt "Der moderne Mensch, vor allem in Westeuropa, ist diesseitig orientiert" und umreißt gleich einen wesentlichen Aspekt: das, worum es in diesem Buch geht, wird von vielen Menschen vermutlich weitgehend ausgeblendet aus ihrem Bewußtsein, zu einseitig weltlich orientiert man sich ... insofern ist es begrüßenswert, wenn sich einmal ein Buch ganz abseits weltlicher Gschaftlhuberei mit Dingen wie Tod und "Jenseits" befaßt.
(Zur weltlichen Orientierung nebenbei ein kleines Gleichnis meinerseits: Ist man auf einem Kindergeburtstag eingeladen, kann man sich den dort stattfindenden Ereignissen und Beschäftigungen wie Sackhüpfen, Topfschlagen, Mensch-ärgere-dich-nicht-spielen u.ä. ja durchaus widmen, halbwegs ernsthaft an ihnen teilnehmen, aber angemessenerweise doch mit dem Bewußtsein daß das nicht alles ist, daß es temporäre Dinge innerhalb einer begrenzten Zeitspanne sind, nicht mehr und nicht weniger. So in diesem unserem Leben; kümmern wir uns in angemessenem Umfang durchaus um Dinge wie Wohnung, Kleidung, Essen und Trinken, Geld verdienen usw. usf., aber vergessen wir dabei nicht, daß das, s.o., nicht alles ist ...)
Die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben empfiehlt sich in der Tat schon zu Lebzeiten, mental vorbereitet, kann die Angelegenheit durchaus ihren Schrecken verlieren ... Der westliche Mensch ist hier gemeinhin sozusagen falsch programmiert.
Interessant und gut ausgewählt sind die zahlreichen literarischen Bezüge, May u.v.a., als besonders eindrucksvoll sei "Der Tod des Iwan Iljitsch" (Tolstoi, S.74 ff ) erwähnt. Auf Hesses hier im Forum erwähnte Erzählung "Knulp" wird im Laufe des Buches mehrmals Bezug genommen (am treffendsten auf den Punkt gebracht auf S. 167/68 "Im Zwiegespräch mit dem 'lieben Gott' lernt der Landstreicher Knulp sein vermeintlich gescheitertes Leben mit neuen Augen zu sehen").
Mit dem "Theodizee-Problem", dem einigermaßen breiter Raum eingeräumt wird, 'habe' ich persönlich 'es nicht so', will sagen für mich ist es ist kein 'Problem', ich sehe da keins ... Die Menschen mögen aufhören, Dinge, die sie nicht verstehen [können], aus ihrer begrenzten Sicht heraus beurteilen zu wollen ... "Für ihn [Iwan Iljitsch] geschah das alles in einem Augenblick [...]. Für die Anwesenden freilich dauerte der Todeskampf noch zwei Stunden." (S. 76) So ein Satz sagt mir mehr zum Thema "Theodizeeproblem" als seitenlange theoretische Betrachtungen ... Auch das Zitat "das Ertrinken schien nicht länger ein Übel zu sein" (Bericht eines beinahe Ertrunkenen, S. 77) leistet einiges in dieser Richtung. ("Auch wenn Sie erschossen werden, sollte es für Sie kein Problem sein" las ich einmal so oder ähnlich in einer Schrift Jiddu Krishnamurtis und hielt das typisch oberflächlich betrachtenderweise lange für einen Scherz, bis ich erkannte, daß es halt keiner ist ...)
Interessant die Erlebnisse des Autors aus der persönlichen Begleitung Sterbender.
Schön formuliert "von außen gesehen ist eine andere Antwort nicht möglich. Dem Zuschauer wird es überlassen, ob er bei dieser Außensicht stehen bleiben oder Hanneles Glauben an die himmlische Liebe übernehmen will" (S. 128, über das lakonische "Tot?" – "tot." am Ende von Gerhart Hauptmanns "Hanneles Himmelfahrt").
"Wir werden mit unserer Wahrheit konfrontiert und den Schmerz spüren, dass wir so gelebt haben und so geworden sind, wie wir sind." (Anselm Grün – Zitat S. 134 wiederum mit Bezug zu Hesses "Knulp"). Das kann freilich schon zu Lebzeiten und sozusagen als tägliche Übung geschehen ... (vgl. auch Interpretation des "Fegefeuer" auf S. 161.) Auch wenn Karl May in seinen "Himmelsgedanken" des öfteren mit dem Begriff "Gericht" kommt, pflege ich das recht handfest im Sinne bewußten Lebens und Reflektierens zu interpretieren bzw. zu sehen ...
Interessant die Wiedergabe eines Gedanken Joseph Ratzingers, "Die theoretisch denkbare 'Hölle' deutet er nicht als äußere, von Gott verhängte Strafe. Er definiert sie als
selbst gewählte Gottesferne des gänzlich verstockten Menschen" (S. 136). "Denn wahrlich, sie haben schon ihren Lohn" fällt mir dazu ein. Vielleicht sollte ich doch mal eines seiner (Ratzinger resp. Papst Benedikt) Bücher lesen, schon öfter klang das eine oder andere mitbekommene Zitat von ihm interessant.
"Was also wird aus mir, wenn ich tot bin? Ich muß es Gott überlassen" (S. 141). So ist es. Wir können nur ahnen, glauben, hoffen, überzeugt sein.
In Sachen Bedeutsamkeit oder Unbedeutsamkeit des persönlichen leiblich-geschichtlichen Lebens (Zitat auf S. 159) gehen die Ansichten auseinander, auch wenn auf S. 162 steht "Der Theologe Franz-Josef Nocke unterstreicht: Das endgültige Ziel des Subjekts kann nicht darin bestehen, 'in einem größeren Ganzen aufzugehen oder mit einem anderen so absolut zu verschmelzen, dass nichts Eigenes mehr bleibt'", so mag Herr Nocke das unterstreichen und das Subjekt [sozusagen] Gott weiß was für Ziele haben, ob die Herrschaften (Herr Nocke und das besagte Subjekt) aber damit richtig liegen, das wissen wir halt nicht ... Das etwas wurschtige Zitat Karl Rahners vom "nichtigen Müll" auf S. 164 liegt mir persönlich da schon eher.
"Wir werden unser Leben erkennen in seiner uns jetzt und hier verborgenen Kehrseite" (Karl Barth, S. 167) erinnert mich an eine Stelle am Ende von Hesses "Kurgast", wo er davon schreibt zwei ganz unterschiedliche, gleichzeitig verlaufende und einander bedingende [Arten] Lebens-Linien darstellen zu wollen in seinen Werken ...
"Im Tod 'entschlafen' wir nicht, wir
erwachen zum ewigen Leben" (S. 169) Ganz ähnlich äußerte sich auch der Münedschi in "Am Jenseits" ("Die Menschen schlafen. Wenn sie aber sterben, dann wachen sie auf" (Was übrigens offenbar auch ein Zitat ist (also nicht von May so erdacht / formuliert))).
Hübsch ist es, wenn Wohlgschaft mal für einen Moment etwas hemdsärmelig wird bzw. das für meine entsprechend geeichten Ohren so klingt, „Einem Jesus-Wort zufolge wird im Himmel nicht mehr geheiratet werden“, S. 171. So ist das, Familienministerinnen gleichsam zum Trotz.
Für über weltliche Gschaftlhuberei wie ich das gern [noch einmal] nenne hinausblickende / -denkende ein interessantes und lesenswertes Buch.