markus hat geschrieben:Dieser Aspekt kommt freilich noch hinzu.
Das ist ein bißchen wie wenn Du sagst "Ich habe keinen Hunger", ich sage "Du hast doch seit gestern abend nichts mehr gegessen" und Du wieder sagst "Das kommt noch erschwerend hinzu". Es ist zwar eine gewohnte Pointe, verdeckt aber zugleich, dass es keinen eigentlichen Kausalzusammenhang gibt, auch wennes natürlich implizite Zusammenhänge gibt.
Will sagen: Schön und gut, dass man das mit den Farben so lesen kann - die einfachere Lesart, die ich naturgemäß dann auch dem Autor zuschreiben mag, ist doch die, dass er durch die alte und verdreckte Kleidung gerade den Kontrast zum natürlichen und ehrlichen Naturburschen besonders hervorkehren will. (Entwicklungsrichtung: Ehemals gute Kleidung wird schlecht. Ein Abstieg auf optischer Ebene, bei gleichbleibend-gutem Charakter.)
Deine Lesart ist: Gerade die farbige Kleidung symbolisiert den Wandel vom Gefängnisinsassen zum abenuterlich-bunten "neuen" May. (Entwicklunsrichtung: Schwarze Kleidung wird bunt. Ein Aufstieg auf optischer Ebene. Keine Aussage über die Charakteränderung?)
Mein Problem dabei ist nur: Wenn May im Text "farbig" schreibt, so meint er da wohl kaum, dass die Hosen plötzlich in den Farben des Regenbogens schimmern - er meint, dass sie dreckig sind. Er meint mit Farben diverse Matschtöne. (Wie gesagt: Außer sein Held ist Maler.) Aus diese Bedeutungszusammenhang nun ausgerechnet auf Wortebene das Wörtchen "farbig" auszuschneiden und vom inhaltlichen Kontext gelöst zu einer Optimierung gegenüber eine schwarzen tristen Eintönigkeit umzudeuten - das halte ich für fragwürdig. Ein bunter Zylinder ist nicht besser als ein schwarzer. (Außer vielleicht hier in Köln).
Tatsächlich kann man das gerade an Halef ja wunderbar sehen. Der wird je wiederholt mit wechselnder äußerer Erscheinung beschrieben. (In dem Zusammenhang ist der Wechsel von Mays Ich-Erzähler sehr aufschlußreich, wenn er mal im vedreckten Jagdanzug, mal in feinen Klamotten auftritt und sofort von den jeweiligen Menschen unterschiedlich beurteilt wird, die sich damit selber dann wieder entweder als Westmänner beweisen, oder als Stadtbürger ohne weitere Kenntnisse entlarven.) Bei Halef geschieht das genaue Gegenteil von dem, was Du in Deinem Zitat beschriebst: Der ehemals
weiße Burnus beginnt zu
schimmern. Entscheidend ist nur der eine Satz:
Aber trotz dieser äußeren Unansehnlichkeit mußte man allen Respekt vor ihm haben.
Und der Satz ist eben zentral für die von mir beschriebene Technik der Figurenbeschreibung.
Will sagen: Man kann natürlich viel deuten. Aber in diesem speziellen Falle brauche ich mehr Gründe, bevor ich Deiner Lesart zustimme und halte bis dahein die meinige für plausibler, wenn auch weniger kunstvoll. Man könnte sonst auch versuchen mit der selben Logik seine Amerikareisen nach den Gefängnisaufenthalt und die Mahdi-Bände vor denselben zu datieren. =)
Und das alles natürlich geschrieben im Schatten der Friedenspfeife. Eine Diskussion ist schließlich kein Kriegspfad und ein Besuch im Bordell kein Linienverkehr.

"So scheint mein Rohr besser zu sein als das Eurige, obgleich es viel kleiner ist."
[Der Schatz im Silbersee, 217.]
"Der Deutsche pflegt zwar albern, aber auch ehrlich zu sein."
[Der Sohn des Bärenjägers, 508.]