Darauf dann aber doch die wunderbare Kara Ben Nemsi-Logik aus dem ersten Kapitel des Orientzyklus: Wenn ich mich zu einer fremden Religion bekehren ließe, dann käme ich in die christliche Hölle - wenn ich bei meinem Glauben bleibe habe ich Hoffnung auf das christliche Paradies. Will sagen: Ja, Du hast Optionen - aber nur im ChristentumDoro hat geschrieben:Hmmm, nu ja, das mit den Bekannten kommt ja drauf an, wenn die Buddisten waren... wenn ich jetzt bei der Ausgangssituation mit der Zeit vor Christus bleibe, dann kann ich ja solange zumindest durch die Wiedergeburt bis nach Christus gelangen und dort dann als Christ ins Paradies eingehen, bevor ich als Heide vor Christus in ewiger, wenn auch gedämpfter, Verdammnis brutzle ...![]()
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Und dass Tucholsky nicht gemeint war, war mir klar - aber ich befürchte ich komme mit Deiner Argumentation nicht klar.
Doro hat geschrieben:Ich meine, das bei strahlender Helligkeit das Licht einer Kerze nicht auffällt, obwohl es ein wunderschönes Licht ist.![]()
Ich bemühe mal den abgenutzten Witz von dem Mann, der betrunken unter einer Laterne auf dem Boden herumkriecht. Auf die Frage, was er da tue, sagt er "Ich suche meinen Haustürschlüssel." - "Und den haben Sie hier verloren?" - "Nein, da drüben. Aber hier ist's heller."Doro hat geschrieben:Metaphorisch könnte mensch auch soweit gehen und interpretieren, wo es am Meisten menschelt ist auch die (gesuchte) Menschenseele zu finden, wo die Dunkelheit am Größten leuchtet selbst das schwächste Licht unglaublich hell
Die Pointe des Witzes mal ins Gegenteil verkehrt hieße dann, ein Glühwürmchen auch tags im Tunnel zu suchen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschenseele automatisch da ist wo es am Dunkelsten ist. Müßte sie nicht bestenfalls überall zu finden sein? Er sucht ja nicht nur nach der Menschenseele, sondern auch den Menschengeist. Und was er damit meint erklärt sich am Besten aus einem Beispiel, dass er dem selben Hans Möller gibt, dem er auch die oben zitierten Zeilen schrieb:
Das nun aber wird jedem einzelnen zu wünschen sein - und nicht etwa nur da, wo es "am dunkelsten ist".Karl May hat geschrieben:In Ihrem zweiten Briefe wiederholen Sie eine Bitte, die bereits im ersten stand. Ich versuche, sie zu erfüllen, indem ich Ihnen folgendes Bild vorführe. Es ist trivial, aber ziemlich gut passend.
Da steht eine Droschke. Der Wagen ist der menschliche Leib; die Anima ist das Pferd. Wenn die Anima sich in Bewegung setzt, so laufen sämmtliche Räder. Aber diese Bewegung gleicht derjenigen des Neugeborenen, der nur erst aus Leib und Anima besteht.
Da steigt der Kutscher auf. Das ist die Seele. Jetzt ist Geschick und Wille da. Man kann loskutschiren; aber eintragen wird es nichts. Hierauf kommt ein Herr, dem man es ansieht, daß er zahlen kann. Der steigt ein und befiehlt »Lindenstraße und Jäger-Allee nach der Artillerie-Kaserne und dann nach Fahrland durch das Nedlitzer Holz!«
Dieser Herr ist nun endlich der Geist, der Menschengeist, durch den die Droschke provitabel wird, denn er verlangt nichts umsonst.
Ist Hans Möller nicht mehr blos Anima, sondern bereits schon Kutscher, so fährt er heut Göthe, morgen Schiller, übermorgen Kant, hierauf Michel Angelo, dann Wagner oder Nietzsche. Die zahlen gut, nicht blos nach Tarif, sondern mit fairen Trinkgeldern. Die Summe mehrt sich von Tag zu Tag. Und ist Hans Möller kein dummer Kerl und zählt er eines schönen Abends nach, so findet er, daß er nun genug beisammen hat, um nun sich selbst zu fahren, anstatt immer nur Andere. Er schraubt den Bock ab, wirft ihn herunter und setzt sich in den Fond des Wagens, wo immer nur andere Geister saßen, nach denen er sich richtete. Nun ist er selbst Geist geworden und also reif genug, einen eigenen Willen und ein eigenes Ziel zu haben. Er greift in die Zügel, knallt mit der Peitsche, und vorwärts geht es, bis er Einen hinter sich rufen hört:
»Sachte, sachte, mein lieber Hans! Ich heiße Karl May und will auch nach Fahrland hinaus, sogar noch weiter, immer weiter, bis grad in den Himmel hinein. Halten Sie Ihre Anima etwas zurück; das giebt einen vernünftigen Schritt, und wir fahren neben einander!«
So! Das lesen Sie! Und denken Sie darüber nach!"

Hermann! (Das Gesieze war dem Forennamen und dem altmodischen Respekt vor dem Lebenserfahreneren geschuldet, aber natürlich, gerne nun soHermann Wohlgschaft hat geschrieben:Worin sehen Sie (gerne auch du) konkret den Unterschied zwischen »tendenziell katholischem Glauben« des »lyrischen Ich« in Mays literarischem Werk und der »tendenziell protestantisch-freiheitlich geprägten Privatangelegenheit« des Autors Karl May?

Was May in seinen Reiseromanen beschreibt ist über weite Strecken Imagination, Wunschdenken - und sehr viel überzeugter, als er selber gewesen sein dürfte. Zudem orientiert es sich (nicht nur, aber eben auch) oftmals am Lesepublikum. (Nach den Weihnachtsferien und dem Umzug werde ich mir "Old Shatterhands Glaube" mal ausführlich vornehmen, versprochen - aber schon beim ersten Hineinlesen in der Uni-Bib schien sich mein Eindruck zu bestätigen.) In seinen autobiographischen Schriften hingegen verweist er darauf, dass seine Eltern zwar Protestanten waren, dies aber eher auf sehr basale und nicht auf streng theologische Weise, was ihn beeinflußt hätte. Man kann in beiden Fällen sicher über eine gewisse Varianz von Deutungen streiten - aber ich bräuchte schon sehr sehr gute Gründe, damit ich überzeugt würde, dass Shatterhands/Kara Ben Nemsis Glaube identisch mit dem des privaten Autors sind.
Da lese ich schon mal leicht anders: May spielt hier mit den Doppeldeutigkeiten, gerade weil Möller sagt Rosegger sei protestantisch und May sei katholisch und will den harten Gegensatz auflösen. (Immerhin löblich, wenn Roseger ihn verreißt.) Darum schreibt er, jeder sei katholisch und evangelisch - um mit dem nachgeschobenen Protestanten nun auch die Konfessionen wieder in den Blick zu bringen. Wie gesagt: Es ist nur eine leicht andere Lesart. In der Konsequenz allerdings widerspreche ich deutlicher. Wenn wir nämlich annehmen, dass May die von Dir erläuterten Bedeutungen von "katholisch" und "evangelisch" wirklich so meint - dann ist das die eine Sache - dass er bewußt mal tatsächlich "katholisch" (im heutigen Normalgebrauch) schreibt, mal "protestantisch" denkt - dann ist das etwas anderes. Dann nämlich spielt er Verstecken mit seiner religiösen Identität - und das eben widerspricht dann auch wieder dem von ihm selber propagierten "überzeugten" Weltbild. Und dann wüßte ich auch gerne, was ihn von jemandem unterscheidet, der als Nichtchrist genau das selbe täte. (Und ja, wir haben ja einen lebenden Vergleich durch Klaus Berger...) Und noch abstruser scheint mir, nun eine tatsächliche Ökumeneabsicht da "hinein-zulesen". Das ist, als ob man dem Heiligen Franziskus oder der Heiligen Klara eine Borderline- oder Ess-Störung attestieren würde.Mir persönlich gefällt SEHR die, von Ihnen zitierte, Formulierung Mays: »Es giebt keinen guten Christen, der nicht katholisch ist, zugleich auch evangelisch und gar auch Protestant. Die Kirche Christi ist groß (…).« Ich halte diese Formulierung sogar für genial – vor allem, wenn man bedenkt, dass May ja im 19. und im beginnenden 20. Jhdt. gelebt hat, in einer Zeit also, die von ökumenischer Theologie noch sehr wenig gewusst hat.
Unter »katholisch« verstand May, ganz offenkundig, nicht die römisch-katholische Papstkirche, sondern (im ursprünglichen Sinn des Wortes »katholisch«) die »allumfassende«, alle Teil-Konfessionen verbindende Kirche Jesu Christi. Und unter »evangelisch« verstand er, ebenfalls ganz offenkundig, die Rückbindung des christlichen Glaubens an das Evangelium Jesu (bzw. die Botschaft der vier Evangelisten). Und »Protestant« – so verstehe ich das May-Zitat – muss ich als Christ insofern sein, als ich – ganz im Sinne Jesu bzw. der Evangelisten – gegen jede Form von Unrecht protestieren und dieses Unrecht konsequent bekämpfen soll.
Esist nicht so leicht zu erklären, wie es sich impulsiv "denkt" - aber mich stört diese Inbeschlagnahme Mays durch unterschiedlichste Strömungen genauso wie analog die Nutzung eines jeweils zurechtgebogenen Jesusbildes für sich oft sogar widersprechende Geisteshaltungen...