rodger hat geschrieben:Diese Stelle ist nicht unbedingt Selbstkritik
Ich schrieb auch nicht von Selbstkritik, sondern von Einsichtsfähigkeit und Zugänglichkeit gegenüber Kritik. Das ist ein Unterschied ... Beispiel: einer schreibt, May und Müller schreiben völlig unstrukturiert einfach drauf los. Müller liest das, erkennt, daß das zutrifft, bleibt aber dabei und sagt sich, ja, so ist es halt ...
Ich weiß, was Du meinst - und würd doch sagen: Es dient hier eher dem "Ich habe mich zu dem ENTWICKELT, was ich bin, es war keine Gnade der Geburt!" (ganz im Gegensatz zu dem Vorwurf des "geborenen Verbrechers") - und zugleich eben erläuterte es eben erstaunlich pointiert die Funktion von Pferden im Mayschen Werk...
aber das geht zuweit, oder?
Es geht gar nichts zu weit ... Ich bekam mal mit wie einer ganz empört darüber war, daß Walther Ilmer angedeutet hat, das Nachtgespräch zwischen Kara Ben Nemsi und Hanneh in Band 26 oder 27 könne bedeuten, daß die beiden miteinander geschlafen hätten ... aber sicher doch kann es unter anderem auch das bedeuten. Und die Frage nach der Seele in dem Zusammenhang (mit jenem Gespräch) kann mit Orgasmusfähigkeit zu tun haben, th’is clear. (Eine Ebene, ein möglicher Aspekt.)
Ich bekam neulich vom Prof. den Plot von "Tristan und Isolde" kondensiert: "Und dann saß der verletzte Tristan in ihrem Bade und sie wußte nicht, was sie ihm sonst noch gutes tuen könne. Da hat sie ihm das Schwert geputzt." - Ich mußte mich zusamenreißen - aber um mich rum fünf mal fünf Studenten, die allesamt nichtmals mit der Wimper zuckten. Ich möchte wetten, dass auch hier eine Ebene vorliegt.
Wobei ich bei Deinem Beispiel fast annehmen möchte, dass Ilmer unterstellte, die für Kara und Hanneh "stehenden" Personen hätten miteinander geschlafen. (Eine beinahe Schmidtsche Assoziation schon: "Siehst Du Hanneh - wenn wir hier die beiden Seitenhänge am Mons veneris nehmen und sodann die feindliche Armee..." - Sex bei May? Ausformuliert würde er nicht funktionieren...) Oder meint er ernsthaft, dass Kara innerhalb der Geschichte Halef betrügen würde? Also... Hanneh Halef betrügen würde? (Da hammas schon wieder, das Identitätsproblem...)
Und zudem: Es gibt für mich (rein privat) auch Deutungsgrenzen. Wenn da einer dahergeht und Artikel über Mays Jugendzeit vermischt mit Masturbationsphantasien und das dann ausgerechnet auf den Turm der alten Mutter bezieht, den Halef ja mit einem Regenschlauch im oberen Drittel unter Wasser setzt - und das dann als buchstäbliche Abbildung von Onanie gedeutet haben will... da war bei mir dann das Verständnis gänzlich flöten gegangen. Warum nicht gleich einen Ödipuskomplex baschteln - wo's doch der Turm der alten
Mutter ist? Wie sagte Postman, mal so schön zum Poststrukturalismus? "Man kann Hitlers 'Mein Kampf' noch so dekonstruieren - es wird doch kein Loblied auf das jüdische Volk draus."
@Kafka Kleine Fabel
Die beschäftigt mich seit geraumer Zeit - und ist für mich eine sehr bittere Ironie. Weli gerade der Ratschlaggeber auch der endgültige Vernichter ist. Und der Ratschlag der Katze kommt erst als es zu spät ist - insofern kann er kein ernstgemeinter sein. Ich mag das nicht gänzlich ausrollen hier - aber ich kenne das Gefühl (das zuerstmal nur ich in der Fabel finde) nur zu gut. (Ich habe einmal etwas ausführlicher um diesen Kontext drumrumgebloggt - dem geneigten Interessenten sei daher dieser
Link ans Herz gelegt).
Ach übrigens, es „macht richtig Spaß“ (Gewisse Floskeln sind manchmal sozusagen grauenhaft. Yes. Well.) sich mal mit einem „vernünftigen Menschen“ auszutauschen. Gerne mehr davon.
Oh ja, nur allzugern. Ich versank nur ind er Versenkung wegen Diplomarbeitsanmeldung, Zusammenziehen, Hausarbeiten und diversem anderen Kram. Aber ich brauche meinen May - und ich genieße es ebenfalls darüber reden und sozusagen "leise streiten" zu können - auch wenn wir erfreulich oft übereinstimmen.
Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:War Karl May ein »überzeugter Christ«? So 100%ig sicher bin ich mir nicht, aber ich meine: wahrscheinlich war er es schon. Vielleicht in einigen Lebensphasen mehr, in anderen weniger.
Dass manche seiner islamischen Muftis usw. an katholische Dorfpfarrer erinnern, die meinen »die Wahrheit gepachtet« zu haben, schließt freilich nicht aus, dass May ein »überzeugter Christ« war. Zum Christsein gehört ja ganz wesentlich auch das Fragen und Zweifeln. Außerdem hat May immer sehr kritisch zwischen der Religion selbst (sei es Christentum oder Islam usw.) und ihren - oft unglaubwürdigen - Repräsentanten unterschieden.
Ganz ehrlich - am Ende eines Diplomstudiums in Theologie mangelt es mir vielleicht noch an Jahren von Erfahrung - aber ich wage mal die Behauptung, dass man hier mehr wünscht als nachweisen kann. Katholisch hätte er schon wegen der zwei Ehen gewisse Probleme, seine Veröffentlichungstätigkeiten diverser Marienkalendergeschichten müssen zwar recht differenziert betrachtet werden - lassen aber keinen Rückschluß auf May zu (wie so oft in seinem Werk). Die klassisch theologische Beweisführung: "Ich glaube schon." - da ist dann wohl mehr der Wunsch der Gedanke des Paters.
Und Fragen und Zweifeln gehört
heute zum Christentum - das laute Äußern allerdings nur sehr bedingt in der Phase vonm Mays Schaffen. (Nebenbei: Nicht unspannend, ihn ja quasi im "Nachmärz" zu lesen...) Zudem habe ich großes Verständnis, wenn heutige Muslime mit dem von May geschilderten Islam nichts anfangen können oder sich gar beleidigt fühlen. (Was er sich mit Turnerstick z.B. in "Christus oder Mohammed" leistet ist grenzwertig...) - Meiner Meinung nach hat er in der Idee des Islams vor allem ein brauchbares Motiv gefunden, das gewisse Machtstrukturen und Überheblichkeiten illustrieren konnte - den wirklichen Islam hat er weder gekannt, noch (vermutlich) gemeint. Eine alzu feine Differenzierung zwischen Religion und ihren Vertretern läßt sich beim Islam nur mit etwas gutem Willen als Grundkonzept verkaufen - obgleich ich selber auch dazu tendiere seine Werke so zu lesen.
markus hat geschrieben:rodger hat geschrieben:Ach übrigens, es „macht richtig Spaß“ (Gewisse Floskeln sind manchmal sozusagen grauenhaft. Yes. Well.) sich mal mit einem „vernünftigen Menschen“ auszutauschen. Gerne mehr davon.
Was im Umkehrschluß bedeutet, daß alle anderen die euren "intellektuellen Slang" nicht drauf haben, automatisch unvernünftig sind?
Zumindest ist kein intellektueller Slang beabsichtigt - und was jede gute Köchin lernt hilft auch hier: Wenn noch Gänsebeinchen dran sind, soll wohl nicht alles in den Topf geworfen werden.

- Bester Markus, da hab ich doch endlich meinen Winnetou gefunden, da werd ich doch nicht rumstänkern wenn noch wer mitreisen will. (Oder besser... Der Rüdiger ist mein Surehand und ich bin Apanatschka?) Wir haben halt nur (und auch das erst seit kurzem) gemerkt, dass wir auf eine vergleichbare Art und Weise Spuren lesen. Und das ist doch klassischer Karl May - welche Rollen dabei andere besetzten liegt doch ganz an denen - von Wabble über Pampel, über Rattler, Santer, Hobble, Frank, Klekhi-Petra und Lindsay ist da doch mannigfaltigste Entfaltungsmöglichkeit =)
Aber eins muß man euch lassen. Ihr seht die Symbolik überall dort, wo andere (ich z.B.) sie nicht mal im Traum vermuten. Also war mein Beitrag letztens (im Magazin-Forum glaub ich) doch nicht nur witzig, als ich schrieb, daß man nach jedem Absatz sich erstmal fragen sollte, was Karl May einem nun wieder damit sagen wollte

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Ich weiß nicht, ob er immer etwas sagen
wollte. Bei dem Tempo mit dem er teilweise schrieb halte ich das für übereilte Schlüsse. Allerdings glaube ich bei den lateinischen Zitaten z.B. (die er ja bewußt aus einem Lexikon rausstreichen mußte), wie auch bei vielen Namen und grundlegenden Gestaltkonzepten durchaus an Absichten. (Es gibt ja nicht nur seine geographischen Predigten, sondern auch seine Randkommentare in Grammatiken. "Iltischi - Winnetous Mustang" und "Hattitla -
mein Rappe")
Bei dem Rest glaube ich lediglich an eine Art Tiefenstruktur, die sich ankitzeln läßt - die zum Teil Vermutung bleibt und sich zum Teil mit dutzenden anderen Hinweisen einfügt. Wie auch immer - ich hab ihn erst als Kind verschlungen und kein bißchen über so etwas nachgedacht. In der zweiten Phase vor zehn Jahren ging es mir nur noch auf den Keks, dass er dauernd gefangengenommen wird - und seit ein paar Jahren reizt mich dieses "Zweite-Ebene-Lesen" sehr. Und trotzdem halte ich 90% der in den letzten zehn Jahren veröffentlichten Artikel für reinen Mumpitz...

"So scheint mein Rohr besser zu sein als das Eurige, obgleich es viel kleiner ist."
[Der Schatz im Silbersee, 217.]
"Der Deutsche pflegt zwar albern, aber auch ehrlich zu sein."
[Der Sohn des Bärenjägers, 508.]