Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:So einfach ist das also: Weil Karl May zeitweilig behauptet hat, mit seiner Romanfigur Old Shatterhand identisch zu sein, deshalb muß – wenn ich Herrn Hermesmeier recht verstehe – auch alles andere, was May geschrieben hat, von Grund auf verlogen sein.
Nein, Herr Wohlgschaft, Sie haben mich nicht verstanden. Man kann nur hoffen, dass Sie bei Karl May nicht gar so einfache Denkstrukturen in Anwendung gebracht haben wie bei der Interpretation meines Schreibens.
Wir haben es bei Karl May mit einem Menschen zu tun, der, solange er in der Öffentlichkeit stand, zu lügen nie aufgehört hat, und zwar dort, und nicht nur im stillen Kämmerlein. Es geht nicht allein um die Old-Shatterhand-Legende und ihre skurrilen Ausformungen. Es geht um seine kriminellen Verfehlungen, um seine Hochstapeleien, auch in literarischer Hinsicht. Es geht um den falschen Doktortitel. Schauen Sie sich mal an, welchen Aufwand Karl May getrieben hat, nur um die Amerika-Reise länger erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich war. Er ließ Manuskripte mehrfach mitten im Text beginnen und gaukelte durch falsche Paginierungen einen bedeutend größeren Umfang vor. Sämtliche Veröffentlichungen Mays, ob mündlich oder schriftlich, waren darauf ausgerichtet ihn selbst gut aussehen zu lassen, ein Geschäft, das May durchaus manisch betrieb. Und das soll bei der 'Selbstbiografie' alles anders gewesen sein, ausgerechnet auch anders als bei allen anderen Autobiografien, Memoiren und sonstigen Selbstzeugnissen, die durch Druckerpressen in die Welt hinaus gelangt sind?
... bei einem Autor, der dieses Werk gegenüber seinem Verleger - nicht-öffentlich! - folgendermaßen kommentiert:
Karl May an Friedrich Ernst Fehsenfeld, 14.11.1910 hat geschrieben:... Darum habe ich das Buch nicht so geschrieben, daß es mir den Lesepleps wiederbringt, sondern so, daß es mir die Prozesse gewinnen hilft. Es hat nur diesen einen Zweck, weiter keinen, trotz des hohen biographischen und psychologischen Werthes, den es besitzt. Hat es diesen Zweck erreicht, kann es in Gottes Namen verschwinden.
Wir brauchen das Buch also gar nicht so herzustellen, daß es von ewiger Dauer ist. Also billiges, aber gut aussehendes Papier.
Ein Blendwerk also. Angesichts einer solchen Aussage darf ein Biograf - zumal in einer historisch-kritischen May-Ausgabe - nicht nach der Maxime verfahren: Ich glaube erst einmal alles, was Karl May schreibt, bis andere mir das Gegenteil bewiesen haben. Angesichts der oben zitierten Offenbarung hätte man statt dessen jede Äußerung Karl Mays kritisch auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, und vor allem unter dem Gesichtspunkt zu untersuchen, welchen Vorteil diese oder jene Darstellung ihm in Bezug auf die Prozesse brachte, die er durch sie erklärtermaßen zu gewinnen trachtete.
Es ist ein Unding, dass diese kritische Würdigung in einer sogenannten historisch-kritischen May-Ausgabe unterblieb, womit dieses Etikett denselben Wert hat wie Mays Doktortitel.
Es kann nicht sein, dass eine historisch-kritische Biografie sich darauf beschränkt, das Glaubenszeugnis des Autors zu sein.