
Ich reite zur Zeit wiedereinmal 'durch die Wüste', will sagen: Durch sechs Bände Orientzyklus (in der HKA).
Und erstaunt stellte ich beim (wievielten? Ich habe aufgehört zu zählen...) Lesen fest, dass da eine Lücke in Kara Ben Nemsis Reiseerzählung klafft. Ausgrechnet bei der Frage der Legitimation. Jeder Karl May-Leser kennt den beinahe schon magischen Pass des Ich-Erzählers, den Ausweis, den er vom Großherrn besitzt, das Budjerduldu des Padischa, mit dem er selbst feindseligste Richter und Polizisten tatsächlich zu seinen Verbündeten machen kann. Nur stellte ich nun erstaunt fest: Den besitzt er nicht von Anfang an - und zugleich bleibt gänzlich unklar, woher er ihn hat...
Verkürzt dargestellt:
Beim Wekil von Kbili muß sich Kara Ben Nemsi zum ersten Mal ausweisen. Er besitzt einen einfachen Paß, jedoch nur vom französischen Gouverneur in Algier.
Und nachdem die orientalische Variante der Pantoffelherrschaft die rettende Wendung herbeiführt, jubelt Halef:»Wer bist du?«
»Hier ist mein Paß.«
Ich gab ihm das Dokument in die Hand. Er warf einen Blick darauf, faltete es zusammen und steckte es in die Tasche seiner weiten Pumphosen. [...]
»Er ist mit den Zeichen der Ungläubigen geschrieben. Von wem hast du ihn?«
»Von dem französischen Gouvernement in Algier.«
»Das französische Gouvernement in Algier gilt hier nichts. Dein Paß hat den Wert eines leeren Papieres. Also, wer bist du?«
Ich beschloß, den Namen zu behalten, welchen mir Halef gegeben hatte.
»Ich heiße Kara Ben Nemsi.«
[Karl Mays Werke: Durch die Wüste. Karl Mays Werke, S. 41526f.
(vgl. KMW-IV.1, S. 54f.)]
Später -nach der Rettung der geraubten Senitza und einer spektakulären Verfolgungsjagd auf dem Nil - gerät Kara Ben Nemsi vor Gericht. Als er sich ausweisen soll, verweist er auf seinen Paß und einen Reiseschein, betont zudem das Budjeruldu seines Begleiters Isla Ben Maflei.»Sie ist der Wekil und er die Wekila, und wir stehen uns hier besser im Giölgeda wekilanün, im Schatten der Statthalterin, als wenn wir ein Bu-Djeruldu hätten und der Giölgeda padischahnün, der Schatten des Großherrn, uns beschützte. Hamdulillah, Preis sei Allah, daß ich nicht so glücklich bin, der Wekil dieser Statthalterin zu sein!« – – –
[Karl Mays Werke: Durch die Wüste. Karl Mays Werke, S. 41560f.
(vgl. KMW-IV.1, S. 77)]
Ein weiteres Kapitel befindet er sich am roten Meer, ein Teil Wegstrecke ist in der Erzählung übersprungen - und es kommt plötzlich die überraschende Wendung, als er sich von einem Schiffsbesitzer nicht herunterputzen lassen will:»Wie meinst du das, Giaur?«
»Ich warne dich, mich mit diesem Worte zu beschimpfen! Ich habe einen Paß bei mir und auch einen Jzin-gitisch [Reiseschein] des Vizekönigs von Aegypten; dieser aber, mein Gefährte, ist aus Istambul; er hat ein Bu- djeruldu des Großherrn und ist also ein Giölgeda padischahnün.«
»Zeigt die Scheine her!«
Ich gab ihm den meinigen, und Isla legte ihm den seinigen vor. Er las sie und gab sie uns dann mit verlegener Miene zurück.
[Karl Mays Werke: Durch die Wüste. Karl Mays Werke, S. 41665f.
(vgl. KMW-IV.1, S. 146)]
Bleibt also die Frage: Woher hat Kara Ben Nemsi plötzlich den Reisepass, der ihn unter den Schutz des Großherrn stellt? Ich bin mir ziemlich sicher, darüber bereits eine Episode gelesen zu haben, in der er auf recht trickreiche Weise an denselben kommt, allerdings ohne jedoch wirklich mit dem Großherrn aufeinanderzutreffen. Ganz im Gegenteil zu der filmischen Darstellung desselben im Film ('Durchs wilde Kurdistan / Im Reiche des Löwen') ist es kein imposanter Empfang wegen seinen Heldentaten - sondern ein Schwindel deluxe... Klassischer Karl May eben...Ich ließ mein Kamel niederknieen, stieg ab und zog meinen Paß hervor.
»Muhrad Ibrahim, du siehst, daß wir uns noch weniger vor euch fürchten, als ihr vor uns; du hast einen sehr großen Fehler begangen, denn du hast einen Effendi beleidigt, der im Giölgeda padischahnün steht!«
[Karl Mays Werke: Durch die Wüste. Karl Mays Werke, S. 41685
(vgl. KMW-IV.1, S. 158)]
Nur: Wo hab ich das nur gelesen?
Erstes Fundstück:
Nur: Da reisen Kara und Halef bereits seit langer Zeit gemeinsam, Halef ist schon lange mit Hanneh verheiratet - und somit liegt die Geschichte Jahre nach den oben erwähnten zu verorten. Und also auch ein anderer Paß gemeint. Sollte ich tatsächlich zwei Fälle durcheinanderwerfen? Dann bleibt aber die Frage: Woher hat er die erste Legitimation des Großherrn?»Habe keine Angst, Halef! Ich trage in meiner Tasche einen Firman des Schah-in-Schah, welcher in eigener Gegenwart des Herrschers untersiegelt worden ist. Dagegen kann kein Särtix aufkommen.«
»Woher hast Du diesen Firman? Kennt Dich der Schah?«
»Nein, und ich kenne ihn auch nicht; wir stehen uns also in dieser Beziehung vollständig gleich. Du hast doch meine türkischen Legitimationen gesehen; bessere, als ich hatte und noch habe, gibt es nicht, und doch war ich dem Sultan unbekannt. Aber ich habe einen sehr guten und sehr einflußreichen Freund in Stambul; das ist Mustapha Moharram Agha, der Kapudschi38 der hohen Pforte; der hat mir die Papiere besorgt; kein Fürst kann wirkungsvollere bekommen. Solche einflußreiche Personen gibt es auch anderswo; man muß die Schliche nur kennen. Persische Firmans sind nicht nur in Persien zu bekommen.«
[Karl Mays Werke: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen. Karl Mays Werke, S. 63209
(vgl. KMW-IV.27-304, S. 193-194)]