Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Achselzucken.
(Das bezieht sich auf den Beitrag, nicht auf dessen letzten Satz ...)

Ich habe vorhin ein wenig in "Mein Leben und Streben" gelesen. May hat gute Erinnerungen an seinen Vater, läßt Respekt und Anerkennung spüren.

Und da Sie meinen, mir sagen zu müssen, ich solle mich mal hineinversetzen:
Mein Vater hat mich auch "mißhandelt", will sagen, er ging mit körperlicher Züchtigung, die früher als angemessen und ganz selbstverständlich zur Erziehung dazugehörte, gelegentlich zu weit, wie eben auch Mays Vater. Aber wenn ich heute regelmäßig miterlebe, wie kleine widerwärtige Monster in Restaurants oder Supermärkten hemmungslos herumschreien und ihre Umgebung terrorisieren, dann denke ich Mein Vater hätte mir links und rechts was in die Fresse gehauen, und er hat recht getan". So. Bitt'schön.
ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Lieber rodger, bitte entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin mit dem "Hineinversetzen". Es tut mir leid, wenn ich bei Ihnen unliebsame Erinnerungen geweckt habe.
Zu Ihrer Bemerkung über die Monster: Denken dürfen Sie`s ja - die Gedanken sind frei! Auch ich bin gelegentlich von kreischenden Gören in der Nachbarschaft genervt, aber ich denke: "Okay, sie bezahlen später mal meine Rente." Und als nächstes frage ich mich: "Waren wir als Kinder auch so laut?" Vermutlich ja.
Aber warum denn "Achselzucken?" Ich stelle jedenfalls fest: Wir haben ja doch Konsens, nämlich dass Vater May es übertrieben hat - immerhin. Oder meinen Sie, ich lese zu viel in Mays Äußerungen in L&S hinein? Sie hatten ja schon früher geäußert, dass Ihnen Mays Äußerungen in L&S immer suspekter vorkommen, weil er wohl einen ununterdrückbaren Hang zur Lügerei und Schön- oder Schlechtfärberei, jedenfalls zum Übertreiben hatte (oder so ähnlich). Vielleicht vom übertreibenden Vater geerbt?
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Ob die Erinnerungen unliebsam sind oder nicht das bleibt sich gleich, jedenfalls wurden sie nicht durch den Beitrag erweckt sondern pflegen sich ganz von selber regelmäßig einzustellen.

Nein, ich war als Kind nicht so laut. Ich durfte nicht. Und die anderen auch nicht. Damals wurden Kinder noch erzogen.

Mal ist "Mein Leben und Streben" glaubwürdig, mal nicht. Mal anrührend, mal peinlich. Mit dem Vater hat das nichts zu tun. Das war nicht so ein 'abgefahrener' Charakter wie sein Sohn ...
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Auf die Gefahr hin, mich ständig zu wiederholen: Ich lehne das pauschale Etikett "Lügner" im Blick auf May vehement ab. Er hatte einen Hang zum Übertreiben (öfter auch zur Schönfärberei), das ja, das bestreitet niemand. Aber ihn deshalb einen Lügner zu nennen, wäre ungerecht. Selbst die "Old Shatterhand Legende" (Mays Auftritte als Old Shatterhand vor allem in München und in Wien) ist differenziert zu betrachten. In L&S jedenfalls bemüht sich der Autor sehr um Wahrhaftigkeit. Gerade seine Aussagen über den Vater sind m.E. ein ehrlicher Versuch, dem Vater gerecht zu werden.
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Ob vehement oder nicht, das bleibt sich gleich. Gelogen hat er bis zum Schluß immer wieder ... (nicht immer, aber immer wieder.)
Falls meine Meinung [weil hier unbequem] zu irrelevant erscheint, von Claus Roxin gibt es, wenn ich mich recht entsinne, eine Untersuchung dazu, in Sachen Pseudologie ...
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Ralf Harder
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Ralf Harder »

Zum Wahrheitsgehalt in Mays Selbstbiografie ›Mein Leben und Streben‹:

https://www.reisen-zu-karl-may.de/forsc ... rafie.html
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben: 29.10.2020, 22:58 jedenfalls bemüht sich der Autor sehr um Wahrhaftigkeit.
"I beg your pardon", aber diese Formulierung in Bezug auf May klingt, gelinde gesagt, abwegig, um nicht zu schreiben absurd ...

Er erinnert mich in der Hinsicht an Thomas Mann, der irgendwo mal zugab, sein ganzes "Demokratie"-Gesülze sei nicht wirklich aufrichtig ...
Beide waren sehr begabt darin, so zu schreiben, wie es ihren Zwecken jeweils dienlich schien ...
"Ich kann Recht so jetzt, jetzo so erteilen" sagt Richter Adam ...
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Ralf Harder
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Ralf Harder »

Absurd finde ich das gar nicht. Ich zitiere Hainer Plaul:

Dabei tritt das erstaunliche Ergebnis zutage, daß der so ungeheuer phantasievolle Schriftsteller mit dieser Lebensbeschreibung bei allem verständlichen Bemühen um Selbstschutz ein sehr ehrliches und vom festen Willen zur Wahrhaftigkeit durchdrungenes Bekenntnis abgelegt hat.«

Ich teile diese Auffassung. Plaul hat seine Aussage im Olms-Reprint ›Mein Leben und Streben‹ anhand zahlreicher Quellen anschaulich belegt.
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Wie geschrieben, teils, teils.
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Der alte Karl soll im roten Meer versenkt worden sein, aber ein neues Klondyke hat er doch noch entdeckt ...
'Babel und Bibel' soll unbedingt mal in dieser, mal in jener Stadt uraufgeführt werden, halt abhängig davon, wo der Adressat des jeweiligen Bittbriefs wohnt ... Kleinigkeiten, die mir spontan einfallen
ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Schönen guten Tag die Herrschaften!
Was Karl Mays "Lügenhaftigkeit" betrifft, wurde diese ihm ja bekanntlich bereits in seiner Seminarzeit amtlich bescheinigt, wohl aufgrund von Berichten seiner Mit-Seminaristen. Mir scheint, Karl May hatte eine derart überbordende Phantasie und Suggestionskraft, dass er sich selbst geglaubt hat, wenn er Ausgedachtes von sich gegeben hat. In dem Moment, als er es aussprach oder schrieb, hat er das Geschilderte selbst geglaubt; also "subjektiv wahr" ./. "objektiv erfunden". Gelegentlich hat er sicher vorsätzlich gelogen, aber sicher nicht so oft, wie es scheint. Wir hatten es zu Anfang dieser Schreiberei ja schon mit der unnachahmlichen Mischung aus Phantasie + Cleverness + Leichtsinn. Leichtsinnig war es sicher auch, sich das einmal Geschriebene hinterher nicht mehr durchzulesen und allzu Abstruses nicht zu entschärfen. Aber vielleicht gilt dieses sein Gebot "einmal geschrieben - keine Silbe mehr verändern" vor allem für die reinen Romangeschichten? Dann hätte er die "taktischen", bewusst so formulierten Schriften (z.B. L&S oder Studie Pollmer) demnach genau so sagen wollen, also auch die enthaltenen Unwahrheiten und Färbereien, und jedes Wort absichtsvoll formuliert? Mir scheint, dem jüngeren May war das Fabulieren, die Vermischung von richtig und falsch dermaßen in Fleisch und Blut übergegangen, dass er es selbst nicht auseinander dividieren konnte. Der ältere May dagegen bemühte sich zunehmend um Wahrhaftigkeit, konnte aber den jüngeren nicht immer verbannen; ab und zu ging ihm immer noch der Fabulier-Gaul durch - obwohl er es jetzt besser wusste.
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zum letzten Beitrag von ewo wäre eine ganze Menge zu sagen. Fürs erste nur: Zwischen L&S und der Pollmer-Studie bestehen so abgründige Unterschiede, dass ich diese beiden Schriften für unvergleichbar halte.
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

ewo hat geschrieben: 30.10.2020, 8:40 konnte aber den jüngeren nicht immer verbannen
Das klingt gut und erinnert an Ilmers "Kupferstecher Hermes", der ihm (May) da nach Jahrzehnten immer noch gelegentlich aus dem Spiegel entgegensah; was man in sich hat, das hat man halt in sich.
(und ob man es wirklich "hinauskicken" kann, wie schon gewünscht oder auch angemahnt wurde, des ist die Froog.)
(für Nichtlateiner: = das ist die Frage. Mir war gerade spontan nach Monnemerisch zumute. :D )
ewo
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von ewo »

Guude Morsche (mir ist eben mal nach Hessisch), meine Herren, was sind wir fleißig!
Natürlich sind L&S und die Pollmer-Studie "unvergleichlich". Nur was das "relative" Bemühen um Wahrhaftigkeit angeht, hab ich beide zusammen in einem Satz genannt. Dafür hab ich immerhin gewichtige Zeugen: Hainer Plaul zum Wahrheitsgehalt in L&S (wie von Herrn Harder schon genannt) und Gabriele Wolff für die Studie. Für deren Wahrheitsgehalt spricht allein, dass Karl May in der Studie - im Gegensatz zu L&S - ja kein bisschen glanzvoll wegkommt, sondern eher ziemlich irdisch. Beide sind im reifen Alter verfasst, sind "taktische" Schriften zur eventuellen oder gar beabsichtigten Präsentation in Prozessen. Inhaltlich und in der beabsichtigten Tendenz haben beide selbstredend Null miteinander zu schaffen. Ich neige aber dazu anzunehmen, dass in beiden kein Wort ohne Absicht genau so gesetzt wurde - also hier kein "schreiben und nicht mehr nachlesen", sondern bewusste Komposition und Formulierung. Und demnach ist auch die eine oder andere Unwahrheit bewusst eingesetzt; abgesehen davon, dass er sich natürlich aufgrund zeitlicher Distanz auch mal geirrt oder unpräzise erinnert haben kann.
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rodger
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Re: Karl Mays frühe Jahre - Bitte um Hilfe

Beitrag von rodger »

Und wenn dem einen oder anderen das 'böse' Wort "Lügen" zu hart erscheint, "Licenz" ist vielleicht hübscher ...
Karl May hat das Prinzip seinerzeit in Old Surehand II sozusagen vorab erklärt:
Aber Eure Anwesenheit macht mir doch einen Strich durch meine Rechnung oder vielmehr durch meine Erzählung!«
»Wieso?«
»Weil ich Sanders und Jean Letrier habe sterben lassen, und sie sind damals doch am Leben geblieben.«
»Ja, das war freilich eine Licenz, welche nicht mit der Wahrheit übereinstimmte.«
»Licenz, Licenz, das ist das richtige Wort. Man nimmt sich die Freiheit, gegen die Wahrheit zu erzählen, um dadurch eine höhere künstlerische Wirkung oder einen guten, befriedigenden Abschluß zu erzielen. Dieses letztere war bei mir der Fall. Sanders und Letrier wurden damals freilich nicht niedergemacht, sondern gefangen genommen, denn Fire-gun befahl seinen Leuten, sie zu schonen, weil er sie lebendig haben wollte, und auch Euch lag sehr viel daran, Sanders lebendig in Eure Hand zu bekommen. Aber ich hatte keine Zeit; ich konnte nicht im ›Lager‹ bleiben und ritt mit meinen Leuten schon am andern Tage fort. Ich habe also bis zum heutigen Tage nicht gewußt, was Ihr mit den beiden angefangen habt, und da die Gerechtigkeit ihre Bestrafung erforderte, so habe ich sie einfach bei unsrem Angriffe im Gutter sterben lassen. Das gab einen Schluß, mit dem man zufrieden sein konnte, und so hoffe ich, daß die Gentlemen hier mir die kleine Licenz verzeihen werden.«
:D
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