Das Jei[st]erpferd ...

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rodger
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Das Jei[st]erpferd ...

Beitrag von rodger »

(Thomas Jeier: Das Geisterpferd. Erzählung mit Winnetou und Old Shatterhand)

Licht und Schatten.

Die Kapitelüberschriften wirken so recht „bambergerisch“ jugendbuchartig, „Die Eule verkündet Unheil“ für das Anfangskapitel ließ mich gar an „Latte Igel und der Wasserstein“ (angenehme Kindheitserinnerung) denken, dort hieß es, wenn ich mich recht entsinne, „Was der Rabe erzählte“.

Esoterik und Ökologie sind mit guten Prisen vertreten in diesem Buch, nun, das ist nicht übel. Autor Jeier ist für mich, seit ich das dort gelesen habe, untrennbar verknüpft mit dem wunderbaren Satz „Auch die Träume sind wahr, sagen die Indianer, es gibt andere Welten im Universum“ aus „Auf Winnetous Spuren“, und auch in diesem Buch bedient er diesen Gedanken des öfteren: Träume, die mehrfach vorkommen, sind hier für die beteiligten Personen wie für den Leser meistens gar nicht von der sogenannten Realität zu unterscheiden …

Aber der Stil, die Sprache, das ist unübersehbar nicht Karl May, eher Wildwest-Romanheft: oft recht schlicht, vereinzelt gar etwas „abgehackt“, und gelegentlich verunfallt die eine oder andere Stelle regelrecht. So ist man auf S. 21 zunächst angetan von der Aufgeschlossenheit Old Shatterhands in Sachen indianische religiöse Besonderheiten, „Alle diese Sitten haben einen Sinn, auch wenn wir sie nicht verstehen“, heißt es da unter anderem, aber unmittelbar anschließend ereilt einen das nun völlig unpassend unsensible „Er grinste“ und „Aber wenn ich ehrlich bin, schmeckt mir Fisch auch nicht besonders“ plötzlich und unerwartet wie ein nasser Lappen um die Ohren …

Ich persönlich habe mit „Wacht auf, ihr verdammten Scheißkerle! Oder wollt ihr eure eigene Hinrichtung verpennen ?“ (S. 73) an und für sich kein Problem, aber May-Stil ist das nun wahrlich wirklich nicht … Auch dass ein Bösewicht McLynch heißt und ein nicht ganz unwichtiger Indianerhäuptling tatsächlich Lahmer Otter, hätte man m.E. auch etwas dezenter oder eleganter lösen können.

Old Shatterhand „grinst“, Winnetou „wurde verlegen“, so kennen wir sie eigentlich sonst nicht. Irgendwie sind sie beide um ein Dimensiönchen geschrumpft, etwas irdischer geworden … (aber eben genau das ist halt auch bei anderen Sequel-Schöpfern der Fall).

Oder die Frau, die Iltschi stehlen und Winnetou umbringen will, an wen hat er denn da gedacht … (Emmas Erben ?)

Geronimo und Cochise treten leibhaftig auf, ein wenig schemenhaft indes.

Auf S. 211 betet Old Shatterhand, aber laut Jeier nicht zu Gott, sondern zum „lieben Gott“ (!) – Konzession an die Kinderbuchabteilung ?

Daß der Seher bei den Cheyenne „Schaut-hinter-die-Wolken“ heißt, gefällt mir dann schon wieder besser. Überhaupt: obwohl mir allerhand Fragliches aufgefallen ist, diese Besprechung soll keinesfalls ein „Verriss“ sein, bewahre ! Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, es ist originell, reizvoll, spannend, voller guter und interessanter Ideen, und, dies „unkorrekte“ Wort sei einmal mehr erlaubt: sympathisch.

Das Schlusskapitel vermag dann teilweise regelrecht zu beeindrucken.

Mir hat das Buch, trotz einiger „Schönheitsfehler“, gut gefallen, und ich werde eines Tages sicher auch noch andere Jeier-Romane lesen.

(Interessenten sollten sich das Buch übrigens geschwind besorgen, es gibt offenbar nur noch einen Restbestand.)
Kurt Altherr
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Beitrag von Kurt Altherr »

Hallo Rüdiger,

mit Fan-Fiction habe nicht sehr viel am Hut, wenngleich ich in anderer Hinsicht durchaus ein Thomas-Jeier-Fan bin und dieser in anderer Hinsicht bei mir Vorbildfunktion hat.

Dennoch würde mich interessieren, können die beiden Jeier-Romane des KMV mit den Werken des Marheinecke-Verlages bestehen?

Mehr zu Thomas Jeier: http://jeier.privat.t-online.de/
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rodger
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Beitrag von rodger »

Ich glaube schon. Wobei ich das letztendlich nicht beurteilen kann, weil ich von Jeier außer "Auf Winnetous Spuren" bislang nur diesen einen Roman kenne und von den erwähnten anderen auch nicht viel mehr.

Aber ich glaube, Dir wird der Roman gefallen. Ich habe ihn in zwei oder drei Tagen durchgelesen, und es hat mir Spaß gemacht.
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