Nscho-Tschi und ihre Schwestern

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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Zum "Edelmenschen" fällt mir noch eine sehr schöne Stelle aus einem Film neulich ein ("Die Novizin" auf ZDF Kultur): sinngemäß (d.h. so oder ganz ähnlich) "Gott hat Deine schwarze Seele längst angenommen", Oberin liebevoll zur Novizin ...
markus
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von markus »

Der Begriff "Edelmensch" stammt nicht von May, sondern von Berta von Suttner.

8)
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Mag sein ... (Bist Du sicher ? Ich nicht ...) Er mag stammen von wem er will, er ist unpassend, um nicht zu sagen blöd ...
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Kolma Puschi

„Wir begegnen Kolma Puschi in Old Surehand II (bei Ersterscheinen noch Old Surehand III),“ (S. 129) Auch heute noch ... Z.B. auch in den Reprints des Karl May Verlags, gucke: Old Surehand I, II, III.

Ich kann mich nicht erinnern, daß irgendwo bei May stünde, daß Old Surehand jung sei, man möge mich ggf. eines anderen belehren. Ich habe ihn jedenfalls nie als jung empfunden. [Und deshalb z.B. die Besetzung in Bad Segeberg 2003 als völlig daneben ...]

Ich glaube nicht daß Old Shatterhand „schmollt“ (S. 130) und deshalb seine Erkenntnisse zunächst zurückhalt, es wird später sein Verhalten noch erklärt, im gleichen Kapitel. (S.u.)

„Aber das Grab an sich steht nicht nur für den Tod, es bedeutet auch immer Wiederauferstehung und Neugebinn.“ (S. 134) Im übertragenen Sinne im Zusammenhang mit der Wiedererstarkung Tehuas gut gesehen.

„Durch diese ungewöhnlichen Verschleierungstaktiken wird der Ich-Erzähler zum Komplizen Kolma Puschis.“ (S. 142) Eben. Zurückhaltung kann tiefergehende Gründe haben als simples „Schmollen“ ...

„Wir können nun die Frau Kolma Puschi in einem ganz neuen Licht sehen, können anerkennen, dass auch weibliche Wesen Taten zu vollbringen in der Lage sind, die wir eigentlich nur Männern zugetraut hätten (gut, im Falle von uns Lesern aus dem 21. Jahrhundert erinnern wir uns wohl eher an diese Tatsache, als das sie uns zum ersten Mal bewußt werden würde,)“ (S. 142/43) Ob 19. oder 21. Jahrhundert das bleibt sich gleich ... die Menschen sind die gleichen geblieben ... und starke Frauen und schwache Männer gibt es seit die Welt sich dreht ... und das sah auch May nicht anders ...

Was ist an Marie Versinis Nscho-Tschi „unsterblich“ (S. 144) ? Es scheinen sich im entsprechenden Hochjubeln alle so ziemlich einig zu sein, indes, ich seh’s nicht ... Die „berühmten“ Verfilmungen (S. 144), na ja ... Daß eine gute Verfilmung der Geschichte um Kolma Puschi eine reizvolle Angelegenheit wäre, ist aber richtig.

Gut der Abschnitt auf S. 145 unten rechts (zu viel zum Tippen.) Sehr schön dann „Winnetou sieht sich selbst im Spiegel, und das Spiegelbild ist eine als Mann verkleidete Mutter, die sich den Kummer aus der Seele singt, während Old Shatterhand an seiner Seite liegt, die Frau anblickt und sie nur als Mann und Rätsel erkennt.“ (S. 146) Spiegelblicke, androgyne Alter Egos, „Reflexionen des Männlichen im Weiblichen und umgekehrt“, mit so etwas kann man sich nicht „glatt um Kopf und Kragen interpretieren“ (ebd.), sondern bei so etwas fängt es an, wirklich interessant zu werden ...
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Die Frau ohne Seele

„Tokbela [...] ist das ultimative Opfer.“ (S. 148) Diesen Typus kennen wir, in allerlei Variationen ...

„Tibo wete versinnbildlicht nicht nur die Verrätselung einer traumatischen Vergangenheit und das gewaltsame Verschweigen eines geschehenen Unrechts. Die Gestalt der ewig plappernden Verrückten steht auch für die Unmöglichkeit, ein solches Unrecht, ein solches Trauma für immer zu begraben.“ (S. 152) Schön gesehen. Das deckt sich auch mit Erkenntnissen der alternativen Medizin.

„Tibo wete ist ein Sinnbild für eine (traumatische, unrechtsbeladene) Vergangenheit, die verschwiegen wird und ans Licht kommen muß“. (S. 153)

„Wo ihre Schwester Tehua für die unbesiegbare Frau steht, ist Tokbela/Tibo wete der Inbegriff der zerstörten Frau.“ (S. 153) Wieder schön gesehen, dieses ungleiche Paar, als Erscheinungsformen, Varianten verschiedener Möglichkeiten ... zwei Extreme, zwischen denen als weitere Variationen wiederum zahllose Abstufungen möglich sind ...

Endlich (S. 155; das „Endlich“ bezieht sich nicht aufs Kapitel, sondern auf das ganze Buch ...) fallen die Begriffe ‚Yin‘ und ‚Yang‘. Darum geht es, und das ist halt weit mehr als „männlich“ und „weiblich“ ...

Sehr richtig gesehen die Sache mit den Augen (S. 158). Ein immer wiederkehrendes Thema bei May, zu dem er eine große Affinität hatte ...

Schön auch der Schlußsatz des Kapitels.
markus
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von markus »

rodger hat geschrieben:Bist Du sicher ?
Entweder von Herrn Zeilinger, oder Herrn Schmiedt...vor kurzem noch gehört.

http://www.youtube.com/watch?v=JwKB0Wc49_w

http://www.youtube.com/watch?v=iBgqXdEg8P8
Dernen
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von Dernen »

Erstmal herzlichen Dank an Rüdiger für diese wirklich hochinteressanten Zeilen über das May-Frauen-Buch. Ich picke nur eine Kleinigkeit heraus, und zwar das Alter von Old Surehand: mir kam er eher jung vor - vielleicht war ich auch irgendeiner nicht von May stammenden Altersangabe aufgesessen, denn ich hatte das alles ja erst mal in KMV-Text gelesen. Wir hatten ja sonst nichts anderes damals (Schluchz!). (Doch, ich hatte einen Fraktur-"Ocean", aber das nützt ja auch nichts.) So sehr alt kann aber Surehand nicht sein, da seine Mutter noch recht munter über die Prairie tobt. Gut, das tut Wabble auch, und der ist uralt. Außerdem wird Surehands Haar als braun beschrieben und nicht etwa grau-meliert oder sowas. Okay, hat er bestimmt gefärbt, was? Daß May ihn und Mama noch im "Winnetou IV" auftreten läßt, wird man auch nicht als Argument gelten lassen, weil May zur Zeit der Niederschrift des "Surehand" das noch nicht wußte. Aber immerhin.
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Was den Old Surehand betrifft, mag ich bislang von falschen Voraussetzungen ausgegangen sein. Wegen seiner Ernsthaftigkeit, Grüblerei usw. wirkt er halt jünger, aber das kann täuschen, wir erinnern uns: „Er war so alt unter seinen blonden Locken, den Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen“ (Georg Büchner, bzw. eine Figur in einem Stück desselben.)


Mit Pantoffel und Flinte

Daß Mays Erzähler zu Beginn noch „voll und ganz seinen europäisch-zivilisatorischen Vorstelluingen“ (S. 162) anhängt, glaube ich nicht ... es handelt sich ja um das alter ego Karl Mays, und der war nicht so schlicht gestrickt ...

Sam Hawkens ist wahrlich kein Vertreter eines „wahrhaft lustigen Völkchen“ (S. 163), der Eindruck mag nach Ansehen zu vieler Freilichtbühnenaufführungen und Filme zwar in der Tat irrtümlich entstehen, aber spätestens wenn man noch einmal in aller Ruhe „Old Firehand“ liest, dürfte damit aufgeräumt sein ...

Der Ausdruck „Selbstparodien“ (S. 163) für einige Figuren Mays ist hingegen sehr gut gewählt, das ist richtig erkannt, viele sprechen ihm ja den Sinn für Humor bezogen auf sich selbst rundherum ab, aber sie irren ... (einschließlich Hans Wollschläger.)

Schön daß die Frau Ebersbach richtig ernstgenommen wird (S. 164 u.a.), wer nur die Witzfigur sieht, sieht zuwenig, zweifelsohne hat ihr Wesen und ihre Schilderung etwas durchaus Komisches an sich, aber ihr selber wird das kaum bewußt sein bzw. es wird sie, falls es ihr durch Reaktionen im Außen einmal bewußt wird, allenfalls irritieren ...

Und so lacht der geneigte Leser weder über sie, noch mit ihr (S. 169), sondern über die jeweilige Situationskomik ... (die sie selber nicht wahrnimmt.)

Hobble-Frank „ist ein unverkennbares ironisches Spiegelbild des großen (Ich-) Helden Old Shatterhand und auch des Fabulierers May selbst.“ (S. 173) Völlig richtig, keinerlei Einwände. Allenfalls vorsichtshalber daß es so Eins zu Eins und durchgängig natürlich auch wieder nicht ist, aber das ist ja seitens der Autorin wohl auch nicht gemeint.

Das Wort „Edelmensch“ gefällt mir eh nicht, und bezogen auf Frau Ebersbach (S. 177) ist es mir eindeutig „einer zuviel“ ... Aber was gemeint ist und womit es in Verbindung steht ist richtig: die Frau ist lernfähig, ist insofern ‚auf dem Weg‘ ...
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Ein bisschen wie Nscho-tschi: Kakho-Oto

„wir erinnern uns: Laut May zeichnet es einen Mann aus, dass er im Gegensatz zu einer Frau Herr über seine emotionalen Regungen ist“ (S. 185); ich erinnere mich vielmehr, daß dem nicht so ist; vielleicht liegt’s daran, daß ich die Originalfassungen gelesen habe und mich an mehrere entsprechende Stellen erinnere[, die in bearbeiteten Fassungen halt teilweise gestrichen sind] ...

Die Geschichte um Kakho-Oto ist hat (im Vergleich mit anderen kleinen 'Liebesgeschichten' bei May) etwas Besonderes an sich, das ist richtig. (S. 186 u.a.)

Auch in Bezug auf Kakho-Oto wird der „Edelmensch“ bzw. gar die „Edelmenschin“ wieder bemüht (S. 188), letztere Formulierung soll hier zwar vermutlich auch eine Art ironischen Unterton beeinhalten, dennoch erscheint mir die Bezeichnung verzichtbar ...

Das Wort „regressiv“ (S. 189) war [andernorts] auch schon in Bezug auf May selber zu lesen, paßt indes weder da noch hier ... Und auch wenn man etwas bewältigt hat, vergessen ist es halt nicht ... (S. 189) Der Schmerz ist ja noch da in der Erinnerung, bzw. sitzt noch in den Zellen oder 'in den Knochen', ob es um Zahnziehen geht oder um sonst etwas ... An der Stelle erscheint mir die Betrachtung recht ungenau.

Die Sache mit den umschlungenen Frauen (S. 190) ist vielleicht nicht ganz so „harmlos“ wie hier dargestellt bzw. betrachtet, May dürfte durchaus an gewisse Züge Emmas als eben auch Klaras gedacht haben dabei ... (mit Augenzwinkern unterlegt, ja. Das muß indes die Ernsthaftigkeit der Angelegenheit nicht mindern.)

Interessant zu beobachten ist, daß die seitens Kakho-oto auf sich genommene Ehe- & 'Beziehungslosigkeit' auf S. 192 in einem respektvollen, gleichsam überhöhenden Ton gesehen oder auch gewürdigt ist („alternativen Lebensweg“, „sprituelle Führerin“ ...), während die gleiche Angelegenheit bei Winnetou im 'Ribanna'-Kapitel noch mit einer Prise Ironie oder auch mehr oder weniger klammheimlich leicht belustigtem inneren Schmunzeln versehen wurde ... Nehmen wir doch hier ein bißchen weniger und dort ein bißchen mehr in Sachen 'Bierernst', dann sind die beiden Fälle in etwa gleichgestellt, und dann mag es angehen ...

Kakho-oto ist „alles andere als passiv“, (S. 193) (und ein „Mäuschen“ schon gar nicht), richtig, „hat das Beste aus ihrem Leben gemacht – und dieses Beste ist mehr als beachtlich“, das klingt ein wenig feierlich und gewissermaßen parteiisch (s.o.), ist aber richtig.


Winnetous Erbinnen

„Mays Wilder Westen ist natürlich stets absolut fiktiv, egal, welchend er Romane wir aufschlagen.“ (S. 194) Richtig. Insofern sind Untersuchungen zum genauen Standort von Eisenbahnercamps u.dgl. andernorts durchaus verzichtbar ...

„eine zeitlose, in sich selbst geschlossene, ideelle Welt“ (S. 194), ganz genau.

In Winnetou IV haben wir es zunehmend mit Frauen zu tun, bzw. deren Rolle ist eine größere als in früheren Werken. Gut gesehen. Auch daß das Verschwinden der Landbrücke auch den Abbruch der Verbindung zum 'mütterlichen Prinzip' bedeutet (S. 197). (Öfter Yin und Yang anstelle von Mann/Frau-usw. würde es aber besser treffen.)

„Die 'Vollendung' des Menschen und der Menschheit schließt bei May die Versöhnung mit dem weiblichen Prinzip unbedingt mit ein.“ (S. 198) Richtig.

„Das weibliche Prinzip ist immer einfach da und wartet darauf, bis das männliche endlich seine 'pubertären Irrwege' fertig gegangen ist“ (S. 199), da ist etwas dran.

„als würde sich in ihrer Gestalt die Zeit in einem mythischen Zyklus immer und immer wiederholen“ (S. 200), das tut sie. Und so begegnet uns das gleiche Wesen in verschiedenen Erscheinungen, ob Aschta Mutter und Aschta Tochter, Anna und Auguste im „Giftheiner“, deren Vorbildern aus Mays Leben oder hier und heute ...

Wieder der sehr wesentliche Hinweis auf das Yin und Yang (S. 201), Teile eines integrativen Ganzen, darum geht es, nicht um ‚Geschlechterkampf‘, entsprechend Parteinahme o.ä. Das ist wichtig herauszustellen. Hermann Wohlgschaft wird zitiert, was sozusagen für bessere Klarheit sorgt.

„‘Balance‘ ist das Zauberwort“ (S. 202), sehr schön.

Daß Old Shatterhand/May Kolma Puschi belehren muß, hat keinen „fahlen Beigeschmack“ (S. 202/03), watt mutt datt mutt ... Und jeder hat seine blinden Flecke. Mal ein Shatterhand, mal eine Puschi.

Old Shatterhand bittet nicht als Person um Verzeihung, sondern stellvertretend für „das Bleichgesicht“, also für 'die Weißen'. (Das ist zumindest mißverständlich formuliert, S. 204)
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Das Herzle, oder: Die Shatterfrau

„Kara Shatterhand (er)findet sich auf dieser Reise bis zu einem gewissen Grad noch einmal neu“ (S. 205), das ist schön gesehen und formuliert.

„Eine solche Frau aufzutun, ist offensichtlich nicht einfach“, wohl wahr ... (‚Mit Geduld und Spucke‘ ...)

Mays Frau wird in „Am Jenseits“ nicht „Emma“ genannt (ob es in der Bearbeitung vielleicht anders ist weiß ich nicht), sondern jeweils nur „Emmeh“, insofern wird der Name keineswegs von Hadschi Halef „umgemodelt“, sondern seitens Autor & Erzähler bewußt so benannt. (Mit den Worten „Nach eurer Ausdrucksweise wird sie Emmeh genannt“ hat der Erzähler seinerzeit in der „Hausschatz“-Fassung von 'Silberlöwe' I erstmals von ihr gesprochen.)

Kara Ben May spricht in Bildern, wohl wahr, „wie eine befreundete Mayenthusiastin mir nahegelegt hat“ (S. 205), das dürfte nun eine andere (?)sein als die zuvor in Sachen Judith Silbersteins Butler zitierte, auch ihr, der hier zitierten, wer immer es sein mag, leihen wir gern Gehör.

Interessant in Zusammenhang mit zuvor ausgeführtem die Erwähnung der 'Namensgleichheit' in Sachen Herzle, (S. 206; Herr als auch Frau May nennen sich gegenseitig so,) unter diesem Aspekt hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Es liegt aber nah und überzeugt.

Schakara ist keine „dritte Person“ (S. 206), sondern eine Variation, so wie etwa der eine Turnerstick nicht eine zweite Person ist, sondern eine Variation des anderen ...

Dann begegnet uns wieder die Sache mit dem Wilhelminismus (S. 208), immerhin finden wir hier ein interessantes Zitat Martin Lowkys, die Ehe als Form gegenseitiger Unterdrückung, das ist sozusagen fein beobachtet, Nestroy nannte es Lebensverbitterungsanstalt auf Gegenseitigkeit. Schön daß es Fälle wie die Mays (mit Klara) gibt, die mit so etwas nichts zu tun haben, auch mit der Epoche nicht. Sie sind selten aber es gibt sie, gute Ehen resp. Verbindungen, damals wie heute.

Schön der Hinweis auf Sebulons tiefen Respekt vor dem 'Herzle' (S. 209).

„May stellt die Beziehung des Ichs und seiner Klara nicht als über alles schwebendes, hehres Ehe-Etwas dar; die unkomplzierte Liebe, die sie verbindet, ist im Gegenteil bodenständig, erdig und zutiefst menschlich.“ (S. 209) Sehr schön; zutreffender kann man es kaum formulieren. Auch die „tiefe Vertrautheit und Zuneigung“ (S. 211) ist richtig gesehen. Und auch dies: „Solche Wortduelle kann man nur miteinander führen, wenn man sich gegenseitig blind versteht – und wenn die beiden 'Duellpartner' auf einer Stufe stehen.“ (S. 211)

„Sie spielen miteinander, aber sie spielen auch zusammen die Welt aus, so, wie das Ich das schon seit Jahrzehnten mit Herzenslust tut.“ (S. 211) Vortrefflich.

Hübsch wird das 'Herzle' zitiert, die „nur meinen Augen trauen kann, nicht aber der Wissenschaft oder gar deinem Schalk im Nacken!" (ebd.)

„Die Ehe des Ichs und seines Herzles ist voller Liebe und Humor. Die beiden kennen sich gegenseitig in- und auswendig, wissen genau, wann sie einander ernst nehmen müssen und wann nicht, und sind einander sicher genug, dass sie sich fortwährend auf den Arm nehmen können.“ (S. 214) Mit großem Einfühlungsvermögen auf den Punkt gebracht.

Erneut wird Hermann Wohlgschaft zitiert, eine sehr schöne Stelle bei ihm, er schreibt (in Bezug auf Tsi in Band 30) von einem „ganzen Mann“ und meint damit „solche 'integrierten' Persönlichkeiten, die bereits in sich selbst weibliche und männliche Seelenanteile vereinen“, wie die Autorin richtig erkennt. (S. 215)

Ein „utopischer Entwurf“ (S. 215) ist das von May gemalte Ehebild nicht, so etwas kommt gelegentlich durchaus vor ... (wenn eben auch nicht allzu oft. Wir erinnern an Wagners etwas übertrieben pessimistisches „Alle 5000 Jahre glückt es“.)

Dem Gedankengang auf S. 215 unten kann ich zwar folgen, würde ihm aber so nicht unbedingt zustimmen; daß einer etwas einmal so und dann anders und in einer dritten Variante wieder anders schildert, muß ja nicht heißen, daß man es mit Entwicklungsstufen zu tun hat, die einander folgen, es kann sich ja einfach um verschiedene Möglichkeiten handeln, die so alle wieder vorkommen können, unabhängig von einer Reihenfolge ...

Bei der Stelle, daß Klara-Herzle „im höchsten Grad offen für den leidenden Menschen und die leidende Welt“ sei (S. 216), wird besonders deutlich, was ich schon zuvor das eine oder andere mal dachte: Klara May entsprach durchaus nicht [durchgängig] dem Bild, das unser Autor von ihr in Winnetou IV zeichnete, an die eine oder andere Stelle in „Mit Karl May durch Amerika“ denke ich ob der dort herübergekommenen Gefühlskälte und unangenehm berührenden Wurschtigkeit mit leichten Anflügen eines Schauderns zurück ...

„Mit der ihr eigenen Unbekümmertheit stapft sie durch die Prärie und dekonstruiert munter eine ikonische Situation nach der anderen.“ (S. 18) Gut gesehen.

Hegen, pflegen, sorgen usw. einerseits und Klarheit, Härte, Widerstandskraft usw. andererseits müssen sich keineswegs ausschließen ... (S. 219)

Gut gesehen die Verbindung besonderer Art Klara – Winnetou (S. 220)

Bei aller Aufgeschlossenheit für genaues Hingucken einschließlich Schwächen erkennen, eine Formulierung wie „wahrscheinlich hätte der gute Shatterhand nicht mehr viel zu melden gehabt“ muß nicht sein ... so etwas riecht allzusehr nach [als humorig kaschiertem] Geschlechterkampf, Frauenfraktion und un'erwachsenem' Ätschebätsche ... Augenzwinkern her oder hin ...

„Diese Augen“ haben ihn bezwungen, wird Sebulon zitiert, und daher ist es eben nicht „wie eine scheltende Mutter einen ungezogenen Schuljungen zur Räson ruft“ ... (S. 222)

Der Begriff „Rollenspiel“ (S. 224) trifft Mays Erzählsituation einigermaßen; ein Rollenspiel besonderer, komplizierter Art, in „Ardistan und Dschinnistan“ hatte er sich ja längst von der Identifikation verabschiedet, auch vor dem Leser, in W IV legt er nun dieses Gewand [scheinbar] wieder an ... Auch zuvor, in den klassischen Reiseerzählungen, war es bereits wie folgt: mal sind Erzähler und Autor als eine Person anzusehen, mal nicht, und zwar verändert sich das innerhalb eines Werkes, mehrmals ... (wie ein Fluss sich zwischenzeitlich gabelt und die Arme dann wieder zusammenkommen, mehr oder weniger ...) Nicht immer leicht auseinanderzuhalten. (Wobei der Grad des Sich-schwertuns bei den Lesern diesbezüglich sehr unterschiedlich sein dürfte ...)

Nun mit „Kindern und Jugendlichen“ zu kommen als potentiellen Besserverstehern bzw. besser Zugang habenden (S. 224), ist m.E. eher daneben ...

Gut und wesentlich der Hinweis auf S. 226, daß „Klara May genauso wenig 'wirklich' das Klara-Herzle wie Karl May Kara Shatterhand ist“. S.o. die Sache mit dem Fluss. Ich denke daß die in W IV geschilderte Frau schon im Großen und ganzen Mays Frau entspricht, nur daß ob der dortigen freundlichen Schilderung weniger erfreuliche Seiten ihres Wesens gedanklich nicht vernachlässigt werden sollten, auch wenn sie dort nicht zur Sprache bzw. zum Vorschein kommen ...
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Auf Ritterfahrt im Orient

Im Orient herrsche eine „ungute Atmosphäre“, die negativen Auswirkungen träfen „sozial Benachteiligte, Minderheiten, Fremde – und Frauen.“ (S. 232) Das (sowie einiges darum herum) erscheint mir etwas konstruiert.

Gut gesehen hingegen daß „die Unterdrückung der Mayschen Orientalin nicht als Kontrast, sondern als Parallele zum Lebensalltag im spät-industriellen Europa zu verstehen“ ist (S. 233) (Ob aber nun spät-, früh- oder überhaupt industriell das 'bleibt sich gleich' ...)

Gut differenziert der Absatz auf S. 235 unten (zu viel zum Tippen).

„Flickwerk“ (in sachen Orienterzählung bzw. Räume desselben), „Flickenteppich“ (über ganz verschiedene Elemente des Erzählens; S. 236), gut und passend.

„Von dieser bunten, märchenhaften Welt, unter deren Oberfläche oft unschöne Alltagswahrheiten verborgen liegen, ist es gar kein so weiter Weg zu den mythischen Gefilden des Spätwerks“ (S. 237), unschöne Alltagswahrheiten, kein weiter Weg zum Spätwerk, 2 x schön gesehen.


Marah Durimeh, die Ahne

Andere Frauenfiguren bei May agieren eher „räumlich begrenzt“ (S. 238), Marah Durimeh nicht, gut gesehen.

„Gestalt gewordene Erinnerung“, S. 243, schön; „das menschliche Gesicht der universellen Religion“, dito.

„Marah Durimeh nimmt das Ich in seinem So-Sein liebend an“ (S. 245), darum geht es, und insofern ist auch sie teilweise wieder eine Projektion seiner selber ... [Es geht darum, sich selber anzunehmen, auch wenn man sehr genau „hingeschaut“ hat ...] [„Ich muß immer wieder hinaus“ wurde Kara Ben Nemsi / May auf S. 244 zitiert, dazu fiel mir in dem Zusammenhang spontan ein, daß er auch „immer wieder hinein“ muß ...]

Der Mann, den Marah Durimeh für die Reise durch Ardistan und Dschinnistan sucht, soll „nicht pfiffig, nicht hinterlistig, nicht verschlagen“ sein (S. 245), nun, da wäre dann May der schlechteste Kandidat, ging mir respektloserweise umgehend durch den Sinn ... (Man möge mir nicht böse sein ...)

„Auf dem Weg von Ardistan nach Dschinnistan soll das Ich letztendlich die Welt und die Menschen von Grund auf begreifen lernen“ (S. 245), das hat er getan [bzw. ist weit darin gekommen], einschließlich des „größten aller Rätsel“, sich selber. Darum geht’s bei May [und auch sonst ...].

Sehr gut ausgewählt das Zitat über die Großmutter aus „Mein Leben und Streben“ (S. 246/47), darin erkärt May in der Tat sein eigenes Schreiben ...

„Die alte Frau vereint in sich gleich mehrere große Archetypen.“ (S. 247) Richtig. (Daß sie eine Frau ist, darauf wird im Folgenden für mein Empfinden dann etwas zu sehr „herumgeritten“ ... das ist doch nichts Besonderes, daß sie das ist, in Mythologie, Religion, Weltliteratur, Kunst usw. finden wir vergleichbares immer wieder ... manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren Personen weiblichen Geschlechts trügen gelegentlich trotz allerhand „Emanzipation“ doch noch so etwas wie einen unterschwelligen ewigen Minderwertigkeitskomplex mit sich herum, ihre 'Fraktion' betreffend ...)

„Sie steht letzten Endes für das götttliche Prinzip in uns allen.“ (S. 251) Schöner Schlußsatz, erfreulicher Mut zu Ernsthaftigkeit und 'klarer Ansage'.

*

Noch ein Nachtrag zu einem der vorigen Kapitel; es ist richtig, Rollenspiel, Spiel, Freude am Spiel usw. haben bei May einen relativ hohen Stellenwert, ganz falsch wäre aber, ihn deshalb weniger ernstzunehmen ... (das tut die Autorin nicht. Der Hinweis ist sozusagen vorsorglich und gilt Lesern ...) Thomas Mann kehrte nach 'Faustus' und anderem zum 'Krull' zurück ... möglicherweise auch weil er zuguterletzt ironische Doppelbödigkeit und halbwegs heitere Spielerei als die vielleicht angemessenste unter verschiedenen Möglichkeiten betrachtete ...
Rene Grießbach
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von Rene Grießbach »


S. 252:
"Wie bei einem Flickenteppich reiht sich in Mays Orient ein "erzählter Raum" an den anderen, und in jeder dieser Sphären geht es ein wenig anders zu. Überall trifft das Ich auf unterschiedliche kulturelle Bedingungen und muss sich je nach Stadt/Oase/Wüste/Dorf verschiedenartigen Herausforderungen stellen.
Das, was in dem Buch als ein besonderes Merkmal der May´schen Orienterzählungen charakterisiert wird, ist m.E. gar keins.
Das Osmanische Reich war ein Vielvölkerstaat, dementsprechend gab es viele verschiedene Völker, Lebensweisen etc. etc.
Das erfährt und erlebt auch Kara Ben Nemsi auf seinen Reisen. Und das hätte auch jeder reale Reisende zu seiner Zeit (und ebenso heute) erfahren und erlebt.
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Ich dachte dabei weniger an Völker, Lebensweisen usw. als an Atmosphärisches, verschiedene Farben usw. ... Nicht nur die Umgebung ist z.B. in Band 4 eine ganz andere als in Band 1, auch die Atmosphäre, die [assoziierte] 'Farbe' ... Und auch das Erzählen wandelt sich, mal lebensfroh heiter, mal wie beengt und bedrückt ... mal geht's 'ans Eingemachte', mal wird einfach heiter geplaudert ... Dazu kommen noch 'technische' Auffälligkeiten wie die in Band 4 erkennbar eingearbeiteten, eigentlich für sich stehenden Geschichten ...

Der Begriff "Flickwerk", der auch fiel, muß ja auch keineswegs abwertend gemeint sein ...
Dernen
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von Dernen »

rodger hat geschrieben:
Der Begriff "Flickwerk", der auch fiel, muß ja auch keineswegs abwertend gemeint sein ...
"Flickwerk" empfinde ich schon als abwertend. Da wurde etwas zusammengeflickt, eher der Not gehorchend. Der Ausdruck "Flickenteppich" hingegen erscheint mir mehr als die Beschreibung einer gewollten Zusammensetzung ursprünglich unterschiedlicher Einzelstücke zu einem Ganzen, das dann durchaus stimmig sein kann.
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rodger
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Re: Nscho-Tschi und ihre Schwestern

Beitrag von rodger »

Ich bin an der Stelle gar nicht auf die Idee gekommen, daß es abwertend gemeint sein könnte ...

Da steht (auf S. 236)
Katharina Maier hat geschrieben:Eigentlich handelt es sich dabei nicht um einen einzigen, homogenen erzählten Raum (was man vom Westen im Großen und Ganzen behaupten kann), sondern um ein 'Flickwerk' erzählter Räume. Wüsten wechseln mit Städten, Berge mit Schluchten, Paläste mit Zelten, die Zivilisation mit der Einsamkeit der Wildnis, und wir bewegen uns von Afrika über Vorderasien bis nach Europa hinein.
(Und nun erzählt mir nicht, es läge nur an den Strichelchen ...)

May ahnte vermutlich zu Beginn des 'Zyklus' nicht, daß er ihn eines Tages auf dem Balkan enden lassen würde ... Er hat sozusagen munter drauflosgewurschtelt, was dem Reiz des Ergebnisses indes nichts anhaben kann ...
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