Teil II
Antike
Wie schon in der Einleitung zu Teil I beschrieben, bezieht sich der Begriff
»Antike« auf das griechisch-römische Altertum. Die Geschichte Griechenlands und
des Römischen Reiches war bestimmend für viele Jahrhunderte und relevant auch
für eine große Anzahl anderer Völker und Staaten jener Zeit. Diese brachten
ebenfalls eine Reihe von »Großen« hervor, die in unserem Kontext Erwähnung und
Darstellung verdienen. Ihre oft mit einander verflochtenen oder nur in ihrer
gemeinsamen Darstellung verständlichen Lebensgeschichten zu trennen, wäre nicht
sachgerecht, würde zu umständlichen Wiederholungen der geschichtlichen Umstände
führen und damit nur verwirren. Schon bei Dareios dem Großen wäre zu überlegen
gewesen, ihn in Verbindung mit der griechischen Geschichte zu schildern; dies
wurde jedoch wegen der Bedeutung und Eigenständigkeit des persischen Reiches
unterlassen.
1. Griechenland
Der Gottkönig:
Alexander der Große
Die Römer waren es, die ihm, weil sie ihn
bewunderten, den Titel »der Große« verliehen. Zwar gab es auch eine
alexanderfeindliche Tradition. Danach war Alexander nur ein blutdürstiger
Eroberer, Schlächter, Gewaltherrscher, Soldatenschinder und Trunkenbold; so
dachten u. a. der römische Philosoph Seneca (ca. 4 v. Chr.–65 n. Chr.
(Selbsttötung)), der die Frage nach seiner geistigen Gesundheit stellte, und der
römische Kaiser Mark Aurel (geb. 121; reg. 161–180 n. Chr.) der »Philosoph auf
dem Kaiserthron«; und noch vor nicht all zu langer Zeit hat der Autor Frank
Fabian ihn, den »elenden Massenmörder«, den »Bluttrinker«, als »erbärmlichen
Wicht« bezeichnet. Ganz anders aber bedeutende römische Feldherren wie Lucius
Cornelius Sulla, Pompeius und Cäsar, die ihm ihre Reverenz erwiesen! Und vor
allem Augustus, der einen Siegelring mit Alexanders Bild trug und sich mit einer
Zangenlocke auf der Stirn ähnlich wie Alexander darstellen ließ – er betrachtete
Alexander als Triumphator und Friedensbringer, und er nahm ihn sich
gewissermaßen als Vorbild.
Ursprünglich waren seit Beginn des 2.
Jahrtausend v. Chr. indogermanische Stämme ins heutige Griechenland
eingewandert, Ionier, Äoler und Achaier, die sich mit den alteingesessenen
Völkerschaften vermischten. Im Lauf der Zeit entstanden seit etwa 1550 v. Chr.
unter dem Einfluss der minoischen Kultur Kretas die mykenische Kultur und
größere Territorialherrschaften mit befestigten Mittelpunkten, wie Mykene,
Athen, Theben, Pylos und Argos. Seit etwa 1100 v. Chr. kamen die Dorier auf
ihrer »dorischen Wanderung« nach Mittel-Griechenland und den Peloponnes, wo sie
sich – unter Abdrängung der Ionier und Äoler nach Kleinasien – ansiedelten. Nach
dieser als Frühzeit bezeichneten Epoche begann die »archaische«, die von etwa
800 bis 500 v. Chr. dauerte. Die Hellenen begannen sich auszubreiten und
Kolonien zu gründen, wie Syrakus auf Sizilien, um nur eine berühmte Siedlung zu
nennen, aber sie kamen nicht nur dorthin, sondern auch nach Unteritalien, zum
Bosporus, an das Schwarze Meer, die Küsten des Hellesponts und nach Nordafrika.
In Griechenland selbst kristallisierten sich Sparta, das sich die Vorherrschaft
auf dem Peloponnes sicherte, und Athen, in dem 507 v. Chr. die Grundlage der
Volksherrschaft (Demokratie) gelegt wurde, als Hauptmächte heraus. Die Kultur in
Griechenland war also schon weit entwickelt, als die Perser unter Dareios I. dem
Großen auf den Plan traten.
Nach dem Sieg der Griechen über die Perser
erhöhten sich die Spannungen zwischen Athen und Sparta. Im Peloponnesischen
Krieg (431-404 v. Chr.) kämpften beide um die Macht in Griechenland, die Athen
verlor. Aber auch Sparta, von Persien – die inneren griechischen Zwistigkeiten
schürend – im Krieg gegen Athen unterstützt, hatte wenig von dem Sieg; gegen
seine Herrschaft erhoben sich verschiedene Städte wie Korinth, Athen und Theben,
als es gerade gegen die Perser in Kleinasien zu Felde zog. Es kam zum
sogenannten Königsfrieden, in dem die griechischen Städte Kleinasiens und Zypern
Persien unterstellt wurden. Nun war es an den Thebanern, die spartanische
Vorherrschaft endgültig zu vernichten (371). Nach einer kurzen Übermacht Thebens
machte es die innere Zerrissenheit Griechenlands den Makedoniern unter Philipp
II. (geb. um 382, reg. seit 359 v. Chr.) leicht, ganz Griechenland unter ihre
Vorherrschaft zu bringen (338). Zwei Jahre später wurde Philipp von einem
Attentäter aufgrund einer Privatrache getötet. Nun schlug die Stunde des
damaligen zwanzigjährigen Alexander, dem Sohn Philipps, der entgegen
anderslautenden Gerüchten und Unterstellungen sicher nichts mit dem Attentat zu
tun hatte. Er war Schüler des bedeutenden Philosophen Aristoteles (384–322 v.
Chr.) und damit von seinem Geist und Horizont her seinen Zeitgenossen weit
voraus. Anerkannt von Hof und Heer, wurde er der neue Herrscher. Theben erhob
sich gegen ihn, aber er warf den Aufstand nieder – Theben wurde zerstört, auch
die übrigen Aufständischen, z. B. im Donauraum, wurden in einem raschen
Siegeszug bezwungen. Und nun konnte der Rachezug gegen Persien, den schon
Philipp angefangen hatte vorzubereiten, beginnen.
Die Leistung Alexanders mitsamt seines Heeres war unglaublich. Zunächst
befreite er die ionischen Städte von persischer Herrschaft. Nach seinem
Sieg über das persische Heer am Granikos im Mai 334 schlug er bei Issos
in dem legendären Jahr 333 v. Chr., im November, den persischen
Großkönig Dareios III. Kodomannos (geb. ca. 380, reg. seit 336 v. Chr.)
vernichtend. Dieser musste fliehen und bot Alexander Frieden und den
Tauros als Grenze an. Alexanders alter General Parmenion (ca. 400–330
v. Chr.) soll damals die Meinung vertreten haben: »Wenn ich Alexander
wäre, nähme ich das Angebot an«, worauf Alexander geantwortet haben
soll: »Das täte ich auch, wenn ich Parmenion wäre.« Alexander ließ
nicht locker. Die Stationen seines berühmten Eroberungszuges sind
bekannt. Er eroberte Tyros und Gaza, gewann Ägypten, gründete dort
Alexandria (es folgten noch viele Stadtgründungen mit diesem Namen) und
wurde in der Oase Siwa von ägyptischen Priestern als Sohn des Gottes
Amun und damit als Nachfolger der Pharaonen anerkannt – er fühlte sich
bereits als König von Asien und trug den entsprechenden Ornat. Dareios
trat ihm nun mit seiner ganzen Streitmacht entgegen – er verlor 331,
vernichtet, bei Gaugamela, und Alexander besetzte ein Jahr später
Babylon, das er zur künftigen Hauptstadt erkor. Nun strebte er nach der
Herrschaft über ganz Persien. Nach Eroberung des persischen
Kronschatzes in Ekbatana, dem heutigen Hamadan, bezwang er Persepolis,
wo er aus Rache für den Brand der Akropolis durch persische Angriffe
den Palast einäschern ließ, und verfolgte dann gnadenlos den persischen
Großkönig, bis dieser von seinen eigenen Gefolgsleuten getötet wurde
(330 v. Chr.). Diese ließ Alexander allerdings nach persischer Art als
Hochverräter hinrichten. Das Persische Reich hatte aufgehört zu
existieren, Dareios III. war der letze Achaimenide gewesen. Seine
Tochter Stateira heiratete 324 v. Chr. Alexander. Dieser hatte
mittlerweile noch weiter ausgegriffen. Er überquerte 330 den
Hindukusch, unterwarf 329/328 Baktrien und Sogdiana, also den
Nordost-Iran, wo er sich mit Roxane, der Tochter des baktrischen
Fürsten, vermählte. Ein Jahr später drang er weiter bis nach Indien
vor, überschritt den Indus, besiegte 326 den König Poros am Hydaspes
und kam noch bis an den Hyphasis. Dort hat ihn angeblich sein
meuterndes Heer zur Rückkehr gezwungen, was aber umstritten ist – es
könnten auch die Unbillen des Wetters gewesen sein. Überhaupt ist
selbstverständlich, dass sich einer derartig herausragenden Gestalt die
Sagen und Legenden annahmen, und das schon zu Lebzeiten. Da ist die
Geschichte vom Durchschlagen des Gordischen Knotens – wer den
Gordischen Knoten löse, würde der Herrscher der Welt oder zumindest
Asiens werden, und tatsächlich hat Alexander ein Weltreich gegründet.
Oder da ist die liebenswerte Geschichte von der Amazonenkönigin
Thalestris, die Alexander bewunderte und ihm entgegen zog, um dann 13
Nächte mit ihm zu verbringen, weil sie sich von ihm ein Kind, einen
Sohn, wünschte. Von ihm tatsächlich schwanger, fällt sie bald danach in
einem Gefecht, und mit der realen Eroberung der Gebiete, wo man das
Amazonenreich verortete, durch Alexander verschwindet gleichzeitig das
mythische Amazonenreich. Alexanders Rückkehr nach Babylon nach all
seinen Erfolgen und Strapazen wurde als bombastischer Triumphzug
ausgemalt. Auch sein Tod ist von der Legende umwuchert – angeblich ist
er durch Gift, das ihm sein ehemaliger Lehrer Aristoteles, aus Rache
für die Hinrichtung seines Großneffen Kallisthenes als vermeintlichen
Verschwörer, verabreicht haben soll, gestorben. Aber auch das ist
unwahrscheinlich. Alexander starb am 10. Juni 323 v. Chr. in Babylon
wahrscheinlich an körperlicher Erschöpfung. Noch viele andere Legenden
ranken sich um ihn, so z. B., dass sich vor seinem Heer das Meer an der
Küste Lykiens zurückgezogen haben soll, und vor allem, dass zu seinen
Vorfahren Herakles und Achill gehörten, und auch, dass sich der letzte
Pharao bei Alexanders Mutter Olympia als Zauberer eingeschlichen habe,
so dass Alexander also auch ein unehelicher Sohn des letzten Pharao
gewesen sei. Der antike Alexander-Roman mit all seinen fantastischen
Ausschmückungen, Legenden und Wundern war im Mittelalter so weit
verbreitet, dass er nur noch von der Bibel übertroffen wurde.
Auch wenn Alexanders Reich nach seinem Tod in der Realität sehr
schnell zerfiel und sich in den »Diadochenkämpfen« zerfleischte, blieb von
Alexander tatsächlich ein »Weltreich« mit all seinen Konsequenzen bis heute,
nämlich der Hellenismus, einer, wie ihn Historiker bezeichneten, neuen
Weltepoche, in der sich die griechische Kultur im ganzen Mittelmeergebiet
ausbreitete und dieses dominierte. Die griechische Sprache wurde universal.
Alexanders Absicht war nicht nur die Gleichstellung, sondern die Verschmelzung
der Völker. Er achtete die Gebräuche und Religionen der von ihm besiegten
Völker, opferte ihren Göttern und reihte ihre Soldaten in sein Heer ein. Dies
alles nur als großartige Propaganda-Show, als Public Relation im Hinblick auf
die Heraushebung des eigenen Gottkönigtums zu interpretieren, wie es Fabian tut,
greift doch etwas kurz. Alexander hat die Bedrohung durch die Perser endgültig
beseitigt und dadurch die weitere Entwicklung des Demokratiegedankens
ermöglicht. Der Historiker Demandt zählt den Alexanderzug mit Recht zu den
Sternstunden der Menschheit, vor allem, weil »er den großangelegten und
zukunftsweisenden Versuch unternommen [hat], den Gegensatz von Griechen und
Barbaren zu überwinden, ein Reich der Eintracht und der Gleichberechtigung zu
errichten und den Kriegsgott Polemos selbst zu bezwingen.« Ein anderer
Historiker bemerkte, dass ohne die Tat Alexanders das Christentum sich nicht
hätte verbreiten können, denn die Weltsprache war nun griechisch. Wenn einer den
Titel »der Große« verdient hat, dann Alexander.
Alexanders Nachfolger haben
seine Ideen nicht aufgegriffen, wohl aber die Römer, vor allem der erste
römische Kaiser Augustus (ursprünglich Gaius Octavius; geb. 63 v. Chr.; reg. als
Alleinherrscher 31 v. Chr. bis 14 n. Chr.), der den Reichsfrieden stiftete, den
Pax Romana, die andere Voraussetzung für die Ausbreitung des Christentums.
Augustus sah sich in der Nachfolge Alexanders, aber ihm hat die Geschichte den
Titel »der Große« nicht gegeben. Die Römer eroberten Griechenland endgültig 146
v. Chr., aber damit besiegelten sie nicht das Ende seiner Ideen.
2. Rom
Von der frühen römischen Geschichte gibt es
überwiegend nur Rekonstruktionen, die meisten aus späterer Zeit. Im 10. und 9.
Jahrhundert v. Chr. lebten im Gebiet des heutigen Rom schon Latiner und Sabiner.
Um 650 fassten die Etrusker die bisherigen Siedlungen zu einer Stadt mit dem
etruskischen Namen Roma (abgeleitet von einem Geschlechternamen) zusammen. Rom
selbst soll am 21. April 753 v. Chr. gegründet worden sein; die Stadt war also
anfangs ein etruskischer Stadtstaat. Die ersten sieben Könige Roms sind
legendär, ihre Namen weisen aber zum Teil auf die alte etruskische Herrschaft
hin. 509 v. Chr. wurde der letzte etruskische König vertrieben, und Rom wurde
Republik mit dem Senat als höchstem politischen Organ. 507 weihten die Römer
bereits den Jupitertempel auf dem Kapitol, wodurch Rom auch zum kulturellen
Zentrum avancierte. Die nächsten Jahrhunderte waren gekennzeichnet durch
Wachstum speziell im 5. und 4. Jahrhundert (nach der Zerstörung durch die
Gallier 386 v. Chr. musste Rom allerdings erst einmal wieder aufgebaut werden),
den Ständekampf, durch den das »Volk« immer mehr Rechte gewann, und die
Ausdehnung der römischen Macht nach Mittel- und Süditalien; letztere war mit der
Unterwerfung der Messapier 266 v. Chr. endgültig vollendet. Bald danach befinden
wir uns schon direkt in der berühmten Auseinandersetzung mit Karthago, das die
aufstrebende Großmacht Rom tief erschütterte, und hierbei begegnen wir den
ersten »Großen« im Zusammenhang mit der römischen Geschichte, wenn es sich auch
dabei nicht um Römer handelte.
Zwei gegensätzliche Zeitgenossen: Hanno
und Antiochus die Großen
Drei Kriege führten die Römer gegen die Punier,
d. h. die Karthager, um die Vormacht im westlichen Mittelmeerraum; darum werden
sie die Punischen Kriege genannt. Im 1.Punischen Krieg, der von 264 bis 241 v.
Chr. dauerte, ging es vorrangig um Sizilien, das 241 an Rom fiel, mit Ausnahme
des mit ihm verbündeten Syrakus. 237 wurde von Rom dann die Abtretung Sardiniens
und Korsikas erzwungen. Alle drei Inseln erhielten in den Jahren 228/227
Provinzstatus. Zwischen 247 und 241 führte der karthagische Feldherr Hamilkar
Barkas als Meister des Kleinkrieges einen für die Römer verlustreichen Kampf
gegen diese im Westen Siziliens, aber nach der Niederlage der Karthager bei den
Ägadischen Inseln schloss er Waffenstillstand und legte sein Amt nieder. Als
jedoch im selben Jahr, 241, in Libyen ein Aufstand von Söldnern ausbrach, rief
ihn die karthagische Bevölkerung zurück, und er besiegte die Aufrührer rasch.
Mit von der Partie war der karthagische Politiker und Heerführer Hanno, der den
Ehrentitel »der Große« erhielt, nicht zu verwechseln mit dem karthagischen
Entdecker Hanno dem Seefahrer, der in der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr.
durch die Straße von Gibraltar segelte und an der Westküste Afrikas bis in den
Golf von Guinea vorstieß. Hanno war um 240 v. Chr. Statthalter in Libyen
gewesen, hatte die punische Herrschaft in diesem Gebiet stark erweitert, musste
aber bei der Niederschlagung des Söldneraufstand den Oberbefehl an Hamilkar
abgeben – sein eigenes Heer enthob ihn des Kommandos, was ihn zutiefst gegen
Hamilkar einnahm. Als Führer der alten karthagischen Adelsgeschlechter wandte er
sich mit diesen gegen die Ernennung Hamilkars zum Gouverneur von Libyen, was die
Aristokratische Partei aber nicht verhindern konnte. 237 ging Hamilkar dann nach
Spanien, dessen südlichen Teil er für Karthago eroberte, und fiel im Winter
229/228 im Kampf gegen die iberischen Oretaner. Hanno seinerseits bemühte sich
Zeit seines Lebens um friedliche Beziehungen zu Rom und war diesbezüglich ein
erbitterter Gegner von Hamilkar und später dessen Sohn Hannibal. 218 v. Chr.
soll er die Karthager vergeblich vor einem Krieg mit Rom gewarnt haben. Denn nun
brach der 2. Punische Krieg aus, der bis 201 dauerte. Hamilkars Sohn Hannibal,
geboren um 247/246 v. Chr. in Karthago, eroberte zunächst das östliche Spanien
bis zum Ebro; als er diesen überschritt, bot er Rom den Anlass zum Krieg. Was
folgte, ist hinlänglich bekannt. Hannibal, einer der größten Heerführer und
Staatsmänner der Antike, überschritt 218 mit seinem Heer (und 37
Kriegselefanten) die Alpen und vernichtete in den Schlachten von Cannae (218)
und am Trasimenischen See (217) die überlegenen römischen Truppen. Aber Hannibal
wusste aus den Siegen offenbar nicht das Richtige zu machen. Er unterwarf zwar
Süditalien, aber er zersplitterte seine Kräfte und zog lediglich Jahre lang in
Italien umher, einmal 211 sogar gegen Rom – hierher rührt der Schreckensruf
»Hannibal ante portas« – »Hannibal vor den Toren«. Rom dagegen verfiel auf die
Strategie, sich nicht mehr auf verlustreiche Schlachten einzulassen, sondern
Hannibal mehr oder weniger zu ignorieren, und schon ab 215 war dieser in der
Defensive, trotz diverser Bündnisse mit Gegnern Roms. Ausschlaggebend dafür aber
war vor allem die mangelnde Unterstützung aus Karthago, was von Hanno dem Großen
u. a. betrieben wurde. Schließlich wurde Hannibal 203 nach Karthago
zurückberufen, als die Römer unter Scipio Africanus d. Ä. (ca. 235–183 v.
Chr.) die Stadt bedrohten. In der Schlacht bei Zama wurde Hannibal von Scipio
geschlagen. Damit war die Großmachtstellung Karthagos beendet. Zu denen, die nun
mit Scipio über Frieden verhandelten, gehörte Hanno der Große; seine friedliche
Haltung gegenüber Rom war wohl eine der Gründe, warum er den Ehrentitel erhielt.
Aber auch er konnte nicht verhindern, dass Hannibal weiter eine bedeutende Rolle
spielte und in Karthago eine Neugestaltung der Verfassung und eine Reform des
Finanzwesens durchführte. Schließlich war allerdings der Druck seiner
karthagischen Gegner so groß geworden, dass Hannibal aus der Stadt fliehen
musste. Er begab sich an den Hof von – Antiochus dem Großen. Dieser gehörte zur
makedonischen, also hellenistischen Dynastie der Seleukiden und schuf in
wagemutigen Feldzügen ein großes Reich, so dass er schon in der Antike seinen
Ehrentitel erhielt. Der Begründer und König der Seleukiden war Seleukos I.
Nikator, der um 358 v. Chr. geboren wurde, als Feldherr unter Alexander dem
Großen Karriere machte, nach dessen Tod 321 Babylon als Satrapie erhielt, von wo
aus er in Syrien als wohl einer der bedeutendsten Diadochen ein großes Reich
gründete – 305/304 nahm er den Königstitel an. 281 v. Chr. wurde er ermordet,
aber zu diesem Zeitpunkt reichte sein Herrschaftsgebiet über fast ganz
Vorderasien bis zum Indus. In der Folgezeit gingen zwar große Gebiete im Osten
wieder verloren, aber Antiochus der Große stellte das alte Reich noch einmal
her. Geboren 242 v. Chr., wurde er 223 König und sicherte zunächst die
Herrschaft in Kleinasien. 217 verlor er im 4. Syrischen Krieg zwar einen Teil
von Syrien (Ägypten und Palästina), den er aber im 5. (201 bis 195) ein paar
Jahre später wieder gewann. Von 212 bis 205 v. Chr. führte er seinen großen,
erfolgreichen und seinen Titel begründenden Feldzug nach Osten; er unterwarf
Armenien; mit Parthern, baktrischen und selbst indischen Fürsten schloss er
Verträge, aber ihre völlige Unterordnung erreichte er nicht. In Indien ließ er
sich so viele Elefanten für künftige Kriege übergeben, dass das Elefantenmotiv
seitdem in seleukidischen Münzen auftauchte. Natürlich brachte ihn seine
Annexionspolitik in die Konkurrenz und den Konflikt mit Rom, vor allem, als er
mit Philipp V. von Makedonien (geb. 238 v. Chr. ; reg. 221–179 v. Chr.) einen
Geheimvertrag zur Teilung der ägyptischen Küstenländer schließen wollte, der an
der römischen Intervention scheiterte (Philipp wurde von den Römern im 2.
Makedonischen Krieg 197 besiegt, worauf Rom ein Jahr später alle Griechen für
frei erklären ließ), und besonders, als er in Thrakien 196 einfiel.
Verhandlungen zwischen den Mächten scheiterten. Und als Antiochus 192 vom
Ätolischen Bund nach Griechenland gerufen wurde, kämpfte er dort gegen die
Römer. Den Kriegsplan dafür erarbeitete übrigens Hannibal, der seit seiner
Flucht aus Karthago bei ihm lebte und ihn auch nach Griechenland begleitete.
Aber Rom war damals schon so gut wie unbesiegbar: 191 wurde Antiochus bei den
Thermopylen und – trotz erfolgreicher Seegefechte – ein Jahr später vernichtend
bei Magnesia in Kleinasien geschlagen, wohin er sich zurückgezogen hatte. Zwei
Jahre danach, 188, kam es zu dem Frieden von Apameia, in dem sich Antiochus
verpflichtete, Kleinasien bis westlich des Tauros aufzugeben und eine hohe
Kriegsentschädigung zu zahlen. Hannibal war nach der Niederlage zu König Prusias
I. nach Bithynien geflohen; als die Römer auch hier seine Auslieferung
verlangten, brachte er sich 183 v. Chr. mit Gift um. Antiochus war schon 187 bei
der Plünderung eines Tempels in der Nähe von Susa erschlagen worden. Mit seiner
Niederlage und seinem Tod nahm der Einfluss der Seleukiden rapide ab. Karthago
wurde im 3. Punischen Krieg (149–146) erobert und 146 vollständig zerstört,
obwohl es sich Rom unterworfen hatte, und der letzte Seleukide, Antiochus XIII.
Asiaticus, der seit 69 v. Chr. regierte, wurde 65/64 von Pompeius dem Großen
besiegt und abgesetzt, Syrien wurde römische Provinz, und das Römische Reich
umfasste zwar schon lange, aber nun endgültig den ganzen Mittelmeerraum und noch
weitere Gebiete.
Miteinander verwobene Schicksale: Pompeius, Mithridates, Tigranes, Herodes, Aretas und Hiyya die Großen
Pompeius erhielt seinen Titel
bereits zu Lebzeiten. Er war der große Gegenspieler des bedeutenden Feldherrn
und Staatsmannes Gaius Julius Cäsar (100–44 v. Chr.), aber im Gegensatz zu
diesem, der aus vielerlei Gründen noch in vieler Munde ist, ist Pompeius, der
erste Römer, der den Titel »der Große« erhielt, heute weit weniger bekannt. Er
stammte aus altrömischem Rittergeschlecht und wurde am 29. September 106 v. Chr.
geboren. In einer Epoche, die bestimmt war von Bürgerkriegen, äußeren und
inneren Bedrohungen, Korruption und Verfall der Autoritäten, in der der Senat
versuchte, den aufkeimenden demokratischen Gedanken zu unterdrücken, und in der
es primär um die Frage ging, wer seine Autorität beim Senat durchsetzen und wie
viel persönliche Macht jemand herausschlagen konnte – in dieser Zeit kam
Pompeius hoch. Man hat ihm fehlende wahre Überzeugungen, rein individuelles
Machtstreben nachgesagt, aber zweifellos war er ein hervorragender Feldherr und
bedeutender Staatsmann, von großem persönlichen Mut, gewandt in Sport und
Kriegführung; man lobte seine Mäßigung und seine Rechtschaffenheit, das Volk sah
in ihm einen Wohltäter und bewunderte ihn.
Zu Beginn seiner Karriere mischte
er sich in den Kampf zwischen den Befürwortern und Gegnern demokratischer
Bestrebungen ein. Erstere konnten ihre Überzeugung auf den genialen Feldherrn
Gaius Marius (156–86 v. Chr.), den Bezwinger der Kimbern und Teutonen,
zurückführen, letztere hingen dem schon erwähnten, ebenfalls bedeutenden
Feldherrn Cornelius Sulla (138–78 v. Chr.) an, der den Beinamen »der
Glückliche« trug – am Ende machte er seinem Namen alle Ehre. Wir müssen noch ein
wenig bei den beiden verweilen und die Hintergründe für die Entwicklungen
zumindest skizzieren.
Die so unglaublich rasche Ausbreitung des römischen Reiches brachte
jede Menge sozialer und wirtschaftlicher Probleme und Krisen mit sich,
die Dezimierung und den Besitzverlust der mittleren Bauernschaft
einerseits, den wachsenden Reichtum des Adels (der Nobilität) und der
Ritterschaft andererseits, und dazu noch die Ausweitung des
Sklavenbedarfs auf Grund der Latifundienwirtschaft. Dazu kamen
Aufstände in den neu eroberten Gebieten und konkurrierende, die
römischen Interessen bedrohende Eroberungen durch andere Reiche. In
dieser Zeit entstanden die Parteibezeichnungen der Optimaten und
Popularen; erstere, die Senatspartei, standen für die Nobilität,
letztere, die versuchten, den Senat zu umgehen, für das »Volk«, die
Nicht-Adligen, um es verkürzt so auszudrücken. Im Jugurthinischen Krieg
und auch bei den Einfällen der Kimbern und Teutonen versagten die
Optimaten, so dass der nicht adlige Marius hoch kommen konnte. Marius
und Sulla führten 105 v. Chr. gemeinsam den erfolgreichen Feldzug gegen
den König von Numidien Jugurtha (ca. 160–104 v. Chr. (hingerichtet)).
Beide wurden Konsuln; Marius ersetzte das Milizheer, das bislang
überwiegend aus Bauern bestand, durch eine Armee aus Berufssoldaten;
damit allerdings erzeugte er das Problem der Veteranenversorgung. Von
91 bis 89 erkämpften sich die italischen Bundesgenossen in einem
weiteren, die römische Herrschaft bedrohenden Krieg die römischen
Bürgerrechte, die ihnen bis dahin verweigert worden waren. Im Osten
bedrohte zudem das kleine Land Pontos an der Südküste des Schwarzen
Meeres die römische Einflusssphäre, und Sulla erhielt 88 v. Chr. den
Oberbefehl im Krieg gegen den dortigen Herrscher Mithridates VI. Durch
Volksbeschluss wurde das Oberkommando jedoch auf Marius übertragen, und
so kam es zwischen den beiden Nebenbuhlern zum Bürgerkrieg – Sulla
marschierte gegen Rom, Marius musste nach Afrika fliehen. Im nächsten
Jahr begann Sulla seinen Kampf gegen Mithridates, und Marius nutzte die
Gelegenheit, zurückzukehren – mit dem Konsul Lucius Cornelius Cinna
(ca. 130–84 v. Chr.) eroberte er Rom, wo er blutige Rache übte, und
beide herrschten nun in Italien – Cinna übte nach Marius Tod 86 v. Chr.
eine wahre Schreckensherrschaft aus, die sicher nicht im Sinne des
»Volkes« war. Sulla dagegen gelang es, Mithridates erst einmal kalt zu
stellen.
Mithridates VI.
Eupator, der aus altiranischem Adelsgeschlecht stammte, kam um 130 v. Chr. im
heutigen Sinop (damals Sinope) zur Welt. Nach der Ermordung seiner Mutter wurde
er 112 (oder schon 120) Alleinherrscher und begann sofort mit der Ausdehnung
seiner Macht. Er besiegte die Krimskythen und eroberte das Bosporanische Reich
(107), die Kaukasusgebiete und Galatien. Er verbündete sich daraufhin mit
Armenien, wo seit etwa 95 v. Chr. sein Schwiegersohn Tigranes I. (nach
armenischer Zählung war er schon der Zweite) herrschte. Beide nutzten die
römische Schwäche infolge des Einfalles der Kimbern und Teutonen und des
Bundesgenossenkrieges, um ihre Herrschaft auszudehnen. Tigranes eroberte
Kilikien und Teile von Mesopotamien und schuf dadurch ein Großreich mit der
neuen Hauptstadt Tigranokerta, das heutige Silvan, nördlich des Tigris. Es
reichte vom Kaspischen Meer bis an die Grenze Ägyptens, vom Kaukasus bis
Ekbatana, dem – wie bereits mehrfach erwähnt – heutigen Hamadan. Das immer mehr
verfallende Seleukidenreich händigte ihm die Krone aus; Nord- und Süd-Syrien,
der Libanon und Palästina wurden teils Satrapien, teils Vasallenstaaten. Das
Reich umfasste viele unterschiedliche Völker und Sprachen und wurde nur durch
Tigranes’ machtvolle Persönlichkeit zusammen gehalten. Er brachte es zu großer
kultureller und wirtschaftlicher Blüte, und die Hauptstadt wurde ein Zentrum des
Hellenismus. Als »der Große« ging er aufgrund seiner Unternehmungen und seiner
nicht nur kriegerischen Erfolge in die Geschichte ein. Diesen Titel erhielt auch
Mithridates VI., wenn auch beide nur gelegentlich so bezeichnet werden. Immerhin
haben sie es mit diesem Titel in die Encyclopedia Americana
geschafft. Während Tigranes sein gewaltiges Imperium schuf, erweiterte
Mithridates sein Reich nach Süden (Kappadokien) und nach Westen
(Paphlagonien und Bithynien). Nun fühlten sich die Römer gestört, und
Sulla zog, wie erwähnt, gegen ihn zu Felde. Mithridates aber gab so
schnell nicht auf; er eroberte die römische Provinz Asia, ließ im
sogenannten Blutbefehl von Ephesos 80.000 Italiker in Kleinasien
ermorden und schloss seinem Reich Griechenland an. Sulla jedoch gelang
es, ihn am Ende dieses 1. Mithridatischen Krieges in Böothien zu
besiegen, und 85 v. Chr. musste Mithridates im Frieden von Dardanos die
eroberten Gebiete zurückgeben und seine Flotte ausliefern. Aber er
forderte die Römer bald abermals heraus. Als diese 83 v. Chr. in Pontos
einfielen, wurden sie von ihm siegreich abgewehrt. Dieser 2.
Mithridatische Krieg dauerte bis 81 v. Chr. Damals eroberte Tigranes
zur Unterstützung seines Schwiegervaters Kappadokien. Im 3.
Mithridatischen Krieg (74–63) schließlich verbündete sich Mithridates
mit Seeräubern einerseits, andererseits mit dem römischen Feldherrn
Quintus Sertorius (ca. 123–72 v. Chr.), der sich in Spanien von Rom
unabhängig gemacht hatte, sozusagen eine eigene nach dem Vorbild Roms
gestaltete Herrschaft ausübte und sich von dem Bündnis Einfluss in
Kleinasien versprach, und besetzte Bithynien. Erst dem römischen
Feldherrn Lucius Licinius Lucullus (ca. 117–57 v. Chr.), dem wir die
Einführung der Süßkirsche in Europa und den Ausdruck »lukullisches
Mahl« verdanken, gelang es, ihm eine entscheidende Niederlage (bei
Kyzikos 74/73) zuzufügen. Noch einmal vermochte es Mithridates, nachdem
er eine Zeitlang bei seinem Schwiegersohn Tigranes, damals der
mächtigste Herrscher in Asien, Asyl gefunden hatte, 67 sein Reich
wiederherzustellen. Doch nun trat Pompeius der Große, wie er seinerzeit
schon genannt wurde, auf den Plan und vernichtete 66 v. Chr.
Mithridates’ Heer am Lykos-Fluss, wie der Große Zab damals hieß. Ein
Jahr zuvor hatte er in nur vier Monaten mit einem Riesenheer und einer
enormen Flotte die Piratengefahr beseitigt – die Piraten, die Angst und
Schrecken verbreiteten, waren damals in dieser Region sehr
einflussreich und beliebte Verbündete – für vier Jahrhunderte war das
Mittelmeer nun piratenfrei. Nun floh Mithridates auf die Krim; als auch
noch sein Sohn Pharnakes II. von ihm abfiel, ließ er sich durch einen
Leibwächter töten. Das geschah 63 v. Chr.; mit Mithridates kam ein
Gegner der Römer ums Leben, den diese als ihren schwierigsten und
größten Gegner betrachteten: daher wohl auch der Titel »der Große«,
während ihn Tigranes, wie wir gesehen haben, auch aus anderen Gründen
erhielt. Tigranes hatte seine Eroberungen 69 und 68 an Lucullus
verloren, aber eroberte sie fast alle zurück, nur um im selben Jahr wie
Mithridates endgültig von Pompeius geschlagen zu werden, dabei sogar
unterstützt von Tigranes eigenem Sohn. Tigranes durfte am Ende König
von Armenien bleiben, musste dafür aber an Pompeius eine Riesensumme
bezahlen und auch dessen Heer finanzieren. Er starb 55 v. Chr., lange
nachdem Pompeius die Provinzen Bithynien-Pontos und Syrien eingerichtet
hatte.
Was war zwischenzeitlich alles geschehen in diesen wirren
Zeiten? Sulla hatte 82 v. Chr. die Anhänger des Marius in Italien besiegt, dabei
auch die Schreckensherrschaft von Cinna beendet – dieser war 84 erschlagen
worden (seine Tochter Cornelia heiratete übrigens Cäsar, der zu den Popularen
hielt), die Herrschaft der Optimaten wiederhergestellt und dann bis 79 als
Diktator regiert, worauf er sich nach Kampanien zurückzog; dort starb er ein
Jahr später beim heutigen Pozzuoli.
Pompeius hatte all die Jahre treu zu
Sulla gestanden. Mit eigenen Truppen hatte er sich ihm schon früh angeschlossen;
er gewann gegen die Anhänger des Marius manche Siege in Italien und wurde darob
von Sulla nach Sizilien und Nordafrika gesandt, das er von den Anhängern des
Marius säuberte. Daraufhin nannte ihn Sulla Magnus, »den Großen«. Sulla war
humoristisch veranlagt, aber trotzdem meinte er den Beinamen ernst, zumal er
Pompeius auch noch entgegen allen damaligen Regelungen einen Triumphzug
durchführen ließ. Pompeius sah sehr gut aus, war dabei scheu und empfindlich,
aber von ungestümer Tapferkeit. In späteren Jahren neigte er zur Korpulenz,
gepaart mit Furchtsamkeit und Unentschlossenheit. Scharfer Versand und geistige
Tiefe waren ihm nicht in dem Ausmaß gegeben wie vielleicht Cäsar und auf jeden
Fall Augustus, und er neigte, vor allem später, dazu, sich zu überschätzen und
war über alle Maßen eitel. Er führte die Politik aus, die andere vorgaben, denen
er sich anschloss. Schon sein großes Vermögen brachte ihn davon ab, sich zu sehr
in die Politik einzumischen. Erst in reiferen Jahren versuchte auch er, die
Politik mitzugestalten.
Pompeius in seinem damaligen Alter war aber höchst
erfolgreich. Von 76 bis 71 v. Chr. kämpfte er gegen den eben erwähnten Sertorius
in Spanien, den er ebenso wie dessen Nachfolger besiegte. Nach Italien
zurückgekehrt, beendete er endgültig den Sklavenaufstand der Anhänger des
Spartacus, der damals – 71 v. Chr. – bereits gefallen war. Auch wenn er in der
Folgezeit die Optimaten stützte, erneuerte er zusammen mit dem Feldherrn und
Politiker Marcus Licinus Crassus (ca. 115–53 v. Chr.) die von Sulla zu Gunsten
des Senats aufgehobene römische Verfassung. Und so erfreute sich Pompeius auch
beim Volk großer Beliebtheit.
Pompeius’ größter Triumph war sein Feldzug
gegen Mithridates VI., als dessen Konsequenz er den größten Teil von Pontos der
Provinz Bithynien zuschlug, aus Syrien 64 v. Chr. eine römische Provinz (das
bedeutete das endgültige Aus für die Seleukiden-Dynastie) und Armenien als
abhängiges Königreich zu einem Gegengewicht zum Reich der Parther machte. Wieder
war Pompeius ein Triumphzug vergönnt, und er galt damals als berühmtester
General der Welt, stand auf dem Gipfel seiner Macht, doch der Senat
sanktionierte durchaus nicht alle seine Maßnahmen, z. B. seine
bewunderungswürdigen Provinzgründungen im Osten und die von ihm geforderte
Versorgung der Veteranen. Und im Hintergrund warteten Crassus und Cäsar auf ihre
Chance.
Nun, der Rest der Geschichte ist bekannt. Crassus schloss 60 v. Chr.
mit Cäsar und Pompeius das 1. Triumvirat, inoffiziell, um ihre persönlichen
Ziele in Ruhe verfolgen zu können. Cäsar erhielt endlich die ihm bisher vom
Senat verweigerte Konsulwürde und eroberte von 58 bis 51 Gallien. Pompeius
heiratete Cäsars Tochter Julia, die aber schon 54 starb. Während sich Cäsar als
Eroberer profilierte, lebte Pompeius im Luxus in Rom und tat sich mit der
Unterstützung von Bauwerken wie dem Theater im Campus Martius hervor. In dieser
Zeit nahmen die Spannungen mit Cäsar zu, doch 56 wurde das Triumvirat noch
einmal erneuert. Als Crassus bei einem Feldzug gegen die Parther fiel, bedeutete
dies allerdings das Ende des Triumvirats. Unterstützt von dem Politiker,
Philosophen und berühmten Redner Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) neigte
Pompeius, auch aus Furcht vor Cäsar, zum Senat, der ihm schließlich
diktatorische Vollmachten zubilligte und Cäsar zum öffentlichen Feind erklärte.
Pompeius war nun der erste Mann im Staat, aber Cäsar duldete das nicht und
überschritt im Jahre 49 v. Chr., wie es sprichwörtlich geworden ist, den
Rubikon. Damit war der Bürgerkrieg eröffnet. Die Pompeianischen Truppen wurden
trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit bei Pharsalos in Thessalien am 9. April
49 von Cäsar vernichtend geschlagen. Pompeius floh nach Ägypten und wurde dort
am 28. September 48 v. Chr. von einem ehemaligen Anhänger verräterisch ermordet.
Weitere Niederlagen der Pompeianer folgten 46 bei Thapsus in Tunesien und 45 in
Spanien in der Provinz Córdoba; dann war Cäsar Alleinherrscher in Rom, aber
schon ein Jahr später, gerade Imperator und Diktator auf Lebenszeit geworden,
wurde auch er ermordet. Vorläufige Ruhe kehrte erst mit Kaiser Augustus ein.
Pompeius’ ältester Sohn Gnaeus, legte sich selbst sich den Titel »der
Große« nach dem Tod seines Vaters zu. Auf dem Weg nach Griechenland
eilte er noch seinem Vater mit einer Flotte aus Ägypten zur Hilfe
herbei. Er zerstörte ein paar Transportschiffe Cäsars, machte aber
nichts aus dem Erfolg. Nach der Niederlage von Pharsalus floh er nach
Spanien, um dort die unabhängige römische Herrschaft aus der Zeit der
Marianer zu erneuern, und hier schloss sich ihm nach Cäsars Sieg bei
Thapsus sein Bruder Sextus an. Cäsar verfolgte die Brüder und schlug
sie im März 45 v. Chr. vernichtend in der erwähnten Schlacht in der
Provinz Córdoba (bei Munda), obwohl er nur halb so viele Soldaten
hatte. Bald wurde Gnaeus gefasst und ermordet, nach anderen Quellen ist
er in den Kämpfen gefallen, erst 33 Jahre alt. Sextus, zwei Jahre
jünger als Gnaeus, gab sich ebenfalls den Titel Magnus. Nach der
Niederlage in Spanien konnte er auf Grund der Ermordung Cäsars dort
bleiben, ohne mit Angriffen rechnen zu müssen. Das 2. Triumvirat
zwischen Octavian (dem späteren Augustus), Markus Antonius (ca. 82–30
v. Chr.) und Marcus Aemilius Lepidus (ca. 87–13/12 v. Chr.) erklärte
ihn jedoch zum Verbrecher und beschlagnahmte sein Vermögen. Daraufhin
ging Sextus nach Sizilien, schlug dort die Truppen Octavians und wurde
so mächtig, dass ihn das Triumvirat 39 zum Gouverneur von Sizilien,
Sardinien und Achaea unter römischer Oberhoheit ernannte. Aber das war
eher eine Verlegenheitslösung. Schon ein Jahr später brachen die
Feindseligkeiten wieder aus, und Sextus besiegte Octavian auf See. Erst
36 konnte Sextus in der Nähe der Straße von Messina in einer
Seeschlacht geschlagen werden. Sextus floh nach Kleinasien, fiel aber
dort den Römern in die Hände und wurde 35 v. Chr. exekutiert. –Gnaeus
und Sextus Pompeius: Zwei Römer, die sich den Titel »der Große«
lediglich anmaßten, indem sie ihn von ihrem Vater entlehnten, der den
Titel aber wohl doch verdient hatte! Im Mittelalter werden wir noch
einmal auf verschiedene Fürsten treffen, die Magnus hießen, aber das
war dann kein Titel, sondern der echte Name.
Während seines größten militärischen Erfolges, nämlich bei der Eroberung von
Syrien und Palästina, nahm Pompeius im Jahre 63 v. Chr. auch Jerusalem ein, nach
dreimonatiger Belagerung. Damals war ein weiterer Zeitgenosse der hier
geschilderten »Großen« etwa zehn Jahre alt, Herodes, der später selber diesen
Titel erhielt. Die Zeiten in Judäa waren wirr. Wie wir gesehen haben, waren die
Juden durch Kyros den Großen aus der babylonischen Gefangenschaft befreit worden
und in ihre angestammten Gebiete zurückgekehrt. Die Heimkehrer hielten nun umso
fester an ihrer Religion fest und richteten sich streng nach der Thora. Sie
hatten eine theokratische Verwaltung mit Hohepriester und Hohem Rat (Synedrion)
und grenzten sich von der zurückgebliebenen und mit Fremden vermischten
Landbevölkerung ab, die dann ihrerseits eine eigene Religionsgemeinschaft
gründeten – sie wurden zu den Samaritern. Später, 332 v. Chr., wurde Judäa Teil
des Alexander-Reiches, 198 unterwarfen es die Seleukiden. Und erst 164 erreichte
Judäa unter der Führung der Makkabäer (Hasmonäer) wieder Religionsfreiheit und
141 seine politische Unabhängigkeit. Doch der nun wieder souveräne Staat kam
nicht zur Ruhe. Schwere innere Kämpfe zerrütteten das Land, die Makkabäer büßten
ihre Macht ein, und so war es für Pompeius nicht besonders schwer, Judäa und
Jerusalem zu erobern. Herodes’ Vater Antipater – mit einer arabischen
Fürstentochter verheiratet – hatte sich in den makkabäischen Bürgerkriegen auf
die Seite des seit 78 v. Chr. als Herrscher von Judäa amtierenden Hohepriester
Hyrkanos II. gegen dessen jüngeren Bruder und Rivalen Aristobulus II.
geschlagen. Der junge Herodes zeichnete sich in diesen Kämpfen als
Militärkommandeur aus, indem er rivalisierende jüdische Truppen gefangen nahm,
die unter römischer Oberhoheit stehende syrische Dörfer überfielen. Diese Tat
befremdete die Juden, aber kam dem römischen Gouverneur entgegen, und als der
Hohe Rat Herodes als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte, wurde dieser von den
Römern gerettet. Herodes gelang es dann doch, die sich bekriegenden Parteien
wieder zu versöhnen, indem er als seine zweite Frau Mariamne, die makkabäische
Prinzessin, heiratete, die aus beiden rivalisierenden makkabäischen Familien
Vorfahren und Verwandte hatte. Damit sicherte er sich auf Dauer auch die
Herrschaft gegen die Parther.
Herodes’ Vater wurde durch Pompeius auf Kosten
von Hyrkanos Prokurator von Judäa, Herodes in dieser Zeit Gouverneur von Galiläa
(47 v. Chr.). Hyrkanos, zwischenzeitlich noch einmal durch Cäsars Gnade
Tetrarch, also Mitherrscher, verschleppten später die Parther nach Babylon, er
kam aber auf Bitten von Herodes nach Jerusalem zurück, wurde jedoch dort 30 v.
Chr. umgebracht. Nachdem Antipater 43 v. Chr. ermordet worden war, brachte es
Herodes gemeinsam mit seinem Bruder Phasael zum »Tetrarchen« (41), also zum
Herrscher über einen Teil der Provinz, eigentlich nur über ein Viertel, aber
sein Bruder fiel schon im nächsten Jahr bei einem Angriff der Parther, und
Herodes floh nach Rom. Dort ernannte ihn der Senat nach entsprechenden
Bemühungen seitens Octavians und Markus Antonius’ zum König der Juden (40) und
unterstützte ihn 37 auch militärisch bei der Sicherung seiner Herrschaft.
Herodes, nun römischer Vasallenkönig, regierte mit eiserner Faust, aber
er brachte dem zerrissenen Judäa Stabilität und wirtschaftliche Blüte.
Allerdings entfremdete er sich den Juden umso mehr, je mehr er den
Einfluss hellenistischen Kulturgutes förderte, und natürlich durch
seine Tyrannei. Andererseits ließ er den jüdischen Kult unangetastet
und unterstützte das Diasporaljudentum. Im ersten Teil seiner
Herrschaft litt Herodes unter vielfachen persönlichen Anfeindungen und
Verfolgungen, und gnadenlos ließ er alle potenziellen Rivalen
ausschalten. Obwohl er seine Frau Mariamne liebte, war er für ihre
Hinrichtung und die von Mitgliedern ihrer Familie 29 v. Chr.
verantwortlich, und radikal unterdrückte er alle Ansätze von
Opposition. Im Gegensatz dazu lehnte er sich stark an Kaiser Augustus
nach dessen Sieg über Markus Antonius 31 v. Chr. an und stand er voll
in dessen Gunst. In der nächsten Phase seiner Herrschaft, die von etwa
25 bis 13 v. Chr. dauerte, ließ er viele berühmte Bauwerke errichten,
die ganz in seinem Sinne, den hellenistischen Einfluss zu stärken,
entstanden, aber auch, um den Kaiserkult in ganz Palästina zu
verbreiten. So entstand ein Tempel für Augustus in Sebaste; der Hafen
von Caesarea, der Palast und die Burg von Herodium sowie der
Winterpalast in Jericho dienten auch, zum Teil wenigstens, diesem
Zweck. Herodes’ besonderes Anliegen war jedoch der Wiederaufbau und die
Erweiterung des Tempels in Jerusalem, was auch zu seinen größten
Projekten gehörte. Aber mit all diesen architektonischen Leistungen
erzeugte er eher Hass bei seinen Untertanen. So war es kein Wunder,
dass seine letzten Lebensjahre überschattet waren von Intrigen jeder
Art gegen ihn, privaten und politischen, und viele Verdächtige fielen
ihm zum Opfer. Als sich sein Leben schon dem Ende näherte, ließ er zwei
Söhne aus der Ehe mit Mariamne hinrichten, von denen er den Fortbestand
der Herrschaft einer neuen Herodianisch-makkabäischen Dynastie erhofft
hatte; und fünf Tage vor seinem Tod wurde sein ältester Sohn Antipater
aus dem Weg geräumt. Auch andere potenzielle Rivalen ließ er töten – er
war insgesamt achtmal verheiratet. Vielleicht ist hier auch eine der
Grundlagen für die Legende vom Bethlehemer Kindermord zu suchen, denn
wenn man Herodes auch vieles vorwerfen und nachsagen konnte, eines mit
großer Wahrscheinlichkeit nicht: einen Kindermord von Bethlehem in der
in der Bibel überlieferten Form hat es nach allen neueren Forschungen
nicht gegeben. Herodes hat seinem Land eine dreißigjährige Zeit des
Friedens und der wirtschaftlichen Blüte verschafft, daher auch sein
Beiname »der Große«, aber die Erinnerung an ihn ist eher durch seine
Tyrannei geprägt. Nach seinem Tod 4 v. Chr. wurde das Land geteilt und
kam mit der Zeit vollends unter römische Herrschaft. 70 n. Chr. wurden
Jerusalem und der Tempel zerstört und die Juden in alle Welt zerstreut.
Herodes seinerseits lebte fort in der literarischen Verarbeitung, auch
des Mariamne-Stoffes. Der »Meistersinger von Nürnberg« und Dichter Hans
Sachs (1494–1576) war der erste (1552), 1635 folgte der spanische
Dramatiker Pedro Calderón de la Bạrca (1600–1681), 1724 der
französische Schriftsteller und Philosoph François-Marie Arouet
Voltaire, 1844 der deutsche Dichter Friedrich Rückert (1788–1866); sie
u. a. haben sich seines Schicksals und das seiner Gemahlin angenommen.
Besonders bekannt wurde die Tragödie »Herodes und Mariamne« von
Friedrich Hebbel (1813–1863), die 1849 in Wien uraufgeführt wurde. Und
zu Weihnachten begegnet uns Herodes alle Jahre wieder …
Der Historiker Johannes Fried nennt in seinem Buch Jesus oder Paulus
den Nabatäer-König Aretas IV. (reg. 9 v. Chr. bis 40 n.Chr.) Aretas den
Großen. Tatsächlich war Aretas ein bedeutender Herrscher, er besiegte
den Sohn Herodes des Großen, Herodes Antipas (geb. 20 v. Chr.;
reg. 4–39 n. Chr.; gest. danach), der angeblich Johannes den Täufer töten ließ –
Aretas Tochter war die erste Frau von Herodes Antipas; als er sie
verstieß, brach der Krieg aus, und Aretas gelang es, sein Reich auch
unabhängig von Rom zu erhalten. Er wurde in alten Inschriften als
»rahēm ammēh« bezeichnet – »der sein Volk liebt«.
Er regierte in Damaskus, als Paulus seine Bekehrung erlebte (um 30 n.
Chr.). Nun ist der Titel für Aretas den Großen nicht offiziell
eingeführt, aber es ist schon bemerkenswert, dass ein Professor für
mittelalterliche Geschichte ihn so einstuft.
In diesem
Zusammenhang sollte auch Hiyya der Große (ca. 180–230) erwähnt werden,
eigentlich Hiyya bar Abba, ein jüdischer Rabbi und Weiser aus Israel. Geboren in
der Stadt Kapri in Babylonien, lebte er zunächst in Babylonien und war mit einer
Frau namens Judith verheiratet; die Ehe war den Überlieferungen zufolge sehr
unglücklich, auch wenn zwei Zwillingssöhne (beide wurden angesehene Rabbis) und
zwei Zwillingstöchter daraus hervor gingen. Später zog Hiyya nach Tiberias, wo
er ein Seidenhandelsgeschäft gründete. Er hatte einen hervorragenden Ruf, auch
als Arzt. Aber vor allem bereicherte er die jüdische Religion; er gilt als der
ursprüngliche Kompilator der ›Tosefta‹, des Kommentars (eigentlich
›Hinzufügung‹) zur Mischna, der mündlichen Lehre, die Mose auf dem Berg Sinai
neben der schriftlichen Lehre (den fünf Büchern Mose) ebenfalls offenbart worden
sein soll und die mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
Diese Sammlung früher rabbinischer Traditionen ergänzt die Mischna, widerspicht
ihr aber auch teilweise und ist insgesamt breiter angelegt. Sie ist wie die
Mischna in sechs Ordnungen geteilt. Auch später müssen noch Ergänzungen dazu
gekommen sein. Es gibt zwei Handschriften der Tosefta, in Erfurt und Wien, und
einen gleichwertigen Erstdruck von 1521 in Venedig. Hiyya leistete noch mehr für
die jüdische religiöse Überlieferung. Es hieß von ihm auch, dass seit seiner
Ankunft in Palästina dort keine Stürme mehr aufkamen und Wein nicht mehr sauer
wurde. Seine Gebete sollen während Dürrezeiten Regen gebracht und einen Löwen,
der die Gegend unsicher machte, veranlasst haben, das Land zu verlassen. Also
ingesamt ein wahrhaft »Großer« der Geschichte …
Förderer des Christentums: Abgar, Konstantin
und Theodosius die Großen
Dass
die Glaubens- und Religionsstifter nicht den Beinamen »der Große«
erhielten, versteht sich von selbst; dieser blieb Sterblichen
vorbehalten, die durch große Leistungen auffielen. Zur Zeit des
römischen Kaisers Gaius Octavius, nach seiner Adoption durch Cäsar
Octavian genannt und 27 v. Chr. mit dem Ehrentitel Augustus belegt, was
immerhin »der Erhabene« bedeutet und dem Titel »der Große« nahe kommt,
schließlich 2 n. Chr. »pater patriae« – »Vater des Vaterlandes«
betitelt, wurde bekanntlich Jesus geboren. Augustus stellte, wie
bereits erwähnt, den inneren Frieden des seit Jahrzehnten von Kriegen
und Bürgerkriegen zerrütteten Römischen Reiches wieder her (»Pax
Augusta«) und begründete neben seiner Ausweitung und Sicherung der
Grenzen des Reiches auch mit seiner Förderung von Kunst und
Wissenschaft das »Augusteische Zeitalter«. Die Niederlage seines
Feldherrn Varus (ca. 46 v. Chr.–9 n. Chr.) in der Schlacht im
Teutoburger Wald 9 n. Chr. gegen verbündete germanische Stämme unter
Arminius dem Cherusker (zw. 18 und 16 v. Chr. – ca. 21 n. Chr.) verwies
aber schon auf das Bevorstehen anderer Zeiten. Es sollte allerdings
noch Jahrhunderte dauern, bis der Ansturm der germanischen Stämme
wirklich zur Gefahr wurde. Die von Augustus begründete Kaiserzeit
dauerte bis 476 n. Chr. Ab 106 n. Chr. regierten die sogenannten
Adoptivkaiser. Der erste war Trajan (geb. 53; reg. 106–117), unter
dessen Herrschaft das Reich seine größte Ausdehnung erfuhr – er
eigentlich auch ein Anwärter auf den Titel »der Große«, den ihm die
Geschichte aber nicht gegeben hat. Nach der Ermordung des letzen
Adoptivkaisers Commodus 192, dem Sohn von Mark Aurel, dem »Philosphen
auf dem Kaiserstuhl«, der allerdings ganz unphilosophisch durch die
Bestimmung seines Sohnes zum Nachfolger dem Reich schweren Schaden
zugefügt hat, konnte erst nach langem Bürgerkrieg eine neue Dynastie
begründet werden, die der Severer durch den Afrikaner Septimius Severus
(geb. 146; reg. 193–211), die sich von 193 bis 235 hielt. In dieser
Zeit treffen wir auf Abgar den Großen, der vermutlich heute nur noch in
Fach-, speziell in Kirchenkreisen bekannt ist, und vielleicht nicht
einmal das. Damals hatte das Christentum schon eine erhebliche
Ausbreitung erfahren. Und immer wieder waren die Christen als Feinde
des Staates auch verfolgt worden, zuerst 64 unter Kaiser Nero (geb. 37;
reg. 54–68 (Selbsttötung)), wenn auch nur in Rom und als angebliche
Verursacher des berühmten Brandes, später – 95 – unter Domitian (geb.
51; reg. 81–96 (ermordet)). Aber das gesamte Römische Reich umfassende
Christenverfolgungen gab es erst 249 unter Decius (geb. ca. 200; reg.
249–251) und 257 unter Valerian (geb. ca. 200; reg. 253–260; gest. in
persischer Gefangenschaft nach 260). In den Zwischenzeiten konnte es
örtlich zu Verfolgungen kommen, aber Anfang des 4. Jahrhunderts waren
wohl schon 15 % der Bevölkerung im Römischen Reich christlich.
Im Osrhoenischen Reich von Edessa, dem heutigen Urfa, regierten
Könige, von denen viele den Namen Abgar trugen und deren Geschichte sich bis in
den Zeitraum vor Christi Geburt zurückverfolgen lässt. Abgar (II.) soll seine
Regentschaft von Pompeius dem Großen 64 v. Chr. nach der römischen Eroberung
zurückerhalten haben. Edessa lag nördlich von Syrien und östlich des Euphrat,
nicht weit von Anatolien und etwa 50 km nördlich der alten Kultstadt Harran, die
den Mittelpunkt einer Religion des Mondgottes Sin und der Verehrung von Planeten
darstellte; als Sabier wurden ihre Anhänger später wie die Christen von den
Muslimen anerkannt, weil sie zu Bekennern einer Buchreligion, also einer
Religion, die über schriftliche Aufzeichnungen oder Heilige Bücher verfügte,
gehörten. Am bekanntesten der Könige in Edessa mit dem Namen Abgar wurde wohl
Abgar (V.), der von 4 v. Chr. bis 7 n. Chr. und dann wieder von 13 bis 50
regiert haben soll, nach anderen Quellen von 9 bis 46. Er trug den Beinamen
Ukkama, »der Schwarze«; der Legende nach soll er Jesus um Heilung von einer
schweren Krankheit gebeten und mit ihm in Briefwechsel gestanden haben;
angeblich war er auch im Besitz eines authentischen Bildes von Jesus, ihm nach
dessen Himmelfahrt überbracht, das 944 nach Konstantinopel überführt und dort
hoch verehrt wurde. Die Legende entstand wohl zur Zeit Abgars des Großen, und
den Urheber der Brieffälschung kennt man offenbar, der berühmte
Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea (260/265–339), der »Vater der
Kirchengeschichte«. Wahrscheinlich sollte die Legende als eine Art
Legitimationsstrategie die Position der Christen gegenüber anderen Strömungen
wie die der Gnosis stärken. Edessa war allerdings nicht von Anfang an
christlich. Etwa ab 100 begann das Christentum hier Fuß zu fassen, aber erst ab
180/190 konnte es sich entfalten. Und um 205 führte Abgar (VIII.) das
Christentum in seinem Stadtstaat als Staatsreligion ein – Edessa war wohl das
erste Königreich der Geschichte, in dem dieser Akt vollzogen wurde, noch dazu im
Orient. Abgar, der von etwa 177 bis 212 regierte, erhielt darob den Titel »der
Große«, und er war sicher bedeutender als sein Vorfahr, der mit Jesus
korrespondiert haben soll. Abgar der Große war römischer Klientelkönig, König
einer Enklave; gegen die Römer hatte er gekämpft, war aber schließlich von
Septimius Severus besiegt worden (195). In Rom huldigte er dem neuen Kaiser, dem
er fortan die Treue hielt und der ihn nach den Partherkriegen »König der Könige«
benannte. Die einheimische Bevölkerung blieb zwar ihrer alten Sternenreligion
überwiegend treu, aber viele Christen strömten nun nach Edessa, auch wegen der
Legende um Brief und Bild von Jesus. Abgar der Große war wohl der erste
christliche König der Welt, der religiösen Fragen gegenüber aufgeschlossen war,
auch wenn er vielleicht nur nominell Christ war; er huldigte auch noch dem alten
Kult, der sich sogar noch in die Zeiten des Islam retten sollte. Auf dem
Zitadellenhügel von Edessa stehen noch heute zwei – korinthische – Säulen, die
dereinst die Statuen von König Abgar und Königin Shalmaths trugen; die Inschrift
auf der Säule der Königin gibt Zeugnis von der hohen sozialen Stellung der Frau,
die diese in dem ersten Königreich der Geschichte innehatte, das christlich war.
Der eben erwähnte Eusebius von Caesarea förderte nicht nur das
Geschlecht Abgars, sondern mehr noch den Ruf des Kaisers Konstantin des Großen.
Die von Eusebius begründete christliche Überlieferung feierte ihn als das
Vorbild des wahren Herrschers. Durch die Beisetzung in der Apostelkirche in
Konstantinopel wurde er zum 13. Apostel erhoben. Die russische, griechische und
armenische Kirche verehren ihn als Heiligen – sein Namenstag ist der 21. Mai.
Nach den antiken folgten vor allem Darstellungen an französischen
Kirchenfassaden des 12. und 13. Jahrhunderts in Form von Reiterstatuen. Selten
blieben Einzelfiguren, aber auf Wandgemälden und Altartafeln sieht man
Konstantin neben seiner Mutter Helena (ca. 250–329 (?)), die seit 306 am Hofe
Konstantins lebte und die er 325 zur Augusta, zur Kaiserin, erhob. Sie hatte
sehr großen Einfluss am kaiserlichen Hof und für die Förderung und Ausbreitung
des Christentums – ihr schreibt die Legende die Auffindung des Kreuzes
anlässlich einer Wallfahrt zu, an dem Jesus gestorben sein soll. Sie wurde erst
313 Christin, angeblich durch den Zuspruch ihres Sohnes, der ein Jahr vorher
begonnen hatte, das Christentum zu tolerieren, und später ebenfalls heilig
gesprochen (Namenstag: 18. August). Was war geschehen? Nach dem Ende der
Severer-Dynastie begann die Ära der etwa 40 stets vom Heer ausgerufenen
»Soldatenkaiser«. In dieser Zeit kam es im Römischen Reich zu Prestige- und
Gebietsverlusten, vor allem in den Kriegen gegen die Sassaniden, die Alemannen
und Goten. Erst Diokletian (245–305), der seit 284 regierte und Heer,
Wirtschaft und Verwaltung reformierte, versuchte nicht ohne Erfolg, das Reich zu
stabilisieren. Er allerdings befahl 303 noch einmal eine allgemeine
Christenverfolgung, und erst Konstantin, eigentlich Flavius Valerius
Constantinus, änderte die Lage der Christen vollständig. Ihn, der in der
Nachfolgeordnung nach Diokletians Tod übergangen worden war, riefen die Truppen
306 im heutigen York in England zum Augustus aus. Und nachdem er sich seiner
Rivalen Maxentius (ca. 279–312) und Licinius (250 (?)–325), die zeitweise
Verbündete, Mitregenten, dann wieder Konkurrenten und Feinde waren – die
Einzelheiten dieser verwirrenden Epoche können wir hier übergehen – entledigt
hatte, wurde er 324 Alleinherrscher. Damals, 306, war er etwa 30 Jahre alt
gewesen – geboren wurde er 272, 273 oder erst 280. Nicht unerwähnt bleiben
sollte allerdings sein Sieg 312 über Maxentius an der Milvischen Brücke.
Angeblich soll er in mehreren Visionen das Christusmonogramm gesehen haben, schon
in Gallien und später in Rom, und es soll ihm geweissagt worden sein: »Unter
diesem Zeichen wirst Du siegen – in hoc signo vinces!« Konstantin ließ das
Christogramm auf den Schilden seiner Soldaten, später auch auf einer Standarte,
dem Labarum anbringen, und sein Sieg war überwältigend. Seitdem begünstigte er
das Christentum – 313 erließ er das Toleranzedikt von Mailand. Vermutlich hatte
Konstantin aus wohlüberlegtem Machtkalkül heraus gehandelt: das Christentum war
in seinem Reich eine nicht mehr zu übersehende Macht geworden. Konstantin hat
nicht, wie später oft behauptet, das Christentum zur Staatsreligion gemacht,
aber er hat den Weg dahin geebnet. Die Bischöfe erhielten Gerichtshoheit, die
Kleriker Steuerbefreiung, der Sonntag wurde heilig, und viele Kirchenbauten
entstanden, besonders in Rom, Trier und Palästina. Das unter Diokletian
eingezogene Kirchengut wurde restituiert, und das Christentum wurde mit den
antiken Religionen gleichgestellt. Konstantin berief 325 auch das für die
Zukunft des Christentums mit entscheidende Konzil nach Nikäa ein, das Erste
Ökumenische Konzil, um den Arianischen Streit um das Verhältnis von Gott und
Jesus als seinem Sohn zu klären (im Gegensatz zu Athanasius lehrte Arius, dass
Christus nicht gottgleich, sondern vornehmstes Geschöpf Gottes sei, als ‚Logos’
eine Art Zwischenstellung zwischen Gott und der Welt einnehme), und er, der als
Vorsitzender amtierte, beeinflusste die Ergebnisse wesentlich. Das Nikäische
Glaubensbekenntnis wurde daraufhin grundlegend für die christliche Lehre. 330
verlegte Konstantin den Kaisersitz von Rom nach Konstantinopel, das er an der
Stelle des alten Byzanz neu gründete – es wurde am 11. Mai eingeweiht und als
‚Neues Rom’ mit eigenem Senat zur zweiten Hauptstadt des Reiches ausgebaut. So
wurde Konstantin auch der Vorbereiter des byzantinischen Cäsaropapismus, der
sich auf ihn berief.
Konstantin hat die Reformen des Diokletian
weitergeführt, modifiziert und für seine Zeit in gewisser Weise vollendet, damit
auch die innere Ordnung des Römischen Reiches weit gehend wieder hergestellt und
eine positive Neugestaltung erreicht. Nach außen sicherte er die Grenzen gegen
Sarmaten und Germanen. Auf ihn gehen die Kirchen Alt-St.-Peter in Rom, die
Grabeskirche in Jerusalem, die Geburtskirche in Bethlehem und die heute nicht
mehr erhaltene Apostelkirche in Konstantinopel zurück, wo er auch die Grundlage
für die Sophienkirche legte, den Urbau dafür errichten ließ. Zwar ließ er seinen
Sohn Crispus und seine Gemahlin Fausta hinrichten, und sein Kampf gegen echte
und vermeintliche Rivalen war äußerst blutig, aber die Nachwelt verdankte ihm
eine Neuordnung des Römischen Reiches und das Christentum seinen Aufstieg. Kurz
vor seinem Tode ließ er sich taufen, ausgerechnet von einem Arianer; er starb am
22. Mai 337 bei Nikomedia, als er zu einem Kriegszug gegen die Perser aufbrechen
wollte.
Konstantin (Kapitolinische Museen, Rom, Wikipedia)
Seinen Titel »der Große« hat Konstantin sicher zurecht verdient.
»Als ‚großer’ Konstantin ist er eine byzantinische, östliche Heldengestalt
geworden. Im christlichen Abendland hat ihn erst eine katholische
Rezeptionsgeschichte, die ihn von allen Brüchen und unerwünschten Eigenschaften,
Haltungen und Handlungen befreit hat, zum großen Vorbild europäischer Herrscher
werden lassen.« So urteilt der Historiker Hartwin Brandt in dem Sammelband Sie
schufen Europa. Im gleichen Band schreibt Hartmut Leppin, gleichfalls
Historiker: »Für den Nachruhm des Theodosius war es vielleicht ein Vorteil, daß
er so früh, mit 47 Jahren, starb. Denn so blieb er der Nachwelt als derjenige
Herrscher in Erinnerung, dem es gelungen war, das Römische Reich noch einmal
unter seiner starken Hand zu vereinen.«
Theodosius I. der Große wurde 347 im
heutigen Coca in Spanien geboren. 379 Augustus, also Kaiser, des östlichen Teil
des Reiches geworden, konnte er den Weg beschreiten, das Reich zu einen, nachdem
er 382 den Konflikt mit den Westgoten beigelegt – er siedelte sie nach zwei
siegreichen Schlachten als Föderaten, also eine Art Bundesgenossen,
vertragsmäßig in Thrakien an – und die Usurpatoren Maximus 388 und Eugenius 394
entscheidend geschlagen hatte. Durch diesen Sieg wurde er auch Herrscher des
westlichen Reichteils, damit gab es ein letztes Mal ein ungeteiltes Römisches
Reich. Maximus, der zwar außer Clemens den Vornamen Magnus trug, aber nicht
einen entsprechenden Titel, hatte sich selbst zum Kaiser ernannt, während er
römische Streitkräfte in Britannien kommandierte. Er hatte Kaiser Gratian (geb.
359; reg. seit 375) 383 geschlagen, der in den Kämpfen ums Leben kam, eben jenen
Gratian, der Theodosius zum Augustus des Ostens erhoben hatte, und war von
letzterem anerkannt worden, aber als er dann in Italien einfiel, besiegte ihn
Theodosius, und er wurde von seinen eigenen Leuten getötet (388).
Schon 381
berief Theodosius, erst 380 getauft, ein Konzil nach Konstantinopel, das als
Zweites Ökumenisches Konzil in die Geschichte einging. Dieses war für die
christliche Kirche endgültig richtungsweisend. Theodosius beendete den
Kirchenstreit, der seit 325 immer wieder ausgebrochen war – unglaublich, wie
sich einzelne Glaubensüberzeugungen gegenseitig bekämpften – indem er die
Beschlüsse von Nikäa sanktionierte (daher auch Nizänokonstantinopolitanum
genannt), und erklärte das Christentum zur Staatsreligion. Aber das Konzil
erregte nicht nur Freude unter den Christen – zu sehr gab es Rivalitäten u. a.
zwischen den Bischofssitzen, und das Klima zwischen den Reichshälften
verschlechterte sich auch in religiöser Hinsicht.
Vielleicht unter dem
Einfluss des heiligen Ambrosius (ca. 340–397), der seit 374 Bischof von
Mailand und bedeutender Kirchenlehrer war, verschärfte sich Theodosius’
Gegnerschaft zu den antiken heidnischen Religionen. Ambrosius zwang ihn 390
wegen eines Massakers in Thessaloniki zur Kirchenbuße (»Bußakt von Mailand«) –
hier hatten Soldaten in seinem Namen etwa 7000 Einwohner umgebracht, weil einem
Volksaufstand der Gouverneur und etliche Offiziere zum Opfer gefallen waren. War
Theodosius zunächst in religiösen Angelegenheiten moderat geblieben – es gab
auch keinen Zwang, sich der christlichen Kirche anzuschließen, er verfolgte auch
keine konsequente Christianisierungspolitik und erhöhte sogar den kirchlichen
Rang von Konstantinopel – so kam es nach dem Massaker und des Kaisers
Reuebekundung (er berief sich ob dieser Demütigung gern auf das Vorbild König
Davids im Alten Testament) zum Verbot aller heidnischen Kulte (391/392) und 394
sogar zum Verbot der Olympischen Spiele.
Theodosius starb am 17. Januar 395
in Mailand. Nach seinem Tod wurde das Reich unter seinen beiden Söhnen in ein
Ost- und ein Westreich geteilt – diese hatten übrigens eine hervorragende
Erziehung durch einen gewissen Arsenius den Großen genossen, der uns später
wieder begegnen wird, aber das bedeutete das Ende eines geeinten Römischen
Reiches. Theodosius erhielt den Beinamen »der Große« wohl zuerst, weil er unter
den Kaisern mit diesem Namen der älteste war. Später überwog dann bei den
nizänischen Christen das Bild, dass – wie bei Konstantin – sein Name mit einem
großen Konzil verbunden war – beide Konzilien verhalfen dem Christentum zum
Durchbruch. Doch mit Recht schreibt Leppin über ihn: »Doch wäre er in der Lage
gewesen, die nachfolgenden Krisen zu überstehen? Hätte er die Germanen, die
406/07 in das Römische Reich eindrangen, abwehren können?... Aber er blieb der
westlichen wie der östlichen Christenheit gemeinsam als ein guter Kaiser in
Erinnerung, da er den Glauben, den sie teilten, förderte.«
Nicht nur
Eroberer: Leo, Leon, Theoderich und Justinian die Großen
Das römische
Westreich zerbröckelte mit dem Einbruch der Germanen. Es hielt sich nach dem Tod
von Theodosius nicht einmal mehr hundert Jahre. Es endete mit der Entthronung
des Romulus Augustus 476 durch den germanischen Heermeister Odoaker. Das
Oströmische Reich dagegen hatte noch ein Jahrtausend lang weiter Bestand, wenn
es auch überging ins Byzantinische Reich, und erhob auch zunächst immer wieder
Anspruch auf das Weströmische.
Mit zwei Eroberern hatte ein Papst zu tun, der
als erster von nur zwei Päpsten (oder dreien, falls man Nikolaus I. noch dazu
rechnet) den Titel »der Große« erhielt. Man kann ihn auch als den »ersten echten
Papst« bezeichnen. Geboren wurde Leo I. in der Toskana, er wurde Diakon und war
für seine Vorgänger Coelestin I. (Pontifikat 422–432) und Sixtus III.
(Pontifikat 432 – 40) tätig. Als er sich im August/September 440 gerade in
diplomatischer Mission in Gallien aufhielt, wurde er zum Papst gewählt. Als
wiederum erster Papst formulierte er, ausgehend vom Neuen Testament (Mt. 16,
18), den Anspruch, als Papst und Bischof von Rom Stellvertreter des Apostels
Petrus zu sein und eine überregionale Gesamtverantwortung und Vollmacht als
‚Princeps apostolorum’, d. h. ‚Erster der Apostel’ über den Episkopat und die
gesamte Kirche auszuüben. Er gewann bald die Unterstützung des römischen Kaisers
Valentinian III. (geb. 418; regierte ab 425 – bis 437 führte seine Mutter die
Amtsgeschäfte; gest. 455), der diesen Anspruch in einem Edikt 445 bestätigte.
Vor diesem Hintergrund ging Leo energisch gegen abweichende Lehren seiner Zeit
vor. So kam es 449 zu dem Konzil von Ephesos, in dem über die Lehre eines
gewissen Eutyches verhandelt wurde, der die Lehre von der alleinigen göttlichen
Natur Christi gepredigt hatte. Leos Vertreter beharrte auf den beiden Naturen
Christi, der göttlichen und der menschlichen, und verkündeten: »Rom hat
gesprochen, die Angelegenheit ist erledigt.« Das war der neue Anspruch des
römischen Bischofs! Mit seinem die Lehre des Eutyches betreffenden berühmten
dogmatischen Send- bzw. Lehrschreiben (‚Tomus’) vom 13. Juni 449 griff er in den
damaligen christologischen Streit um die Natur Christi ein. Erst darin
entwickelte er die Lehre von den ‚zwei Naturen Christi’, und damit wirkte er
auch entscheidend auf das Ergebnis des Konzils von Chalkedon 451, die dort mehr
oder weniger vollzogene Schlichtung der christologischen Streitigkeiten, ein.
Von Leo sind etwa 100 Predigten und zahlreiche Briefe erhalten, in denen er sich
an den theologischen Diskussionen seiner Zeit beteiligte und sie maßgeblich
beeinflusste. In seinen Predigten ging er auf Spenden für die Armen ein, auf die
Verbreitung des Fastens und selbst so banale Dinge wie das Sonnenbaden auf den
Stufen der Peterskirche. Er war ein fleißiger Prediger und selbst beileibe nicht
hochmütig, sondern blieb bei all seiner Autorität doch bescheiden. Er bestellte
auch einen ständigen Gesandten am byzantinischen Kaiserhof für die
Berichterstattung nach Rom und schuf damit die Grundlage für das spätere Amt der
päpstlichen Legaten.
Leos große Bewährungsproben kamen 452 und 455. Im
ersteren von beiden Jahren zog er dem nach Oberitalien einfallenden Hunnenkönig
Attila (gest. 453) bei Mantua entgegen und bewog ihn, zusammen mit Bischof
Lupus, zur Umkehr und zum Rückzug aus Italien. Attila soll der Legende nach
neben Leo Paulus und Petrus mit gezücktem Schwert gesehen haben und von ihnen
geblendet worden sein– der italienische Maler und Baumeister Raphael Raffael
(1483–1520) hat es 1512/15 auf einem Fresko in den Stanzen des Vatikans
dargestellt; und im 17. Jahrhundert errichtete der italienische Bildhauer und
Architekt Alessandro Algardi (1598–1654) im Petersdom eine Skulptur dazu.
Vermutlich half ein üppiges Lösegeld zu Attilas Einsicht dazu. Drei Jahre später
standen die Vandalen unter König Geiserich (geb. ca. 390; reg. 428–477) vor
den Toren Roms; wieder trat ihnen Leo mutig entgegen und erreichte, dass Rom von
Feuer, brutalen Metzeleien und Plünderung der Hauptkirchen verschont blieb, wenn
auch sonst alles von »Wert« abtransportiert wurde, einschließlich Sklaven,
Spezialisten und Senatoren. Attila soll gesagt haben: »Ich kann Menschen
unterwerfen, aber nicht den Löwen (Leo) und den Wolf (Lupus).«
Leo fühlte
sich allen anderen Bischöfen und Patriarchen übergeordnet. Er starb am 10.
November 461 in Rom. Später wurde er heilig gesprochen. Sein Todestag ist auch
sein Namenstag. Er wurde erst in der Vorhalle von St. Peter beigesetzt, 668 im
Inneren der Basilika, wo ihm als erstem Papst auch ein Denkmal errichtet wurde.
Dass das Papsttum fortbestand und bis in unsere Zeit überdauerte, war sicher
großteils Leo dem Großen zu verdanken.
Es
gab noch einen Leo den Großen, den man aber auch Leon den Großen nennt,
vielleicht der besseren Unterscheidung wegen. Er war ein oströmischer
Kaiser, und während man bei Papst Leo den Titel für gerecht halten
darf, kann man bei dem Kaiser wenigstens Fragen stellen. Geboren wurde
er um 400 in Thrakien, daher trug er auch den Beinamen Leon der
Thraker. Als General im oströmischen Heer kam er 457 durch den Einfluss
des Oberbefehlshabers, Aspar, auf den Thron; Senat und Klerus
bestätigten ihn; er war der erste Kaiser, der vom Patriarchen gekrönt
wurde. Aspar, ein arianischer Germane, wollte selbst nicht Herrscher
werden und lehnte das Angebot des Senats eloquent ab, aber erhoffte
sich, indem er Leon begünstigte, ihn als Marionette benutzen und
mittels seiner regieren zu können. Das war aber nicht im Sinne Leons.
Dieser baute Rivalen auf, um Aspar zu schwächen, umgab sich mit einer
Leibwache aus Isauriern, Angehörigen eines Volkes, das in der Antike im
Taurus um den Suglasee lebte und vor seiner Unterwerfung durch die
Römer 78/77 v. Chr. räuberische Wanderhirten gewesen war – und
vergrößerte den Anteil der Isaurier in der Armee, um den Einfluss der
Germanen, vor allem der Goten, zurückzudrängen. Er brachte den Anführer
der Isaurier, Tarasicodissa (426–491), nach Konstantinopel und
verheiratete ihn mit seiner Tochter Ariadne. Als Zenon wurde sein
Schwiegersohn später Kaiser (474/475 und 476 bis 491) und verfolgte
dann eine ganz anders geartete Politik.
Leon folgte der Politik
seiner Vorgänger, den Einfluss des Adels einzudämmen. Er bestätigte die
Ergebnisse des Konzils von Chalkedon 451 und unterdrückte strikt die Bewegung
des Eutyches in Ägypten. Es gelang ihm auch, die Invasion der Hunnen in Dakien
zurückzuwerfen. Schließlich wurde einer seiner Generale, Anthemius, zum Kaiser
des Weströmischen Reiches gewählt (467–472). Zusammen versuchten sie den
Einfluss der Vandalen in Afrika zu untergraben. 467 boten sie eine Armee von 100
000 Mann auf und eine Flotte von rund 1100 Schiffen. Es war die größte je von
einer römischen Regierung aufgestellte Flotte. Ihre Hauptmacht unter Basiliscos
(gest. 478), der später Zenon für zwei Jahre als Kaiser verdrängen würde, sollte
den Hauptstützpunkt von Geiserich direkt angreifen. Aber entweder war es
Inkompetenz oder Verrat: Geiserichs vorher durch die Vandalen selbst in Brand
gesetzten Schiffe zerstörten mehr als die Hälfte der bei Cap Bon vor Anker
liegenden Invasionsflotte 468 – es war Geiserichs größter Sieg zur See, wenn
auch infolge eines Überraschungsangriffes während einer Waffenruhe. Ebenso
brachen die Angriffe über Land von Ägypten aus, sowie über Sizilien und
Sardinien, nach anfänglichen Erfolgen schnell zusammen. Wieder zurück in
Konstantinopel steigerten sich die Auseinandersetzungen zwischen Leon und Aspar,
die zur Ermordung des letzteren 471 führten. Die feindlichen Goten, die
allerdings Aspar unterstützten, blieben in Thrakien aktiv, aber noch hatte das
Reich keinen Schaden erlitten, es blieb wohlhabend und weiterhin blühend. Als
Leon der Große, wie er später tituliert wurde, vielleicht eben deshalb, weil das
Reich unter ihm prosperierte und er sich für den »wahren Christlichen Glauben«
einsetzte (die Arianer nannten ihn allerdings Leon den Schlachter), 474 starb,
war sein Schwiegersohn Zenon der mächtigste Befehlshaber und wurde, obwohl
unbeliebt, sein Nachfolger. Und Zenon, der unbedingt die in der Ostkirche
verbreiteten Monophysiten wieder einbinden wollte, sprach ein kaiserliches
Machtwort: in einem »einigenden« Brief, dem ›Henotikon‹, dass es nämlich nur
eine einzige Natur in Christus gäbe – damit rief er eine tiefe Spaltung zwischen
dem lateinischen und östlichen Christentum hervor. Er stellte sich nämlich damit
auf die Seite der Monophysiten, die lehrten, dass es in Jesus Christus nur eine
Natur gegeben habe, nämlich die göttliche des »fleischgewordenen Logos«, und
nicht zwei, nämlich eine wahre göttliche und eine wahre menschliche, worauf das
lateinische Christentum beharrte. Im Jahre 451 war die monophysitische Richtung
auf dem Konzil von Chalkedon verurteilt worden, und es bildeten sich im Lauf der
Zeit eigene orientalische Kirchen wie die armenische oder die koptische und
andere. Diese wiederum beharrten allerdings darauf, dass sie Miaphysiten seien
und nicht Monophysiten, da sie eine vereinigte Natur Christi lehrten. In unserem
weiteren Bericht wird aber nicht zwischen Mono- und Miaphysiten unterschieden.
Mit der Handlung Zenons zeigte sich erneut, was ein Kaiser nicht alles weiß und
beurteilen kann … Immerhin legte Zenon noch in Leons Todesjahr den Konflikt mit
den Vandalen bei und schloss mit ihnen ein »Ewiges Bündnis«.
Wie gesagt,
Leon und dann Zenon hatten auf dem Balkan heftig mit den Goten zu tun. Erst als
sich ihr Anführer Theoderich 488 nach Italien wandte, beruhigte sich die
Situation. Es war die Zeit der berühmt-berüchtigten Völkerwanderung mit den
damit einhergehenden großen Umwälzungen in Europa. Theoderich, einer der
bedeutendsten Gestalten in dieser Epoche, sollte später ebenfalls den Titel »der
Große« erhalten. Die Sage machte aus ihm den sympathischen Recken Dietrich von
Bern, der nicht nur im Nibelungenlied eine Rolle spielt, sondern um den sich ein
eigener Sagenkreis gebildet hat.
Theoderich wurde um 451 oder 453 geboren und
entstammte dem berühmten Geschlecht der Amaler. Sein Vater war der Gotenkönig
Thiudimir, ein Arianer, während seine Mutter später mit dem Taufnamen Eusebia
Katholikin wurde und ihrem Sohn nach Italien folgte, wo sie als Königin galt.
Damals lebten die Goten vom Südufer des Plattensees bis in die Umgebung des
heutigen Belgrad. 459/60 erneuerte Kaiser Leon den Frieden mit ihnen, und
Theoderich kam 459 zur Garantie dafür als Geisel an den Hof in Konstantinopel,
wo er bis 469 blieb. Dass er in Konstantinopel seine besten Lehrjahre verbrachte
und von dieser Zeit stark geprägt wurde, hat sich in seiner weiteren Laufbahn
immer wieder gezeigt. Er lernte hier auch Aspar kennen, der auf der Höhe seiner
Macht stand und, selbst alanisch-gotischer Herkunft, seine Hausmacht auf Goten
stützte und eine gotenfreundliche Stimmung förderte. Er wollte auch den großen
Krieg gegen die Goten, das »Gift des Staates«, verhindern, den der Kaiser 469
begann. Aber die Goten waren damals schon zu stark und nicht zu besiegen. Als
Zeichen seiner friedlichen Absichten ließ Leon Theoderich nach Hause kehren. Zu
der Zeit übernahm Thiudimir die Oberhoheit über die drei pannonischen
Gotenreiche; er starb 474. Nach einem Sieg über die Sarmaten 471 fühlte sich
Theoderich, der persönlich unglaublich tapfer war, bereits als König oder wurde
auch schon gewählt – jedenfalls feierte er sein dreißigjähriges
Herrschaftsjubiläum im Jahre 500. Die Jahre von 476 bis 488 waren verwirrend
ereignisreich. Theoderich zog mit seinem Volk an die untere Donau, wo sie wieder
als Foederati lebten. Zenon, nunmehr Kaiser, ernannte ihn 476 zum Heermeister
und 483 zum Patricius, ein Jahr später zum Konsul, was mit der Verleihung der
römischen Bürgerrechte verbunden war. Aber auf Dauer konnte er, so wusste
Theoderich, dem Römischen Reich nicht standhalten und seinem Volk nicht den
nötigen Status erhalten. So rückte er 488 auf Zenons Weisung hin nach Italien
gegen den dortigen Machthaber Odoaker vor. Dieser, aus dem germanischen Stamm
der Skiren, geboren etwa 433, hatte 476 den letzten weströmischen Kaiser Romulus
Augustus abgesetzt und war im August dieses Jahres von den germanischen Söldnern
in Italien zum (Heer-)König ausgerufen worden. Zwar erkannte er die Oberhoheit
des oströmischen Kaisers an, aber Zenon war seine Herrschaft ein Dorn im Auge.
Theoderich warf Odoaker nach Verona (d. i. Bern) zurück und schlug ihn dort 489;
Odoaker floh nach Ravenna; Theoderich belagerte ihn dort zwei Jahre lang – die
»Rabenschlacht« der Sage – und tötete ihn, nachdem man sich in einem Vertrag
über die gemeinsame Herrschaft in Italien und Ravenna geeinigt und Odoaker die
Tore geöffnet hatte, 493 bei einem Gastmahl eigenhändig. Nun hatte Theoderich
nach viermaligem Anlauf sein Ziel erreicht: ein eigenes Reich für sein Volk. 497
erhielt er die kaiserliche Anerkennung; er sollte als Vertreter des Kaisers – er
nannte sich »Flavius Theodoricus rex« – über das westliche Reich herrschen. Die
Römer sahen ihn als Herrn an, nannten ihn bisweilen Augustus und stellten ihn
mit Trajan auf eine Stufe. Man errichtete ihm Statuen, und er sah sich als
wahrer Kaiser. Tatsächlich führte er eine unabhängige Herrschaft, die er durch
Bündnisse bis in den Alpen- und Donauraum ausdehnte. Aber die erhoffte
Vereinigung mit den benachbarten germanischen Königreichen wie Westgoten,
Burgunder und Franken gelang trotz einer intensiven Heiratspolitik nicht. Er
selbst heiratete in zweiter Ehe Audofleda, die Schwester des Frankenkönigs
Chlodwig (geb. ca. 466; reg. 481/482–511), die ihm die Tochter Amalasuintha
gebar, seine Erbin. Von seiner ersten Frau hatte er zwei Töchter, und von
anderen Frauen noch weitere – er hatte viele Töchter, aber nicht einen einzigen
Sohn. Übrigens war Chlodwig für die europäische Geschichte von wesentlicher
Bedeutung, da er ein fränkisches Einheitsreich vom Rhein bis zur Garonne mit dem
Mittelpunkt Paris gründete. Während er den Rest der Römerherrschaft in Gallien
beseitigte, setzte Theoderich ganz auf die römischen Traditionen und versuchte,
Römer und Goten in Eintracht mit einander leben zu lassen. Theoderichs
Regierungszeit galt als »goldene Epoche«. Da er sich in der Nachfolge der
früheren römischen Kaiser sah, behielt er die römischen Staatseinrichtungen bei.
Unter ihm erlebte die antike Kultur noch einmal eine Blüte. Ravenna wurde auf
hervorragende Weise durch Bauwerke verschönert, und der berühmte Codex
Argentius, eine Prunkhandschrift der gotischen Bibelübersetzung des Wulfila, die
heute in Uppsala liegt, zeugt von der regen Geistestätigkeit in Theoderichs
Reich. Zu einer Vermischung von Römern und Goten kam es allerdings nicht, und
das Heerwesen blieb allein den Goten vorbehalten. Aber hervorragende Römer wie
Cassiodor (ca. 490–ca. 583) und Boethius (ca. 480 – ca. 524) erhielten unter
ihm hohe Ämter; Cassiodor wurde der Leiter seiner Kanzlei und Verfasser einer
Geschichte der Goten wie auch einer Weltchronik, der Philosoph Boethius Konsul
und »Magister Palatii«; allerdings wurde er, wohl infolge einer Intrige, des
Hochverrats bezichtigt und hingerichtet; heutzutage gilt er durch seine
Übersetzung und Kommentierung der logischen Schriften des Aristoteles als
wichtigster Vermittler zwischen Altertum und Mittelalter.
Theoderich griff
auch in die trotz der Ergebnisse des Konzils von Chalkedon weiter schwelenden
und immer wieder ausbrechenden Streitigkeiten der Christen um die Natur Christi
ein. Obwohl Arianer, ließ er dennoch die Katholiken gelten. »Die
gotisch-arianische Konfession und Verfassung, die lex Gothica, erlebte im
italischen Reich Theoderichs des Großen ihre Blütezeit«, urteilt der Historiker
Herwig Wolfram, und zu Theoderichs behutsamen Versuchen, die langwierigen
Auseinandersetzungen zu beenden, bemerkt er: »Die Früchte seiner Bemühungen und
der von ihm geschaffenen Voraussetzungen zählen heute noch zu den schönsten und
wertvollsten Leistungen des europäischen Geistes.« Auch seine Außenpolitik war
insgesamt durchaus erfolgreich, von manchen Rückschlägen wie bezüglich der
Vandalen oder der Franken abgesehen. Theoderich starb am 30. August 526 in
Ravenna und wurde in der Stadt bestattet und mit einem Grabmal geehrt. Zum
Zeitpunkt seines Todes war er der mächtigste Herrscher im westlichen
Mittelmeerraum. Die Nachwelt verlieh ihm den Titel »der Große«, den sie dem
Frankenkönig Chlodwig verweigerte, obwohl dessen Reichsgründung um ein
Vielfaches dauerhafter war als die Theoderichs. Vielleicht lag dies aber auch an
den die unterschiedlichen Persönlichkeiten auszeichnenden charakterlichen
Eigenschaften und Tugenden, in denen Theoderich Chlodwig bei weitem überlegen
war …
Die Ostgoten brachten in den letzen Jahren ihres dem Ende entgegen
gehenden Reiches noch einmal einige Helden hervor, wenn auch eher
tragische: vor allem der »Heldenjüngling« Totila, der als fähiger
Feldherr weite Teile Italiens abermals der gotischen Herrschaft
unterwarf, aber im Mai 552 fiel, und der »Schwarze Graf«, wie er früher
hin und wieder genannt wurde, Teja, der etwa fünf Monate später bei
Neapel besiegt und getötet wurde. Das Ostgotenreich wurde von den
Feldherren Belisar (um 505–565) und vor allem Narses (um 490–574) des
oströmischen Kaisers Justinian des Großen zerstört – wenn auch nicht
unbedingt geschichtlich treu, aber doch spannend nachzulesen in Felix
Dahns Ein Kampf um
Rom.
Justinian, eigentlich Flavius Petrus Sabatius, kam 482 in Tauresium bei
Skopje zur Welt. Er war der Neffe von Kaiser Justin I., der ihn unter
dem Adoptivnamen Justinian zum Berater (521) und Mitkaiser (527) erkor.
Als Justin noch in diesem Jahr starb, wurde Justinian Augustus, also
Kaiser; seine Gemahlin Theodora, eine ehemalige Schauspielerin von
ungewöhnlicher Begabung und Intelligenz, angeblich auch Grausamkeit,
die er 525 geheiratet hatte, als sie etwa 28 Jahre alt war, wurde zur
Augusta erhoben, und beide übten bis zum Tode Theodoras 548 eine
Doppelherrschaft aus. Theodora gewann großen Einfluss auf die Politik,
der fähige Narses, ein Eunuch, war ihr Günstling, und sie rettete ihrem
Mann im sogenannten Nika-Aufstand sogar den Thron. 532 revoltierten die
beiden Zirkusparteien von Konstantinopel, die »Grünen« und die
»Blauen«, gegen die Zentralgewalt; ihre Parole war »Nika – Siege!«,
daher die Bezeichnung. Theodora beauftragte die Feldherrn Belisar und
Narses mit der Niederschlagung, die dann recht blutig erfolgte –
angeblich zählte man an die 30 000 Tote. Der erste Bau der Hagia Sophia
ging – wie ein großer Teil von Konstantinopel – bei dem Aufstand in
Flammen auf. Nicht nur die berühmte Hagia Sophia stammt aus Justinians
Bautätigkeit, er ließ die alte, abgebrannte, herrlich neu errichten –
sie sollte sein bedeutendstes Bauwerk werden. Auch sonst konnte er auf
viele Erfolge zurückblicken. Belisar unterwarf das Vandalenreich in
Nordafrika, Sardinien und Korsika (534) und schlug die Westgoten in
Spanien (554), Narses beendete die ostgotische Herrschaft und
reorganisierte anschließend die Verwaltung in Italien. Im Norden wurden
erfolgreich die Slawen bekämpft. Das Ziel von Justinians Politik
bestand darin, das Römische Reich zu erneuern, diesmal als Ökumene und
unter Wiederherstellung der Orthodoxie. Das Oströmische Reich konnte er
halten, und große Teile des Weströmischen fielen ihm wieder zu.
Tributleistungen sicherten den Frieden gegenüber den Persern, gegen die
Belisar 523 und 529 siegreich und 541/542 mehr oder weniger erfolgreich
gekämpft hatte, und gegenüber den Hunnen, vor denen Belisar 559
Konstantinopel verteidigen musste. Alle diese Eroberungen und
Leistungen waren aber mit großen finanziellen Auswendungen verbunden
und führten zu einer Schwächung des Reiches. Nach Justinians Tod gingen
die erneut gewonnenen Gebiete bald wieder verloren.
Nicht erst seit dem Sieg im Nika-Aufstand hatte Justinian an Autorität
gewonnen. Er hatte auch begonnen, eine Rolle als Oberherr der Kirche
einzunehmen. Er bekämpfte Häretiker und Heiden, was z. B. zur Schließung der
Philosophenschule in Athen 529 und im selben Jahr zu dem Edikt führte, dass alle
Heiden sich zu bekehren hatten, wenn sie nicht mit schweren Sanktionen rechnen
wollten, und er beteiligte sich, zum Teil auch schriftstellerisch, an den
dogmatischen Diskussionen. Nach außen hin, kirchenpolitisch, verteidigte er die
Orthodoxie, suchte aber, wie andere Kaiser schon vor ihm, den Ausgleich mit den
Monophysiten, nach deren Lehre Christus, wie gesagt, nicht zwei, sondern nur
eine Natur, eine göttliche, hatte; insgeheim hing er wohl den Monophysiten oder
Miaphysiten an und starb angeblich sogar als einer der ihren. Theodora stützte
offen die Monophysiten. Durch die Einberufung des 5. Ökumenischen Konzils 553 in
Konstantinopel, dem zweiten in dieser Stadt, suchte der Kaiser, die
Streitigkeiten zu beenden – in Konstantinopel kam es zu Straßenschlachten um
diese Fragen. Er selbst nahm, im Gegensatz zu Konstantin beim ersten
Ökumenischen Konzil 325 in Nikäa, selbst nicht teil, aber er ließ die
Beschlussrichtung vorgeben. Seine Devise war, den Gegnern der Beschlüsse des
Konzils von Chalkedon entgegenzukommen, aber ohne dessen Ergebnisse ins
Gegenteil zu verkehren. Es ging dabei auch um den sogenannten
Drei-Kapitel-Streit – Justinian hatte 544, um den Monophysiten einen Gefallen zu
tun, die Schriften dreier Theologen verworfen, die von monophysitisch
dominierten Konzilien verurteilt, aber in Chalkedon anerkannt, ihre Verfasser
rehabilitiert worden waren. Von den 168 anwesenden Bischöfen waren nur drei
Nicht-Orientalen. Zwar wurden entsprechende Beschlüsse gefasst, aber am Ende saß
Justinian in seiner Selbstherrlichkeit, mit der er auch sonst in religiösen
Angelegenheiten agierte, z. B. bei der Ein- oder Absetzung von Bischöfen,
zwischen allen Stühlen – alle fühlten sich mehr oder weniger verprellt. Weniger
glücklos blieben Justinians gesellschaftliche und verwaltungsmäßige Reformen.
Vor allem mit dem Corpus Iuris Civilis, der von ihm in Auftrag gegebenen, mit
Gesetzeskraft verbundenen Sammlung des römischen Rechts (528–542), überdauerte
er die Zeiten; in großen Teilen Europas entwickelte sich das Corpus, nachdem es
schon im Mittelalter mit Kommentaren und Erläuterungen versehen worden war, zur
Grundlage der Rechtsordnung. Teilweise galt es in Deutschland bis zum
Inkrafttreten des BGB im Jahr 1900.
Was ist geblieben? Die ersten
Regierungsjahre Justinians waren sicherlich von großen Erfolgen gekrönt, aber
von den Ergebnissen der außenpolitischen Unternehmungen war nichts von Dauer,
wirtschaftlich wurde das Reich geschwächt, wie die Ressourcen waren auch die
militärischen Kräfte erschöpft, schon 568 eroberten die Langobarden weite Teile
Italiens; auch die Eroberungen in Spanien konnten nicht gehalten werden;
Katastrophen wie die Pest 540 brachen herein; die Kluft zwischen den Kirchen im
Westen und Osten war so tief wie nie. Mitten in theologischen
Auseinandersetzungen starb Justinian am 11. November 565. Als die islamischen
Araber im 7. Jahrhundert Syrien und Ägypten unterwarfen, wurden sie von den
Monophysiten als Befreier begrüßt. Justinians Hagia Sophia, deren Kuppel 558
einstürzte und nicht mehr in der alten Pracht wieder aufgebaut wurde, glänzt
allerdings noch immer, und die Studenten des Rechts müssen sich weiterhin mit
seinem Corpus Iuris Civilis befassen. Aber das antike Römische Reich existierte
nicht mehr, Justinian der Große gilt als letzter oströmischer und eher schon als
byzantinischer Kaiser … Das Mittelalter stand bevor.
Intermezzo
Geschichte der Christenheit
Jesus Christus wurde zwischen 30
und 33 unserer Zeitrechnung gekreuzigt. Seine Geburt fand wohl um 6 oder 7
statt. Dass sie nicht im Jahre 1 erfolgte, wie man annehmen sollte, hängt mit
der fehlerhaften Berechnung des skythischen Abtes Dionysius Exiguus im Jahre 525
zusammen, der von etwa 500 bis 550 in Rom lebte. Somit wurde Saulus, der Anfang
des 1. Jahrhunderts geboren worden war, zwischen 33 und 35 zum Paulus bekehrt;
seine Missionsreisen unternahm er in den Jahren 45 bis 58; schon 48/49
bestätigte das Apostelkonzil in Jerusalem die Heidenmission, und Paulus erlitt
sein Martyrium, wenn es denn eines war, 60 oder 62 in Rom. Johannes starb als
Letzter der Apostel 98 in Ephesus.
Abgesehen von Verfolgungen durch lokale
jüdische und römische Behörden, was zum Ausweichen der christlichen Gemeinden in
benachbarte Regionen führte, kam es unter Nero 64 zu den ersten als solche
angesehenen Christenverfolgungen im Zusammenhang mit dem Brand Roms; sie waren
allerdings auf Rom beschränkt und können, weil es hier auch um die Bestrafung
tatsächlicher oder vermeintlicher Brandstifter ging, nicht mit den späteren
reichsweiten Verfolgungen verglichen werden. Diese setzten unter Domitian ein
(81–96); die erste wirklich auf alle Teile des Reiches ausgedehnte Verfolgung
gab es dann, wie bereits erwähnt, 249–251 unter Kaiser Decius. Jerusalem und
der Tempel waren im Jahre 70 durch die Römer zerstört worden; seitdem lebten die
meisten Juden in der Diaspora, mit all den schrecklichen Konsequenzen für ihre
und die christlich-jüdische Geschichte…
Die Urchristengemeinden konnten sich
langsam, aber unaufhaltsam entwickeln und über das ganze Römische Reich
verbreiten, sogar bis nach England. Erst um 150 entstanden erste Christusbilder,
von 200 bis 250 Wandbilder in den Katakomben Roms. Wie wir gesehen haben, kam es
um 200 zur ersten christlichen Staatsreligion in Edessa unter Abgar dem Großen,
und Konstantin der Große sorgte mit seinem Toleranzedikt von 313 für den großen
und rasanten Aufbruch in der Geschichte des Christentums. Damals betrug, wie
schon erwähnt, der geschätzte Bevölkerungsanteil der Christen im Römischen Reich
bereits um die 15 %. Erst mit der »Konstantinischen Wende« begannen der
eigentliche Aufstieg des Christentums und die Entstehung der Kirche.
1. Das Mönchtum
Mönchtum,
Nonnenwesen und Klosterwesen entwickelten sich schon in der frühen
Christenheit. Das Wort »Mönch« kommt aus dem Griechischen und bedeutet
»Einsiedler«. Mönche und Nonnen gab und gibt es in vielen Religionen.
Es handelte und handelt sich um Menschen, die asketische Ideale
vertreten, z. B. Ehelosigkeit und Verzicht auf persönlichen Besitz, die
in der Regel religiösen Motiven folgen und ihre Ideale als Einsiedler,
wie zu Beginn in der Christenheit, in der Wanderaskese oder später in
klösterlichen Gemeinschaften zu verwirklichen suchten und suchen. In
der frühen Christenheit begaben sich immer mehr Menschen in die Einöde,
oft in die Wüste, auf der Suche nach der Jesusnachfolge, in Verbindung
mit strenger Askese, um ein gottgefälliges Leben zu führen und sich
dadurch selbst zu verwirklichen. Das christliche Kloster im
eigentlichen Sinne begründete der ägyptische Mönch und Kopte, der
heilige Pachomius (ca. 292–ca. 346) als Zusammenschluss der als
Einsiedler in Höhlen oder verlassenen Gräbern, selbst auf Säulen
hausenden Mönche unter einer festen Regel, die für alle im Kloster
Lebenden verbindlich war. Auch diese Zeiten haben ihre »Großen«
hervorgebracht. Es ist nicht auszuschließen, dass »Große« in der
Geschichte der Christenheit im Folgenden unberücksichtigt bleiben, weil
sie schlicht unter den vielen so betitelten nicht gefunden wurden. Der
Vollständigkeit sollte aber erwähnt werden, dass die beiden Jünger
Jesu, die Apostel und Heiligen mit Namen Jakobus im Deutschen »der
Ältere« und »der Jüngere« genannt werden; im Amerikanischen heißen sie
James »the Greater«, also der Größere, und James the Lesser, also »der
Kleinere«.
Hervorragende Vertreter des Mönchtums: Antonius, Bessarion, Makarios,
Poimen, Onuphrius, Arsenius, Euthymius und Babai die Großen
Am
ehesten dürfte noch vielen Gläubigen Antonius der Große ein Begriff
sein. Er wurde unter die besonders verehrten und dargestellten Heiligen
aufgenommen und gilt als der Patriarch der Mönche. Geboren 251/252 in
Kome, dem heutigen Keman, in Mittelägypten als Sohn reicher Eltern, zog
er sich mit etwa zwanzig Jahren gemäß dem Wort Jesu: »Verkaufe alles,
was Du hast« (Matth. 19, 21), nachdem er all seinen Besitz den Armen
gegeben hatte, in die Wüste in ein Felsengrab zurück, um dort als
Eremit zu leben; aber lange war er nicht allein, da sich bald Schüler
um ihn sammelten. Ihnen versuchte er sich nach 20 Jahren auf einen Berg
am Nil zu entziehen, aber da seine Jüngerschar immer noch wuchs, gab er
ihr schließlich nach und gründete eine Einsiedlerkolonie, eine Art
Kloster. Gegen Ende seines Lebens verließ er die Einöde vollends und
predigte auf Bitten seines Freundes Athanasius in Alexandria gegen die
Arianer. Auf Athanasius, der auch Antonius’ Leben beschrieb, kommen wir
noch zurück. Antonius hat keinen Orden gegründet und auch keine
Ordensregel erlassen, aber durch ihn ist das Anachoretentum, die
Vorform des Mönchtums, entstanden, also das asketische Leben
christlicher Mönchen in Einsiedlerkolonien in der Einsamkeit. Aus ihm
entwickelte Pachomius die erste echte klösterliche Mönchsgemeinde.
Antonius der Große starb um 356 in der ägyptischen Wüste. Viele
Legenden sind von ihm überliefert, z. B. die Versuchung durch den
Teufel in Gestalt schöner Frauen, oder der heftige Angriff auf ihn
durch den Teufel und andere Widersacher, die ihn schwer verwunden, in
die Lüfte heben und seine Zelle in Flammen aufgehen lassen, denen er
jedoch allen widersteht. Die schönste Geschichte ist aber die von
seinem durch einen Traum ausgelösten Besuch bei dem 110 Jahre alten
Eremiten Paulus von Theben – heute noch als Heiliger am 15. Januar
verehrt als »Vater des Einsiedlerlebens«. Antonius, damals selbst schon
90, wird von einem Wolf durch die Wüste zu Paulus geführt, und diesem
brachte der Rabe, der ihm sonst ein Brot am Tag bringt, diesmal zwei.
Auch von Paulus Tod erfährt Antonius durch eine Vision. Er findet ihn
tot in betender Haltung, und zwei Löwen helfen Antonius bei der
Bestattung, indem sie ein Grab für ihn ausscharren. – Antonius wurde
heilig gesprochen, und sein Festtag ist der 17. Januar. Nach der
Gründung des Antoniterordens 1059 kamen seine Reliquien als Dank eines
französischen Edelmannes namens Gaston für die Heilung seines Sohnes
von einer ansteckenden Seuche, dem sogenannten »Antoniusfeuer«, nach
St. Didier-de-la-Motte in Frankreich und befinden sich heute in der
Kirche St. Julien in Arles. Der Orden widmete sich seit 1217 vor allem
der Krankenpflege und baute viele Spitäler; als Entgelt für die
Krankenpflege durfte er seine Schweine frei weiden lassen; daher wurde
das Schwein eines von Antonius’ Attributen, mit denen er auf den
zahlreichen Abbildungen, die es von ihm gibt, gezeigt wird. Auch das
Glöckchen, das die Schweine zur Erkennung trugen, gehört zu seinen
Kennzeichen. Berühmt wurde vor allem seine Darstellung auf dem
Isenheimer Altar (1515 fertiggestellt) durch den deutschen Maler, Bau-
und Wasserkunstmeister Matthias Grünewald (ca. 1480 (?)–1528) in Colmar
– hier der Besuch bei Paulus; in der Mitte des Schreins befindet sich
eine vergoldete Schnitzerei von ihm, angefertigt von Niclas Hagnower
(Nikolaus von Hagenau; ca. 1445–vor 1538) . Noch im 20. Jahrhundert kam
es zu Lithografien seiner Versuchungen, z. B. 1945 durch den
französischen Maler und Grafiker deutscher Herkunft Max Ernst (1891 –
1976) und ein Jahr später durch den spanischen Maler und Grafiker
Salvador Dali (1904–1989). Antonius der Große wurde zum Patron gegen
ansteckende Krankheiten, nicht nur bei den Menschen, ebenso bei den
Haustieren, und wird oft auch zu den 14 Nothelfern gezählt. Er hilft
auch gegen Feuer, da ihm die Flammen nichts anhaben können. Dargestellt
wird er meist mit gegürtetem, härenem Gewand und einem schwarzen Mantel
mit T-Zeichen. Als ihn seine Jünger begruben, sahen die Anwesenden
Engel, die um ihn standen …
Im vierten Jahrhundert lebte in Ägypten auch ein gewisser
Bessarion, ein Schüler des Isidor von Pelusium, der Reisen zu verschiedenen
Einsiedlern unternommen hatte, um von ihnen zu lernen und selbst Einsiedler zu
werden. Als Anachoret lebte er in der Wüste und wurde im ganzen Land als
Wundertäter bekannt. Angeblich trug er immer eine Abschrift der vier Evangelien
mit sich und verkaufte sie schließlich, um das Geld unter die Armen zu
verteilen. Auch soll er sein einziges Kleidungsstück an einen Bettler verschenkt
haben. Das Volk nannte ihn Bessarion den Großen, und er wurde heilig gesprochen
– in der griechisch-orthodoxen Kirche ist sein Tag der 6. Juni, in der
russisch-orthodoxen der 20. Februar. Nach ihm nannte sich der byzantinische
Theologe und Humanist, Kardinal und Titularpatriarch von Konstantinopel,
Basilius Bessarion (1403–1472), der einen wichtigen Anteil an der Erschließung
antiker griechischer Autoren wie Platon für das Abendland und damit
weitreichenden Einfluss ausgeübt und der zunächst als Mönch gelebt hatte. Er
besaß eine private Bibliothek mit 746 Bänden, davon 482 griechische und 264
lateinische Handschriften, dazu noch etwa 300 Drucke. Er schenkte sie 1468 der
Republik Venedig, wo sie den Grundstock der Biblioteca Marciana bildete. So kam
Bessarion der Große noch einmal zu späten Ehren.
Um 300 kam in
Oberägypten Makarios zur Welt. Er wurde mit 30 Jahren aus ähnlichen Gründen wie
Antonius Einsiedler in der Arabischen Wüste. Auch um ihn scharten sich Nachahmer
und Jünger, und so wurde er zum Mittelpunkt, geistigen Vater, Gründer und
Führerpersönlichkeit einer großen Eremitenkolonie in der Skelettwüste in Libyen.
Ihm wurden durch die spätere Überlieferung vierzig »geistliche Homilien«
zugeschrieben, mystische Literatur, die aber wohl aus Kreisen der Messalianer
stammten, wahrscheinlich von einem Symeon von Mesopotamien. Die Messalianer, was
syrisch »Betende« bedeutet, griechisch Euchiten genannt, breiteten sich von
ihrem Ursprung in Nordsyrien auch in die griechische Kirche aus. Nach ihrer
mystisch-asketischen Lehre, die 431 vom Konzil von Ephesos verurteilt wurde,
können unablässiges Gebet und ekstatischer Tanz das Böse im Menschen ausmerzen,
was dazu führt, dass der Heilige Geist sinnlich erfahren und die Trinität
geschaut werden können. Die angeblich auf Makarios zurückgehenden Schriften
besitzen hohen Stellenwert in der mystisch-asketischen Literatur des
ostkirchlichen Mönchtums; ihr Gedankengut wirkte auf die Entwicklung der
Derwisch-Bewegung im Islam – waren die Euchiten nicht so etwas wie die Vorläufer
der Derwische? – und indirekt über Makarios bis hin zum Pietismus im
Christentum. Makarios ging schließlich als »der Große« in die Geschichte ein.
Zu den »Wüstenvätern« wird auch Poimen der Große (ca. 340–450) gezählt,
ein ägyptischer Mönch. Neben Antonios und Makarios gehörte er zu den
bedeutendsten und bekanntesten Mönchen der späten Antike. Er gilt als Meister
der Askese; als er mit zwei seiner sechs Brüder in einem ägyptischen Kloster
lebte, zeigten sie sich nicht einmal ihrer Mutter, wenn sie das Kloster besuchte
– so sehr gingen sie in ihrer Askese auf. Mehr als hundert Sinnsprüche werden
ihm zugeschrieben, z. B.: »Eigenwille und Bequemlichkeit und die Gewöhnung daran
bringen den Menschen ins Verderben.« Poimen der Große wird heute in der
katholischen und in den orthodoxen Kirchen als Heiliger verehrt.
Als
»Großer« wurde auch der heilige Onuphrius bezeichnet, der sogar ein
abessinischer Fürstensohn war, aber auf ein fürstliches Leben verzichtete, von
seinem Vater verstoßen wurde und nach seiner Erziehung im Kloster Hermopolis
Mönch wurde. Die Einsamkeit, die er suchte, fand er in der herrlichen Landschaft
von Kappadokien in Anatolien in der heutigen Türkei, in einem der abgelegenen
Felsenklöster von Göreme. Hier lebte er der Überlieferung zufolge 40 Jahre lang
in andächtiger Anbetung, aber er blieb nicht weltabgeschieden, sondern lehrte in
den klösterlichen Siedlungen der Umgebung. Da ihn ein Esel über die weiten
Entfernungen getragen haben soll, soll er davon (»onos«) seinen Namen Onuphrius
erhalten haben. Nach anderen Quellen kommt der Name aus dem Ägyptischen: »Un-nofer«,
»das vollkommene Sein«, war eine Bezeichnung des auferstandenen
Osiris. Wie dem auch sei, ein Engel brachte ihm der Legende nach regelmäßig an
Sonn- und Feiertagen die Heilige Kommunion; angeblich erst kurz vor seinem Tode,
etwa im Jahre 400, als Onuphrius wohl an die achtzig Jahre alt war, soll er vom
heiligen Paphnutius, einem Bischof in Ägypten, der ein Schüler des heiligen
Antonius war und als Gegner des Arianismus auf verschiedenen Konzilien auftrat,
gefunden worden sein; Paphnutius soll ihm bei dieser Gelegenheit die Heilige
Kommunion gereicht und später eine Lebensbeschreibung über ihn verfasst haben.
Das aber kann nicht sein, da Paphnutius schon um 350/360 während einer
Christenverfolgung sein Martyrium erlitt. Bedenkt man allerdings, dass Onuphrius
auch als Einsiedler in Ägypten und Syrien gelebt haben soll, vielleicht sogar in
Syrien gestorben ist, und ihn Pahphnutius nicht kurz vor Onuphrius’ Tod, sondern
schon vor seinem eigenen auffand und besuchte, dann lassen sich Legende und
Wirklichkeit eher in Einklang bringen. – Die älteste Darstellung von Onuphrius
dem Großen, wie er, der seit etwa dem 7. Jahrhundert in der koptischen Kirche
als Heiliger verehrt wurde, später genannt wurde – sein Tag ist der 12. Juni –
findet sich als Ritzzeichnung in einem der Felsenräume von Göreme, in der
Yilanli-Kirche im heutigen Freilicht-Museum, zusammen mit dem heiligen Basilius
und dem heiligen Thomas. In Kappadokien erzählt man sich seine Geschichte
allerdings ganz anders: Danach war er ursprünglich ein leichtsinniges Weib, das
zu Gott betete, er möge sie vor den Männern schützen, und Gott erhörte sie und
ließ ihr lange Haare und einen langen Bart wachsen. Neben vielen ostkirchlichen
gibt es von ihm zahlreiche deutsche Darstellungen, vor allem aus dem 15. und 16.
Jahrhundert. Er ist darauf nur mit einem Blätterschurz oder Laubkranz um die
Lenden bekleidet, mit langem wallenden Haar und Bart, zu sehen, trägt eine Krone
oder ein Zepter, und ein Doppelkreuz verweist auf seine Tätigkeit als Eremit und
kappadokischer Kirchenlehrer. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass
Onuphrius der Schutzpatron für die Prostituierten, die Hermaphroditen und die
von sexuellen Übergriffen Bedrohten sowie auch der Weber ist – auch im
Zusammenhang mit den Vorwürfen der sexuellen Übergriffe an die Kirche nicht ganz
uninteressant ...
Heiliger Onophrius (Albrecht Dürer, Kunsthalle
Bremen, Wikipedia)
Eine Besonderheit ist noch speziell hervorzuheben:
Onuphrius gilt als alter Schutzpatron Münchens, eine Rolle, die er sich mit dem
bekannteren Heiligen Benno von Meißen (ca. 1010–1106) teilt. Der Papst
persönlich hat Onuphrius’ Schädelreliquie (Hirnschale) anlässlich der Gründung
von München 1158 an Heinrich den Löwen (ca. 1129–1195), den Herzog von Sachsen
(1142–1180) und von Bayern (1156–1180) und als letzterer Gründer von München
gesandt, oder dieser hat sie von einem seiner vielen Feldzüge mitgebracht, und
Heinrich ließ die Reliquie in feierlicher Prozession am 14. Juni 1158 in seine
Burgkapelle tragen; von da ab war Onuphrius sein Schutzpatron. Das einzige, was
von all dem »erhalten« blieb (die Spur der Reliquie verliert sich nach dem 1816
erfolgten Abriss der Kapelle St. Laurenz, wo sie nach ihrer Erbauung 1324
aufbewahrt wurde), ist die Erinnerung in Form einer – allerdings recht großen
– Mosaiktafel am Marienplatz, Haus Nr. 17, schräg gegenüber vom Rathaus und direkt
gegenüber vom Traditionsgeschäft Ludwig Beck (»am Rathauseck«), am Alten
Rathaus. Das erste Bildnis hier stammt von 1497, das derzeitige von 1960. Es ist
allerdings nicht das einzige in München. Es gibt auch Bilder von ihm in der St.
Peterskirche, im Dom und ein Fresko in der Kapelle der Blutenburg in
Obermenzing. Leider hat die Stadt München keine Erklärungstafel am Mosaik am
Marienplatz anbringen lassen, so dass sich der nicht eingeweihte Tourist in
Anbetracht der Namensinschrift vergebens fragt, um wen es sich hier handelt –
selbst echte Münchner halten ihn eher für den heiligen Christopherus, aber
immerhin – Onuphrius der Große ist zwar in Vergessenheit geraten, aber dennoch
unvergessen, wenn auch selbst kaum ein Münchner um ihn weiß, es sei denn, er ist
im Himmel …
Ein
weiterer Heiliger brachte es ebenfalls zum Beinamen »der Große«.
Arsenius war Römer und entstammte einer sehr vornehmen Familie. Geboren
wurde er 354, er war äußerst interessiert an griechischer und römischer
Literatur, befleißigte sich der Tugendübungen und wurde nach allerdings
umstrittenen Quellen Diakon der römischen Kirche. Sicher ist, dass
Kaiser Theodosius der Große von ihm und seiner Tugend und Gelehrsamkeit
hörte, ihn 383 nach Konstantinopel kommen ließ und ihm seine beiden
Söhne Arkadios (geb. ca. 377; reg. 395–408) und Honorius (geb. 384;
reg. 395–423), ersterer der erste oströmische Kaiser, letzterer
weströmischer nach des Vaters Tod, zur Erziehung anvertraute. Dafür
empfing er ihn mit großen Ehren und erhob ihn zum Senator. Allerdings
kam es nach vielen erfolgreichen Jahren zu Zwistigkeiten. Arsenius
unterrichtete stehend und war sehr streng; seine Schüler mussten
sitzen, und als Arkadios schon zum Augustus erklärt war, empfand er
angeblich diese Situation als erniedrigend. Da es darob sogar zu
Mordplänen gekommen sein soll, verließ Arsenius fluchtartig den Hof. Es
gibt aber auch Historiker, die diese Version ganz und gar ablehnen.
Danach hörte Arsenius, der immer schon zur Abgeschiedenheit neigte,
eine innere Stimme, die ihm sagte, er solle die Gesellschaft der
Menschen fliehen und würde dann erst richtig leben. So verließ er
heimlich den Palast, nach elf Jahren und im Alter von 40, und fuhr nach
Alexandria, um sich von dort in die Skelett-Wüste in Libyen zu begeben.
Dort wurde er nach einer Prüfung in die Gemeinschaft aufgenommen. Bald
danach hörte er wieder eine Stimme, die ihm bedeutete, nun in
vollständiger Abgeschiedenheit zu leben. Tatsächlich verbrachte er von
da ab vierzig Jahre in seiner Einzelzelle in höchster Askese, mit
Gebet, Nachtwachen, harter Arbeit und unter tränenreicher Bereuung
seines früheren Lebenswandels. Bei Angriffen eines räuberischen Volkes,
der Maziken, flohen die meisten Mönche; Arsenius blieb und wurde nicht
behelligt. Erst bei dem nächsten Angriff entfernte auch er sich, begab
sich zuerst in die Gegend von Memphis, zu dem Felsen Troe oder Petra,
dann nach Canope bei Alexandria, aber hier wurde er ob der vielen
Menschen und »Zerstreuungen« nicht glücklich, und so kehrte er nach
drei Jahren zu seinem Felsen zurück, wo er noch zwei Jahre lebte und
tränenreich im gesegneten Alter von 95 starb. Man schrieb das Jahr des
Herrn 450. Anderen Quellen zufolge wurde er sogar 120. Arsenius wurde
in der Ostkirche heilig gesprochen – sein Tag ist der 19. Juli, die
Griechen verehren ihn am 8. Mai, und er erhielt den Titel »der Große«.
Ein weiterer »Großer« der Kirchengeschichte war Euthymius von
Melitene. Er wurde 377 in Melitene in der heutigen Türkei geboren und wird als
einer der bedeutendsten Asketen der judäischen Gebirgswüste angesehen. Auch er
war einer der Väter des Mönchtums. Seine Mutter soll unfruchtbar gewesen sein;
ein Engel sagte ihr dann jedoch die Geburt eines Jungen voraus und prophezeite
ihr auch, mit ihrem Sohn werde Friede für die Kirche heraufziehen und jeder
Aberglaube abgeschafft werden. Daher der Name Euthymius – Freudenbringer, erst
recht, da eine Verbindung zwischen der Engelsvoraussage und dem gleichzeitigen
Beginn der Regentschaft Kaiser Theodosius I. des Großen hergestellt wurde! Nach
seiner Ausbildung durch den Bischof Otreius von Melitene wurde er zum Presbyter
geweiht, und man übergab ihm die Aufsicht über die Klöster in Melitene. Später,
zwischen 406 und 411, ging er nach Jerusalem; in der Nähe zog er in die
Einsiedelei des Theoktistos bei Pharan, der die sich bildende Mönchskolonie auf
Wunsch von Euthymius leitete und 467 starb. Hier blieb er bis 415, um
anschließend fünfzehn Kilometer östlich von Jerusalem in Marda bei Salfit als
Einsiedler zu leben. In dieser Gegend wurde dann bis etwa 420/428 ein Kloster
erbaut, wo Euthymius bis zu seinem Tode wirkte. Viele Wunder werden ihm
zugeschrieben. So soll er etwa 400 Armenier mit sehr wenig Brot gespeist haben;
er konnte es angeblich regnen lassen, und während der Messe sahen die Besucher
einen göttlichen Schein um sein Haupt. Dass er nomadische Araber zum
christlichen Glauben bekehrte, ist aber wohl keine fromme Legende. Als er am 20.
Januar 473 starb, wurde er wie ein König bestattet. Sein Festtag ist der 20.
Januar, der in der gesamten Ostkirche begangen wird. In den byzanthinischen
Kirchen wird er als einer der großen Väter des Mönchtums dargestellt, zumeist
als Greis, kahl am Haupt, aber mit langem Bart bis über die Hüften. In der
Ostkirche ist Euthymius der Große nach wie vor lebendig.
Zum Abschluss
des Blickes auf die frühchristlichen Mönche sei noch der später in Erscheinung
getretene syrisch-nestorianische Mönch und Klostervorsteher Babai genannt. Die
Nestorianer haben eine eigene Lehre zur Natur Christi entwickelt. Ihr Gründer
Nestorius lebte von ca. 381 bis 451 und war von 428 bis 431 Patriarch in
Konstantinopel. Er betonte das Menschsein Christi; daher war Maria für ihn auch
nicht eine »Gottesgebärerin«, sondern eine »Christusgebärerin«. Seine Lehre
wurde 431 auf dem 3. Ökumenischen Konzil von Ephesus als Irrlehre verworfen und
er selbst als Häretiker verurteilt und abgesetzt. Aber seine Anhänger blieben
ihm treu und gründeten um 500 in Persien außerhalb des byzantinischen Reiches
eine eigene Kirche, eben die nestorianische. Von Persien aus wurde das
Christentum dann bis ins ferne Indien (die sogenannten Thomaschristen) und nach
China, nach Tibet und Mittelasien getragen. Während des Höhepunktes der Kirche
hatte sie bis zu 80 Millionen Anhänger. Babai brachte es zu einem der
bedeutendsten Theologen der Nestorianer; zeitweilig war er auch Leiter der
nestorianischen Kirche in einer Zeit, in der der persische Großkönig aus der
Dynastie der Sassaniden die Wiederbesetzung des Patriarchatenstuhles
verhinderte. Er war um 540 im Sassanidenreich, in Beth Ainata, geboren worden,
also nicht lange nach der Gründung der Kirche, und starb 628 im Kloster auf dem
Berg Izla, wo er der dritte Abt geworden war. In dieser Funktion stellte er ein
von Einsamkeit und Gebeten geprägtes Leben in den Vordergrund, wandte sich gegen
die von seinen Vorgängern erlaubte und ermutigte Heirat von Mönchen und Nonnen
und formulierte, wie schon viele vor ihm, abermals Regeln für das mönchische
Zusammenleben. Als er zusammen mit dem Erzbischof Mar Aba die Kirche »regierte«,
stärkte er die Orthodoxie der Klöster und der Mönche im nördlichen Mesopotamien
und sorgte für Gesetz und Ordnung. In syrischer Sprache hinterließ er ein
umfangreiches literarisches Werk, in dem er orthodoxe Lehren vertrat. In seinen
84 Schriften erklärte er die nestorianische Religion und Kultur und verteidigte
sie gegen die Monophysiten und gegen den Kirchenlehrer Origines. Viele seiner
Schriften sind verloren gegangen, aber was erhalten blieb, z. B. das Buch der
Einheit zu christlichen Gebräuchen oder zwei Hagiographien zum asketischen Leben
und zur Mythologie, zeigt ihn als den einzigen Kirchenlehrer im nestorianischen
Mesopotamien, der eine systematische Christologie entwickelte. Unter ihm errang
die sogenannte »nestorianische Mönchsmystik« einen derartigen Einfluss, dass sie
über Konfessionsgrenzen hinweg zu wirken begann und offenbar selbst den
islamischen Sufismus beeinflusste. Als Babai den Großen findet man ihn noch
heute in den großen Enzyklopädien.
Onuphrius, Babai und in gewisser Weise
auch Makarios waren neben ihren Aktivitäten als Mönch auch schon
»Kirchenlehrer«, wenn auch nicht mit diesem Ehrentitel belegte, und von den so
Benannten gab es etliche »Große«.
2. Die Kirchenlehrer
In unserer Zeit (Stand 2006) verehrt man 33 sogenannte Kirchenlehrer, die
»Doctores ecclesiae«. Dieser kirchliche Ehrentitel wurde in der Katholischen
Kirche seit dem 16. Jahrhundert von den Päpsten verliehen, 1970 erstmals an
Frauen. Die Bezeichnung kam im 4. Jahrhundert auf und wurde auf Theologen
angewandt, die Gelehrtheit, Heiligkeit des Lebens, Rechtgläubigkeit und vor
allem Normgebung für die kirchliche Lehre miteinander verbanden. Damals
versuchte man, die Richtigkeit eigener Lehren mit Hilfe der Auffassung allgemein
anerkannter theologischer Autoritäten zu rechtfertigen oder zu beweisen. Daraus
entstand im Lauf der Zeit der Status des Kirchenlehrers, und zu ihnen zählen
Anselm von Canterbury (1033–1109), Augustinus (354–430), Bernhard von
Clairvaux (1091–1153), Johannes von Damaskus (zw. 650 und 670–vor 754),
Katharina von Siena (ca. 1347–1380) oder Thomas von Aquin (ca. 1225–1274),
um nur ein paar zu nennen. Einige aus dieser »Elite« werden uns noch begegnen,
andere wurden bedeutend, auch ohne den Titel »Kirchenlehrer« offiziell zu
erhalten. Einer von ihnen war Dionysius der Große.
Bedeutende kirchliche
Lehrer: Dionysius, Athanasius, Basilius, Nerses, Isaak und Gregor die Großen
Ursprünglich war Dionysius Schüler des berühmten griechischen Theologen und
Philosophen Origines (ca. 185–ca. 254), der schon zu Lebzeiten als
bedeutendster und umstrittenster Theologe der griechischen Kirche galt. Er
leitete von 204 bis 215 die Katechetenschule in Alexandria, die sogenannte
alexandrinische Theologenschule. Seine bedeutendsten Leistungen bestanden in der
Schaffung einer Arbeitsgrundlage für die wissenschaftliche Bibelexegese, einer
Darstellung der christlichen Lehre in der Begrifflichkeit der hellenistischen
Philosophie, womit die Lehre Platons für die christliche Theologie fruchtbar
gemacht werden sollte (Neuplatonismus) – sie wurde zum ersten christlichen
Lehrsystem, sowie in der von ihm entwickelten Lehre vom dreifachen Schriftsinn:
dem buchstäblichen, dem moralischen und dem allegorischen – in Alexandria folgte
man vor allem dem allegorischen. Origines hatte ungeheure Wirkung, vor allem auf
die Theologie des griechischen Ostens, und erst auf dem Konzil von 553 wurden
seine Lehren endgültig verworfen. Dionysius kehrte sich selbst ebenfalls gegen
seinen Lehrer, der schon 212 exkommuniziert worden war, 215 die Leitung der
Schule aufgab, aber zwanzig Jahre später eine eigene Schule in Caesarea
gründete. Dionysius wurde 247 oder 248 Bischof von Alexandria und war auch
Leiter der alexandrinischen Schule. Er entwickelte sich ebenfalls zu einem
bedeutenden Lehrer und mischte sich in theologische Lehrstreitigkeiten ein, in
denen er zu vermitteln suchte. Während Rom und weite Kirchengebiete die
Gültigkeit der Ketzertaufe, z. B. in einer schismatischen oder häretischen
Gemeinde, anerkannten und auf eine Wiederholung der Taufe bei einer Konversion
verzichteten, forderten große Teile der Kirche, vor allem in Nordafrika, eine
Wiederholung der Taufe im Falle einer Konversion. In den 50er Jahren des 3.
Jahrhunderts bestand dann der Bischof von Rom Stephan I. (Pontifikat 254–257)
auf der Sichtweise Roms. Dionysius floh 250 während der Christenverfolgungen
unter Decius, und Kaiser Valerian verbannte ihn. Er starb 264 oder 265. Leider
sind nur Fragmente seiner Werke erhalten. In weiten Kreisen bekannter wurde er
wohl auch durch seine Auseinandersetzung mit dem Papst gleichen Namens. Dieser
Dionysius, der von 260 bis zu seinem Tod 267 oder 268 als Papst agierte, baute
nach der Beendigung der von Kaiser Valerian angeordneten Christenverfolgungen
unter Kaiser Galliẹnus (geb. 218; reg. 260–268 (ermordet)) die Kirche wieder
auf und unterstützte Hilfslieferungen für die Not leidenden Christen im ganzen
Reich. Er verteidigte das trinitarische Dogma gegen seinen Namensvetter in
Alexandria; damit kündigte sich schon der Streit um den Arianismus an. Dionysius
der Große wurde heilig gesprochen; sein Tag ist der 17. November. Sein
Namensvetter in Rom wurde ebenfalls heilig gesprochen; sein Tag ist der 30.
Dezember.
Über die Auseinandersetzungen mit dem Arianismus wurde schon
früher berichtet. Wie gesagt, lehrte der Arianismus, dass Gott und sein Sohn
Jesus Christus nicht wesensidentisch, sondern wesensunähnlich (oder nur
wesensähnlich, wie es Anhänger milder formulierten) seien. Dies rief große
Widerstände hervor, da dadurch das mit der Menschheit Gottes begründete Heil für
die Menschen verringert würde. Einer der Hauptgegner des Arius war der Patriarch
von Alexandria, Alexander (gest. 326), ebenfalls später heilig gesprochen, der
Arius schlicht exkommunizieren ließ. Mit dem Namen von Alexanders Sekretär
Athanasius (ca. 295 oder ca. 298–373) wurde später dieser Streit um das Wesen
Christi verbunden. Alexanders Enzyklika gegen Arius von 321 dürfte von
Athanasius stammen, der auch schon 318 zwei Werke verfasst hatte, die Gottes
Inkarnation in Jesus Christus lehrten. Mehrere Konzilien wurden zu diesem Streit
einberufen, römische Kaiser schalteten sich ein; Athanasius, der 328 Patriarch
von Alexandria wurde, hatte mit zahlreichen Anfeindungen, Verleumdungen und
Intrigen zu kämpfen, ja, er trat einzelnen Kaisern offen entgegen, wurde fünfmal
in die Verbannung geschickt, vielleicht sogar siebenmal, und wieder eingesetzt,
so dass der Spruch aufkam: Athanasius contra mundum – Athanasius gegen die Welt.
Und am Ende hat dieser von Gestalt kleine und dunkelhäutige (vielleicht war er
ein Kopte) griechische Kirchenlehrer einen hervorragenden Ruf als Vorkämpfer für
die Kirchenfreiheit und ungeheure Bedeutung für die Entwicklung des Christentums
erlangt – verschiedentlich, wenn auch nicht offiziell wird er als Athanasius der
Große bezeichnet. Seine Lebensbeschreibung des Antonius des Großen wirkte sich
entscheidend auf die Integration des Mönchtums in die Kirche und seine
kirchliche Anerkennung aus. Er selbst lebte in den Verbannungszeiten häufig in
der Wüste bei den Mönchen, und auch seine Feinde achteten ihn für seine
Selbstdisziplin und seine Enthaltsamkeit; er war der Hort der Orthodoxie im
Sinne der Lehre der Wesenseinheit von Gott und Jesus Christus, und dass man ihn
inoffiziell als »der Große« betitelt, dürfte wohl verdient sein. Am Ende setzte
er sich durch, wenn sich auch der Arianismus bei einzelnen germanischen Völkern
wie den Langobarden bis ins 7. Jahrhundert hielt. Athanasius wurde heilig
gesprochen, sein Tag ist der 2. Mai. Viele Schriften wurden ihm aufgrund seines
hohen Rufes zugesprochen, aber es ist nicht klar, ob sie alle von ihm stammen.
Offiziell erhielt ein anderer Kirchenlehrer den Titel »der Große«: Basilius (ca.
330–379); ihn zählt man zu den vier großen griechischen Kirchenlehrern. Er
stammte aus einer christlichen Aristokratenfamilie in Caesarea, dem heutigen
Kayseri, und wurde dort 370 zum Bischof und Metropoliten von Kappadokien
ernannt, wo noch heute seine Spuren zu finden sind. Mit seinem jüngeren Bruder
Gregor von Nyssa (ca. 331 – nach 394; Heiliger: 10. Januar Ostkirche, 9. März
Westkirche) und seinem Freund Gregor von Nazianz, dem Patriarchen von
Konstantinopel und »Vater der Ostkirche« (ca. 325 oder 330–389/390; Heiliger:
25. und 30. Januar in der Ostkirche, 9. Mai in der Westkirche), zählt er zu den
»Großen Kappadokiern«. Diese drei bedeutenden Kirchenlehrer (Basilius und Gregor
von Nazianz tragen den entsprechenden Ehrentitel) vertieften die Lehre von der
Trinität und trugen damit entscheidend zu dem Sieg über den Arianismus auf dem
Konzil von Konstantinopel 381 bei. Basilius hinterließ eine eigene Liturgie, die
allerdings heute seltener als andere Überlieferungen gefeiert wird, aber noch
nicht aufgegeben wurde. Vor allem förderte er als Kirchenpolitiker auch das
Mönchtum. Nach seinem Besuch bei den Anachoreten in Syrien und Ägypten 357
erließ er die (zwei) sogenannten Basiliusregeln, die das Mönchsleben in Form von
Frage und Antwort ordneten; sie standen unter dem Einfluss der neuplatonischen
Philosophie, der stoischen Ethik und vor allem der Tradition der Askese. Während
sich in Ägypten die Priester fern von den Menschen in Klöstern Gott widmeten,
hielten es Basilius und seine Freunde für besser, wenn sie ein
Gemeinschaftsleben führten und auch Gottesdienste für die Menschen hielten.
Jeder, der mit anderen zusammenlebe, könne zum Multiplikator für seine eigenen
Gaben werden, ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Basilius hinterließ zahlreiche
Schriften und Werke, Briefe und Predigten; er wurde heilig gesprochen, und sein
Tag ist in der Ostkirche der 1. Januar (sein Todestag), in der katholischen der
2. Januar. Natürlich ranken sich um solch eine bedeutende Persönlichkeit, die
auch als Seelsorger wirkte, viele Legenden. Unter anderem soll er eine junge
Frau, die einen Jüngling heiratete, der mit dem Teufel einen Vertrag geschlossen
hatte, um sie gewinnen zu können, von dem Fluch befreit haben – der Teufel gibt
nach langem Gebet des Basilius und des jungen Mannes den Vertrag heraus, den dann
Basilius zerstört. Im Dom von Meißen wurde Basilius dem Großen auf einem ihm
1357 geweihten Altar eine Statue errichtet. Der Forscher und Kunsthistoriker
Emile L. Jarre schreibt in seinem für Touristen gedachten Buch über Kappadokien:
»Diese neue Religion«, also das Christentum, »stammt zwar aus Palästina, aber
sie hat sich [in] Anatolien entwickelt und vergrössert, beziehungsweise hat das
Christentum seine(n) Existenz Anatolien, insbesondere Kappadokien zu verdanken.«
Während Athanasius und Basilius die Großen heutzutage nicht ganz in
Vergessenheit geraten sind, dürfte wohl kaum noch jemand etwas von Isaak dem
Großen wissen; dabei leistete er seinem Vaterland Armenien unschätzbare Dienste.
Sahak, den man später Isaak den Großen nannte, wurde um 338/340 in Süd-Armenien
geboren, war der Herkunft nach Parther und hieß daher auch Sahak der Parther. Er
stammte aus einer Linie, die auch zwei Heilige umfasste. Sein Vater war der
eine, Nerses (auch Narses), und auch er wurde mit dem Ehrentitel »der Große«
ausgezeichnet. Bei diesem müssen wir kurz innehalten. Geboren 335 als Prinz aus
dem Haus der Gregoriden, war er von 353 bis 373, mit einer Unterbrechung von 359
bis 363, Katholikos aller Armenier, blieb aber auch Fürst der gregoridischen
Domänen. Seine Hauptleistung bestand in der Durchführung kirchlicher Reformen
sowie darin, dass er die Kirche dem Volk nahebrachte; bis dahin war sie mehr
eine Angelegenheit des Adels und des Königtums gewesen. Er organisierte bald
nach seinem Amtsantritt die erste Synode der Armenischen Apostolischen Kirche,
wo er seine Überlegungen vortrug. Viele Punkte, die z. B. die Eheschließung, den
Gottesdienst, die religiöse Betreuung des Volkes oder Gebräuche wie die
Blutrache betrafen, wurden neu geregelt; die Blutrache wurde natürlich verboten.
Die Errichtung von Waisenhäusern und Spitälern, vor allem von Leprastationen,
wurde ins Auge gefasst, Schulen sollten gegründet werden, um das Analphabetentum
zu bekämpfen, und das Heidentum wurde verboten. Unter dem Einfluss von Basilius
dem Großen ließ es sich Nerses als große Aufgabe angelegen sein, das Mönchtum zu
fördern. Nerses mit seinen herausragenden Fähigkeiten wurden von Arsakes II.
(reg. 350–367), dem König von Großarmenien, dem er in seiner Jugend als
Kämmerer, Rat und Schwertträger gedient hatte, zwangsläufig auch für
diplomatische Missionen in Anspruch genommen. So brachte er, der damals der
zweite Mann im Staate war und als ausgesprochener Römerfreund galt, ein Bündnis
mit Rom gegen Persien zustande. Aber die Erfolge, die Nerses im Volk so beliebt,
geachtet und berühmt machten, waren dem König ein Dorn im Auge. Andere Faktoren
kamen hinzu. Schließlich setzte der König Nerses ab und verbannte ihn. Die
Rückkehr ermöglichten ihm erst die Römer. Aber der Zwist mit den Persern und
deren Herrschern, den Sassaniden, war nun voll entbrannt. Im Zuge dieser
Auseinandersetzungen und Kämpfe wurde Arsakes II. von den Persern eingekerkert
und beging Selbstmord (367), Persien besetzte Armenien unter Verfolgung der
Christen, und Arsakes II.’ Sohn Pap, der neue armenische König, dem Nerses einst
zur Flucht auf römisches Gebiet verholfen und ihm damit das Leben gerettet
hatte, erwies sich als charakter- und morallos. Nerses verbot ihm schließlich
nach vielen Streitigkeiten den Zutritt zur Kirche; im Zuge eines angeblichen
Versöhnungsmahles ließ dann Pap Nerses vergiften. Das geschah am 25. Juli 373.
Nerses wurde heilig gesprochen und erhielt den Beinamen »der Große«. Sein
einziger Sohn war Sahak, und er wurde ebenfalls Katholikos (oder Patriarch),
also Oberhaupt der armenischen Kirche, und das gerade zu der Zeit, als Armenien
eine seiner größten Krisen in den alten Zeiten durchmachte. Damals, 387, wurde
Armenien zwischen dem Byzantinischen Reich und Persien aufgeteilt. Damit waren
die nationale Einheit, Sprache und Kultur Armeniens stark gefährdet. Isaak
musste es hinnehmen, dass ihn der Perserkönig 426 absetzte, und stellte sich
unter den Schutz des byzantinischen Kaisers. Später durfte er zurückkehren; im
hohen Alter zog er sich aus seinen Ämtern zurück und starb am 7. September 439
in seiner Heimat – da war er 110 Jahre alt.
Die armenische Kirche war um 300
durch den Heiligen Bischof Gregor den Erleuchter (ca. 257–332 oder 337), einem
Vorfahr Isaaks – dieser war sein Ururenkel –, gegründet worden. Isaak war der
letzte Spross aus dessen Geschlecht, den Gregoriden. Mit dem Verlust der
Unabhängigkeit und der Teilung Armeniens geriet auch die armenische Kirche in
Gefahr. Es war Isaaks großes Verdienst, hier entschieden gegengesteuert zu
haben. Er gilt auch als Begründer der armenischen Literatur: durch seine
vielfältigen Übersetzungen aus dem Byzantinischen und Griechischen, u. a. der
Bibel; durch seine Entwicklung des 36 Buchstaben umfassenden, in Anlehnung an
das syrische und griechische Buchstabensystem gestalteten armenischen Alphabets
– beides zusammen mit dem königlichen Sekretär und Gelehrten Mesrop (361–390),
den Isaak für den kirchlichen Dienst gewann und der heute bekannter ist als
Isaak und dem diese Leistungen nunmehr vorwiegend zugeschrieben werden; durch
seine Übertragung von wichtigen Werken in die Volkssprache und der Verfassung
eigener Werke und liturgischer Hymnen. Er richtete den Gottesdienst stärker
armenisch aus, glich aber auch die Ordnung der armenischen Kirche der der
byzantinischen an – und das nicht nur beim Verbot der Heirat von Bischöfen, er
übersetzte die syrische Liturgie ins Armenische und baute viele Schulen für
weiterführende Studien und Ausbildungszweige. Er bezog sich auch auf die
Liturgie von Basilius dem Großen, der hier einen seiner bedeutenden Schüler
fand. Ebenso wichtig war – wie schon bei seinem Vater – sein Bemühen um die
Bildung des Volkes, die zu seiner Zeit in höherem Ansehen als anderswo stand. Er
ließ die von den Persern zerstörten Kirchen und Klöster wieder errichten und
baute neue dazu, dazu auch noch Krankenhäuser. Hier folgte er den Reformen
seines Vaters. Am Ende seines Lebens übernahm er die Ergebnisse des 3.
Ökumenischen Konzils von Ephesus 431, in dem es wieder einmal um die Frage nach
dem Verhältnis von Gott und Christus, speziell um die Lehren des Nestorius ging,
an dem er aber selbst aus Altersgründen nicht mehr teilnehmen konnte. Insgesamt
hat er das Armeniertum über seine große Krise hinüber gerettet, und als er
starb, hatte er den Titel »der Große« wohl verdient. »Mit dem Ende des
armenischen Königtums der Arsakiden 428 stellte Sahak das einzige verbliebene
Symbol nationaler Einheit der Armenier dar […]. Die persischen Versuche zur
Etablierung eines gefügigen Katholikats scheiterten«, so der Kirchenhistoriker
Martin Tamcke. Es gibt kaum einen zweiten Fall in der Geschichte, dass ein Vater
und sein Sohn den Titel »der Große« zugesprochen bekamen; die Söhne von Pompeius
dem Großen, die sich selbst diesen Titel verliehen, zählen hier nicht, wohl aber
Sancho und Ferdinand von Kastilien, die uns später begegnen werden ...
Ein
bedeutender Kirchenlehrer, der wie Basilius oder Isaak diesen Titel als
Ehrentitel trug, war schließlich Gregor I. der Große, einer der sogenannten vier
lateinischen Kirchenlehrer. Er stammte aus senatorischem Adel und wurde um 540
in Rom geboren. Von 572 bis 573 amtierte er als Richter, aber dann übermannte
ihn der Schmerz über die Welt, und nach dem Tode seines Vaters ließ er aus
seinem Vermögen sechs Klöster auf Sizilien errichten; sein eigenes Haus baute er
als Kloster »zum hl. Andreas« um und trat dort als Mönch ein, wo er auch 585 Abt
wurde. Viele Wunder- und Wohltaten von ihm sprachen sich herum, und als Papst
Pelagius II. (Pontifikat 579 – 590), in dessen Auftrag er schon nach
Konstantinopel gereist und zu dessen Berater er bestellt worden war, an der Pest
starb, wählte man ihn als neuen Papst. Gregor versuchte sich, der heiligen
Pflicht zu entziehen. Nicht nur, dass er an Kaiser Mauritius (reg. 582–602
(ermordet)) mit der Bitte schrieb, seine Einwilligung zu verweigern – angeblich
ließ er sich auch verkleidet in einem Fass aus der Stadt bringen, um als Eremit
zu leben, aber eine Lichtsäule, an der Engel auf- und niederstiegen, verriet
ihn, und 590 wurde er zum Papst gewählt, mit des Kaisers Bestätigung. Gregor war
der erste Mönch, der zum Papst erkoren wurde, und neben Leo I. der einzige
Papst, der offiziell den Titel »der Große« erhielt, sieht man von dem gleich
weiter unten vorgestellten Papst Nikolaus dem Großen ab, der aber nicht überall
als solcher bezeichnet wird. Zum Zeitpunkt seiner Wahl herrschte in Rom eine
Hungersnot. Gregor organisierte Hilfsaktionen und ordnete im Zuge dessen auch
die Verwaltung der päpstlichen Güter und Finanzen neu – er führte eine zentrale
Verwaltung ein. In Anbetracht der zu kleinen kaiserlichen Streitmacht in Rom
ließ Gregor die Verteidigungsanlagen instand setzen und warb Soldaten an (der
Kaiser war über diese Einmischung verärgert, wurde aber von Gregor päpstlich
gerügt); als die Langobarden 591 und 593 Rom bedrohten, zahlte er ihnen ein
Lösegeld, um sie vom Plündern abzuhalten. Viele andere Probleme beschäftigten
Gregor: in Nordafrika trat er der Donatistenbewegung entgegen (ihre Anhänger
glaubten, dass im Grunde nur ihre eigenen Kleriker die Sakramente spenden
dürften; diese seien nur wirksam, wenn die sie spendenden Priester über die
göttliche Gnade verfügten, also »würdig« seien); mit Konstantinopel schwelte
Streit; eine Seuche brach in Rom aus. Aber mit Spanien und Gallien pflegte
Gregor gute Beziehungen, und nach England sandte er den Prior seines eigenen
Klosters, Augustinus (gest. 605/609), um die Angelsachsen zu bekehren. Mag das
alles in seiner Amtsperiode bedeutend gewesen sein, seinen hervorragenden Ruf
begründete Gregor als Kirchenlehrer und Ordner bzw. Verwalter der Kirche. Er
legte die Regeln für die Wahl und das Verhalten von Bischöfen fest und setzte
auch Kleriker ab, die seinen hohen moralischen Ansprüchen nicht genügten. Er
lebte selbst weiter wie ein asketischer Mönch und untergrub damit langfristig
seine Gesundheit. Auch bekräftigte er das Zölibat für Bischöfe, Priester,
Diakone und Subdiakone, das schon länger bestand, wie er ebenso die
Benediktinerregel stark förderte und mit seinen liturgischen Reformen die
Bewahrung des Überlieferten gewährleisten wollte, was sich z. B. in den
Gregorianischen Gesängen ausprägte. Als erster Papst gebrauchte er zur
Unterstützung seiner Anweisungen den Spruch »Ex Cathedra«. Er schrieb Kommentare
zu den Evangelien und ausgewählten Büchern des Alten Testaments und erzählte in
seinen Dialogi das Leben und die Wunder von Heiligen. Sein bekanntestes Werk,
die Magna moralia, erschienen 595, stellte eine Sittenlehre, eine umfassende
Abhandlung moralischer Fragen, zum Buch Hiob dar, und umfasste 35 Bände; es
wurde allgemein bewundert und exzerpiert, um es lesbarer zu machen. Vierzehn
Bücher umfassen schließlich seine gesammelten Briefe. Mit all dem beeinflusste
Gregor der Große die Geschichte der Kirche und der Christenheit auf Jahrhunderte
hinaus. Aber wie auch anderen geschah es ihm, dass der Prophet in der eigenen
Heimat nichts gilt. »Der Osten betrachtete ihn als Heiligen, Spanien als großen
Schriftsteller, England als seinen Apostel. Nur Rom ignorierte ihn mehr oder
minder, ein Unrecht, das erst im 9. Jahrhundert wieder gutgemacht wurde […] Er
hinterließ ein reiches Erbe: Wir verdanken ihm die Überlieferung exegetischer
Schriften, die Entwicklung volksnaher Predigten, die Förderung des Mönchtums im
Westen, eine effektivere päpstliche Verwaltung und den Erhalt einer speziell
römischen Sicht von Recht und Ordnung. Es verwundert nicht, das sein Epitaph ihn
als ›Konsul Gottes‹ bezeichnet. Gregor selbst gab sich einen bescheideneren
Titel: ›Diener der Diener Gottes‹«, so Maxwell-Stuart in seiner Chronik der
Päpste. Gregor der Große wurde heilig gesprochen, sein Tag ist der 3. September
(früher der 12. März). Es gibt viele Darstellungen von ihm, Holzschnitte,
Altartafeln, Abbildungen in Handschriften, häufig mit den vier Evangelisten. So
zeigt ihn eine deutsche Elfenbeinarbeit aus dem 10. Jahrhundert, die heute im
Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen ist, bei der Arbeit, wobei ihm der
Heilige Geist in Form einer Taube auf der Schulter sitzt und ihm ins Ohr
flüstert – sein ständiges Symbol wird die Taube. Er starb am 12. März 604 in
Rom, als dieses wieder an einer Hungersnot litt und das Volk ihm die Schuld
daran gab. Unvergessen bleibt, dass Gregor die weltliche Macht des Papsttums und
den Kirchenstaat vorbereitete und heute als einer der maßgeblichen Vermittler
zwischen christlicher Antike und abendländischem Mittelalter gilt.
3.
Kirche im Wandel der Zeiten
Viele Stationen waren entscheidend
für die Entwicklung des Christentums und der Kirche im Mittelalter. Großen
Einfluss hatte die Taufe des Frankenherrschers Chlodwig 496 in Reims zum
katholischen Glauben, da sich nun die lateinische Form des antiken Christentums
unter den Germanen zu verbreiten begann. Bedeutsam war auch die Tätigkeit des
heiligen Benedikt von Nursia (ca. 480–547(?)), der 529 das Benediktinerkloster
Montecassino gründete und ein Jahr später die Benediktinerregeln verfasste. In
Irland entstand die iroschottische Kirche, eine keltisch-griechische
Mönchskirche; ihre Missionare gelangten nach England und bis nach Oberitalien.
So konkurrierten zeitweise eine keltisch/griechisch-monastische und eine
lateinisch-bischöfliche Ausprägung des Christentums in Europa. Aber spätestens
seit der Taufe Chlodwigs und der Missionierung durch angelsächsische Mönche (wie
den »Apostel der Deutschen« Bonifatius (672/73–754), der 724 bei Geismar die
Donar-Eiche fällte), die sich eng an Rom hielt (eine Frucht der Aussendung von
Missionaren nach England durch Gregor den Großen), gewann in West-, Süd-, Nord-
und Zentraleuropa sowie dessen östlichen Teilen die katholische Kirche die
Oberhand. Im Osten lehnten sich die slawischen Völker bei ihrer Missionierung
vom 9. bis 11. Jahrhundert an Byzanz und das griechische Christentum an. Eine
große Herausforderung für die Christenheit brachten der Islam und die Eroberung
der iberischen Halbinsel seit 711. 787 wurde noch einmal ein Ökumenisches Konzil
abgehalten, das siebte und letzte, aber schon 863 kam es zu einer Entzweiung des
Papstes und des Patriarchen von Konstantinopel über die Frage der Vorherrschaft,
und 1054 zur endgültigen Trennung zwischen griechisch-orthodoxer Ostkirche und
römisch-katholischer Westkirche – der damals ausgesprochene gegenseitige
Kirchenbann wurde erst 1965 (!) formell aufgehoben. Seit der Kaiserkrönung Karls
des Großen 800 und der Gründung des »Heiligen Römischen Reiches«, das erst seit
etwa 1500 den Zusatz »deutscher Nation« bekam, im Zusammenhang mit der
Kaiserkrönung Ottos des Großen 962, erfolgte die Hinwendung im »westlichen Teil«
Europas, also Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Englands usw. immer stärker
nach Rom. Auch in dieser langen Zeit der Ausbreitung des Christentums und der
Erstarkung der Kirche, was sich bald in den heftigen Auseinandersetzungen
zwischen Königs-/Kaisertum und Papsttum zeigen sollte – der Investiturstreit und
der Gang nach Canossa 1077 sind dafür nur ein Zeichen – gab es Persönlichkeiten
mit dem Titel »der« oder »die Große«. Jene, die man dafür geeignet halten würde,
wie der große Kirchenlehrer Augustinus oder Benedikt von Nursia, wurden damit
allerdings nicht bedacht.
Einzelne bedeutende Christen im Mittelalter:
Nikolaus, Hugo, Wilhelm, Michael, Albert und Gertrud die Großen
Nicht in
allen Werken trägt er den Titel »der Große«, aber man findet ihn so zum Beispiel
in der Encyclopedia Americana: der eben erwähnte Papst Nikolaus I. Geboren wurde
er wohl um 800 oder 820 in Rom als Sohn einer vornehmen Beamtenfamilie und
genoss eine gute Ausbildung. Den drei Päpsten vor ihm diente er als enger
Berater, womit er natürlich auch entsprechenden Einfluss ausübte. 858 wurde er
zum Papst geweiht und – gekrönt und war damit der erste gekrönte Papst
überhaupt. Der König von Italien (seit 844) und spätere Kaiser Ludwig II. (geb.
ca. 822; reg. 855–875), der älteste Sohn von Kaiser Lothar I. (geb. 795; reg.
840–855), war bei der Krönung anwesend; Ludwig II. war 850 Mitkaiser seines
Vaters und 855 dessen Nachfolger geworden und begünstigte Nikolaus.
Mit
Nikolaus »bekam die Kirche einen Papst, der nicht mit sich handeln ließ«
(Maxwell-Stuart), und so waren auch die Jahre seines Pontifikats voller
Konflikte. Da sich der Patriarch von Ravenna, Johannes, von Rom unabhängig
machen wollte, geriet er in Auseinadersetzungen mit ihm. Als der Bischof von
Soissons, Rothad, von dem Erzbischof Hinkmar von Reims wegen Unbotmäßigkeit
abgesetzt wurde, unterstützte Nikolaus Rothad, der sich an ihn wandte, weil er
das Recht eines Bischofs (und des Klerus überhaupt), sich über die Autorität
eines Vorgesetzten beim Papst zu beschweren, für legitim hielt und er der
Ansicht war, der Papst habe das letze Wort. Nikolaus verteidigte die Rechte der
Kirche gegen Prinzen und weltlich ausgerichtete Bischöfe und förderte Recht und
Ordnung in ihr. Und so gab es noch andere Konflikte, so den um die Verweigerung
seiner Zustimmung zur Scheidung des Königs Lothar II. von Lothringen (geb. 835;
reg. 855–69), übrigens der Namensgeber für Lothringen, in dessen Folge er die
Erzbischöfe von Köln und Trier absetzte, die die Scheidung anerkannt hatten –
hier gab es dann sogar kriegerische Auseinandersetzungen und einen Konflikt mit
dem Kaiser. Am schwersten aber war sein Konflikt mit der Ostkirche. Anlass bot
die Missionierung unter den Bulgaren, die Nikolaus ebenso wie die in Dänemark
förderte. Der Fürst von Bulgarien, Boris I. (reg. 852–889; gest. 907 als
Mönch), sandte ihm seine berühmten 106 Fragen zu den Problemen bei der
Konversion in seinem Land, und Nikolaus antwortete darauf mit seinen ebenfalls
bekannten Responsa Nicolai ad consulta Bulgarorum.
Boris trat dann 864 mit dem Adel zum Christentum über und wurde der
erste christliche Fürst der Bulgaren und damit zum bulgarischen
Nationalheiligen (Tag: 15. Mai). Der rechtmäßig gewählte Patriarch von
Konstantinopel, Photius (820–897), heute einer der populärsten Heiligen
der Ostkirche (Tag: 6. Februar), wies aber diese päpstlichen
Jurisdirektionsansprüche zurück. Nicht nur hierbei, sondern auch in
anderen Fällen wandte er sich gegen Roms Primatsansprüche. Photius,
eine umfassend gebildete Persönlichkeit, unterstellte, dass man in Rom
mit der Lehre, der Heilige Geist habe seinen Ausgang im Vater und im
Sohne und dies ins Glaubensbekenntnis eingefügt habe, Häresie begangen
habe. Er betonte, dass Byzanz das Primat in Glaubensdingen gebühre, da
der ältere Bruder des Petrus, Andreas, von Jesus als Jünger zuerst
berufen worden sei. Umgekehrt bestritt man in Rom die Rechtmäßigkeit
der Wahl von Photius, da dieser illegalerweise Ignatius ausgeschaltet
habe, der aber der legitime Patriarch gewesen sei. Daraufhin wurde
Photius 863 von Nikolaus exkommuniziert und abgesetzt. Photius,
wutentbrannt, berief darob 867 eine Synode der Kirchen ein, die die
Streitpunkte klären sollte. Zu ihr erschien Nikolaus erst gar nicht;
daraufhin wurde er auf der Synode zum Ketzer erklärt und nun
seinerseits exkommuniziert und abgesetzt. Dies führte zu der oben
erwähnten ersten Spaltung der West- und Ostkirche, dem sogenannten
Photianischen Schisma, das man im Westen der Ostkirche anlastete, auch
wenn sich diese in ihrer Lehre bzgl. des Heiligen Geistes bei der
nächsten Synode (870) vorübergehend durchsetzte. Nikolaus erlebte das
nicht mehr, erfuhr auch nichts von seiner Absetzung durch die
Ostkirche. Er starb am 13. November 867 in Rom. Wurde Nikolaus von
Gerechtigkeitssinn geleitet, oder war es Starrsinn, wie es ihm viele
Kritiker vorhielten? War es Ernsthaftigkeit und Willenskraft oder nur
Engstirnigkeit und Verbohrtheit, die ihn antrieben, oder gar der
Einfluss des von ihm eingesetzten Leiters der Vatikansbibliothek, des
Gelehrten Anastasius, wie manche behaupten? Er stützte sich auf die
angeblich von Christus verliehene Autorität der Päpste und trachtete
sie auch in Form einer allumfassenden Befehlsgewalt auszuüben. Er sah
sich wohl auch schon als päpstlicher »Beschützer des Reiches« in einer
Zeit, als das Frankenreich nach dem Tode Karls des Großen zerfiel.
Seine Standfestigkeit und Prinzipientreue, die ihn auch vor Konflikten
nicht zurückschrecken ließen, machten ihn in dem Augen vieler zu einem
der bedeutenderen Päpste, so dass er eben auch den Titel »der Große«
zugesprochen erhielt. Eine seiner größten Leistungen bestand darin,
dass er 866 die Anwendung der Folter als unvereinbar mit der
christlichen Lehre verbot. Dieses bei allen Völkern und Kulturen in der
Geschichte und gerade auch im römischen Reich übliche Mittel zur
»Wahrheitsfindung«, meist aber als Strafe oder Züchtigung und nicht
zuletzt als »reine Quälerei aus niederen Motiven« verwendet, wie sie
von Beestermöller und Brunkhorst charakterisiert wird, war gerade auch
während der Christenverfolgungen gang und gäbe gewesen, wie nicht nur
die zahlreichen Märtyrerberichte erweisen, aber am Ende der Antike war
sie in den Hintergrund getreten. Diese Entwicklung setzte sich dank der
Abschaffung durch Nikolaus weiter fort. Erst im Hochmittelalter griffen
weltliche und geistliche Macht wieder immer mehr darauf zurück, und
1252 ermächtigte Papst Innozenz IV. (Pontifikat 1243–1254) die
weltliche Obrigkeit ausdrücklich, bei der Inquisition die Folter zu
verwenden, »ein Versagen der Kirche« (a. a. O) ohne gleichen. Die Encyclopedia Americana bezeichnet Nikolaus als herausragenden
Papst des Mittelalters, fromm, gütig, fähig, würdig, energisch und eloquent.
Schließlich wurde er heilig gesprochen – sein Gedenktag ist der 13. November.
Ein diplomatischerer Charakter war Hugo der Große. Auf weitere Träger dieses
Namens werden wir später treffen. Er war ein Benediktiner und wurde 1024 in
Semur-en-Auxois in Frankreich geboren. Ab 1049 war er Abt des Kosters Cluny. Als
Legat und Berater der damaligen Päpste zählte er die Kaiser Heinrich III.
(geb.1017; reg. 1039–1056) und Heinrich IV. (geb. 1050; reg. 1056–1106,
zunächst unter Vormundschaft), der 1077 den berühmten Gang nach Canossa antrat,
zu seinen Freunden. Im Investiturstreit, der in Canossa einen Höhepunkt
erreichte, trat er als Vermittler des Kaisers auf. Wie es heißt, kam unter Hugo
die kluniazensische Reform zu ihrer höchsten Blüte. Dazu muss man wissen, dass
die Gründung der Benediktinerabtei Cluny 910 mit dem Privileg der freien Abtwahl
verbunden war; d. h. weder weltliche noch kirchliche Macht hatten darauf
Einfluss, und das Kloster war allein dem Papst unterstellt. So konnte sich in
Cluny ein weitgehend unabhängiges Klosterleben im Geist der »Freiheit der
Kirche« entwickeln; weitere Klöster mit dieser Gesinnung wurden unter der
Beobachtung von Cluny gegründet. Unter Hugo dem Großen existierten etwa
zweihundert Abteien, Priorate und klösterliche Eigenkirchen; es handelte sich um
den größten Klosterverbund seiner Zeit. Die einzelnen Klöster wurden von Prioren
geleitet, die dem Abt von Cluny unterstellt waren. Ziel der Kluniazenser war
eine grundlegende Erneuerung und geistige Reform des Klosterwesens bzw. des
Mönchtums; letztlich war, davon als Keimzelle ausgehend, die Heiligung und
Vervollkommnung der Welt das eigentliche Ziel. Cluny und die davon ausstrahlende
Bewegung haben die Kirche stark vorangebracht und verloren erst im 12.
Jahrhundert an Bedeutung. Hugo der Große starb am 28. 4. 1109 in Cluny, auch er
sicher ein rechtmäßiger Träger des Titels, mit dem er offiziell bedacht wurde.
Unterschiedlicher Ansicht darüber kann man bei dem Heiligen Wilhelm von
Maleval sein, der auch nur von seinen Anhängern so genannt wurde. Woher
er stammte, ist unbekannt; vielleicht war er ein Franzose. So viel weiß
man von ihm, dass er als junger Mann ein eher stürmisches Leben führte
und ein tapferer Ritter war, sich aber dann, nachdem er sich ausgetobt
hatte, Papst Eugen III. (Pontifikat 1145–1153) fügte, der ihm als Buße
eine Reise ins Heilige Land auferlegte, und sich in eine unabnehmbare
Rüstung einschmieden ließ. In diesem Büßergewand pilgerte er 1145 nach
Rom und – man höre und staune – tatsächlich nach Jerusalem. Bei seiner
Rückkehr 1153 ließ er sich in Italien nieder, nach einigen anderen
Orten bei Siena in der unwirtlichen Einöde Maleval (»Wildenthal«, wie
der Ort und das dort erbaute Kloster noch heute heißen) und lebte dort
als Eremit zunächst in einer Erdhöhle, später in einer Zelle, wo er
seine strikten Bußübungen vollführte, bis zu seinem Tode 1157. Papst
Innozenz III. (geb. 1160/61; Pontifikat 1198–1216) sprach ihn ob der
Wunder, die sich an seinem Grab ereignet haben sollen, 1202 heilig;
sein Tag ist sein Todestag, der 10. Februar, und seine Schüler
stifteten den nach ihm benannten Wilhelmiten-Orden, der seinen
geistigen Vater als Wilhelm den Großen verehren ließ; der Orden selbst
verbreitete sich in etlichen Ländern und auch in Südwestdeutschland.
Zunächst lebten seine Mitglieder sehr streng nach dem Vorbild ihres
Meisters, aber Papst Gregor IX. (geb. ca. 1155; Pontifikat 1227–1241)
milderte ihre Regeln, indem er ihnen die Benediktiner-Statuten gab.
Wilhelm der Große lebte nicht nur im Gedächtnis fort, sondern auch in
vielen Bildern und Darstellungen, so in Frankfurt (Städel), Freiburg
(Augustinermuseum), sogar in einem Glasfenster im Straßburger Münster
und im Dom in Münster, Westfalen, immer mit seiner festen Rüstung,
manchmal mit einem Mantel darüber, mit Pilgerstab, Krückstock und
Rosenkranz, zumeist auch unbeschuht, und einem mächtigen Schild, das
Lilien und Hörner aufweist, neben sich.
Im Zusammenhang mit den Kreuzzügen
ragt noch ein weiterer »Großer« hervor. Über die Anfänge der
armenischen Kirche und ihre »Großen« Nerses und Isaak ist bereits
berichtet worden. Mit ihr erreichte 726 die syrisch-orthodoxe Kirche
eine Union; die Entwicklung der letzteren war allerdings nicht minder
von Rückschlägen begleitet wie die der armenischen. Schismen im 8. und
9. Jahrhundert beeinträchtigten das kirchliche Leben, und im 10. kamen
die Verfolgungen durch Byzanz dazu. Immer wieder überwarfen sich die
armenische und die syrisch-orthodoxe Kirche. Aber schließlich kam es im
12. Jahrhundert zu einer Aussöhnung. Sie war dem hervorragenden
Patriarchen der syrisch-orthodoxen Kirche Michael I. dem Großen zu
verdanken. Er wurde auch Michael der Syrer (Michael Syrus) genannt,
aber in die Fachbücher ging er vorzugsweise als Michael der Große ein.
Geboren wurde er 1126 in Melitene, dem heutigen Eski Malatya in der
Türkei. Mit vierzig Jahren wurde er Patriarch der syrisch-orthodoxen
Kirche in Antiochia. Zu den Kreuzfahrern unterhielt er zwar gute
Beziehungen, aber er war ja als Untertan muslimischer Herrscher nicht
völlig unabhängig, und doch gelang es ihm, seine Kirche zu reformieren
und dadurch auch in diesen rauen Zeiten zu erhalten und weiter zu
entwickeln. Wiederholt nahm er Einladungen des byzantinischen Kaisers
nicht an, sicher nicht nur wegen seiner Zugehörigkeit zur muslimischen
Oberhoheit, sondern auch aus dogmatischen Gründen. Michael ist uns
weniger als Autor von Büchern zur Liturgie und Dogmatik noch heute
bekannt, sondern vor allem als Verfasser einer 21 bändigen Weltchronik,
die bis 1194/95 reicht. Erst im 18. Jahrhundert in Europa bekannt und
viel später, zwischen 1899 und 1910, aus dem Syrischen ins Französische
übersetzt, ist diese Chronik von unvergleichlichem Wert u. a. für die
Kreuzfahrerzeit, und das nicht nur wegen ihrer historischen und
sozioökonomischen Informationen, sondern auch aufgrund ihrer
naturkundlichen Darstellungen. Michael der Große starb am 7. November
1199.
Als
Naturforscher und -kundler war ein weiterer »Großer« Pionier, der aber der
Nachwelt vor allem als Philosoph und Theologe überliefert ist. Mit Recht trug
sicher Albert der Große, Albertus Magnus, diesen Titel. Er wird darüber hinaus
auch zu den »echten«, also vom Papst so betitelten Kirchenlehrern gerechnet. Um
1200 (oder 1193) als Sohn eines Ritters von Bollhardt bei Lauingen an der Donau
geboren, trat er 1223 (oder 1229) während seines Studiums in Padua in den
Dominikanerorden ein und übte später als Naturforscher, Philosoph und Theologe
einen enormen Einfluss aus. An verschiedenen deutschen Ordensschulen lehrte er,
er hielt sich auch kurzzeitig in Hildesheim auf, worüber der spannende
Historienroman von Peter Hereld Das Geheimnis des Goldmachers (dieser ist eben
Albertus Magnus), wenn auch natürlich nicht verbürgt, erzählt; aber: »Mit
gewissen Vorbehalten bekennt er [Albert] sich zu der Theorie der Alchimisten
(heute der Kernphysiker) von der Umwandelbarkeit der Elemente« (Will Durant).
Albert verbrachte die Jahre 1245 bis 1248 an der Universität Paris, wo er seinen
Doktorgrad erhielt, und ging danach nach Köln als Verweser des neu errichteten
Dominikanerhauses, unterstützt von Thomas von Aquin, der in Paris sein Schüler
gewesen war. Schon damals bezeichnete man ihn ob seiner herausragenden Bildung
als »Doctor universalis«. Von 1254 bis 1257 war er Provinzial der deutschen
Ordensprovinz der Dominikaner, von 1260 bis 1262 Bischof von Regensburg; in den
Jahren danach predigte er im Auftrag des Papstes Urban IV. (geb. ca. 1200;
Pontifikat 1261–1264) in Deutschland und Böhmen den Kreuzzug, und seit etwa
1270 lebte er schließlich als Gelehrter und Lehrer in Köln.
Der
Hauptverdienst Alberts des Großen bestand darin, dass er, der von einer
unglaublichen, allumfassenden Wissbegier beseelt war, dem christlichen
Mittelalter die Werke des Aristoteles zugänglich machte und arabische und
jüdische Wissenschaft nach Europa vermittelte. Er schrieb über viele
unterschiedliche Gebiete, entwickelte aber kein einheitliches und in sich
homogenes philosophisches System. Er unterschied klar zwischen Theologie und
Philosophie und versuchte, aus den Lehren des Aristoteles und des Neuplatonismus
eine Synthese zu erstellen. Auch führte er als neuen Weg des Denkens ein,
Philosophie und sonstige Studien unabhängig von der Theologie zu betreiben; dass
er bezüglich Astrologie und Wahrsagerei ein Kind seiner Zeit war und
Seemannsgarn oder Jägerlatein allzu leicht auf den Leim ging, gehört ebenso zu
dem Bild, das die Nachwelt von ihm gewann, wie, dass er für mythische Geschöpfe
wie Harpyien oder den Vogel Greif allenfalls ein müdes Lächeln übrig hatte (Will
Durant). Unter anderem betonte er auch die Geistigkeit und Unsterblichkeit der
menschlichen Seele. Vor allem auf dem Gebiet der Zoologie und Botanik galt er
als einer der bedeutendsten Naturforscher seiner Zeit. Nicht nur Bergwerke und
Laboratorien besuchte er und studierte die verschiedenen Metalle, sondern er
untersuchte konkret die Pflanzen- und Tierwelt seiner Heimat und nahm auch
selbst Experimente vor, wenn er sich auch sonst meist an Aristoteles hielt. Da
er die »Natur« sehr genau in Augenschein nahm, konnte er im sogenannten
Universalienstreit eine mittlere und vermittelnde Position einnehmen. In dieser
Auseinandersetzung ging es um die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt der
Allgemeinbegriffe (Universalien) im Verhältnis zur Realität der Einzelobjekte.
Im Gegensatz zu dem extremen Begriffsrealismus eines Anselm von Canterbury oder
Wilhelm von Champeaux (ca. 1070–1122), nach dem die Allgemeinbegriffe eine von
der des Einzelobjekts verschiedene Realität in den Ideen haben, aber auch im
Gegensatz zu dem Nominalismus, dem gemäß die Allgemeinbegriffe nur
Einzelbegriffe zusammenfassen und keine eigene Wirklichkeit haben, wie ihn z. B.
Roscelin von Compiègne (ca. 1045 – nach 1120) vertrat, lehrte Albertus Magnus
(und mit ihm in unterschiedlichen Akzentuierungen sein Schüler Thomas von Aquin
sowie Pierre Abälard (1079–1142)), dass zwar die Allgemeinbegriffe keine
eigene Realität, aber eine Verankerung in der Welt der existierenden Dinge
haben. Gott müsse man in den Naturursachen suchen, er wirke durch sie, aber die
Naturerscheinungen seien nicht gleich dem »Gotteswillen«.So eine Haltung konnte
man einnehmen, wenn man die Realität erforschte. Albert wurde zum Pionier der
Entwicklung der experimentellen Wissenschaften.
Albertus Magnus starb am 15.
November 1280 in Köln; dieser Tag ist auch sein Gedenktag als Heiliger (die
Heiligsprechung erfolgte erst 1622). Seine Gebeine wurden in der Kirche St.
Andreas in Köln beigesetzt, aber 1954 aus einem gotischen Holzschrein in einen
römischen Sarkophag umgebettet. Von ihm gibt es etliche Darstellungen als
einfachen Dominikaner, aber auch als Bischof mit Stab, Buch und Mitra, dazu auch
oft noch mit Schreibfeder. Vor der Universität Köln wurde ihm 1956 ein
überlebensgroßes Bronzedenkmal aufgestellt. Als im Zusammenhang mit dem
Grundlagenstreit der modernen Mathematik und Logik der alte Universalienstreit
des Mittelalters eine Neubelebung erfuhr, kam auch Albertus Magnus noch einmal
zu neuen Ehren. Allein schon der Umfang seines Riesenwerkes brachte ihm den
Titel »der Große« ein.
Gertrud die Große (Wikipedia)
Unser Streifzug durch die »Großen« in der Geschichte
des Christentums endet mit einer Frau, einer Mystikerin, über die man aber in
weiter verbreiteten Darstellungen nicht viel findet. Hier steht immer Hildegard
von Bingen (1098–1179) im Vordergrund, wahrscheinlich zu Recht, weil diese
nicht nur als Visionärin, sondern auch auf anderen Gebieten wie der
Naturwissenschaft und der Heilkunde oder auch durch ihre Kontakte zu Papst und
Kaiser einen hohen Ruf gewann. Aber ihr hat man den Titel »die Große« nicht
verliehen. Gertrud die Große wurde 1256 wahrscheinlich in Thüringen geboren.
Schon mit fünf Jahren kam sie ins Zisterzienserinnenkloster Helfta im heutigen
Sachsen-Anhalt,
wo sie von der gebildeten und feinsinnigen Äbtissin Gertrud von Hackeborn
erzogen wurde, die 1251 schon mit 18 Leiterin des Klosters geworden war und ihm
bis zu ihrem Tode 1291 vorstand – sie erhob das Kloster zu einer der
einflussreichsten Stätten der Bildung und des geistlichen Lebens im damaligen
Sachsen bzw. Thüringen,
wo viele Töchter des thüringischen Adels eine Heimat fanden. Die Suche nach der
religiösen Gewissheit führte zum Aufkeimen mystischen Gedankengutes in dem
Kloster. Die Begine Mechthild von Magdeburg (ca. 1207–1282) verbrachte hier
die letzten zwölf Jahre ihres Lebens und verfasste das »fließende Licht der
Gottheit«; Mechthild von Hackeborn (1241–1299), die jüngere Schwester der
Äbtissin, ließ ihre Visionen von anderen Schwestern niederschreiben; ihre
Schriften verbreiteten sich und regten viele andere zu ähnlichem Leben an. Hier
war auch der richtige Ort für die Entfaltung der Mystik Gertruds, die am 27.
Januar 1281 die für sie entscheidende Heilandsvision erlebte. Erst acht Jahre
später begann sie mit der (lateinischen) Niederschrift ihrer Offenbarungen. Seit
ihrer ersten Vision fühlte sie sich mit Christus in inniger mystischer
Verbundenheit vereinigt; ihre Schriften, die auf die Mystik und
Erbauungsliteratur einen großen Einfluss ausübten, geben einen geheimnisvollen
Einblick in ihr Leben mit dem Heiland; ihre »Jesusminne« ebnete der liturgischen
»Verehrung des Herzens Jesu« den Weg. Im Zentrum ihrer persönlichen Frömmigkeit
stand die Eucharistie und die Verehrung des Herzens Jesu. Sie starb, genannt
Gertrud die Große, am 13. November 1302 in Helfta, das heute zu Eisleben gehört.
Erst 1678 wurde sie in das römische Heiligenverzeichnis aufgenommen (ihr
Gedenktag ist der 17. November), und daher gibt es Darstellungen von ihr erst ab
dem 17. Jahrhundert: u. a. einen Kupferstich, ein Altargemälde und eine Statue
aus dem Jahr 1759 in Engelszell in Oberösterreich. Meist wurde sie mit Buch und
Kruzifix in ekstatischer Haltung gezeigt. In Zwiefalten steht eine Altarstatue
von 1750; hier wird sie in Nonnenkleidung mit Abtstab dargestellt, und sie zeigt
auf ihr geöffnetes Herz, in dem ein kleines Jesuskind erscheint. Auf dem
Spruchband in ihrer Hand kann man lesen: »In corde Gertrudis invenietis me.«
Heute ist Gertrud die Große nur noch Eingeweihten bekannt; in populären
deutschen Literaturgeschichten wie die von Frenzel findet sich zwar Mechthild
von Magdeburg, aber nicht Gertrud, und auch unter den 30 Beispielen für Mystik
im Christentum, die Werner Thiede neuerdings beschrieben hat, ist sie nicht
aufgenommen. Zu ihrer Zeit und in den folgenden Jahrhunderten hat sie aber große
Bedeutung erlangt, und sie gilt heute dank ihrer Schriften als eine der größten
deutschen Mystikerinnen. In der Kathedrale von Palma de Mallorca ist eine Statue
von ihr zu bewundern. Was aber kaum jemandem bekannt oder bewusst ist: Die
Begeisterung für Gertrud war zu Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts
in ganz Europa verbreitet und griff auch auf die neue Welt über. Schon 1609,
drei Jahre nach den Nonnen des hl. Johannes des Evangelisten in der Stadt Lecce
in Süditalien, erhielt die Ordensgemeinschaft von der Unbefleckten Empfängnis
der seligen Jungfrau Maria im Vizekönigreich Mexiko ein Offizium nach Art des
römischen Breviers für St. Gertrud. Auf Bitten des Königs von Spanien wurde
Gertrud die Große zur Patronin von West-Indien, also der Neuen Welt, erhoben,
eine unglaubliche Ehre. Das Volk stimmte voll Freude zu und feierte in Peru ihre
Ernennung mit einem großen Fest. Gertruds Spuren finden sich noch heute in
vielen Kirchen in Lateinamerika, in Brasilien (Sao Paulo, Rio de Janeiro), Peru,
Chile, Mexiko und Kuba. Deutschland spielte bei der Eroberung Lateinamerikas
durch die Spanier und Portugiesen kaum eine Rolle, und doch ist es die deutsche
Mystikerin, die die Patronin der katholischen Neuen Welt geworden ist!