Teil II

Antike

  
  
Wie schon in der Einleitung zu Teil I beschrieben, bezieht sich der Begriff »Antike« auf das griechisch-römische Altertum. Die Geschichte Griechenlands und des Römischen Reiches war bestimmend für viele Jahrhunderte und relevant auch für eine große Anzahl anderer Völker und Staaten jener Zeit. Diese brachten ebenfalls eine Reihe von »Großen« hervor, die in unserem Kontext Erwähnung und Darstellung verdienen. Ihre oft mit einander verflochtenen oder nur in ihrer gemeinsamen Darstellung verständlichen Lebensgeschichten zu trennen, wäre nicht sachgerecht, würde zu umständlichen Wiederholungen der geschichtlichen Umstände führen und damit nur verwirren. Schon bei Dareios dem Großen wäre zu überlegen gewesen, ihn in Verbindung mit der griechischen Geschichte zu schildern; dies wurde jedoch wegen der Bedeutung und Eigenständigkeit des persischen Reiches unterlassen.


1. Griechenland

Der Gottkönig: Alexander der Große

Die Römer waren es, die ihm, weil sie ihn bewunderten, den Titel »der Große« verliehen. Zwar gab es auch eine alexanderfeindliche Tradition. Danach war Alexander nur ein blutdürstiger Eroberer, Schlächter, Gewaltherrscher, Soldatenschinder und Trunkenbold; so dachten u. a. der römische Philosoph Seneca (ca. 4 v. Chr.–65 n. Chr. (Selbsttötung)), der die Frage nach seiner geistigen Gesundheit stellte, und der römische Kaiser Mark Aurel (geb. 121; reg. 161–180 n. Chr.) der »Philosoph auf dem Kaiserthron«; und noch vor nicht all zu langer Zeit hat der Autor Frank Fabian ihn, den »elenden Massenmörder«, den »Bluttrinker«, als »erbärmlichen Wicht« bezeichnet. Ganz anders aber bedeutende römische Feldherren wie Lucius Cornelius Sulla, Pompeius und Cäsar, die ihm ihre Reverenz erwiesen! Und vor allem Augustus, der einen Siegelring mit Alexanders Bild trug und sich mit einer Zangenlocke auf der Stirn ähnlich wie Alexander darstellen ließ – er betrachtete Alexander als Triumphator und Friedensbringer, und er nahm ihn sich gewissermaßen als Vorbild.

Ursprünglich waren seit Beginn des 2. Jahrtausend v. Chr. indogermanische Stämme ins heutige Griechenland eingewandert, Ionier, Äoler und Achaier, die sich mit den alteingesessenen Völkerschaften vermischten. Im Lauf der Zeit entstanden seit etwa 1550 v. Chr. unter dem Einfluss der minoischen Kultur Kretas die mykenische Kultur und größere Territorialherrschaften mit befestigten Mittelpunkten, wie Mykene, Athen, Theben, Pylos und Argos. Seit etwa 1100 v. Chr. kamen die Dorier auf ihrer »dorischen Wanderung« nach Mittel-Griechenland und den Peloponnes, wo sie sich – unter Abdrängung der Ionier und Äoler nach Kleinasien – ansiedelten. Nach dieser als Frühzeit bezeichneten Epoche begann die »archaische«, die von etwa 800 bis 500 v. Chr. dauerte. Die Hellenen begannen sich auszubreiten und Kolonien zu gründen, wie Syrakus auf Sizilien, um nur eine berühmte Siedlung zu nennen, aber sie kamen nicht nur dorthin, sondern auch nach Unteritalien, zum Bosporus, an das Schwarze Meer, die Küsten des Hellesponts und nach Nordafrika. In Griechenland selbst kristallisierten sich Sparta, das sich die Vorherrschaft auf dem Peloponnes sicherte, und Athen, in dem 507 v. Chr. die Grundlage der Volksherrschaft (Demokratie) gelegt wurde, als Hauptmächte heraus. Die Kultur in Griechenland war also schon weit entwickelt, als die Perser unter Dareios I. dem Großen auf den Plan traten.

Nach dem Sieg der Griechen über die Perser erhöhten sich die Spannungen zwischen Athen und Sparta. Im Peloponnesischen Krieg (431-404 v. Chr.) kämpften beide um die Macht in Griechenland, die Athen verlor. Aber auch Sparta, von Persien – die inneren griechischen Zwistigkeiten schürend – im Krieg gegen Athen unterstützt, hatte wenig von dem Sieg; gegen seine Herrschaft erhoben sich verschiedene Städte wie Korinth, Athen und Theben, als es gerade gegen die Perser in Kleinasien zu Felde zog. Es kam zum sogenannten Königsfrieden, in dem die griechischen Städte Kleinasiens und Zypern Persien unterstellt wurden. Nun war es an den Thebanern, die spartanische Vorherrschaft endgültig zu vernichten (371). Nach einer kurzen Übermacht Thebens machte es die innere Zerrissenheit Griechenlands den Makedoniern unter Philipp II. (geb. um 382, reg. seit 359 v. Chr.) leicht, ganz Griechenland unter ihre Vorherrschaft zu bringen (338). Zwei Jahre später wurde Philipp von einem Attentäter aufgrund einer Privatrache getötet. Nun schlug die Stunde des damaligen zwanzigjährigen Alexander, dem Sohn Philipps, der entgegen anderslautenden Gerüchten und Unterstellungen sicher nichts mit dem Attentat zu tun hatte. Er war Schüler des bedeutenden Philosophen Aristoteles (384–322 v. Chr.) und damit von seinem Geist und Horizont her seinen Zeitgenossen weit voraus. Anerkannt von Hof und Heer, wurde er der neue Herrscher. Theben erhob sich gegen ihn, aber er warf den Aufstand nieder – Theben wurde zerstört, auch die übrigen Aufständischen, z. B. im Donauraum, wurden in einem raschen Siegeszug bezwungen. Und nun konnte der Rachezug gegen Persien, den schon Philipp angefangen hatte vorzubereiten, beginnen.
     Die Leistung Alexanders mitsamt seines Heeres war unglaublich. Zunächst befreite er die ionischen Städte von persischer Herrschaft. Nach seinem Sieg über das persische Heer am Granikos im Mai 334 schlug er bei Issos in dem legendären Jahr 333 v. Chr., im November, den persischen Großkönig Dareios III. Kodomannos (geb. ca. 380, reg. seit 336 v. Chr.) vernichtend. Dieser musste fliehen und bot Alexander Frieden und den Tauros als Grenze an. Alexanders alter General Parmenion (ca. 400–330 v. Chr.) soll damals die Meinung vertreten haben: »Wenn ich Alexander wäre, nähme ich das Angebot an«, worauf Alexander geantwortet haben soll: »Das täte ich auch, wenn ich Parmenion wäre.« Alexander ließ nicht locker. Die Stationen seines berühmten Eroberungszuges sind bekannt. Er eroberte Tyros und Gaza, gewann Ägypten, gründete dort Alexandria (es folgten noch viele Stadtgründungen mit diesem Namen) und wurde in der Oase Siwa von ägyptischen Priestern als Sohn des Gottes Amun und damit als Nachfolger der Pharaonen anerkannt – er fühlte sich bereits als König von Asien und trug den entsprechenden Ornat. Dareios trat ihm nun mit seiner ganzen Streitmacht entgegen – er verlor 331, vernichtet, bei Gaugamela, und Alexander besetzte ein Jahr später Babylon, das er zur künftigen Hauptstadt erkor. Nun strebte er nach der Herrschaft über ganz Persien. Nach Eroberung des persischen Kronschatzes in Ekbatana, dem heutigen Hamadan, bezwang er Persepolis, wo er aus Rache für den Brand der Akropolis durch persische Angriffe den Palast einäschern ließ, und verfolgte dann gnadenlos den persischen Großkönig, bis dieser von seinen eigenen Gefolgsleuten getötet wurde (330 v. Chr.). Diese ließ Alexander allerdings nach persischer Art als Hochverräter hinrichten. Das Persische Reich hatte aufgehört zu existieren, Dareios III. war der letze Achaimenide gewesen. Seine Tochter Stateira heiratete 324 v. Chr. Alexander. Dieser hatte mittlerweile noch weiter ausgegriffen. Er überquerte 330 den Hindukusch, unterwarf 329/328 Baktrien und Sogdiana, also den Nordost-Iran, wo er sich mit Roxane, der Tochter des baktrischen Fürsten, vermählte. Ein Jahr später drang er weiter bis nach Indien vor, überschritt den Indus, besiegte 326 den König Poros am Hydaspes und kam noch bis an den Hyphasis. Dort hat ihn angeblich sein meuterndes Heer zur Rückkehr gezwungen, was aber umstritten ist – es könnten auch die Unbillen des Wetters gewesen sein. Überhaupt ist selbstverständlich, dass sich einer derartig herausragenden Gestalt die Sagen und Legenden annahmen, und das schon zu Lebzeiten. Da ist die Geschichte vom Durchschlagen des Gordischen Knotens – wer den Gordischen Knoten löse, würde der Herrscher der Welt oder zumindest Asiens werden, und tatsächlich hat Alexander ein Weltreich gegründet. Oder da ist die liebenswerte Geschichte von der Amazonenkönigin Thalestris, die Alexander bewunderte und ihm entgegen zog, um dann 13 Nächte mit ihm zu verbringen, weil sie sich von ihm ein Kind, einen Sohn, wünschte. Von ihm tatsächlich schwanger, fällt sie bald danach in einem Gefecht, und mit der realen Eroberung der Gebiete, wo man das Amazonenreich verortete, durch Alexander verschwindet gleichzeitig das mythische Amazonenreich. Alexanders Rückkehr nach Babylon nach all seinen Erfolgen und Strapazen wurde als bombastischer Triumphzug ausgemalt. Auch sein Tod ist von der Legende umwuchert – angeblich ist er durch Gift, das ihm sein ehemaliger Lehrer Aristoteles, aus Rache für die Hinrichtung seines Großneffen Kallisthenes als vermeintlichen Verschwörer, verabreicht haben soll, gestorben. Aber auch das ist unwahrscheinlich. Alexander starb am 10. Juni 323 v. Chr. in Babylon wahrscheinlich an körperlicher Erschöpfung. Noch viele andere Legenden ranken sich um ihn, so z. B., dass sich vor seinem Heer das Meer an der Küste Lykiens zurückgezogen haben soll, und vor allem, dass zu seinen Vorfahren Herakles und Achill gehörten, und auch, dass sich der letzte Pharao bei Alexanders Mutter Olympia als Zauberer eingeschlichen habe, so dass Alexander also auch ein unehelicher Sohn des letzten Pharao gewesen sei. Der antike Alexander-Roman mit all seinen fantastischen Ausschmückungen, Legenden und Wundern war im Mittelalter so weit verbreitet, dass er nur noch von der Bibel übertroffen wurde.
     Auch wenn Alexanders Reich nach seinem Tod in der Realität sehr schnell zerfiel und sich in den »Diadochenkämpfen« zerfleischte, blieb von Alexander tatsächlich ein »Weltreich« mit all seinen Konsequenzen bis heute, nämlich der Hellenismus, einer, wie ihn Historiker bezeichneten, neuen Weltepoche, in der sich die griechische Kultur im ganzen Mittelmeergebiet ausbreitete und dieses dominierte. Die griechische Sprache wurde universal. Alexanders Absicht war nicht nur die Gleichstellung, sondern die Verschmelzung der Völker. Er achtete die Gebräuche und Religionen der von ihm besiegten Völker, opferte ihren Göttern und reihte ihre Soldaten in sein Heer ein. Dies alles nur als großartige Propaganda-Show, als Public Relation im Hinblick auf die Heraushebung des eigenen Gottkönigtums zu interpretieren, wie es Fabian tut, greift doch etwas kurz. Alexander hat die Bedrohung durch die Perser endgültig beseitigt und dadurch die weitere Entwicklung des Demokratiegedankens ermöglicht. Der Historiker Demandt zählt den Alexanderzug mit Recht zu den Sternstunden der Menschheit, vor allem, weil »er den großangelegten und zukunftsweisenden Versuch unternommen [hat], den Gegensatz von Griechen und Barbaren zu überwinden, ein Reich der Eintracht und der Gleichberechtigung zu errichten und den Kriegsgott Polemos selbst zu bezwingen.« Ein anderer Historiker bemerkte, dass ohne die Tat Alexanders das Christentum sich nicht hätte verbreiten können, denn die Weltsprache war nun griechisch. Wenn einer den Titel »der Große« verdient hat, dann Alexander.
     Alexanders Nachfolger haben seine Ideen nicht aufgegriffen, wohl aber die Römer, vor allem der erste römische Kaiser Augustus (ursprünglich Gaius Octavius; geb. 63 v. Chr.; reg. als Alleinherrscher 31 v. Chr. bis 14 n. Chr.), der den Reichsfrieden stiftete, den Pax Romana, die andere Voraussetzung für die Ausbreitung des Christentums. Augustus sah sich in der Nachfolge Alexanders, aber ihm hat die Geschichte den Titel »der Große« nicht gegeben. Die Römer eroberten Griechenland endgültig 146 v. Chr., aber damit besiegelten sie nicht das Ende seiner Ideen.


2. Rom

Von der frühen römischen Geschichte gibt es überwiegend nur Rekonstruktionen, die meisten aus späterer Zeit. Im 10. und 9. Jahrhundert v. Chr. lebten im Gebiet des heutigen Rom schon Latiner und Sabiner. Um 650 fassten die Etrusker die bisherigen Siedlungen zu einer Stadt mit dem etruskischen Namen Roma (abgeleitet von einem Geschlechternamen) zusammen. Rom selbst soll am 21. April 753 v. Chr. gegründet worden sein; die Stadt war also anfangs ein etruskischer Stadtstaat. Die ersten sieben Könige Roms sind legendär, ihre Namen weisen aber zum Teil auf die alte etruskische Herrschaft hin. 509 v. Chr. wurde der letzte etruskische König vertrieben, und Rom wurde Republik mit dem Senat als höchstem politischen Organ. 507 weihten die Römer bereits den Jupitertempel auf dem Kapitol, wodurch Rom auch zum kulturellen Zentrum avancierte. Die nächsten Jahrhunderte waren gekennzeichnet durch Wachstum speziell im 5. und 4. Jahrhundert (nach der Zerstörung durch die Gallier 386 v. Chr. musste Rom allerdings erst einmal wieder aufgebaut werden), den Ständekampf, durch den das »Volk« immer mehr Rechte gewann, und die Ausdehnung der römischen Macht nach Mittel- und Süditalien; letztere war mit der Unterwerfung der Messapier 266 v. Chr. endgültig vollendet. Bald danach befinden wir uns schon direkt in der berühmten Auseinandersetzung mit Karthago, das die aufstrebende Großmacht Rom tief erschütterte, und hierbei begegnen wir den ersten »Großen« im Zusammenhang mit der römischen Geschichte, wenn es sich auch dabei nicht um Römer handelte.

Zwei gegensätzliche Zeitgenossen: Hanno und Antiochus die Großen

Drei Kriege führten die Römer gegen die Punier, d. h. die Karthager, um die Vormacht im westlichen Mittelmeerraum; darum werden sie die Punischen Kriege genannt. Im 1.Punischen Krieg, der von 264 bis 241 v. Chr. dauerte, ging es vorrangig um Sizilien, das 241 an Rom fiel, mit Ausnahme des mit ihm verbündeten Syrakus. 237 wurde von Rom dann die Abtretung Sardiniens und Korsikas erzwungen. Alle drei Inseln erhielten in den Jahren 228/227 Provinzstatus. Zwischen 247 und 241 führte der karthagische Feldherr Hamilkar Barkas als Meister des Kleinkrieges einen für die Römer verlustreichen Kampf gegen diese im Westen Siziliens, aber nach der Niederlage der Karthager bei den Ägadischen Inseln schloss er Waffenstillstand und legte sein Amt nieder. Als jedoch im selben Jahr, 241, in Libyen ein Aufstand von Söldnern ausbrach, rief ihn die karthagische Bevölkerung zurück, und er besiegte die Aufrührer rasch. Mit von der Partie war der karthagische Politiker und Heerführer Hanno, der den Ehrentitel »der Große« erhielt, nicht zu verwechseln mit dem karthagischen Entdecker Hanno dem Seefahrer, der in der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. durch die Straße von Gibraltar segelte und an der Westküste Afrikas bis in den Golf von Guinea vorstieß. Hanno war um 240 v. Chr. Statthalter in Libyen gewesen, hatte die punische Herrschaft in diesem Gebiet stark erweitert, musste aber bei der Niederschlagung des Söldneraufstand den Oberbefehl an Hamilkar abgeben – sein eigenes Heer enthob ihn des Kommandos, was ihn zutiefst gegen Hamilkar einnahm. Als Führer der alten karthagischen Adelsgeschlechter wandte er sich mit diesen gegen die Ernennung Hamilkars zum Gouverneur von Libyen, was die Aristokratische Partei aber nicht verhindern konnte. 237 ging Hamilkar dann nach Spanien, dessen südlichen Teil er für Karthago eroberte, und fiel im Winter 229/228 im Kampf gegen die iberischen Oretaner. Hanno seinerseits bemühte sich Zeit seines Lebens um friedliche Beziehungen zu Rom und war diesbezüglich ein erbitterter Gegner von Hamilkar und später dessen Sohn Hannibal. 218 v. Chr. soll er die Karthager vergeblich vor einem Krieg mit Rom gewarnt haben. Denn nun brach der 2. Punische Krieg aus, der bis 201 dauerte. Hamilkars Sohn Hannibal, geboren um 247/246 v. Chr. in Karthago, eroberte zunächst das östliche Spanien bis zum Ebro; als er diesen überschritt, bot er Rom den Anlass zum Krieg. Was folgte, ist hinlänglich bekannt. Hannibal, einer der größten Heerführer und Staatsmänner der Antike, überschritt 218 mit seinem Heer (und 37 Kriegselefanten) die Alpen und vernichtete in den Schlachten von Cannae (218) und am Trasimenischen See (217) die überlegenen römischen Truppen. Aber Hannibal wusste aus den Siegen offenbar nicht das Richtige zu machen. Er unterwarf zwar Süditalien, aber er zersplitterte seine Kräfte und zog lediglich Jahre lang in Italien umher, einmal 211 sogar gegen Rom – hierher rührt der Schreckensruf »Hannibal ante portas« – »Hannibal vor den Toren«. Rom dagegen verfiel auf die Strategie, sich nicht mehr auf verlustreiche Schlachten einzulassen, sondern Hannibal mehr oder weniger zu ignorieren, und schon ab 215 war dieser in der Defensive, trotz diverser Bündnisse mit Gegnern Roms. Ausschlaggebend dafür aber war vor allem die mangelnde Unterstützung aus Karthago, was von Hanno dem Großen u. a. betrieben wurde. Schließlich wurde Hannibal 203 nach Karthago zurückberufen, als die Römer unter Scipio Africanus d. Ä. (ca. 235–183 v. Chr.) die Stadt bedrohten. In der Schlacht bei Zama wurde Hannibal von Scipio geschlagen. Damit war die Großmachtstellung Karthagos beendet. Zu denen, die nun mit Scipio über Frieden verhandelten, gehörte Hanno der Große; seine friedliche Haltung gegenüber Rom war wohl eine der Gründe, warum er den Ehrentitel erhielt. Aber auch er konnte nicht verhindern, dass Hannibal weiter eine bedeutende Rolle spielte und in Karthago eine Neugestaltung der Verfassung und eine Reform des Finanzwesens durchführte. Schließlich war allerdings der Druck seiner karthagischen Gegner so groß geworden, dass Hannibal aus der Stadt fliehen musste. Er begab sich an den Hof von – Antiochus dem Großen. Dieser gehörte zur makedonischen, also hellenistischen Dynastie der Seleukiden und schuf in wagemutigen Feldzügen ein großes Reich, so dass er schon in der Antike seinen Ehrentitel erhielt. Der Begründer und König der Seleukiden war Seleukos I. Nikator, der um 358 v. Chr. geboren wurde, als Feldherr unter Alexander dem Großen Karriere machte, nach dessen Tod 321 Babylon als Satrapie erhielt, von wo aus er in Syrien als wohl einer der bedeutendsten Diadochen ein großes Reich gründete – 305/304 nahm er den Königstitel an. 281 v. Chr. wurde er ermordet, aber zu diesem Zeitpunkt reichte sein Herrschaftsgebiet über fast ganz Vorderasien bis zum Indus. In der Folgezeit gingen zwar große Gebiete im Osten wieder verloren, aber Antiochus der Große stellte das alte Reich noch einmal her. Geboren 242 v. Chr., wurde er 223 König und sicherte zunächst die Herrschaft in Kleinasien. 217 verlor er im 4. Syrischen Krieg zwar einen Teil von Syrien (Ägypten und Palästina), den er aber im 5. (201 bis 195) ein paar Jahre später wieder gewann. Von 212 bis 205 v. Chr. führte er seinen großen, erfolgreichen und seinen Titel begründenden Feldzug nach Osten; er unterwarf Armenien; mit Parthern, baktrischen und selbst indischen Fürsten schloss er Verträge, aber ihre völlige Unterordnung erreichte er nicht. In Indien ließ er sich so viele Elefanten für künftige Kriege übergeben, dass das Elefantenmotiv seitdem in seleukidischen Münzen auftauchte. Natürlich brachte ihn seine Annexionspolitik in die Konkurrenz und den Konflikt mit Rom, vor allem, als er mit Philipp V. von Makedonien (geb. 238 v. Chr. ; reg. 221–179 v. Chr.) einen Geheimvertrag zur Teilung der ägyptischen Küstenländer schließen wollte, der an der römischen Intervention scheiterte (Philipp wurde von den Römern im 2. Makedonischen Krieg 197 besiegt, worauf Rom ein Jahr später alle Griechen für frei erklären ließ), und besonders, als er in Thrakien 196 einfiel. Verhandlungen zwischen den Mächten scheiterten. Und als Antiochus 192 vom Ätolischen Bund nach Griechenland gerufen wurde, kämpfte er dort gegen die Römer. Den Kriegsplan dafür erarbeitete übrigens Hannibal, der seit seiner Flucht aus Karthago bei ihm lebte und ihn auch nach Griechenland begleitete. Aber Rom war damals schon so gut wie unbesiegbar: 191 wurde Antiochus bei den Thermopylen und – trotz erfolgreicher Seegefechte – ein Jahr später vernichtend bei Magnesia in Kleinasien geschlagen, wohin er sich zurückgezogen hatte. Zwei Jahre danach, 188, kam es zu dem Frieden von Apameia, in dem sich Antiochus verpflichtete, Kleinasien bis westlich des Tauros aufzugeben und eine hohe Kriegsentschädigung zu zahlen. Hannibal war nach der Niederlage zu König Prusias I. nach Bithynien geflohen; als die Römer auch hier seine Auslieferung verlangten, brachte er sich 183 v. Chr. mit Gift um. Antiochus war schon 187 bei der Plünderung eines Tempels in der Nähe von Susa erschlagen worden. Mit seiner Niederlage und seinem Tod nahm der Einfluss der Seleukiden rapide ab. Karthago wurde im 3. Punischen Krieg (149–146) erobert und 146 vollständig zerstört, obwohl es sich Rom unterworfen hatte, und der letzte Seleukide, Antiochus XIII. Asiaticus, der seit 69 v. Chr. regierte, wurde 65/64 von Pompeius dem Großen besiegt und abgesetzt, Syrien wurde römische Provinz, und das Römische Reich umfasste zwar schon lange, aber nun endgültig den ganzen Mittelmeerraum und noch weitere Gebiete.

Miteinander verwobene Schicksale: Pompeius, Mithridates, Tigranes, Herodes, Aretas und Hiyya die Großen

Pompeius erhielt seinen Titel bereits zu Lebzeiten. Er war der große Gegenspieler des bedeutenden Feldherrn und Staatsmannes Gaius Julius Cäsar (100–44 v. Chr.), aber im Gegensatz zu diesem, der aus vielerlei Gründen noch in vieler Munde ist, ist Pompeius, der erste Römer, der den Titel »der Große« erhielt, heute weit weniger bekannt. Er stammte aus altrömischem Rittergeschlecht und wurde am 29. September 106 v. Chr. geboren. In einer Epoche, die bestimmt war von Bürgerkriegen, äußeren und inneren Bedrohungen, Korruption und Verfall der Autoritäten, in der der Senat versuchte, den aufkeimenden demokratischen Gedanken zu unterdrücken, und in der es primär um die Frage ging, wer seine Autorität beim Senat durchsetzen und wie viel persönliche Macht jemand herausschlagen konnte – in dieser Zeit kam Pompeius hoch. Man hat ihm fehlende wahre Überzeugungen, rein individuelles Machtstreben nachgesagt, aber zweifellos war er ein hervorragender Feldherr und bedeutender Staatsmann, von großem persönlichen Mut, gewandt in Sport und Kriegführung; man lobte seine Mäßigung und seine Rechtschaffenheit, das Volk sah in ihm einen Wohltäter und bewunderte ihn.
     Zu Beginn seiner Karriere mischte er sich in den Kampf zwischen den Befürwortern und Gegnern demokratischer Bestrebungen ein. Erstere konnten ihre Überzeugung auf den genialen Feldherrn Gaius Marius (156–86 v. Chr.), den Bezwinger der Kimbern und Teutonen, zurückführen, letztere hingen dem schon erwähnten, ebenfalls bedeutenden Feldherrn Cornelius Sulla (138–78 v. Chr.) an, der den Beinamen »der Glückliche« trug – am Ende machte er seinem Namen alle Ehre. Wir müssen noch ein wenig bei den beiden verweilen und die Hintergründe für die Entwicklungen zumindest skizzieren.
     Die so unglaublich rasche Ausbreitung des römischen Reiches brachte jede Menge sozialer und wirtschaftlicher Probleme und Krisen mit sich, die Dezimierung und den Besitzverlust der mittleren Bauernschaft einerseits, den wachsenden Reichtum des Adels (der Nobilität) und der Ritterschaft andererseits, und dazu noch die Ausweitung des Sklavenbedarfs auf Grund der Latifundienwirtschaft. Dazu kamen Aufstände in den neu eroberten Gebieten und konkurrierende, die römischen Interessen bedrohende Eroberungen durch andere Reiche. In dieser Zeit entstanden die Parteibezeichnungen der Optimaten und Popularen; erstere, die Senatspartei, standen für die Nobilität, letztere, die versuchten, den Senat zu umgehen, für das »Volk«, die Nicht-Adligen, um es verkürzt so auszudrücken. Im Jugurthinischen Krieg und auch bei den Einfällen der Kimbern und Teutonen versagten die Optimaten, so dass der nicht adlige Marius hoch kommen konnte. Marius und Sulla führten 105 v. Chr. gemeinsam den erfolgreichen Feldzug gegen den König von Numidien Jugurtha (ca. 160–104 v. Chr. (hingerichtet)). Beide wurden Konsuln; Marius ersetzte das Milizheer, das bislang überwiegend aus Bauern bestand, durch eine Armee aus Berufssoldaten; damit allerdings erzeugte er das Problem der Veteranenversorgung. Von 91 bis 89 erkämpften sich die italischen Bundesgenossen in einem weiteren, die römische Herrschaft bedrohenden Krieg die römischen Bürgerrechte, die ihnen bis dahin verweigert worden waren. Im Osten bedrohte zudem das kleine Land Pontos an der Südküste des Schwarzen Meeres die römische Einflusssphäre, und Sulla erhielt 88 v. Chr. den Oberbefehl im Krieg gegen den dortigen Herrscher Mithridates VI. Durch Volksbeschluss wurde das Oberkommando jedoch auf Marius übertragen, und so kam es zwischen den beiden Nebenbuhlern zum Bürgerkrieg – Sulla marschierte gegen Rom, Marius musste nach Afrika fliehen. Im nächsten Jahr begann Sulla seinen Kampf gegen Mithridates, und Marius nutzte die Gelegenheit, zurückzukehren – mit dem Konsul Lucius Cornelius Cinna (ca. 130–84 v. Chr.) eroberte er Rom, wo er blutige Rache übte, und beide herrschten nun in Italien – Cinna übte nach Marius Tod 86 v. Chr. eine wahre Schreckensherrschaft aus, die sicher nicht im Sinne des »Volkes« war. Sulla dagegen gelang es, Mithridates erst einmal kalt zu stellen.
     Mithridates VI. Eupator, der aus altiranischem Adelsgeschlecht stammte, kam um 130 v. Chr. im heutigen Sinop (damals Sinope) zur Welt. Nach der Ermordung seiner Mutter wurde er 112 (oder schon 120) Alleinherrscher und begann sofort mit der Ausdehnung seiner Macht. Er besiegte die Krimskythen und eroberte das Bosporanische Reich (107), die Kaukasusgebiete und Galatien. Er verbündete sich daraufhin mit Armenien, wo seit etwa 95 v. Chr. sein Schwiegersohn Tigranes I. (nach armenischer Zählung war er schon der Zweite) herrschte. Beide nutzten die römische Schwäche infolge des Einfalles der Kimbern und Teutonen und des Bundesgenossenkrieges, um ihre Herrschaft auszudehnen. Tigranes eroberte Kilikien und Teile von Mesopotamien und schuf dadurch ein Großreich mit der neuen Hauptstadt Tigranokerta, das heutige Silvan, nördlich des Tigris. Es reichte vom Kaspischen Meer bis an die Grenze Ägyptens, vom Kaukasus bis Ekbatana, dem – wie bereits mehrfach erwähnt – heutigen Hamadan. Das immer mehr verfallende Seleukidenreich händigte ihm die Krone aus; Nord- und Süd-Syrien, der Libanon und Palästina wurden teils Satrapien, teils Vasallenstaaten. Das Reich umfasste viele unterschiedliche Völker und Sprachen und wurde nur durch Tigranes’ machtvolle Persönlichkeit zusammen gehalten. Er brachte es zu großer kultureller und wirtschaftlicher Blüte, und die Hauptstadt wurde ein Zentrum des Hellenismus. Als »der Große« ging er aufgrund seiner Unternehmungen und seiner nicht nur kriegerischen Erfolge in die Geschichte ein. Diesen Titel erhielt auch Mithridates VI., wenn auch beide nur gelegentlich so bezeichnet werden. Immerhin haben sie es mit diesem Titel in die Encyclopedia Americana geschafft. Während Tigranes sein gewaltiges Imperium schuf, erweiterte Mithridates sein Reich nach Süden (Kappadokien) und nach Westen (Paphlagonien und Bithynien). Nun fühlten sich die Römer gestört, und Sulla zog, wie erwähnt, gegen ihn zu Felde. Mithridates aber gab so schnell nicht auf; er eroberte die römische Provinz Asia, ließ im sogenannten Blutbefehl von Ephesos 80.000 Italiker in Kleinasien ermorden und schloss seinem Reich Griechenland an. Sulla jedoch gelang es, ihn am Ende dieses 1. Mithridatischen Krieges in Böothien zu besiegen, und 85 v. Chr. musste Mithridates im Frieden von Dardanos die eroberten Gebiete zurückgeben und seine Flotte ausliefern. Aber er forderte die Römer bald abermals heraus. Als diese 83 v. Chr. in Pontos einfielen, wurden sie von ihm siegreich abgewehrt. Dieser 2. Mithridatische Krieg dauerte bis 81 v. Chr. Damals eroberte Tigranes zur Unterstützung seines Schwiegervaters Kappadokien. Im 3. Mithridatischen Krieg (74–63) schließlich verbündete sich Mithridates mit Seeräubern einerseits, andererseits mit dem römischen Feldherrn Quintus Sertorius (ca. 123–72 v. Chr.), der sich in Spanien von Rom unabhängig gemacht hatte, sozusagen eine eigene nach dem Vorbild Roms gestaltete Herrschaft ausübte und sich von dem Bündnis Einfluss in Kleinasien versprach, und besetzte Bithynien. Erst dem römischen Feldherrn Lucius Licinius Lucullus (ca. 117–57 v. Chr.), dem wir die Einführung der Süßkirsche in Europa und den Ausdruck »lukullisches Mahl« verdanken, gelang es, ihm eine entscheidende Niederlage (bei Kyzikos 74/73) zuzufügen. Noch einmal vermochte es Mithridates, nachdem er eine Zeitlang bei seinem Schwiegersohn Tigranes, damals der mächtigste Herrscher in Asien, Asyl gefunden hatte, 67 sein Reich wiederherzustellen. Doch nun trat Pompeius der Große, wie er seinerzeit schon genannt wurde, auf den Plan und vernichtete 66 v. Chr. Mithridates’ Heer am Lykos-Fluss, wie der Große Zab damals hieß. Ein Jahr zuvor hatte er in nur vier Monaten mit einem Riesenheer und einer enormen Flotte die Piratengefahr beseitigt – die Piraten, die Angst und Schrecken verbreiteten, waren damals in dieser Region sehr einflussreich und beliebte Verbündete – für vier Jahrhunderte war das Mittelmeer nun piratenfrei. Nun floh Mithridates auf die Krim; als auch noch sein Sohn Pharnakes II. von ihm abfiel, ließ er sich durch einen Leibwächter töten. Das geschah 63 v. Chr.; mit Mithridates kam ein Gegner der Römer ums Leben, den diese als ihren schwierigsten und größten Gegner betrachteten: daher wohl auch der Titel »der Große«, während ihn Tigranes, wie wir gesehen haben, auch aus anderen Gründen erhielt. Tigranes hatte seine Eroberungen 69 und 68 an Lucullus verloren, aber eroberte sie fast alle zurück, nur um im selben Jahr wie Mithridates endgültig von Pompeius geschlagen zu werden, dabei sogar unterstützt von Tigranes eigenem Sohn. Tigranes durfte am Ende König von Armenien bleiben, musste dafür aber an Pompeius eine Riesensumme bezahlen und auch dessen Heer finanzieren. Er starb 55 v. Chr., lange nachdem Pompeius die Provinzen Bithynien-Pontos und Syrien eingerichtet hatte.
     Was war zwischenzeitlich alles geschehen in diesen wirren Zeiten? Sulla hatte 82 v. Chr. die Anhänger des Marius in Italien besiegt, dabei auch die Schreckensherrschaft von Cinna beendet – dieser war 84 erschlagen worden (seine Tochter Cornelia heiratete übrigens Cäsar, der zu den Popularen hielt), die Herrschaft der Optimaten wiederhergestellt und dann bis 79 als Diktator regiert, worauf er sich nach Kampanien zurückzog; dort starb er ein Jahr später beim heutigen Pozzuoli.
     Pompeius hatte all die Jahre treu zu Sulla gestanden. Mit eigenen Truppen hatte er sich ihm schon früh angeschlossen; er gewann gegen die Anhänger des Marius manche Siege in Italien und wurde darob von Sulla nach Sizilien und Nordafrika gesandt, das er von den Anhängern des Marius säuberte. Daraufhin nannte ihn Sulla Magnus, »den Großen«. Sulla war humoristisch veranlagt, aber trotzdem meinte er den Beinamen ernst, zumal er Pompeius auch noch entgegen allen damaligen Regelungen einen Triumphzug durchführen ließ. Pompeius sah sehr gut aus, war dabei scheu und empfindlich, aber von ungestümer Tapferkeit. In späteren Jahren neigte er zur Korpulenz, gepaart mit Furchtsamkeit und Unentschlossenheit. Scharfer Versand und geistige Tiefe waren ihm nicht in dem Ausmaß gegeben wie vielleicht Cäsar und auf jeden Fall Augustus, und er neigte, vor allem später, dazu, sich zu überschätzen und war über alle Maßen eitel. Er führte die Politik aus, die andere vorgaben, denen er sich anschloss. Schon sein großes Vermögen brachte ihn davon ab, sich zu sehr in die Politik einzumischen. Erst in reiferen Jahren versuchte auch er, die Politik mitzugestalten.
     Pompeius in seinem damaligen Alter war aber höchst erfolgreich. Von 76 bis 71 v. Chr. kämpfte er gegen den eben erwähnten Sertorius in Spanien, den er ebenso wie dessen Nachfolger besiegte. Nach Italien zurückgekehrt, beendete er endgültig den Sklavenaufstand der Anhänger des Spartacus, der damals – 71 v. Chr. – bereits gefallen war. Auch wenn er in der Folgezeit die Optimaten stützte, erneuerte er zusammen mit dem Feldherrn und Politiker Marcus Licinus Crassus (ca. 115–53 v. Chr.) die von Sulla zu Gunsten des Senats aufgehobene römische Verfassung. Und so erfreute sich Pompeius auch beim Volk großer Beliebtheit.
Pompeius’ größter Triumph war sein Feldzug gegen Mithridates VI., als dessen Konsequenz er den größten Teil von Pontos der Provinz Bithynien zuschlug, aus Syrien 64 v. Chr. eine römische Provinz (das bedeutete das endgültige  Aus für die Seleukiden-Dynastie) und Armenien als abhängiges Königreich zu einem Gegengewicht zum Reich der Parther machte. Wieder war Pompeius ein Triumphzug vergönnt, und er galt damals als berühmtester General der Welt, stand auf dem Gipfel seiner Macht, doch der Senat sanktionierte durchaus nicht alle seine Maßnahmen, z. B. seine bewunderungswürdigen Provinzgründungen im Osten und die von ihm geforderte Versorgung der Veteranen. Und im Hintergrund warteten Crassus und Cäsar auf ihre Chance.
     Nun, der Rest der Geschichte ist bekannt. Crassus schloss 60 v. Chr. mit Cäsar und Pompeius das 1. Triumvirat, inoffiziell, um ihre persönlichen Ziele in Ruhe verfolgen zu können. Cäsar erhielt endlich die ihm bisher vom Senat verweigerte Konsulwürde und eroberte von 58 bis 51 Gallien. Pompeius heiratete Cäsars Tochter Julia, die aber schon 54 starb. Während sich Cäsar als Eroberer profilierte, lebte Pompeius im Luxus in Rom und tat sich mit der Unterstützung von Bauwerken wie dem Theater im Campus Martius hervor. In dieser Zeit nahmen die Spannungen mit Cäsar zu, doch 56 wurde das Triumvirat noch einmal erneuert. Als Crassus bei einem Feldzug gegen die Parther fiel, bedeutete dies allerdings das Ende des Triumvirats. Unterstützt von dem Politiker, Philosophen und berühmten Redner Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) neigte Pompeius, auch aus Furcht vor Cäsar, zum Senat, der ihm schließlich diktatorische Vollmachten zubilligte und Cäsar zum öffentlichen Feind erklärte. Pompeius war nun der erste Mann im Staat, aber Cäsar duldete das nicht und überschritt im Jahre 49 v. Chr., wie es sprichwörtlich geworden ist, den Rubikon. Damit war der Bürgerkrieg eröffnet. Die Pompeianischen Truppen wurden trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit bei Pharsalos in Thessalien am 9. April 49 von Cäsar vernichtend geschlagen. Pompeius floh nach Ägypten und wurde dort am 28. September 48 v. Chr. von einem ehemaligen Anhänger verräterisch ermordet. Weitere Niederlagen der Pompeianer folgten 46 bei Thapsus in Tunesien und 45 in Spanien in der Provinz Córdoba; dann war Cäsar Alleinherrscher in Rom, aber schon ein Jahr später, gerade Imperator und Diktator auf Lebenszeit geworden, wurde auch er ermordet. Vorläufige Ruhe kehrte erst mit Kaiser Augustus ein.
     Pompeius’ ältester Sohn Gnaeus, legte sich selbst sich den Titel »der Große« nach dem Tod seines Vaters zu. Auf dem Weg nach Griechenland eilte er noch seinem Vater mit einer Flotte aus Ägypten zur Hilfe herbei. Er zerstörte ein paar Transportschiffe Cäsars, machte aber nichts aus dem Erfolg. Nach der Niederlage von Pharsalus floh er nach Spanien, um dort die unabhängige römische Herrschaft aus der Zeit der Marianer zu erneuern, und hier schloss sich ihm nach Cäsars Sieg bei Thapsus sein Bruder Sextus an. Cäsar verfolgte die Brüder und schlug sie im März 45 v. Chr. vernichtend in der erwähnten Schlacht in der Provinz Córdoba (bei Munda), obwohl er nur halb so viele Soldaten hatte. Bald wurde Gnaeus gefasst und ermordet, nach anderen Quellen ist er in den Kämpfen gefallen, erst 33 Jahre alt. Sextus, zwei Jahre jünger als Gnaeus, gab sich ebenfalls den Titel Magnus. Nach der Niederlage in Spanien konnte er auf Grund der Ermordung Cäsars dort bleiben, ohne mit Angriffen rechnen zu müssen. Das 2. Triumvirat zwischen Octavian (dem späteren Augustus), Markus Antonius (ca. 82–30 v. Chr.) und Marcus Aemilius Lepidus (ca. 87–13/12 v. Chr.) erklärte ihn jedoch zum Verbrecher und beschlagnahmte sein Vermögen. Daraufhin ging Sextus nach Sizilien, schlug dort die Truppen Octavians und wurde so mächtig, dass ihn das Triumvirat 39 zum Gouverneur von Sizilien, Sardinien und Achaea unter römischer Oberhoheit ernannte. Aber das war eher eine Verlegenheitslösung. Schon ein Jahr später brachen die Feindseligkeiten wieder aus, und Sextus besiegte Octavian auf See. Erst 36 konnte Sextus in der Nähe der Straße von Messina in einer Seeschlacht geschlagen werden. Sextus floh nach Kleinasien, fiel aber dort den Römern in die Hände und wurde 35 v. Chr. exekutiert. –Gnaeus und Sextus Pompeius: Zwei Römer, die sich den Titel »der Große« lediglich anmaßten, indem sie ihn von ihrem Vater entlehnten, der den Titel aber wohl doch verdient hatte! Im Mittelalter werden wir noch einmal auf verschiedene Fürsten treffen, die Magnus hießen, aber das war dann kein Titel, sondern der echte Name.

Während seines größten militärischen Erfolges, nämlich bei der Eroberung von Syrien und Palästina, nahm Pompeius im Jahre 63 v. Chr. auch Jerusalem ein, nach dreimonatiger Belagerung. Damals war ein weiterer Zeitgenosse der hier geschilderten »Großen« etwa zehn Jahre alt, Herodes, der später selber diesen Titel erhielt. Die Zeiten in Judäa waren wirr. Wie wir gesehen haben, waren die Juden durch Kyros den Großen aus der babylonischen Gefangenschaft befreit worden und in ihre angestammten Gebiete zurückgekehrt. Die Heimkehrer hielten nun umso fester an ihrer Religion fest und richteten sich streng nach der Thora. Sie hatten eine theokratische Verwaltung mit Hohepriester und Hohem Rat (Synedrion) und grenzten sich von der zurückgebliebenen und mit Fremden vermischten Landbevölkerung ab, die dann ihrerseits eine eigene Religionsgemeinschaft gründeten – sie wurden zu den Samaritern. Später, 332 v. Chr., wurde Judäa Teil des Alexander-Reiches, 198 unterwarfen es die Seleukiden. Und erst 164 erreichte Judäa unter der Führung der Makkabäer (Hasmonäer) wieder Religionsfreiheit und 141 seine politische Unabhängigkeit. Doch der nun wieder souveräne Staat kam nicht zur Ruhe. Schwere innere Kämpfe zerrütteten das Land, die Makkabäer büßten ihre Macht ein, und so war es für Pompeius nicht besonders schwer, Judäa und Jerusalem zu erobern. Herodes’ Vater Antipater – mit einer arabischen Fürstentochter verheiratet – hatte sich in den makkabäischen Bürgerkriegen auf die Seite des seit 78 v. Chr. als Herrscher von Judäa amtierenden Hohepriester Hyrkanos II. gegen dessen jüngeren Bruder und Rivalen Aristobulus II. geschlagen. Der junge Herodes zeichnete sich in diesen Kämpfen als Militärkommandeur aus, indem er rivalisierende jüdische Truppen gefangen nahm, die unter römischer Oberhoheit stehende syrische Dörfer überfielen. Diese Tat befremdete die Juden, aber kam dem römischen Gouverneur entgegen, und als der Hohe Rat Herodes als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte, wurde dieser von den Römern gerettet. Herodes gelang es dann doch, die sich bekriegenden Parteien wieder zu versöhnen, indem er als seine zweite Frau Mariamne, die makkabäische Prinzessin, heiratete, die aus beiden rivalisierenden makkabäischen Familien Vorfahren und Verwandte hatte. Damit sicherte er sich auf Dauer auch die Herrschaft gegen die Parther.
     Herodes’ Vater wurde durch Pompeius auf Kosten von Hyrkanos Prokurator von Judäa, Herodes in dieser Zeit Gouverneur von Galiläa (47 v. Chr.). Hyrkanos, zwischenzeitlich noch einmal durch Cäsars Gnade Tetrarch, also Mitherrscher, verschleppten später die Parther nach Babylon, er kam aber auf Bitten von Herodes nach Jerusalem zurück, wurde jedoch dort 30 v. Chr. umgebracht. Nachdem Antipater 43 v. Chr. ermordet worden war, brachte es Herodes gemeinsam mit seinem Bruder Phasael zum »Tetrarchen« (41), also zum Herrscher über einen Teil der Provinz, eigentlich nur über ein Viertel, aber sein Bruder fiel schon im nächsten Jahr bei einem Angriff der Parther, und Herodes floh nach Rom. Dort ernannte ihn der Senat nach entsprechenden Bemühungen seitens Octavians und Markus Antonius’ zum König der Juden (40) und unterstützte ihn 37 auch militärisch bei der Sicherung seiner Herrschaft.
     Herodes, nun römischer Vasallenkönig, regierte mit eiserner Faust, aber er brachte dem zerrissenen Judäa Stabilität und wirtschaftliche Blüte. Allerdings entfremdete er sich den Juden umso mehr, je mehr er den Einfluss hellenistischen Kulturgutes förderte, und natürlich durch seine Tyrannei. Andererseits ließ er den jüdischen Kult unangetastet und unterstützte das Diasporaljudentum. Im ersten Teil seiner Herrschaft litt Herodes unter vielfachen persönlichen Anfeindungen und Verfolgungen, und gnadenlos ließ er alle potenziellen Rivalen ausschalten. Obwohl er seine Frau Mariamne liebte, war er für ihre Hinrichtung und die von Mitgliedern ihrer Familie 29 v. Chr. verantwortlich, und radikal unterdrückte er alle Ansätze von Opposition. Im Gegensatz dazu lehnte er sich stark an Kaiser Augustus nach dessen Sieg über Markus Antonius 31 v. Chr. an und stand er voll in dessen Gunst. In der nächsten Phase seiner Herrschaft, die von etwa 25 bis 13 v. Chr. dauerte, ließ er viele berühmte Bauwerke errichten, die ganz in seinem Sinne, den hellenistischen Einfluss zu stärken, entstanden, aber auch, um den Kaiserkult in ganz Palästina zu verbreiten. So entstand ein Tempel für Augustus in Sebaste; der Hafen von Caesarea, der Palast und die Burg von Herodium sowie der Winterpalast in Jericho dienten auch, zum Teil wenigstens, diesem Zweck. Herodes’ besonderes Anliegen war jedoch der Wiederaufbau und die Erweiterung des Tempels in Jerusalem, was auch zu seinen größten Projekten gehörte. Aber mit all diesen architektonischen Leistungen erzeugte er eher Hass bei seinen Untertanen. So war es kein Wunder, dass seine letzten Lebensjahre überschattet waren von Intrigen jeder Art gegen ihn, privaten und politischen, und viele Verdächtige fielen ihm zum Opfer. Als sich sein Leben schon dem Ende näherte, ließ er zwei Söhne aus der Ehe mit Mariamne hinrichten, von denen er den Fortbestand der Herrschaft einer neuen Herodianisch-makkabäischen Dynastie erhofft hatte; und fünf Tage vor seinem Tod wurde sein ältester Sohn Antipater aus dem Weg geräumt. Auch andere potenzielle Rivalen ließ er töten – er war insgesamt achtmal verheiratet. Vielleicht ist hier auch eine der Grundlagen für die Legende vom Bethlehemer Kindermord zu suchen, denn wenn man Herodes auch vieles vorwerfen und nachsagen konnte, eines mit großer Wahrscheinlichkeit nicht: einen Kindermord von Bethlehem in der in der Bibel überlieferten Form hat es nach allen neueren Forschungen nicht gegeben. Herodes hat seinem Land eine dreißigjährige Zeit des Friedens und der wirtschaftlichen Blüte verschafft, daher auch sein Beiname »der Große«, aber die Erinnerung an ihn ist eher durch seine Tyrannei geprägt. Nach seinem Tod 4 v. Chr. wurde das Land geteilt und kam mit der Zeit vollends unter römische Herrschaft. 70 n. Chr. wurden Jerusalem und der Tempel zerstört und die Juden in alle Welt zerstreut. Herodes seinerseits lebte fort in der literarischen Verarbeitung, auch des Mariamne-Stoffes. Der »Meistersinger von Nürnberg« und Dichter Hans Sachs (1494–1576) war der erste (1552), 1635 folgte der spanische Dramatiker Pedro Calderón de la Bạrca (1600–1681), 1724 der französische Schriftsteller und Philosoph François-Marie Arouet Voltaire, 1844 der deutsche Dichter Friedrich Rückert (1788–1866); sie u. a. haben sich seines Schicksals und das seiner Gemahlin angenommen. Besonders bekannt wurde die Tragödie »Herodes und Mariamne« von Friedrich Hebbel (1813–1863), die 1849 in Wien uraufgeführt wurde. Und zu Weihnachten begegnet uns Herodes alle Jahre wieder …
     Der Historiker Johannes Fried nennt in seinem Buch Jesus oder Paulus den Nabatäer-König Aretas IV. (reg. 9 v. Chr. bis 40 n.Chr.) Aretas den Großen. Tatsächlich war Aretas ein bedeutender Herrscher, er besiegte den Sohn Herodes des Großen, Herodes Antipas (geb. 20  v. Chr.; reg. 4
39 n. Chr.; gest. danach), der angeblich Johannes den Täufer töten ließ Aretas Tochter war die erste Frau von Herodes Antipas; als er sie verstieß, brach der Krieg aus, und Aretas gelang es, sein Reich auch unabhängig von Rom zu erhalten.  Er wurde in alten Inschriften als »rahēm ammēh« bezeichnet »der sein Volk liebt«. Er regierte in Damaskus, als Paulus seine Bekehrung erlebte (um 30 n. Chr.). Nun ist der Titel für Aretas den Großen nicht offiziell eingeführt, aber es ist schon bemerkenswert, dass ein Professor für mittelalterliche Geschichte ihn so einstuft.
     In diesem Zusammenhang sollte auch Hiyya der Große (ca. 180–230) erwähnt werden, eigentlich Hiyya bar Abba, ein jüdischer Rabbi und Weiser aus Israel. Geboren in der Stadt Kapri in Babylonien, lebte er zunächst in Babylonien und war mit einer Frau namens Judith verheiratet; die Ehe war den Überlieferungen zufolge sehr unglücklich, auch wenn zwei Zwillingssöhne (beide wurden angesehene Rabbis) und zwei Zwillingstöchter daraus hervor gingen. Später zog Hiyya nach Tiberias, wo er ein Seidenhandelsgeschäft gründete. Er hatte einen hervorragenden Ruf, auch als Arzt. Aber vor allem bereicherte er die jüdische Religion; er gilt als der ursprüngliche Kompilator der ›Tosefta‹, des Kommentars (eigentlich ›Hinzufügung‹) zur Mischna, der mündlichen Lehre, die Mose auf dem Berg Sinai neben der schriftlichen Lehre (den fünf Büchern Mose) ebenfalls offenbart worden sein soll und die mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Diese Sammlung früher rabbinischer Traditionen ergänzt die Mischna, widerspicht ihr aber auch teilweise und ist insgesamt breiter angelegt. Sie ist wie die Mischna in sechs Ordnungen geteilt. Auch später müssen noch Ergänzungen dazu gekommen sein. Es gibt zwei Handschriften der Tosefta, in Erfurt und Wien, und einen gleichwertigen Erstdruck von 1521 in Venedig. Hiyya leistete noch mehr für die jüdische religiöse Überlieferung. Es hieß von ihm auch, dass seit seiner Ankunft in Palästina dort keine Stürme mehr aufkamen und Wein nicht mehr sauer wurde. Seine Gebete sollen während Dürrezeiten Regen gebracht und einen Löwen, der die Gegend unsicher machte, veranlasst haben, das Land zu verlassen. Also ingesamt ein wahrhaft »Großer« der Geschichte …

Förderer des Christentums: Abgar, Konstantin und Theodosius die Großen

Dass die Glaubens- und Religionsstifter nicht den Beinamen »der Große« erhielten, versteht sich von selbst; dieser blieb Sterblichen vorbehalten, die durch große Leistungen auffielen. Zur Zeit des römischen Kaisers Gaius Octavius, nach seiner Adoption durch Cäsar Octavian genannt und 27 v. Chr. mit dem Ehrentitel Augustus belegt, was immerhin »der Erhabene« bedeutet und dem Titel »der Große« nahe kommt, schließlich 2 n. Chr. »pater patriae« – »Vater des Vaterlandes« betitelt, wurde bekanntlich Jesus geboren. Augustus stellte, wie bereits erwähnt, den inneren Frieden des seit Jahrzehnten von Kriegen und Bürgerkriegen zerrütteten Römischen Reiches wieder her (»Pax Augusta«) und begründete neben seiner Ausweitung und Sicherung der Grenzen des Reiches auch mit seiner Förderung von Kunst und Wissenschaft das »Augusteische Zeitalter«. Die Niederlage seines Feldherrn Varus (ca. 46 v. Chr.–9 n. Chr.) in der Schlacht im Teutoburger Wald 9 n. Chr. gegen verbündete germanische Stämme unter Arminius dem Cherusker (zw. 18 und 16 v. Chr. – ca. 21 n. Chr.) verwies aber schon auf das Bevorstehen anderer Zeiten. Es sollte allerdings noch Jahrhunderte dauern, bis der Ansturm der germanischen Stämme wirklich zur Gefahr wurde. Die von Augustus begründete Kaiserzeit dauerte bis 476 n. Chr. Ab 106 n. Chr. regierten die sogenannten Adoptivkaiser. Der erste war Trajan (geb. 53; reg. 106–117), unter dessen Herrschaft das Reich seine größte Ausdehnung erfuhr – er eigentlich auch ein Anwärter auf den Titel »der Große«, den ihm die Geschichte aber nicht gegeben hat. Nach der Ermordung des letzen Adoptivkaisers Commodus 192, dem Sohn von Mark Aurel, dem »Philosphen auf dem Kaiserstuhl«, der allerdings ganz unphilosophisch durch die Bestimmung seines Sohnes zum Nachfolger dem Reich schweren Schaden zugefügt hat, konnte erst nach langem Bürgerkrieg eine neue Dynastie begründet werden, die der Severer durch den Afrikaner Septimius Severus (geb. 146; reg. 193–211), die sich von 193 bis 235 hielt. In dieser Zeit treffen wir auf Abgar den Großen, der vermutlich heute nur noch in Fach-, speziell in Kirchenkreisen bekannt ist, und vielleicht nicht einmal das. Damals hatte das Christentum schon eine erhebliche Ausbreitung erfahren. Und immer wieder waren die Christen als Feinde des Staates auch verfolgt worden, zuerst 64 unter Kaiser Nero (geb. 37; reg. 54–68 (Selbsttötung)), wenn auch nur in Rom und als angebliche Verursacher des berühmten Brandes, später – 95 – unter Domitian (geb. 51; reg. 81–96 (ermordet)). Aber das gesamte Römische Reich umfassende Christenverfolgungen gab es erst 249 unter Decius (geb. ca. 200; reg. 249–251) und 257 unter Valerian (geb. ca. 200; reg. 253–260; gest. in persischer Gefangenschaft nach 260). In den Zwischenzeiten konnte es örtlich zu Verfolgungen kommen, aber Anfang des 4. Jahrhunderts waren wohl schon 15 % der Bevölkerung im Römischen Reich christlich.
     Im Osrhoenischen Reich von Edessa, dem heutigen Urfa, regierten Könige, von denen viele den Namen Abgar trugen und deren Geschichte sich bis in den Zeitraum vor Christi Geburt zurückverfolgen lässt. Abgar (II.) soll seine Regentschaft von Pompeius dem Großen 64 v. Chr. nach der römischen Eroberung zurückerhalten haben. Edessa lag nördlich von Syrien und östlich des Euphrat, nicht weit von Anatolien und etwa 50 km nördlich der alten Kultstadt Harran, die den Mittelpunkt einer Religion des Mondgottes Sin und der Verehrung von Planeten darstellte; als Sabier wurden ihre Anhänger später wie die Christen von den Muslimen anerkannt, weil sie zu Bekennern einer Buchreligion, also einer Religion, die über schriftliche Aufzeichnungen oder Heilige Bücher verfügte, gehörten. Am bekanntesten der Könige in Edessa mit dem Namen Abgar wurde wohl Abgar (V.), der von 4 v. Chr. bis 7 n. Chr. und dann wieder von 13 bis 50 regiert haben soll, nach anderen Quellen von 9 bis 46. Er trug den Beinamen Ukkama, »der Schwarze«; der Legende nach soll er Jesus um Heilung von einer schweren Krankheit gebeten und mit ihm in Briefwechsel gestanden haben; angeblich war er auch im Besitz eines authentischen Bildes von Jesus, ihm nach dessen Himmelfahrt überbracht, das 944 nach Konstantinopel überführt und dort hoch verehrt wurde. Die Legende entstand wohl zur Zeit Abgars des Großen, und den Urheber der Brieffälschung kennt man offenbar, der berühmte Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea (260/265–339), der »Vater der Kirchengeschichte«. Wahrscheinlich sollte die Legende als eine Art Legitimationsstrategie die Position der Christen gegenüber anderen Strömungen wie die der Gnosis stärken. Edessa war allerdings nicht von Anfang an christlich. Etwa ab 100 begann das Christentum hier Fuß zu fassen, aber erst ab 180/190 konnte es sich entfalten. Und um 205 führte Abgar (VIII.) das Christentum in seinem Stadtstaat als Staatsreligion ein – Edessa war wohl das erste Königreich der Geschichte, in dem dieser Akt vollzogen wurde, noch dazu im Orient. Abgar, der von etwa 177 bis 212 regierte, erhielt darob den Titel »der Große«, und er war sicher bedeutender als sein Vorfahr, der mit Jesus korrespondiert haben soll. Abgar der Große war römischer Klientelkönig, König einer Enklave; gegen die Römer hatte er gekämpft, war aber schließlich von Septimius Severus besiegt worden (195). In Rom huldigte er dem neuen Kaiser, dem er fortan die Treue hielt und der ihn nach den Partherkriegen »König der Könige« benannte. Die einheimische Bevölkerung blieb zwar ihrer alten Sternenreligion überwiegend treu, aber viele Christen strömten nun nach Edessa, auch wegen der Legende um Brief und Bild von Jesus. Abgar der Große war wohl der erste christliche König der Welt, der religiösen Fragen gegenüber aufgeschlossen war, auch wenn er vielleicht nur nominell Christ war; er huldigte auch noch dem alten Kult, der sich sogar noch in die Zeiten des Islam retten sollte. Auf dem Zitadellenhügel von Edessa stehen noch heute zwei – korinthische – Säulen, die dereinst die Statuen von König Abgar und Königin Shalmaths trugen; die Inschrift auf der Säule der Königin gibt Zeugnis von der hohen sozialen Stellung der Frau, die diese in dem ersten Königreich der Geschichte innehatte, das christlich war.

Der eben erwähnte Eusebius von Caesarea förderte nicht nur das Geschlecht Abgars, sondern mehr noch den Ruf des Kaisers Konstantin des Großen. Die von Eusebius begründete christliche Überlieferung feierte ihn als das Vorbild des wahren Herrschers. Durch die Beisetzung in der Apostelkirche in Konstantinopel wurde er zum 13. Apostel erhoben. Die russische, griechische und armenische Kirche verehren ihn als Heiligen – sein Namenstag ist der 21. Mai. Nach den antiken folgten vor allem Darstellungen an französischen Kirchenfassaden des 12. und 13. Jahrhunderts in Form von Reiterstatuen. Selten blieben Einzelfiguren, aber auf Wandgemälden und Altartafeln sieht man Konstantin neben seiner Mutter Helena (ca. 250–329 (?)), die seit 306 am Hofe Konstantins lebte und die er 325 zur Augusta, zur Kaiserin, erhob. Sie hatte sehr großen Einfluss am kaiserlichen Hof und für die Förderung und Ausbreitung des Christentums – ihr schreibt die Legende die Auffindung des Kreuzes anlässlich einer Wallfahrt zu, an dem Jesus gestorben sein soll. Sie wurde erst 313 Christin, angeblich durch den Zuspruch ihres Sohnes, der ein Jahr vorher begonnen hatte, das Christentum zu tolerieren, und später ebenfalls heilig gesprochen (Namenstag: 18. August). Was war geschehen? Nach dem Ende der Severer-Dynastie begann die Ära der etwa 40 stets vom Heer ausgerufenen »Soldatenkaiser«. In dieser Zeit kam es im Römischen Reich zu Prestige- und Gebietsverlusten, vor allem in den Kriegen gegen die Sassaniden, die Alemannen und Goten. Erst Diokletian (245–305), der seit 284 regierte und Heer, Wirtschaft und Verwaltung reformierte, versuchte nicht ohne Erfolg, das Reich zu stabilisieren. Er allerdings befahl 303 noch einmal eine allgemeine Christenverfolgung, und erst Konstantin, eigentlich Flavius Valerius Constantinus, änderte die Lage der Christen vollständig. Ihn, der in der Nachfolgeordnung nach Diokletians Tod übergangen worden war, riefen die Truppen 306 im heutigen York in England zum Augustus aus. Und nachdem er sich seiner Rivalen Maxentius (ca. 279–312) und Licinius (250 (?)–325), die zeitweise Verbündete, Mitregenten, dann wieder Konkurrenten und Feinde waren – die Einzelheiten dieser verwirrenden Epoche können wir hier übergehen – entledigt hatte, wurde er 324 Alleinherrscher. Damals, 306, war er etwa 30 Jahre alt gewesen – geboren wurde er 272, 273 oder erst 280. Nicht unerwähnt bleiben sollte allerdings sein Sieg 312 über Maxentius an der Milvischen Brücke. Angeblich soll er in mehreren Visionen das Christusmonogramm gesehen haben, schon in Gallien und später in Rom, und es soll ihm geweissagt worden sein: »Unter diesem Zeichen wirst Du siegen – in hoc signo vinces!« Konstantin ließ das Christogramm auf den Schilden seiner Soldaten, später auch auf einer Standarte, dem Labarum anbringen, und sein Sieg war überwältigend. Seitdem begünstigte er das Christentum – 313 erließ er das Toleranzedikt von Mailand. Vermutlich hatte Konstantin aus wohlüberlegtem Machtkalkül heraus gehandelt: das Christentum war in seinem Reich eine nicht mehr zu übersehende Macht geworden. Konstantin hat nicht, wie später oft behauptet, das Christentum zur Staatsreligion gemacht, aber er hat den Weg dahin geebnet. Die Bischöfe erhielten Gerichtshoheit, die Kleriker Steuerbefreiung, der Sonntag wurde heilig, und viele Kirchenbauten entstanden, besonders in Rom, Trier und Palästina. Das unter Diokletian eingezogene Kirchengut wurde restituiert, und das Christentum wurde mit den antiken Religionen gleichgestellt. Konstantin berief 325 auch das für die Zukunft des Christentums mit entscheidende Konzil nach Nikäa ein, das Erste Ökumenische Konzil, um den Arianischen Streit um das Verhältnis von Gott und Jesus als seinem Sohn zu klären (im Gegensatz zu Athanasius lehrte Arius, dass Christus nicht gottgleich, sondern vornehmstes Geschöpf Gottes sei, als ‚Logos’ eine Art Zwischenstellung zwischen Gott und der Welt einnehme), und er, der als Vorsitzender amtierte, beeinflusste die Ergebnisse wesentlich. Das Nikäische Glaubensbekenntnis wurde daraufhin grundlegend für die christliche Lehre. 330 verlegte Konstantin den Kaisersitz von Rom nach Konstantinopel, das er an der Stelle des alten Byzanz neu gründete – es wurde am 11. Mai eingeweiht und als ‚Neues Rom’ mit eigenem Senat zur zweiten Hauptstadt des Reiches ausgebaut. So wurde Konstantin auch der Vorbereiter des byzantinischen Cäsaropapismus, der sich auf ihn berief.
     Konstantin hat die Reformen des Diokletian weitergeführt, modifiziert und für seine Zeit in gewisser Weise vollendet, damit auch die innere Ordnung des Römischen Reiches weit gehend wieder hergestellt und eine positive Neugestaltung erreicht. Nach außen sicherte er die Grenzen gegen Sarmaten und Germanen. Auf ihn gehen die Kirchen Alt-St.-Peter in Rom, die Grabeskirche in Jerusalem, die Geburtskirche in Bethlehem und die heute nicht mehr erhaltene Apostelkirche in Konstantinopel zurück, wo er auch die Grundlage für die Sophienkirche legte, den Urbau dafür errichten ließ. Zwar ließ er seinen Sohn Crispus und seine Gemahlin Fausta hinrichten, und sein Kampf gegen echte und vermeintliche Rivalen war äußerst blutig, aber die Nachwelt verdankte ihm eine Neuordnung des Römischen Reiches und das Christentum seinen Aufstieg. Kurz vor seinem Tode ließ er sich taufen, ausgerechnet von einem Arianer; er starb am 22. Mai 337 bei Nikomedia, als er zu einem Kriegszug gegen die Perser aufbrechen wollte.
 

Konstantin

Konstantin (Kapitolinische Museen, Rom, Wikipedia)

 
Seinen Titel »der Große« hat Konstantin sicher zurecht verdient. »Als ‚großer’ Konstantin ist er eine byzantinische, östliche Heldengestalt geworden. Im christlichen Abendland hat ihn erst eine katholische Rezeptionsgeschichte, die ihn von allen Brüchen und unerwünschten Eigenschaften, Haltungen und Handlungen befreit hat, zum großen Vorbild europäischer Herrscher werden lassen.« So urteilt der Historiker Hartwin Brandt in dem Sammelband Sie schufen Europa. Im gleichen Band schreibt Hartmut Leppin, gleichfalls Historiker: »Für den Nachruhm des Theodosius war es vielleicht ein Vorteil, daß er so früh, mit 47 Jahren, starb. Denn so blieb er der Nachwelt als derjenige Herrscher in Erinnerung, dem es gelungen war, das Römische Reich noch einmal unter seiner starken Hand zu vereinen.«
     Theodosius I. der Große wurde 347 im heutigen Coca in Spanien geboren. 379 Augustus, also Kaiser, des östlichen Teil des Reiches geworden, konnte er den Weg beschreiten, das Reich zu einen, nachdem er 382 den Konflikt mit den Westgoten beigelegt – er siedelte sie nach zwei siegreichen Schlachten als Föderaten, also eine Art Bundesgenossen, vertragsmäßig in Thrakien an – und die Usurpatoren Maximus 388 und Eugenius 394 entscheidend geschlagen hatte. Durch diesen Sieg wurde er auch Herrscher des westlichen Reichteils, damit gab es ein letztes Mal ein ungeteiltes Römisches Reich. Maximus, der zwar außer Clemens den Vornamen Magnus trug, aber nicht einen entsprechenden Titel, hatte sich selbst zum Kaiser ernannt, während er römische Streitkräfte in Britannien kommandierte. Er hatte Kaiser Gratian (geb. 359; reg. seit 375) 383 geschlagen, der in den Kämpfen ums Leben kam, eben jenen Gratian, der Theodosius zum Augustus des Ostens erhoben hatte, und war von letzterem anerkannt worden, aber als er dann in Italien einfiel, besiegte ihn Theodosius, und er wurde von seinen eigenen Leuten getötet (388).
     Schon 381 berief Theodosius, erst 380 getauft, ein Konzil nach Konstantinopel, das als Zweites Ökumenisches Konzil in die Geschichte einging. Dieses war für die christliche Kirche endgültig richtungsweisend. Theodosius beendete den Kirchenstreit, der seit 325 immer wieder ausgebrochen war – unglaublich, wie sich einzelne Glaubensüberzeugungen gegenseitig bekämpften – indem er die Beschlüsse von Nikäa sanktionierte (daher auch Nizänokonstantinopolitanum genannt), und erklärte das Christentum zur Staatsreligion. Aber das Konzil erregte nicht nur Freude unter den Christen – zu sehr gab es Rivalitäten u. a. zwischen den Bischofssitzen, und das Klima zwischen den Reichshälften verschlechterte sich auch in religiöser Hinsicht.
     Vielleicht unter dem Einfluss des heiligen Ambrosius (ca. 340–397), der seit 374 Bischof von Mailand und bedeutender Kirchenlehrer war, verschärfte sich Theodosius’ Gegnerschaft zu den antiken heidnischen Religionen. Ambrosius zwang ihn 390 wegen eines Massakers in Thessaloniki zur Kirchenbuße (»Bußakt von Mailand«) – hier hatten Soldaten in seinem Namen etwa 7000 Einwohner umgebracht, weil einem Volksaufstand der Gouverneur und etliche Offiziere zum Opfer gefallen waren. War Theodosius zunächst in religiösen Angelegenheiten moderat geblieben – es gab auch keinen Zwang, sich der christlichen Kirche anzuschließen, er verfolgte auch keine konsequente Christianisierungspolitik und erhöhte sogar den kirchlichen Rang von Konstantinopel – so kam es nach dem Massaker und des Kaisers Reuebekundung (er berief sich ob dieser Demütigung gern auf das Vorbild König Davids im Alten Testament) zum Verbot aller heidnischen Kulte (391/392) und 394 sogar zum Verbot der Olympischen Spiele.
     Theodosius starb am 17. Januar 395 in Mailand. Nach seinem Tod wurde das Reich unter seinen beiden Söhnen in ein Ost- und ein Westreich geteilt – diese hatten übrigens eine hervorragende Erziehung durch einen gewissen Arsenius den Großen genossen, der uns später wieder begegnen wird, aber das bedeutete das Ende eines geeinten Römischen Reiches. Theodosius erhielt den Beinamen »der Große« wohl zuerst, weil er unter den Kaisern mit diesem Namen der älteste war. Später überwog dann bei den nizänischen Christen das Bild, dass – wie bei Konstantin – sein Name mit einem großen Konzil verbunden war – beide Konzilien verhalfen dem Christentum zum Durchbruch. Doch mit Recht schreibt Leppin über ihn: »Doch wäre er in der Lage gewesen, die nachfolgenden Krisen zu überstehen? Hätte er die Germanen, die 406/07 in das Römische Reich eindrangen, abwehren können?... Aber er blieb der westlichen wie der östlichen Christenheit gemeinsam als ein guter Kaiser in Erinnerung, da er den Glauben, den sie teilten, förderte.«

Nicht nur Eroberer: Leo, Leon, Theoderich und Justinian die Großen

Das römische Westreich zerbröckelte mit dem Einbruch der Germanen. Es hielt sich nach dem Tod von Theodosius nicht einmal mehr hundert Jahre. Es endete mit der Entthronung des Romulus Augustus 476 durch den germanischen Heermeister Odoaker. Das Oströmische Reich dagegen hatte noch ein Jahrtausend lang weiter Bestand, wenn es auch überging ins Byzantinische Reich, und erhob auch zunächst immer wieder Anspruch auf das Weströmische.
     Mit zwei Eroberern hatte ein Papst zu tun, der als erster von nur zwei Päpsten (oder dreien, falls man Nikolaus I. noch dazu rechnet) den Titel »der Große« erhielt. Man kann ihn auch als den »ersten echten Papst« bezeichnen. Geboren wurde Leo I. in der Toskana, er wurde Diakon und war für seine Vorgänger Coelestin I. (Pontifikat 422–432) und Sixtus III. (Pontifikat 432 – 40) tätig. Als er sich im August/September 440 gerade in diplomatischer Mission in Gallien aufhielt, wurde er zum Papst gewählt. Als wiederum erster Papst formulierte er, ausgehend vom Neuen Testament (Mt. 16, 18), den Anspruch, als Papst und Bischof von Rom Stellvertreter des Apostels Petrus zu sein und eine überregionale Gesamtverantwortung und Vollmacht als ‚Princeps apostolorum’, d. h. ‚Erster der Apostel’ über den Episkopat und die gesamte Kirche auszuüben. Er gewann bald die Unterstützung des römischen Kaisers Valentinian III. (geb. 418; regierte ab 425 – bis 437 führte seine Mutter die Amtsgeschäfte; gest. 455), der diesen Anspruch in einem Edikt 445 bestätigte. Vor diesem Hintergrund ging Leo energisch gegen abweichende Lehren seiner Zeit vor. So kam es 449 zu dem Konzil von Ephesos, in dem über die Lehre eines gewissen Eutyches verhandelt wurde, der die Lehre von der alleinigen göttlichen Natur Christi gepredigt hatte. Leos Vertreter beharrte auf den beiden Naturen Christi, der göttlichen und der menschlichen, und verkündeten: »Rom hat gesprochen, die Angelegenheit ist erledigt.« Das war der neue Anspruch des römischen Bischofs! Mit seinem die Lehre des Eutyches betreffenden berühmten dogmatischen Send- bzw. Lehrschreiben (‚Tomus’) vom 13. Juni 449 griff er in den damaligen christologischen Streit um die Natur Christi ein. Erst darin entwickelte er die Lehre von den ‚zwei Naturen Christi’, und damit wirkte er auch entscheidend auf das Ergebnis des Konzils von Chalkedon 451, die dort mehr oder weniger vollzogene Schlichtung der christologischen Streitigkeiten, ein. Von Leo sind etwa 100 Predigten und zahlreiche Briefe erhalten, in denen er sich an den theologischen Diskussionen seiner Zeit beteiligte und sie maßgeblich beeinflusste. In seinen Predigten ging er auf Spenden für die Armen ein, auf die Verbreitung des Fastens und selbst so banale Dinge wie das Sonnenbaden auf den Stufen der Peterskirche. Er war ein fleißiger Prediger und selbst beileibe nicht hochmütig, sondern blieb bei all seiner Autorität doch bescheiden. Er bestellte auch einen ständigen Gesandten am byzantinischen Kaiserhof für die Berichterstattung nach Rom und schuf damit die Grundlage für das spätere Amt der päpstlichen Legaten.
     Leos große Bewährungsproben kamen 452 und 455. Im ersteren von beiden Jahren zog er dem nach Oberitalien einfallenden Hunnenkönig Attila (gest. 453) bei Mantua entgegen und bewog ihn, zusammen mit Bischof Lupus, zur Umkehr und zum Rückzug aus Italien. Attila soll der Legende nach neben Leo Paulus und Petrus mit gezücktem Schwert gesehen haben und von ihnen geblendet worden sein– der italienische Maler und Baumeister Raphael Raffael (1483–1520) hat es 1512/15 auf einem Fresko in den Stanzen des Vatikans dargestellt; und im 17. Jahrhundert errichtete der italienische Bildhauer und Architekt Alessandro Algardi (1598–1654) im Petersdom eine Skulptur dazu. Vermutlich half ein üppiges Lösegeld zu Attilas Einsicht dazu. Drei Jahre später standen die Vandalen unter König Geiserich (geb. ca. 390; reg. 428–477) vor den Toren Roms; wieder trat ihnen Leo mutig entgegen und erreichte, dass Rom von Feuer, brutalen Metzeleien und Plünderung der Hauptkirchen verschont blieb, wenn auch sonst alles von »Wert« abtransportiert wurde, einschließlich Sklaven, Spezialisten und Senatoren. Attila soll gesagt haben: »Ich kann Menschen unterwerfen, aber nicht den Löwen (Leo) und den Wolf (Lupus).«
     Leo fühlte sich allen anderen Bischöfen und Patriarchen übergeordnet. Er starb am 10. November 461 in Rom. Später wurde er heilig gesprochen. Sein Todestag ist auch sein Namenstag. Er wurde erst in der Vorhalle von St. Peter beigesetzt, 668 im Inneren der Basilika, wo ihm als erstem Papst auch ein Denkmal errichtet wurde. Dass das Papsttum fortbestand und bis in unsere Zeit überdauerte, war sicher großteils Leo dem Großen zu verdanken.

Es gab noch einen Leo den Großen, den man aber auch Leon den Großen nennt, vielleicht der besseren Unterscheidung wegen. Er war ein oströmischer Kaiser, und während man bei Papst Leo den Titel für gerecht halten darf, kann man bei dem Kaiser wenigstens Fragen stellen. Geboren wurde er um 400 in Thrakien, daher trug er auch den Beinamen Leon der Thraker. Als General im oströmischen Heer kam er 457 durch den Einfluss des Oberbefehlshabers, Aspar, auf den Thron; Senat und Klerus bestätigten ihn; er war der erste Kaiser, der vom Patriarchen gekrönt wurde. Aspar, ein arianischer Germane, wollte selbst nicht Herrscher werden und lehnte das Angebot des Senats eloquent ab, aber erhoffte sich, indem er Leon begünstigte, ihn als Marionette benutzen und mittels seiner regieren zu können. Das war aber nicht im Sinne Leons. Dieser baute Rivalen auf, um Aspar zu schwächen, umgab sich mit einer Leibwache aus Isauriern, Angehörigen eines Volkes, das in der Antike im Taurus um den Suglasee lebte und vor seiner Unterwerfung durch die Römer 78/77 v. Chr. räuberische Wanderhirten gewesen war – und vergrößerte den Anteil der Isaurier in der Armee, um den Einfluss der Germanen, vor allem der Goten, zurückzudrängen. Er brachte den Anführer der Isaurier, Tarasicodissa (426–491), nach Konstantinopel und verheiratete ihn mit seiner Tochter Ariadne. Als Zenon wurde sein Schwiegersohn später Kaiser (474/475 und 476 bis 491) und verfolgte dann eine ganz anders geartete Politik.
     Leon folgte der Politik seiner Vorgänger, den Einfluss des Adels einzudämmen. Er bestätigte die Ergebnisse des Konzils von Chalkedon 451 und unterdrückte strikt die Bewegung des Eutyches in Ägypten. Es gelang ihm auch, die Invasion der Hunnen in Dakien zurückzuwerfen. Schließlich wurde einer seiner Generale, Anthemius, zum Kaiser des Weströmischen Reiches gewählt (467–472). Zusammen versuchten sie den Einfluss der Vandalen in Afrika zu untergraben. 467 boten sie eine Armee von 100 000 Mann auf und eine Flotte von rund 1100 Schiffen. Es war die größte je von einer römischen Regierung aufgestellte Flotte. Ihre Hauptmacht unter Basiliscos (gest. 478), der später Zenon für zwei Jahre als Kaiser verdrängen würde, sollte den Hauptstützpunkt von Geiserich direkt angreifen. Aber entweder war es Inkompetenz oder Verrat: Geiserichs vorher durch die Vandalen selbst in Brand gesetzten Schiffe zerstörten mehr als die Hälfte der bei Cap Bon vor Anker liegenden Invasionsflotte 468 – es war Geiserichs größter Sieg zur See, wenn auch infolge eines Überraschungsangriffes während einer Waffenruhe. Ebenso brachen die Angriffe über Land von Ägypten aus, sowie über Sizilien und Sardinien, nach anfänglichen Erfolgen schnell zusammen. Wieder zurück in Konstantinopel steigerten sich die Auseinandersetzungen zwischen Leon und Aspar, die zur Ermordung des letzteren 471 führten. Die feindlichen Goten, die allerdings Aspar unterstützten, blieben in Thrakien aktiv, aber noch hatte das Reich keinen Schaden erlitten, es blieb wohlhabend und weiterhin blühend. Als Leon der Große, wie er später tituliert wurde, vielleicht eben deshalb, weil das Reich unter ihm prosperierte und er sich für den »wahren Christlichen Glauben« einsetzte (die Arianer nannten ihn allerdings Leon den Schlachter), 474 starb, war sein Schwiegersohn Zenon der mächtigste Befehlshaber und wurde, obwohl unbeliebt, sein Nachfolger. Und Zenon, der unbedingt die in der Ostkirche verbreiteten Monophysiten wieder einbinden wollte, sprach ein kaiserliches Machtwort: in einem »einigenden« Brief, dem ›Henotikon‹, dass es nämlich nur eine einzige Natur in Christus gäbe – damit rief er eine tiefe Spaltung zwischen dem lateinischen und östlichen Christentum hervor. Er stellte sich nämlich damit auf die Seite der Monophysiten, die lehrten, dass es in Jesus Christus nur eine Natur gegeben habe, nämlich die göttliche des »fleischgewordenen Logos«, und nicht zwei, nämlich eine wahre göttliche und eine wahre menschliche, worauf das lateinische Christentum beharrte. Im Jahre 451 war die monophysitische Richtung auf dem Konzil von Chalkedon verurteilt worden, und es bildeten sich im Lauf der Zeit eigene orientalische Kirchen wie die armenische oder die koptische und andere. Diese wiederum beharrten allerdings darauf, dass sie Miaphysiten seien und nicht Monophysiten, da sie eine vereinigte Natur Christi lehrten. In unserem weiteren Bericht wird aber nicht zwischen Mono- und Miaphysiten unterschieden. Mit der Handlung Zenons zeigte sich erneut, was ein Kaiser nicht alles weiß und beurteilen kann … Immerhin legte Zenon noch in Leons Todesjahr den Konflikt mit den Vandalen bei und schloss mit ihnen ein »Ewiges Bündnis«.

Wie gesagt, Leon und dann Zenon hatten auf dem Balkan heftig mit den Goten zu tun. Erst als sich ihr Anführer Theoderich 488 nach Italien wandte, beruhigte sich die Situation. Es war die Zeit der berühmt-berüchtigten Völkerwanderung mit den damit einhergehenden großen Umwälzungen in Europa. Theoderich, einer der bedeutendsten Gestalten in dieser Epoche, sollte später ebenfalls den Titel »der Große« erhalten. Die Sage machte aus ihm den sympathischen Recken Dietrich von Bern, der nicht nur im Nibelungenlied eine Rolle spielt, sondern um den sich ein eigener Sagenkreis gebildet hat.
     Theoderich wurde um 451 oder 453 geboren und entstammte dem berühmten Geschlecht der Amaler. Sein Vater war der Gotenkönig Thiudimir, ein Arianer, während seine Mutter später mit dem Taufnamen Eusebia Katholikin wurde und ihrem Sohn nach Italien folgte, wo sie als Königin galt. Damals lebten die Goten vom Südufer des Plattensees bis in die Umgebung des heutigen Belgrad. 459/60 erneuerte Kaiser Leon den Frieden mit ihnen, und Theoderich kam 459 zur Garantie dafür als Geisel an den Hof in Konstantinopel, wo er bis 469 blieb. Dass er in Konstantinopel seine besten Lehrjahre verbrachte und von dieser Zeit stark geprägt wurde, hat sich in seiner weiteren Laufbahn immer wieder gezeigt. Er lernte hier auch Aspar kennen, der auf der Höhe seiner Macht stand und, selbst alanisch-gotischer Herkunft, seine Hausmacht auf Goten stützte und eine gotenfreundliche Stimmung förderte. Er wollte auch den großen Krieg gegen die Goten, das »Gift des Staates«, verhindern, den der Kaiser 469 begann. Aber die Goten waren damals schon zu stark und nicht zu besiegen. Als Zeichen seiner friedlichen Absichten ließ Leon Theoderich nach Hause kehren. Zu der Zeit übernahm Thiudimir die Oberhoheit über die drei pannonischen Gotenreiche; er starb 474. Nach einem Sieg über die Sarmaten 471 fühlte sich Theoderich, der persönlich unglaublich tapfer war, bereits als König oder wurde auch schon gewählt – jedenfalls feierte er sein dreißigjähriges Herrschaftsjubiläum im Jahre 500. Die Jahre von 476 bis 488 waren verwirrend ereignisreich. Theoderich zog mit seinem Volk an die untere Donau, wo sie wieder als Foederati lebten. Zenon, nunmehr Kaiser, ernannte ihn 476 zum Heermeister und 483 zum Patricius, ein Jahr später zum Konsul, was mit der Verleihung der römischen Bürgerrechte verbunden war. Aber auf Dauer konnte er, so wusste Theoderich, dem Römischen Reich nicht standhalten und seinem Volk nicht den nötigen Status erhalten. So rückte er 488 auf Zenons Weisung hin nach Italien gegen den dortigen Machthaber Odoaker vor. Dieser, aus dem germanischen Stamm der Skiren, geboren etwa 433, hatte 476 den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustus abgesetzt und war im August dieses Jahres von den germanischen Söldnern in Italien zum (Heer-)König ausgerufen worden. Zwar erkannte er die Oberhoheit des oströmischen Kaisers an, aber Zenon war seine Herrschaft ein Dorn im Auge. Theoderich warf Odoaker nach Verona (d. i. Bern) zurück und schlug ihn dort 489; Odoaker floh nach Ravenna; Theoderich belagerte ihn dort zwei Jahre lang – die »Rabenschlacht« der Sage – und tötete ihn, nachdem man sich in einem Vertrag über die gemeinsame Herrschaft in Italien und Ravenna geeinigt und Odoaker die Tore geöffnet hatte, 493 bei einem Gastmahl eigenhändig. Nun hatte Theoderich nach viermaligem Anlauf sein Ziel erreicht: ein eigenes Reich für sein Volk. 497 erhielt er die kaiserliche Anerkennung; er sollte als Vertreter des Kaisers – er nannte sich »Flavius Theodoricus rex« – über das westliche Reich herrschen. Die Römer sahen ihn als Herrn an, nannten ihn bisweilen Augustus und stellten ihn mit Trajan auf eine Stufe. Man errichtete ihm Statuen, und er sah sich als wahrer Kaiser. Tatsächlich führte er eine unabhängige Herrschaft, die er durch Bündnisse bis in den Alpen- und Donauraum ausdehnte. Aber die erhoffte Vereinigung mit den benachbarten germanischen Königreichen wie Westgoten, Burgunder und Franken gelang trotz einer intensiven Heiratspolitik nicht. Er selbst heiratete in zweiter Ehe Audofleda, die Schwester des Frankenkönigs Chlodwig (geb. ca. 466; reg. 481/482–511), die ihm die Tochter Amalasuintha gebar, seine Erbin. Von seiner ersten Frau hatte er zwei Töchter, und von anderen Frauen noch weitere – er hatte viele Töchter, aber nicht einen einzigen Sohn. Übrigens war Chlodwig für die europäische Geschichte von wesentlicher Bedeutung, da er ein fränkisches Einheitsreich vom Rhein bis zur Garonne mit dem Mittelpunkt Paris gründete. Während er den Rest der Römerherrschaft in Gallien beseitigte, setzte Theoderich ganz auf die römischen Traditionen und versuchte, Römer und Goten in Eintracht mit einander leben zu lassen. Theoderichs Regierungszeit galt als »goldene Epoche«. Da er sich in der Nachfolge der früheren römischen Kaiser sah, behielt er die römischen Staatseinrichtungen bei. Unter ihm erlebte die antike Kultur noch einmal eine Blüte. Ravenna wurde auf hervorragende Weise durch Bauwerke verschönert, und der berühmte Codex Argentius, eine Prunkhandschrift der gotischen Bibelübersetzung des Wulfila, die heute in Uppsala liegt, zeugt von der regen Geistestätigkeit in Theoderichs Reich. Zu einer Vermischung von Römern und Goten kam es allerdings nicht, und das Heerwesen blieb allein den Goten vorbehalten. Aber hervorragende Römer wie Cassiodor (ca. 490–ca. 583) und Boethius (ca. 480 – ca. 524) erhielten unter ihm hohe Ämter; Cassiodor wurde der Leiter seiner Kanzlei und Verfasser einer Geschichte der Goten wie auch einer Weltchronik, der Philosoph Boethius Konsul und »Magister Palatii«; allerdings wurde er, wohl infolge einer Intrige, des Hochverrats bezichtigt und hingerichtet; heutzutage gilt er durch seine Übersetzung und Kommentierung der logischen Schriften des Aristoteles als wichtigster Vermittler zwischen Altertum und Mittelalter.
     Theoderich griff auch in die trotz der Ergebnisse des Konzils von Chalkedon weiter schwelenden und immer wieder ausbrechenden Streitigkeiten der Christen um die Natur Christi ein. Obwohl Arianer, ließ er dennoch die Katholiken gelten. »Die gotisch-arianische Konfession und Verfassung, die lex Gothica, erlebte im italischen Reich Theoderichs des Großen ihre Blütezeit«, urteilt der Historiker Herwig Wolfram, und zu Theoderichs behutsamen Versuchen, die langwierigen Auseinandersetzungen zu beenden, bemerkt er: »Die Früchte seiner Bemühungen und der von ihm geschaffenen Voraussetzungen zählen heute noch zu den schönsten und wertvollsten Leistungen des europäischen Geistes.« Auch seine Außenpolitik war insgesamt durchaus erfolgreich, von manchen Rückschlägen wie bezüglich der Vandalen oder der Franken abgesehen. Theoderich starb am 30. August 526 in Ravenna und wurde in der Stadt bestattet und mit einem Grabmal geehrt. Zum Zeitpunkt seines Todes war er der mächtigste Herrscher im westlichen Mittelmeerraum. Die Nachwelt verlieh ihm den Titel »der Große«, den sie dem Frankenkönig Chlodwig verweigerte, obwohl dessen Reichsgründung um ein Vielfaches dauerhafter war als die Theoderichs. Vielleicht lag dies aber auch an den die unterschiedlichen Persönlichkeiten auszeichnenden charakterlichen Eigenschaften und Tugenden, in denen Theoderich Chlodwig bei weitem überlegen war …
     Die Ostgoten brachten in den letzen Jahren ihres dem Ende entgegen gehenden Reiches noch einmal einige Helden hervor, wenn auch eher tragische: vor allem der »Heldenjüngling« Totila, der als fähiger Feldherr weite Teile Italiens abermals der gotischen Herrschaft unterwarf, aber im Mai 552 fiel, und der »Schwarze Graf«, wie er früher hin und wieder genannt wurde, Teja, der etwa fünf Monate später bei Neapel besiegt und getötet wurde. Das Ostgotenreich wurde von den Feldherren Belisar (um 505–565) und vor allem Narses (um 490–574) des oströmischen Kaisers Justinian des Großen zerstört – wenn auch nicht unbedingt geschichtlich treu, aber doch spannend nachzulesen in Felix Dahns Ein Kampf um Rom.
     Justinian, eigentlich Flavius Petrus Sabatius, kam 482 in Tauresium bei Skopje zur Welt. Er war der Neffe von Kaiser Justin I., der ihn unter dem Adoptivnamen Justinian zum Berater (521) und Mitkaiser (527) erkor. Als Justin noch in diesem Jahr starb, wurde Justinian Augustus, also Kaiser; seine Gemahlin Theodora, eine ehemalige Schauspielerin von ungewöhnlicher Begabung und Intelligenz, angeblich auch Grausamkeit, die er 525 geheiratet hatte, als sie etwa 28 Jahre alt war, wurde zur Augusta erhoben, und beide übten bis zum Tode Theodoras 548 eine Doppelherrschaft aus. Theodora gewann großen Einfluss auf die Politik, der fähige Narses, ein Eunuch, war ihr Günstling, und sie rettete ihrem Mann im sogenannten Nika-Aufstand sogar den Thron. 532 revoltierten die beiden Zirkusparteien von Konstantinopel, die »Grünen« und die »Blauen«, gegen die Zentralgewalt; ihre Parole war »Nika – Siege!«, daher die Bezeichnung. Theodora beauftragte die Feldherrn Belisar und Narses mit der Niederschlagung, die dann recht blutig erfolgte – angeblich zählte man an die 30 000 Tote. Der erste Bau der Hagia Sophia ging – wie ein großer Teil von Konstantinopel – bei dem Aufstand in Flammen auf. Nicht nur die berühmte Hagia Sophia stammt aus Justinians Bautätigkeit, er ließ die alte, abgebrannte, herrlich neu errichten – sie sollte sein bedeutendstes Bauwerk werden. Auch sonst konnte er auf viele Erfolge zurückblicken. Belisar unterwarf das Vandalenreich in Nordafrika, Sardinien und Korsika (534) und schlug die Westgoten in Spanien (554), Narses beendete die ostgotische Herrschaft und reorganisierte anschließend die Verwaltung in Italien. Im Norden wurden erfolgreich die Slawen bekämpft. Das Ziel von Justinians Politik bestand darin, das Römische Reich zu erneuern, diesmal als Ökumene und unter Wiederherstellung der Orthodoxie. Das Oströmische Reich konnte er halten, und große Teile des Weströmischen fielen ihm wieder zu. Tributleistungen sicherten den Frieden gegenüber den Persern, gegen die Belisar 523 und 529 siegreich und 541/542 mehr oder weniger erfolgreich gekämpft hatte, und gegenüber den Hunnen, vor denen Belisar 559 Konstantinopel verteidigen musste. Alle diese Eroberungen und Leistungen waren aber mit großen finanziellen Auswendungen verbunden und führten zu einer Schwächung des Reiches. Nach Justinians Tod gingen die erneut gewonnenen Gebiete bald wieder verloren.

Nicht erst seit dem Sieg im Nika-Aufstand hatte Justinian an Autorität gewonnen. Er hatte auch begonnen, eine Rolle als Oberherr der Kirche einzunehmen. Er bekämpfte Häretiker und Heiden, was z. B. zur Schließung der Philosophenschule in Athen 529 und im selben Jahr zu dem Edikt führte, dass alle Heiden sich zu bekehren hatten, wenn sie nicht mit schweren Sanktionen rechnen wollten, und er beteiligte sich, zum Teil auch schriftstellerisch, an den dogmatischen Diskussionen. Nach außen hin, kirchenpolitisch, verteidigte er die Orthodoxie, suchte aber, wie andere Kaiser schon vor ihm, den Ausgleich mit den Monophysiten, nach deren Lehre Christus, wie gesagt, nicht zwei, sondern nur eine Natur, eine göttliche, hatte; insgeheim hing er wohl den Monophysiten oder Miaphysiten an und starb angeblich sogar als einer der ihren. Theodora stützte offen die Monophysiten. Durch die Einberufung des 5. Ökumenischen Konzils 553 in Konstantinopel, dem zweiten in dieser Stadt, suchte der Kaiser, die Streitigkeiten zu beenden – in Konstantinopel kam es zu Straßenschlachten um diese Fragen. Er selbst nahm, im Gegensatz zu Konstantin beim ersten Ökumenischen Konzil 325 in Nikäa, selbst nicht teil, aber er ließ die Beschlussrichtung vorgeben. Seine Devise war, den Gegnern der Beschlüsse des Konzils von Chalkedon entgegenzukommen, aber ohne dessen Ergebnisse ins Gegenteil zu verkehren. Es ging dabei auch um den sogenannten Drei-Kapitel-Streit – Justinian hatte 544, um den Monophysiten einen Gefallen zu tun, die Schriften dreier Theologen verworfen, die von monophysitisch dominierten Konzilien verurteilt, aber in Chalkedon anerkannt, ihre Verfasser rehabilitiert worden waren. Von den 168 anwesenden Bischöfen waren nur drei Nicht-Orientalen. Zwar wurden entsprechende Beschlüsse gefasst, aber am Ende saß Justinian in seiner Selbstherrlichkeit, mit der er auch sonst in religiösen Angelegenheiten agierte, z. B. bei der Ein- oder Absetzung von Bischöfen, zwischen allen Stühlen – alle fühlten sich mehr oder weniger verprellt. Weniger glücklos blieben Justinians gesellschaftliche und verwaltungsmäßige Reformen. Vor allem mit dem Corpus Iuris Civilis, der von ihm in Auftrag gegebenen, mit Gesetzeskraft verbundenen Sammlung des römischen Rechts (528–542), überdauerte er die Zeiten; in großen Teilen Europas entwickelte sich das Corpus, nachdem es schon im Mittelalter mit Kommentaren und Erläuterungen versehen worden war, zur Grundlage der Rechtsordnung. Teilweise galt es in Deutschland bis zum Inkrafttreten des BGB im Jahr 1900.
     Was ist geblieben? Die ersten Regierungsjahre Justinians waren sicherlich von großen Erfolgen gekrönt, aber von den Ergebnissen der außenpolitischen Unternehmungen war nichts von Dauer, wirtschaftlich wurde das Reich geschwächt, wie die Ressourcen waren auch die militärischen Kräfte erschöpft, schon 568 eroberten die Langobarden weite Teile Italiens; auch die Eroberungen in Spanien konnten nicht gehalten werden; Katastrophen wie die Pest 540 brachen herein; die Kluft zwischen den Kirchen im Westen und Osten war so tief wie nie. Mitten in theologischen Auseinandersetzungen starb Justinian am 11. November 565. Als die islamischen Araber im 7. Jahrhundert Syrien und Ägypten unterwarfen, wurden sie von den Monophysiten als Befreier begrüßt. Justinians Hagia Sophia, deren Kuppel 558 einstürzte und nicht mehr in der alten Pracht wieder aufgebaut wurde, glänzt allerdings noch immer, und die Studenten des Rechts müssen sich weiterhin mit seinem Corpus Iuris Civilis befassen. Aber das antike Römische Reich existierte nicht mehr, Justinian der Große gilt als letzter oströmischer und eher schon als byzantinischer Kaiser … Das Mittelalter stand bevor.



Intermezzo
Geschichte der Christenheit


Jesus Christus wurde zwischen 30 und 33 unserer Zeitrechnung gekreuzigt. Seine Geburt fand wohl um 6 oder 7 statt. Dass sie nicht im Jahre 1 erfolgte, wie man annehmen sollte, hängt mit der fehlerhaften Berechnung des skythischen Abtes Dionysius Exiguus im Jahre 525 zusammen, der von etwa 500 bis 550 in Rom lebte. Somit wurde Saulus, der Anfang des 1. Jahrhunderts geboren worden war, zwischen 33 und 35 zum Paulus bekehrt; seine Missionsreisen unternahm er in den Jahren 45 bis 58; schon 48/49 bestätigte das Apostelkonzil in Jerusalem die Heidenmission, und Paulus erlitt sein Martyrium, wenn es denn eines war, 60 oder 62 in Rom. Johannes starb als Letzter der Apostel 98 in Ephesus.
     Abgesehen von Verfolgungen durch lokale jüdische und römische Behörden, was zum Ausweichen der christlichen Gemeinden in benachbarte Regionen führte, kam es unter Nero 64 zu den ersten als solche angesehenen Christenverfolgungen im Zusammenhang mit dem Brand Roms; sie waren allerdings auf Rom beschränkt und können, weil es hier auch um die Bestrafung tatsächlicher oder vermeintlicher Brandstifter ging, nicht mit den späteren reichsweiten Verfolgungen verglichen werden. Diese setzten unter Domitian ein (81–96); die erste wirklich auf alle Teile des Reiches ausgedehnte Verfolgung gab es dann, wie bereits erwähnt, 249–251 unter Kaiser Decius. Jerusalem und der Tempel waren im Jahre 70 durch die Römer zerstört worden; seitdem lebten die meisten Juden in der Diaspora, mit all den schrecklichen Konsequenzen für ihre und die christlich-jüdische Geschichte…
Die Urchristengemeinden konnten sich langsam, aber unaufhaltsam entwickeln und über das ganze Römische Reich verbreiten, sogar bis nach England. Erst um 150 entstanden erste Christusbilder, von 200 bis 250 Wandbilder in den Katakomben Roms. Wie wir gesehen haben, kam es um 200 zur ersten christlichen Staatsreligion in Edessa unter Abgar dem Großen, und Konstantin der Große sorgte mit seinem Toleranzedikt von 313 für den großen und rasanten Aufbruch in der Geschichte des Christentums. Damals betrug, wie schon erwähnt, der geschätzte Bevölkerungsanteil der Christen im Römischen Reich bereits um die 15 %. Erst mit der »Konstantinischen Wende« begannen der eigentliche Aufstieg des Christentums und die Entstehung der Kirche.


1. Das Mönchtum

Mönchtum, Nonnenwesen und Klosterwesen entwickelten sich schon in der frühen Christenheit. Das Wort »Mönch« kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Einsiedler«. Mönche und Nonnen gab und gibt es in vielen Religionen. Es handelte und handelt sich um Menschen, die asketische Ideale vertreten, z. B. Ehelosigkeit und Verzicht auf persönlichen Besitz, die in der Regel religiösen Motiven folgen und ihre Ideale als Einsiedler, wie zu Beginn in der Christenheit, in der Wanderaskese oder später in klösterlichen Gemeinschaften zu verwirklichen suchten und suchen. In der frühen Christenheit begaben sich immer mehr Menschen in die Einöde, oft in die Wüste, auf der Suche nach der Jesusnachfolge, in Verbindung mit strenger Askese, um ein gottgefälliges Leben zu führen und sich dadurch selbst zu verwirklichen. Das christliche Kloster im eigentlichen Sinne begründete der ägyptische Mönch und Kopte, der heilige Pachomius (ca. 292–ca. 346) als Zusammenschluss der als Einsiedler in Höhlen oder verlassenen Gräbern, selbst auf Säulen hausenden Mönche unter einer festen Regel, die für alle im Kloster Lebenden verbindlich war. Auch diese Zeiten haben ihre »Großen« hervorgebracht. Es ist nicht auszuschließen, dass »Große« in der Geschichte der Christenheit im Folgenden unberücksichtigt bleiben, weil sie schlicht unter den vielen so betitelten nicht gefunden wurden. Der Vollständigkeit sollte aber erwähnt werden, dass die beiden Jünger Jesu, die Apostel und Heiligen mit Namen Jakobus im Deutschen »der Ältere« und »der Jüngere« genannt werden; im Amerikanischen heißen sie James »the Greater«, also der Größere, und James the Lesser, also »der Kleinere«.

Hervorragende Vertreter des Mönchtums: Antonius, Bessarion, Makarios, Poimen, Onuphrius, Arsenius, Euthymius und Babai die Großen

Am ehesten dürfte noch vielen Gläubigen Antonius der Große ein Begriff sein. Er wurde unter die besonders verehrten und dargestellten Heiligen aufgenommen und gilt als der Patriarch der Mönche. Geboren 251/252 in Kome, dem heutigen Keman, in Mittelägypten als Sohn reicher Eltern, zog er sich mit etwa zwanzig Jahren gemäß dem Wort Jesu: »Verkaufe alles, was Du hast« (Matth. 19, 21), nachdem er all seinen Besitz den Armen gegeben hatte, in die Wüste in ein Felsengrab zurück, um dort als Eremit zu leben; aber lange war er nicht allein, da sich bald Schüler um ihn sammelten. Ihnen versuchte er sich nach 20 Jahren auf einen Berg am Nil zu entziehen, aber da seine Jüngerschar immer noch wuchs, gab er ihr schließlich nach und gründete eine Einsiedlerkolonie, eine Art Kloster. Gegen Ende seines Lebens verließ er die Einöde vollends und predigte auf Bitten seines Freundes Athanasius in Alexandria gegen die Arianer. Auf Athanasius, der auch Antonius’ Leben beschrieb, kommen wir noch zurück. Antonius hat keinen Orden gegründet und auch keine Ordensregel erlassen, aber durch ihn ist das Anachoretentum, die Vorform des Mönchtums, entstanden, also das asketische Leben christlicher Mönchen in Einsiedlerkolonien in der Einsamkeit. Aus ihm entwickelte Pachomius die erste echte klösterliche Mönchsgemeinde. Antonius der Große starb um 356 in der ägyptischen Wüste. Viele Legenden sind von ihm überliefert, z. B. die Versuchung durch den Teufel in Gestalt schöner Frauen, oder der heftige Angriff auf ihn durch den Teufel und andere Widersacher, die ihn schwer verwunden, in die Lüfte heben und seine Zelle in Flammen aufgehen lassen, denen er jedoch allen widersteht. Die schönste Geschichte ist aber die von seinem durch einen Traum ausgelösten Besuch bei dem 110 Jahre alten Eremiten Paulus von Theben – heute noch als Heiliger am 15. Januar verehrt als »Vater des Einsiedlerlebens«. Antonius, damals selbst schon 90, wird von einem Wolf durch die Wüste zu Paulus geführt, und diesem brachte der Rabe, der ihm sonst ein Brot am Tag bringt, diesmal zwei. Auch von Paulus Tod erfährt Antonius durch eine Vision. Er findet ihn tot in betender Haltung, und zwei Löwen helfen Antonius bei der Bestattung, indem sie ein Grab für ihn ausscharren. – Antonius wurde heilig gesprochen, und sein Festtag ist der 17. Januar. Nach der Gründung des Antoniterordens 1059 kamen seine Reliquien als Dank eines französischen Edelmannes namens Gaston für die Heilung seines Sohnes von einer ansteckenden Seuche, dem sogenannten »Antoniusfeuer«, nach St. Didier-de-la-Motte in Frankreich und befinden sich heute in der Kirche St. Julien in Arles. Der Orden widmete sich seit 1217 vor allem der Krankenpflege und baute viele Spitäler; als Entgelt für die Krankenpflege durfte er seine Schweine frei weiden lassen; daher wurde das Schwein eines von Antonius’ Attributen, mit denen er auf den zahlreichen Abbildungen, die es von ihm gibt, gezeigt wird. Auch das Glöckchen, das die Schweine zur Erkennung trugen, gehört zu seinen Kennzeichen. Berühmt wurde vor allem seine Darstellung auf dem Isenheimer Altar (1515 fertiggestellt) durch den deutschen Maler, Bau- und Wasserkunstmeister Matthias Grünewald (ca. 1480 (?)–1528) in Colmar – hier der Besuch bei Paulus; in der Mitte des Schreins befindet sich eine vergoldete Schnitzerei von ihm, angefertigt von Niclas Hagnower (Nikolaus von Hagenau; ca. 1445–vor 1538) . Noch im 20. Jahrhundert kam es zu Lithografien seiner Versuchungen, z. B. 1945 durch den französischen Maler und Grafiker deutscher Herkunft Max Ernst (1891 – 1976) und ein Jahr später durch den spanischen Maler und Grafiker Salvador Dali (1904–1989). Antonius der Große wurde zum Patron gegen ansteckende Krankheiten, nicht nur bei den Menschen, ebenso bei den Haustieren, und wird oft auch zu den 14 Nothelfern gezählt. Er hilft auch gegen Feuer, da ihm die Flammen nichts anhaben können. Dargestellt wird er meist mit gegürtetem, härenem Gewand und einem schwarzen Mantel mit T-Zeichen. Als ihn seine Jünger begruben, sahen die Anwesenden Engel, die um ihn standen …
     Im vierten Jahrhundert lebte in Ägypten auch ein gewisser Bessarion, ein Schüler des Isidor von Pelusium, der Reisen zu verschiedenen Einsiedlern unternommen hatte, um von ihnen zu lernen und selbst Einsiedler zu werden. Als Anachoret lebte er in der Wüste und wurde im ganzen Land als Wundertäter bekannt. Angeblich trug er immer eine Abschrift der vier Evangelien mit sich und verkaufte sie schließlich, um das Geld unter die Armen zu verteilen. Auch soll er sein einziges Kleidungsstück an einen Bettler verschenkt haben. Das Volk nannte ihn Bessarion den Großen, und er wurde heilig gesprochen – in der griechisch-orthodoxen Kirche ist sein Tag der 6. Juni, in der russisch-orthodoxen der 20. Februar. Nach ihm nannte sich der byzantinische Theologe und Humanist, Kardinal und Titularpatriarch von Konstantinopel, Basilius Bessarion (1403–1472), der einen wichtigen Anteil an der Erschließung antiker griechischer Autoren wie Platon für das Abendland und damit weitreichenden Einfluss ausgeübt und der zunächst als Mönch gelebt hatte. Er besaß eine private Bibliothek mit 746 Bänden, davon 482 griechische und 264 lateinische Handschriften, dazu noch etwa 300 Drucke. Er schenkte sie 1468 der Republik Venedig, wo sie den Grundstock der Biblioteca Marciana bildete. So kam Bessarion der Große noch einmal zu späten Ehren.

Um 300 kam in Oberägypten Makarios zur Welt. Er wurde mit 30 Jahren aus ähnlichen Gründen wie Antonius Einsiedler in der Arabischen Wüste. Auch um ihn scharten sich Nachahmer und Jünger, und so wurde er zum Mittelpunkt, geistigen Vater, Gründer und Führerpersönlichkeit einer großen Eremitenkolonie in der Skelettwüste in Libyen. Ihm wurden durch die spätere Überlieferung vierzig »geistliche Homilien« zugeschrieben, mystische Literatur, die aber wohl aus Kreisen der Messalianer stammten, wahrscheinlich von einem Symeon von Mesopotamien. Die Messalianer, was syrisch »Betende« bedeutet, griechisch Euchiten genannt, breiteten sich von ihrem Ursprung in Nordsyrien auch in die griechische Kirche aus. Nach ihrer mystisch-asketischen Lehre, die 431 vom Konzil von Ephesos verurteilt wurde, können unablässiges Gebet und ekstatischer Tanz das Böse im Menschen ausmerzen, was dazu führt, dass der Heilige Geist sinnlich erfahren und die Trinität geschaut werden können. Die angeblich auf Makarios zurückgehenden Schriften besitzen hohen Stellenwert in der mystisch-asketischen Literatur des ostkirchlichen Mönchtums; ihr Gedankengut wirkte auf die Entwicklung der Derwisch-Bewegung im Islam – waren die Euchiten nicht so etwas wie die Vorläufer der Derwische? – und indirekt über Makarios bis hin zum Pietismus im Christentum. Makarios ging schließlich als »der Große« in die Geschichte ein.

Zu den »Wüstenvätern« wird auch Poimen der Große (ca. 340–450) gezählt, ein ägyptischer Mönch. Neben Antonios und Makarios gehörte er zu den bedeutendsten und bekanntesten Mönchen der späten Antike. Er gilt als Meister der Askese; als er mit zwei seiner sechs Brüder in einem ägyptischen Kloster lebte, zeigten sie sich nicht einmal ihrer Mutter, wenn sie das Kloster besuchte – so sehr gingen sie in ihrer Askese auf. Mehr als hundert Sinnsprüche werden ihm zugeschrieben, z. B.: »Eigenwille und Bequemlichkeit und die Gewöhnung daran bringen den Menschen ins Verderben.« Poimen der Große wird heute in der katholischen und in den orthodoxen Kirchen als Heiliger verehrt.

Als »Großer« wurde auch der heilige Onuphrius bezeichnet, der sogar ein abessinischer Fürstensohn war, aber auf ein fürstliches Leben verzichtete, von seinem Vater verstoßen wurde und nach seiner Erziehung im Kloster Hermopolis Mönch wurde. Die Einsamkeit, die er suchte, fand er in der herrlichen Landschaft von Kappadokien in Anatolien in der heutigen Türkei, in einem der abgelegenen Felsenklöster von Göreme. Hier lebte er der Überlieferung zufolge 40 Jahre lang in andächtiger Anbetung, aber er blieb nicht weltabgeschieden, sondern lehrte in den klösterlichen Siedlungen der Umgebung. Da ihn ein Esel über die weiten Entfernungen getragen haben soll, soll er davon (»onos«) seinen Namen Onuphrius erhalten haben. Nach anderen Quellen kommt der Name aus dem Ägyptischen: »Un-nofer«, »das vollkommene Sein«, war eine Bezeichnung des auferstandenen Osiris. Wie dem auch sei, ein Engel brachte ihm der Legende nach regelmäßig an Sonn- und Feiertagen die Heilige Kommunion; angeblich erst kurz vor seinem Tode, etwa im Jahre 400, als Onuphrius wohl an die achtzig Jahre alt war, soll er vom heiligen Paphnutius, einem Bischof in Ägypten, der ein Schüler des heiligen Antonius war und als Gegner des Arianismus auf verschiedenen Konzilien auftrat, gefunden worden sein; Paphnutius soll ihm bei dieser Gelegenheit die Heilige Kommunion gereicht und später eine Lebensbeschreibung über ihn verfasst haben. Das aber kann nicht sein, da Paphnutius schon um 350/360 während einer Christenverfolgung sein Martyrium erlitt. Bedenkt man allerdings, dass Onuphrius auch als Einsiedler in Ägypten und Syrien gelebt haben soll, vielleicht sogar in Syrien gestorben ist, und ihn Pahphnutius nicht kurz vor Onuphrius’ Tod, sondern schon vor seinem eigenen auffand und besuchte, dann lassen sich Legende und Wirklichkeit eher in Einklang bringen. – Die älteste Darstellung von Onuphrius dem Großen, wie er, der seit etwa dem 7. Jahrhundert in der koptischen Kirche als Heiliger verehrt wurde, später genannt wurde – sein Tag ist der 12. Juni – findet sich als Ritzzeichnung in einem der Felsenräume von Göreme, in der Yilanli-Kirche im heutigen Freilicht-Museum, zusammen mit dem heiligen Basilius und dem heiligen Thomas. In Kappadokien erzählt man sich seine Geschichte allerdings ganz anders: Danach war er ursprünglich ein leichtsinniges Weib, das zu Gott betete, er möge sie vor den Männern schützen, und Gott erhörte sie und ließ ihr lange Haare und einen langen Bart wachsen. Neben vielen ostkirchlichen gibt es von ihm zahlreiche deutsche Darstellungen, vor allem aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Er ist darauf nur mit einem Blätterschurz oder Laubkranz um die Lenden bekleidet, mit langem wallenden Haar und Bart, zu sehen, trägt eine Krone oder ein Zepter, und ein Doppelkreuz verweist auf seine Tätigkeit als Eremit und kappadokischer Kirchenlehrer. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Onuphrius der Schutzpatron für die Prostituierten, die Hermaphroditen und die von sexuellen Übergriffen Bedrohten sowie auch der Weber ist – auch im Zusammenhang mit den Vorwürfen der sexuellen Übergriffe an die Kirche nicht ganz uninteressant ...
 

Heiliger Onophrius

Heiliger Onophrius (Albrecht Dürer, Kunsthalle Bremen, Wikipedia)

  
Eine Besonderheit ist noch speziell hervorzuheben: Onuphrius gilt als alter Schutzpatron Münchens, eine Rolle, die er sich mit dem bekannteren Heiligen Benno von Meißen (ca. 1010–1106) teilt. Der Papst persönlich hat Onuphrius’ Schädelreliquie (Hirnschale) anlässlich der Gründung von München 1158 an Heinrich den Löwen (ca. 1129–1195), den Herzog von Sachsen (1142–1180) und von Bayern (1156–1180) und als letzterer Gründer von München gesandt, oder dieser hat sie von einem seiner vielen Feldzüge mitgebracht, und Heinrich ließ die Reliquie in feierlicher Prozession am 14. Juni 1158 in seine Burgkapelle tragen; von da ab war Onuphrius sein Schutzpatron. Das einzige, was von all dem »erhalten« blieb (die Spur der Reliquie verliert sich nach dem 1816 erfolgten Abriss der Kapelle St. Laurenz, wo sie nach ihrer Erbauung 1324 aufbewahrt wurde), ist die Erinnerung in Form einer – allerdings recht großen – Mosaiktafel am Marienplatz, Haus Nr. 17, schräg gegenüber vom Rathaus und direkt gegenüber vom Traditionsgeschäft Ludwig Beck (»am Rathauseck«), am Alten Rathaus. Das erste Bildnis hier stammt von 1497, das derzeitige von 1960. Es ist allerdings nicht das einzige in München. Es gibt auch Bilder von ihm in der St. Peterskirche, im Dom und ein Fresko in der Kapelle der Blutenburg in Obermenzing. Leider hat die Stadt München keine Erklärungstafel am Mosaik am Marienplatz anbringen lassen, so dass sich der nicht eingeweihte Tourist in Anbetracht der Namensinschrift vergebens fragt, um wen es sich hier handelt – selbst echte Münchner halten ihn eher für den heiligen Christopherus, aber immerhin – Onuphrius der Große ist zwar in Vergessenheit geraten, aber dennoch unvergessen, wenn auch selbst kaum ein Münchner um ihn weiß, es sei denn, er ist im Himmel …

Ein weiterer Heiliger brachte es ebenfalls zum Beinamen »der Große«. Arsenius war Römer und entstammte einer sehr vornehmen Familie. Geboren wurde er 354, er war äußerst interessiert an griechischer und römischer Literatur, befleißigte sich der Tugendübungen und wurde nach allerdings umstrittenen Quellen Diakon der römischen Kirche. Sicher ist, dass Kaiser Theodosius der Große von ihm und seiner Tugend und Gelehrsamkeit hörte, ihn 383 nach Konstantinopel kommen ließ und ihm seine beiden Söhne Arkadios (geb. ca. 377; reg. 395–408) und Honorius (geb. 384; reg. 395–423), ersterer der erste oströmische Kaiser, letzterer weströmischer nach des Vaters Tod, zur Erziehung anvertraute. Dafür empfing er ihn mit großen Ehren und erhob ihn zum Senator. Allerdings kam es nach vielen erfolgreichen Jahren zu Zwistigkeiten. Arsenius unterrichtete stehend und war sehr streng; seine Schüler mussten sitzen, und als Arkadios schon zum Augustus erklärt war, empfand er angeblich diese Situation als erniedrigend. Da es darob sogar zu Mordplänen gekommen sein soll, verließ Arsenius fluchtartig den Hof. Es gibt aber auch Historiker, die diese Version ganz und gar ablehnen. Danach hörte Arsenius, der immer schon zur Abgeschiedenheit neigte, eine innere Stimme, die ihm sagte, er solle die Gesellschaft der Menschen fliehen und würde dann erst richtig leben. So verließ er heimlich den Palast, nach elf Jahren und im Alter von 40, und fuhr nach Alexandria, um sich von dort in die Skelett-Wüste in Libyen zu begeben. Dort wurde er nach einer Prüfung in die Gemeinschaft aufgenommen. Bald danach hörte er wieder eine Stimme, die ihm bedeutete, nun in vollständiger Abgeschiedenheit zu leben. Tatsächlich verbrachte er von da ab vierzig Jahre in seiner Einzelzelle in höchster Askese, mit Gebet, Nachtwachen, harter Arbeit und unter tränenreicher Bereuung seines früheren Lebenswandels. Bei Angriffen eines räuberischen Volkes, der Maziken, flohen die meisten Mönche; Arsenius blieb und wurde nicht behelligt. Erst bei dem nächsten Angriff entfernte auch er sich, begab sich zuerst in die Gegend von Memphis, zu dem Felsen Troe oder Petra, dann nach Canope bei Alexandria, aber hier wurde er ob der vielen Menschen und »Zerstreuungen« nicht glücklich, und so kehrte er nach drei Jahren zu seinem Felsen zurück, wo er noch zwei Jahre lebte und tränenreich im gesegneten Alter von 95 starb. Man schrieb das Jahr des Herrn 450. Anderen Quellen zufolge wurde er sogar 120. Arsenius wurde in der Ostkirche heilig gesprochen – sein Tag ist der 19. Juli, die Griechen verehren ihn am 8. Mai, und er erhielt den Titel »der Große«.

Ein weiterer »Großer« der Kirchengeschichte war Euthymius von Melitene. Er wurde 377 in Melitene in der heutigen Türkei geboren und wird als einer der bedeutendsten Asketen der judäischen Gebirgswüste angesehen. Auch er war einer der Väter des Mönchtums. Seine Mutter soll unfruchtbar gewesen sein; ein Engel sagte ihr dann jedoch die Geburt eines Jungen voraus und prophezeite ihr auch, mit ihrem Sohn werde Friede für die Kirche heraufziehen und jeder Aberglaube abgeschafft werden. Daher der Name Euthymius – Freudenbringer, erst recht, da eine Verbindung zwischen der Engelsvoraussage und dem gleichzeitigen Beginn der Regentschaft Kaiser Theodosius I. des Großen hergestellt wurde! Nach seiner Ausbildung durch den Bischof Otreius von Melitene wurde er zum Presbyter geweiht, und man übergab ihm die Aufsicht über die Klöster in Melitene. Später, zwischen 406 und 411, ging er nach Jerusalem; in der Nähe zog er in die Einsiedelei des Theoktistos bei Pharan, der die sich bildende Mönchskolonie auf Wunsch von Euthymius leitete und 467 starb. Hier blieb er bis 415, um anschließend fünfzehn Kilometer östlich von Jerusalem in Marda bei Salfit als Einsiedler zu leben. In dieser Gegend wurde dann bis etwa 420/428 ein Kloster erbaut, wo Euthymius bis zu seinem Tode wirkte. Viele Wunder werden ihm zugeschrieben. So soll er etwa 400 Armenier mit sehr wenig Brot gespeist haben; er konnte es angeblich regnen lassen, und während der Messe sahen die Besucher einen göttlichen Schein um sein Haupt. Dass er nomadische Araber zum christlichen Glauben bekehrte, ist aber wohl keine fromme Legende. Als er am 20. Januar 473 starb, wurde er wie ein König bestattet. Sein Festtag ist der 20. Januar, der in der gesamten Ostkirche begangen wird. In den byzanthinischen Kirchen wird er als einer der großen Väter des Mönchtums dargestellt, zumeist als Greis, kahl am Haupt, aber mit langem Bart bis über die Hüften. In der Ostkirche ist Euthymius der Große nach wie vor lebendig.

Zum Abschluss des Blickes auf die frühchristlichen Mönche sei noch der später in Erscheinung getretene syrisch-nestorianische Mönch und Klostervorsteher Babai genannt. Die Nestorianer haben eine eigene Lehre zur Natur Christi entwickelt. Ihr Gründer Nestorius lebte von ca. 381 bis 451 und war von 428 bis 431 Patriarch in Konstantinopel. Er betonte das Menschsein Christi; daher war Maria für ihn auch nicht eine »Gottesgebärerin«, sondern eine »Christusgebärerin«. Seine Lehre wurde 431 auf dem 3. Ökumenischen Konzil von Ephesus als Irrlehre verworfen und er selbst als Häretiker verurteilt und abgesetzt. Aber seine Anhänger blieben ihm treu und gründeten um 500 in Persien außerhalb des byzantinischen Reiches eine eigene Kirche, eben die nestorianische. Von Persien aus wurde das Christentum dann bis ins ferne Indien (die sogenannten Thomaschristen) und nach China, nach Tibet und Mittelasien getragen. Während des Höhepunktes der Kirche hatte sie bis zu 80 Millionen Anhänger. Babai brachte es zu einem der bedeutendsten Theologen der Nestorianer; zeitweilig war er auch Leiter der nestorianischen Kirche in einer Zeit, in der der persische Großkönig aus der Dynastie der Sassaniden die Wiederbesetzung des Patriarchatenstuhles verhinderte. Er war um 540 im Sassanidenreich, in Beth Ainata, geboren worden, also nicht lange nach der Gründung der Kirche, und starb 628 im Kloster auf dem Berg Izla, wo er der dritte Abt geworden war. In dieser Funktion stellte er ein von Einsamkeit und Gebeten geprägtes Leben in den Vordergrund, wandte sich gegen die von seinen Vorgängern erlaubte und ermutigte Heirat von Mönchen und Nonnen und formulierte, wie schon viele vor ihm, abermals Regeln für das mönchische Zusammenleben. Als er zusammen mit dem Erzbischof Mar Aba die Kirche »regierte«, stärkte er die Orthodoxie der Klöster und der Mönche im nördlichen Mesopotamien und sorgte für Gesetz und Ordnung. In syrischer Sprache hinterließ er ein umfangreiches literarisches Werk, in dem er orthodoxe Lehren vertrat. In seinen 84 Schriften erklärte er die nestorianische Religion und Kultur und verteidigte sie gegen die Monophysiten und gegen den Kirchenlehrer Origines. Viele seiner Schriften sind verloren gegangen, aber was erhalten blieb, z. B. das Buch der Einheit zu christlichen Gebräuchen oder zwei Hagiographien zum asketischen Leben und zur Mythologie, zeigt ihn als den einzigen Kirchenlehrer im nestorianischen Mesopotamien, der eine systematische Christologie entwickelte. Unter ihm errang die sogenannte »nestorianische Mönchsmystik« einen derartigen Einfluss, dass sie über Konfessionsgrenzen hinweg zu wirken begann und offenbar selbst den islamischen Sufismus beeinflusste. Als Babai den Großen findet man ihn noch heute in den großen Enzyklopädien.

Onuphrius, Babai und in gewisser Weise auch Makarios waren neben ihren Aktivitäten als Mönch auch schon »Kirchenlehrer«, wenn auch nicht mit diesem Ehrentitel belegte, und von den so Benannten gab es etliche »Große«.


2. Die Kirchenlehrer

In unserer Zeit (Stand 2006) verehrt man 33 sogenannte Kirchenlehrer, die »Doctores ecclesiae«. Dieser kirchliche Ehrentitel wurde in der Katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert von den Päpsten verliehen, 1970 erstmals an Frauen. Die Bezeichnung kam im 4. Jahrhundert auf und wurde auf Theologen angewandt, die Gelehrtheit, Heiligkeit des Lebens, Rechtgläubigkeit und vor allem Normgebung für die kirchliche Lehre miteinander verbanden. Damals versuchte man, die Richtigkeit eigener Lehren mit Hilfe der Auffassung allgemein anerkannter theologischer Autoritäten zu rechtfertigen oder zu beweisen. Daraus entstand im Lauf der Zeit der Status des Kirchenlehrers, und zu ihnen zählen Anselm von Canterbury (1033–1109), Augustinus (354–430), Bernhard von Clairvaux (1091–1153), Johannes von Damaskus (zw. 650 und 670–vor 754), Katharina von Siena (ca. 1347–1380) oder Thomas von Aquin (ca. 1225–1274), um nur ein paar zu nennen. Einige aus dieser »Elite« werden uns noch begegnen, andere wurden bedeutend, auch ohne den Titel »Kirchenlehrer« offiziell zu erhalten. Einer von ihnen war Dionysius der Große.

Bedeutende kirchliche Lehrer: Dionysius, Athanasius, Basilius, Nerses, Isaak und Gregor die Großen

Ursprünglich war Dionysius Schüler des berühmten griechischen Theologen und Philosophen Origines (ca. 185–ca. 254), der schon zu Lebzeiten als bedeutendster und umstrittenster Theologe der griechischen Kirche galt. Er leitete von 204 bis 215 die Katechetenschule in Alexandria, die sogenannte alexandrinische Theologenschule. Seine bedeutendsten Leistungen bestanden in der Schaffung einer Arbeitsgrundlage für die wissenschaftliche Bibelexegese, einer Darstellung der christlichen Lehre in der Begrifflichkeit der hellenistischen Philosophie, womit die Lehre Platons für die christliche Theologie fruchtbar gemacht werden sollte (Neuplatonismus) – sie wurde zum ersten christlichen Lehrsystem, sowie in der von ihm entwickelten Lehre vom dreifachen Schriftsinn: dem buchstäblichen, dem moralischen und dem allegorischen – in Alexandria folgte man vor allem dem allegorischen. Origines hatte ungeheure Wirkung, vor allem auf die Theologie des griechischen Ostens, und erst auf dem Konzil von 553 wurden seine Lehren endgültig verworfen. Dionysius kehrte sich selbst ebenfalls gegen seinen Lehrer, der schon 212 exkommuniziert worden war, 215 die Leitung der Schule aufgab, aber zwanzig Jahre später eine eigene Schule in Caesarea gründete. Dionysius wurde 247 oder 248 Bischof von Alexandria und war auch Leiter der alexandrinischen Schule. Er entwickelte sich ebenfalls zu einem bedeutenden Lehrer und mischte sich in theologische Lehrstreitigkeiten ein, in denen er zu vermitteln suchte. Während Rom und weite Kirchengebiete die Gültigkeit der Ketzertaufe, z. B. in einer schismatischen oder häretischen Gemeinde, anerkannten und auf eine Wiederholung der Taufe bei einer Konversion verzichteten, forderten große Teile der Kirche, vor allem in Nordafrika, eine Wiederholung der Taufe im Falle einer Konversion. In den 50er Jahren des 3. Jahrhunderts bestand dann der Bischof von Rom Stephan I. (Pontifikat 254–257) auf der Sichtweise Roms. Dionysius floh 250 während der Christenverfolgungen unter Decius, und Kaiser Valerian verbannte ihn. Er starb 264 oder 265. Leider sind nur Fragmente seiner Werke erhalten. In weiten Kreisen bekannter wurde er wohl auch durch seine Auseinandersetzung mit dem Papst gleichen Namens. Dieser Dionysius, der von 260 bis zu seinem Tod 267 oder 268 als Papst agierte, baute nach der Beendigung der von Kaiser Valerian angeordneten Christenverfolgungen unter Kaiser Galliẹnus (geb. 218; reg. 260–268 (ermordet)) die Kirche wieder auf und unterstützte Hilfslieferungen für die Not leidenden Christen im ganzen Reich. Er verteidigte das trinitarische Dogma gegen seinen Namensvetter in Alexandria; damit kündigte sich schon der Streit um den Arianismus an. Dionysius der Große wurde heilig gesprochen; sein Tag ist der 17. November. Sein Namensvetter in Rom wurde ebenfalls heilig gesprochen; sein Tag ist der 30. Dezember.

Über die Auseinandersetzungen mit dem Arianismus wurde schon früher berichtet. Wie gesagt, lehrte der Arianismus, dass Gott und sein Sohn Jesus Christus nicht wesensidentisch, sondern wesensunähnlich (oder nur wesensähnlich, wie es Anhänger milder formulierten) seien. Dies rief große Widerstände hervor, da dadurch das mit der Menschheit Gottes begründete Heil für die Menschen verringert würde. Einer der Hauptgegner des Arius war der Patriarch von Alexandria, Alexander (gest. 326), ebenfalls später heilig gesprochen, der Arius schlicht exkommunizieren ließ. Mit dem Namen von Alexanders Sekretär Athanasius (ca. 295 oder ca. 298–373) wurde später dieser Streit um das Wesen Christi verbunden. Alexanders Enzyklika gegen Arius von 321 dürfte von Athanasius stammen, der auch schon 318 zwei Werke verfasst hatte, die Gottes Inkarnation in Jesus Christus lehrten. Mehrere Konzilien wurden zu diesem Streit einberufen, römische Kaiser schalteten sich ein; Athanasius, der 328 Patriarch von Alexandria wurde, hatte mit zahlreichen Anfeindungen, Verleumdungen und Intrigen zu kämpfen, ja, er trat einzelnen Kaisern offen entgegen, wurde fünfmal in die Verbannung geschickt, vielleicht sogar siebenmal, und wieder eingesetzt, so dass der Spruch aufkam: Athanasius contra mundum – Athanasius gegen die Welt. Und am Ende hat dieser von Gestalt kleine und dunkelhäutige (vielleicht war er ein Kopte) griechische Kirchenlehrer einen hervorragenden Ruf als Vorkämpfer für die Kirchenfreiheit und ungeheure Bedeutung für die Entwicklung des Christentums erlangt – verschiedentlich, wenn auch nicht offiziell wird er als Athanasius der Große bezeichnet. Seine Lebensbeschreibung des Antonius des Großen wirkte sich entscheidend auf die Integration des Mönchtums in die Kirche und seine kirchliche Anerkennung aus. Er selbst lebte in den Verbannungszeiten häufig in der Wüste bei den Mönchen, und auch seine Feinde achteten ihn für seine Selbstdisziplin und seine Enthaltsamkeit; er war der Hort der Orthodoxie im Sinne der Lehre der Wesenseinheit von Gott und Jesus Christus, und dass man ihn inoffiziell als »der Große« betitelt, dürfte wohl verdient sein. Am Ende setzte er sich durch, wenn sich auch der Arianismus bei einzelnen germanischen Völkern wie den Langobarden bis ins 7. Jahrhundert hielt. Athanasius wurde heilig gesprochen, sein Tag ist der 2. Mai. Viele Schriften wurden ihm aufgrund seines hohen Rufes zugesprochen, aber es ist nicht klar, ob sie alle von ihm stammen.
     Offiziell erhielt ein anderer Kirchenlehrer den Titel »der Große«: Basilius (ca. 330–379); ihn zählt man zu den vier großen griechischen Kirchenlehrern. Er stammte aus einer christlichen Aristokratenfamilie in Caesarea, dem heutigen Kayseri, und wurde dort 370 zum Bischof und Metropoliten von Kappadokien ernannt, wo noch heute seine Spuren zu finden sind. Mit seinem jüngeren Bruder Gregor von Nyssa (ca. 331 – nach 394; Heiliger: 10. Januar Ostkirche, 9. März Westkirche) und seinem Freund Gregor von Nazianz, dem Patriarchen von Konstantinopel und »Vater der Ostkirche« (ca. 325 oder 330–389/390; Heiliger: 25. und 30. Januar in der Ostkirche, 9. Mai in der Westkirche), zählt er zu den »Großen Kappadokiern«. Diese drei bedeutenden Kirchenlehrer (Basilius und Gregor von Nazianz tragen den entsprechenden Ehrentitel) vertieften die Lehre von der Trinität und trugen damit entscheidend zu dem Sieg über den Arianismus auf dem Konzil von Konstantinopel 381 bei. Basilius hinterließ eine eigene Liturgie, die allerdings heute seltener als andere Überlieferungen gefeiert wird, aber noch nicht aufgegeben wurde. Vor allem förderte er als Kirchenpolitiker auch das Mönchtum. Nach seinem Besuch bei den Anachoreten in Syrien und Ägypten 357 erließ er die (zwei) sogenannten Basiliusregeln, die das Mönchsleben in Form von Frage und Antwort ordneten; sie standen unter dem Einfluss der neuplatonischen Philosophie, der stoischen Ethik und vor allem der Tradition der Askese. Während sich in Ägypten die Priester fern von den Menschen in Klöstern Gott widmeten, hielten es Basilius und seine Freunde für besser, wenn sie ein Gemeinschaftsleben führten und auch Gottesdienste für die Menschen hielten. Jeder, der mit anderen zusammenlebe, könne zum Multiplikator für seine eigenen Gaben werden, ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Basilius hinterließ zahlreiche Schriften und Werke, Briefe und Predigten; er wurde heilig gesprochen, und sein Tag ist in der Ostkirche der 1. Januar (sein Todestag), in der katholischen der 2. Januar. Natürlich ranken sich um solch eine bedeutende Persönlichkeit, die auch als Seelsorger wirkte, viele Legenden. Unter anderem soll er eine junge Frau, die einen Jüngling heiratete, der mit dem Teufel einen Vertrag geschlossen hatte, um sie gewinnen zu können, von dem Fluch befreit haben – der Teufel gibt nach langem Gebet des Basilius und des jungen Mannes den Vertrag heraus, den dann Basilius zerstört. Im Dom von Meißen wurde Basilius dem Großen auf einem ihm 1357 geweihten Altar eine Statue errichtet. Der Forscher und Kunsthistoriker Emile L. Jarre schreibt in seinem für Touristen gedachten Buch über Kappadokien: »Diese neue Religion«, also das Christentum, »stammt zwar aus Palästina, aber sie hat sich [in] Anatolien entwickelt und vergrössert, beziehungsweise hat das Christentum seine(n) Existenz Anatolien, insbesondere Kappadokien zu verdanken.«
     Während Athanasius und Basilius die Großen heutzutage nicht ganz in Vergessenheit geraten sind, dürfte wohl kaum noch jemand etwas von Isaak dem Großen wissen; dabei leistete er seinem Vaterland Armenien unschätzbare Dienste. Sahak, den man später Isaak den Großen nannte, wurde um 338/340 in Süd-Armenien geboren, war der Herkunft nach Parther und hieß daher auch Sahak der Parther. Er stammte aus einer Linie, die auch zwei Heilige umfasste. Sein Vater war der eine, Nerses (auch Narses), und auch er wurde mit dem Ehrentitel »der Große« ausgezeichnet. Bei diesem müssen wir kurz innehalten. Geboren 335 als Prinz aus dem Haus der Gregoriden, war er von 353 bis 373, mit einer Unterbrechung von 359 bis 363, Katholikos aller Armenier, blieb aber auch Fürst der gregoridischen Domänen. Seine Hauptleistung bestand in der Durchführung kirchlicher Reformen sowie darin, dass er die Kirche dem Volk nahebrachte; bis dahin war sie mehr eine Angelegenheit des Adels und des Königtums gewesen. Er organisierte bald nach seinem Amtsantritt die erste Synode der Armenischen Apostolischen Kirche, wo er seine Überlegungen vortrug. Viele Punkte, die z. B. die Eheschließung, den Gottesdienst, die religiöse Betreuung des Volkes oder Gebräuche wie die Blutrache betrafen, wurden neu geregelt; die Blutrache wurde natürlich verboten. Die Errichtung von Waisenhäusern und Spitälern, vor allem von Leprastationen, wurde ins Auge gefasst, Schulen sollten gegründet werden, um das Analphabetentum zu bekämpfen, und das Heidentum wurde verboten. Unter dem Einfluss von Basilius dem Großen ließ es sich Nerses als große Aufgabe angelegen sein, das Mönchtum zu fördern. Nerses mit seinen herausragenden Fähigkeiten wurden von Arsakes II. (reg. 350–367), dem König von Großarmenien, dem er in seiner Jugend als Kämmerer, Rat und Schwertträger gedient hatte, zwangsläufig auch für diplomatische Missionen in Anspruch genommen. So brachte er, der damals der zweite Mann im Staate war und als ausgesprochener Römerfreund galt, ein Bündnis mit Rom gegen Persien zustande. Aber die Erfolge, die Nerses im Volk so beliebt, geachtet und berühmt machten, waren dem König ein Dorn im Auge. Andere Faktoren kamen hinzu. Schließlich setzte der König Nerses ab und verbannte ihn. Die Rückkehr ermöglichten ihm erst die Römer. Aber der Zwist mit den Persern und deren Herrschern, den Sassaniden, war nun voll entbrannt. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen und Kämpfe wurde Arsakes II. von den Persern eingekerkert und beging Selbstmord (367), Persien besetzte Armenien unter Verfolgung der Christen, und Arsakes II.’ Sohn Pap, der neue armenische König, dem Nerses einst zur Flucht auf römisches Gebiet verholfen und ihm damit das Leben gerettet hatte, erwies sich als charakter- und morallos. Nerses verbot ihm schließlich nach vielen Streitigkeiten den Zutritt zur Kirche; im Zuge eines angeblichen Versöhnungsmahles ließ dann Pap Nerses vergiften. Das geschah am 25. Juli 373. Nerses wurde heilig gesprochen und erhielt den Beinamen »der Große«. Sein einziger Sohn war Sahak, und er wurde ebenfalls Katholikos (oder Patriarch), also Oberhaupt der armenischen Kirche, und das gerade zu der Zeit, als Armenien eine seiner größten Krisen in den alten Zeiten durchmachte. Damals, 387, wurde Armenien zwischen dem Byzantinischen Reich und Persien aufgeteilt. Damit waren die nationale Einheit, Sprache und Kultur Armeniens stark gefährdet. Isaak musste es hinnehmen, dass ihn der Perserkönig 426 absetzte, und stellte sich unter den Schutz des byzantinischen Kaisers. Später durfte er zurückkehren; im hohen Alter zog er sich aus seinen Ämtern zurück und starb am 7. September 439 in seiner Heimat – da war er 110 Jahre alt.
Die armenische Kirche war um 300 durch den Heiligen Bischof Gregor den Erleuchter (ca. 257–332 oder 337), einem Vorfahr Isaaks – dieser war sein Ururenkel –, gegründet worden. Isaak war der letzte Spross aus dessen Geschlecht, den Gregoriden. Mit dem Verlust der Unabhängigkeit und der Teilung Armeniens geriet auch die armenische Kirche in Gefahr. Es war Isaaks großes Verdienst, hier entschieden gegengesteuert zu haben. Er gilt auch als Begründer der armenischen Literatur: durch seine vielfältigen Übersetzungen aus dem Byzantinischen und Griechischen, u. a. der Bibel; durch seine Entwicklung des 36 Buchstaben umfassenden, in Anlehnung an das syrische und griechische Buchstabensystem gestalteten armenischen Alphabets – beides zusammen mit dem königlichen Sekretär und Gelehrten Mesrop (361–390), den Isaak für den kirchlichen Dienst gewann und der heute bekannter ist als Isaak und dem diese Leistungen nunmehr vorwiegend zugeschrieben werden; durch seine Übertragung von wichtigen Werken in die Volkssprache und der Verfassung eigener Werke und liturgischer Hymnen. Er richtete den Gottesdienst stärker armenisch aus, glich aber auch die Ordnung der armenischen Kirche der der byzantinischen an – und das nicht nur beim Verbot der Heirat von Bischöfen, er übersetzte die syrische Liturgie ins Armenische und baute viele Schulen für weiterführende Studien und Ausbildungszweige. Er bezog sich auch auf die Liturgie von Basilius dem Großen, der hier einen seiner bedeutenden Schüler fand. Ebenso wichtig war – wie schon bei seinem Vater – sein Bemühen um die Bildung des Volkes, die zu seiner Zeit in höherem Ansehen als anderswo stand. Er ließ die von den Persern zerstörten Kirchen und Klöster wieder errichten und baute neue dazu, dazu auch noch Krankenhäuser. Hier folgte er den Reformen seines Vaters. Am Ende seines Lebens übernahm er die Ergebnisse des 3. Ökumenischen Konzils von Ephesus 431, in dem es wieder einmal um die Frage nach dem Verhältnis von Gott und Christus, speziell um die Lehren des Nestorius ging, an dem er aber selbst aus Altersgründen nicht mehr teilnehmen konnte. Insgesamt hat er das Armeniertum über seine große Krise hinüber gerettet, und als er starb, hatte er den Titel »der Große« wohl verdient. »Mit dem Ende des armenischen Königtums der Arsakiden 428 stellte Sahak das einzige verbliebene Symbol nationaler Einheit der Armenier dar […]. Die persischen Versuche zur Etablierung eines gefügigen Katholikats scheiterten«, so der Kirchenhistoriker Martin Tamcke. Es gibt kaum einen zweiten Fall in der Geschichte, dass ein Vater und sein Sohn den Titel »der Große« zugesprochen bekamen; die Söhne von Pompeius dem Großen, die sich selbst diesen Titel verliehen, zählen hier nicht, wohl aber Sancho und Ferdinand von Kastilien, die uns später begegnen werden ...

Ein bedeutender Kirchenlehrer, der wie Basilius oder Isaak diesen Titel als Ehrentitel trug, war schließlich Gregor I. der Große, einer der sogenannten vier lateinischen Kirchenlehrer. Er stammte aus senatorischem Adel und wurde um 540 in Rom geboren. Von 572 bis 573 amtierte er als Richter, aber dann übermannte ihn der Schmerz über die Welt, und nach dem Tode seines Vaters ließ er aus seinem Vermögen sechs Klöster auf Sizilien errichten; sein eigenes Haus baute er als Kloster »zum hl. Andreas« um und trat dort als Mönch ein, wo er auch 585 Abt wurde. Viele Wunder- und Wohltaten von ihm sprachen sich herum, und als Papst Pelagius II. (Pontifikat 579 – 590), in dessen Auftrag er schon nach Konstantinopel gereist und zu dessen Berater er bestellt worden war, an der Pest starb, wählte man ihn als neuen Papst. Gregor versuchte sich, der heiligen Pflicht zu entziehen. Nicht nur, dass er an Kaiser Mauritius (reg. 582–602 (ermordet)) mit der Bitte schrieb, seine Einwilligung zu verweigern – angeblich ließ er sich auch verkleidet in einem Fass aus der Stadt bringen, um als Eremit zu leben, aber eine Lichtsäule, an der Engel auf- und niederstiegen, verriet ihn, und 590 wurde er zum Papst gewählt, mit des Kaisers Bestätigung. Gregor war der erste Mönch, der zum Papst erkoren wurde, und neben Leo I. der einzige Papst, der offiziell den Titel »der Große« erhielt, sieht man von dem gleich weiter unten vorgestellten Papst Nikolaus dem Großen ab, der aber nicht überall als solcher bezeichnet wird. Zum Zeitpunkt seiner Wahl herrschte in Rom eine Hungersnot. Gregor organisierte Hilfsaktionen und ordnete im Zuge dessen auch die Verwaltung der päpstlichen Güter und Finanzen neu – er führte eine zentrale Verwaltung ein. In Anbetracht der zu kleinen kaiserlichen Streitmacht in Rom ließ Gregor die Verteidigungsanlagen instand setzen und warb Soldaten an (der Kaiser war über diese Einmischung verärgert, wurde aber von Gregor päpstlich gerügt); als die Langobarden 591 und 593 Rom bedrohten, zahlte er ihnen ein Lösegeld, um sie vom Plündern abzuhalten. Viele andere Probleme beschäftigten Gregor: in Nordafrika trat er der Donatistenbewegung entgegen (ihre Anhänger glaubten, dass im Grunde nur ihre eigenen Kleriker die Sakramente spenden dürften; diese seien nur wirksam, wenn die sie spendenden Priester über die göttliche Gnade verfügten, also »würdig« seien); mit Konstantinopel schwelte Streit; eine Seuche brach in Rom aus. Aber mit Spanien und Gallien pflegte Gregor gute Beziehungen, und nach England sandte er den Prior seines eigenen Klosters, Augustinus (gest. 605/609), um die Angelsachsen zu bekehren. Mag das alles in seiner Amtsperiode bedeutend gewesen sein, seinen hervorragenden Ruf begründete Gregor als Kirchenlehrer und Ordner bzw. Verwalter der Kirche. Er legte die Regeln für die Wahl und das Verhalten von Bischöfen fest und setzte auch Kleriker ab, die seinen hohen moralischen Ansprüchen nicht genügten. Er lebte selbst weiter wie ein asketischer Mönch und untergrub damit langfristig seine Gesundheit. Auch bekräftigte er das Zölibat für Bischöfe, Priester, Diakone und Subdiakone, das schon länger bestand, wie er ebenso die Benediktinerregel stark förderte und mit seinen liturgischen Reformen die Bewahrung des Überlieferten gewährleisten wollte, was sich z. B. in den Gregorianischen Gesängen ausprägte. Als erster Papst gebrauchte er zur Unterstützung seiner Anweisungen den Spruch »Ex Cathedra«. Er schrieb Kommentare zu den Evangelien und ausgewählten Büchern des Alten Testaments und erzählte in seinen Dialogi das Leben und die Wunder von Heiligen. Sein bekanntestes Werk, die Magna moralia, erschienen 595, stellte eine Sittenlehre, eine umfassende Abhandlung moralischer Fragen, zum Buch Hiob dar, und umfasste 35 Bände; es wurde allgemein bewundert und exzerpiert, um es lesbarer zu machen. Vierzehn Bücher umfassen schließlich seine gesammelten Briefe. Mit all dem beeinflusste Gregor der Große die Geschichte der Kirche und der Christenheit auf Jahrhunderte hinaus. Aber wie auch anderen geschah es ihm, dass der Prophet in der eigenen Heimat nichts gilt. »Der Osten betrachtete ihn als Heiligen, Spanien als großen Schriftsteller, England als seinen Apostel. Nur Rom ignorierte ihn mehr oder minder, ein Unrecht, das erst im 9. Jahrhundert wieder gutgemacht wurde […] Er hinterließ ein reiches Erbe: Wir verdanken ihm die Überlieferung exegetischer Schriften, die Entwicklung volksnaher Predigten, die Förderung des Mönchtums im Westen, eine effektivere päpstliche Verwaltung und den Erhalt einer speziell römischen Sicht von Recht und Ordnung. Es verwundert nicht, das sein Epitaph ihn als ›Konsul Gottes‹ bezeichnet. Gregor selbst gab sich einen bescheideneren Titel: ›Diener der Diener Gottes‹«, so Maxwell-Stuart in seiner Chronik der Päpste. Gregor der Große wurde heilig gesprochen, sein Tag ist der 3. September (früher der 12. März). Es gibt viele Darstellungen von ihm, Holzschnitte, Altartafeln, Abbildungen in Handschriften, häufig mit den vier Evangelisten. So zeigt ihn eine deutsche Elfenbeinarbeit aus dem 10. Jahrhundert, die heute im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen ist, bei der Arbeit, wobei ihm der Heilige Geist in Form einer Taube auf der Schulter sitzt und ihm ins Ohr flüstert – sein ständiges Symbol wird die Taube. Er starb am 12. März 604 in Rom, als dieses wieder an einer Hungersnot litt und das Volk ihm die Schuld daran gab. Unvergessen bleibt, dass Gregor die weltliche Macht des Papsttums und den Kirchenstaat vorbereitete und heute als einer der maßgeblichen Vermittler zwischen christlicher Antike und abendländischem Mittelalter gilt.


3. Kirche im Wandel der Zeiten

Viele Stationen waren entscheidend für die Entwicklung des Christentums und der Kirche im Mittelalter. Großen Einfluss hatte die Taufe des Frankenherrschers Chlodwig 496 in Reims zum katholischen Glauben, da sich nun die lateinische Form des antiken Christentums unter den Germanen zu verbreiten begann. Bedeutsam war auch die Tätigkeit des heiligen Benedikt von Nursia (ca. 480–547(?)), der 529 das Benediktinerkloster Montecassino gründete und ein Jahr später die Benediktinerregeln verfasste. In Irland entstand die iroschottische Kirche, eine keltisch-griechische Mönchskirche; ihre Missionare gelangten nach England und bis nach Oberitalien. So konkurrierten zeitweise eine keltisch/griechisch-monastische und eine lateinisch-bischöfliche Ausprägung des Christentums in Europa. Aber spätestens seit der Taufe Chlodwigs und der Missionierung durch angelsächsische Mönche (wie den »Apostel der Deutschen« Bonifatius (672/73–754), der 724 bei Geismar die Donar-Eiche fällte), die sich eng an Rom hielt (eine Frucht der Aussendung von Missionaren nach England durch Gregor den Großen), gewann in West-, Süd-, Nord- und Zentraleuropa sowie dessen östlichen Teilen die katholische Kirche die Oberhand. Im Osten lehnten sich die slawischen Völker bei ihrer Missionierung vom 9. bis 11. Jahrhundert an Byzanz und das griechische Christentum an. Eine große Herausforderung für die Christenheit brachten der Islam und die Eroberung der iberischen Halbinsel seit 711. 787 wurde noch einmal ein Ökumenisches Konzil abgehalten, das siebte und letzte, aber schon 863 kam es zu einer Entzweiung des Papstes und des Patriarchen von Konstantinopel über die Frage der Vorherrschaft, und 1054 zur endgültigen Trennung zwischen griechisch-orthodoxer Ostkirche und römisch-katholischer Westkirche – der damals ausgesprochene gegenseitige Kirchenbann wurde erst 1965 (!) formell aufgehoben. Seit der Kaiserkrönung Karls des Großen 800 und der Gründung des »Heiligen Römischen Reiches«, das erst seit etwa 1500 den Zusatz »deutscher Nation« bekam, im Zusammenhang mit der Kaiserkrönung Ottos des Großen 962, erfolgte die Hinwendung im »westlichen Teil« Europas, also Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Englands usw. immer stärker nach Rom. Auch in dieser langen Zeit der Ausbreitung des Christentums und der Erstarkung der Kirche, was sich bald in den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Königs-/Kaisertum und Papsttum zeigen sollte – der Investiturstreit und der Gang nach Canossa 1077 sind dafür nur ein Zeichen – gab es Persönlichkeiten mit dem Titel »der« oder »die Große«. Jene, die man dafür geeignet halten würde, wie der große Kirchenlehrer Augustinus oder Benedikt von Nursia, wurden damit allerdings nicht bedacht.

Einzelne bedeutende Christen im Mittelalter: Nikolaus, Hugo, Wilhelm, Michael, Albert und Gertrud die Großen

Nicht in allen Werken trägt er den Titel »der Große«, aber man findet ihn so zum Beispiel in der Encyclopedia Americana: der eben erwähnte Papst Nikolaus I. Geboren wurde er wohl um 800 oder 820 in Rom als Sohn einer vornehmen Beamtenfamilie und genoss eine gute Ausbildung. Den drei Päpsten vor ihm diente er als enger Berater, womit er natürlich auch entsprechenden Einfluss ausübte. 858 wurde er zum Papst geweiht und – gekrönt und war damit der erste gekrönte Papst überhaupt. Der König von Italien (seit 844) und spätere Kaiser Ludwig II. (geb. ca. 822; reg. 855–875), der älteste Sohn von Kaiser Lothar I. (geb. 795; reg. 840–855), war bei der Krönung anwesend; Ludwig II. war 850 Mitkaiser seines Vaters und 855 dessen Nachfolger geworden und begünstigte Nikolaus.
     Mit Nikolaus »bekam die Kirche einen Papst, der nicht mit sich handeln ließ« (Maxwell-Stuart), und so waren auch die Jahre seines Pontifikats voller Konflikte. Da sich der Patriarch von Ravenna, Johannes, von Rom unabhängig machen wollte, geriet er in Auseinadersetzungen mit ihm. Als der Bischof von Soissons, Rothad, von dem Erzbischof Hinkmar von Reims wegen Unbotmäßigkeit abgesetzt wurde, unterstützte Nikolaus Rothad, der sich an ihn wandte, weil er das Recht eines Bischofs (und des Klerus überhaupt), sich über die Autorität eines Vorgesetzten beim Papst zu beschweren, für legitim hielt und er der Ansicht war, der Papst habe das letze Wort. Nikolaus verteidigte die Rechte der Kirche gegen Prinzen und weltlich ausgerichtete Bischöfe und förderte Recht und Ordnung in ihr. Und so gab es noch andere Konflikte, so den um die Verweigerung seiner Zustimmung zur Scheidung des Königs Lothar II. von Lothringen (geb. 835; reg. 855–69), übrigens der Namensgeber für Lothringen, in dessen Folge er die Erzbischöfe von Köln und Trier absetzte, die die Scheidung anerkannt hatten – hier gab es dann sogar kriegerische Auseinandersetzungen und einen Konflikt mit dem Kaiser. Am schwersten aber war sein Konflikt mit der Ostkirche. Anlass bot die Missionierung unter den Bulgaren, die Nikolaus ebenso wie die in Dänemark förderte. Der Fürst von Bulgarien, Boris I. (reg. 852–889; gest. 907 als Mönch), sandte ihm seine berühmten 106 Fragen zu den Problemen bei der Konversion in seinem Land, und Nikolaus antwortete darauf mit seinen ebenfalls bekannten Responsa Nicolai ad consulta Bulgarorum. Boris trat dann 864 mit dem Adel zum Christentum über und wurde der erste christliche Fürst der Bulgaren und damit zum bulgarischen Nationalheiligen (Tag: 15. Mai). Der rechtmäßig gewählte Patriarch von Konstantinopel, Photius (820–897), heute einer der populärsten Heiligen der Ostkirche (Tag: 6. Februar), wies aber diese päpstlichen Jurisdirektionsansprüche zurück. Nicht nur hierbei, sondern auch in anderen Fällen wandte er sich gegen Roms Primatsansprüche. Photius, eine umfassend gebildete Persönlichkeit, unterstellte, dass man in Rom mit der Lehre, der Heilige Geist habe seinen Ausgang im Vater und im Sohne und dies ins Glaubensbekenntnis eingefügt habe, Häresie begangen habe. Er betonte, dass Byzanz das Primat in Glaubensdingen gebühre, da der ältere Bruder des Petrus, Andreas, von Jesus als Jünger zuerst berufen worden sei. Umgekehrt bestritt man in Rom die Rechtmäßigkeit der Wahl von Photius, da dieser illegalerweise Ignatius ausgeschaltet habe, der aber der legitime Patriarch gewesen sei. Daraufhin wurde Photius 863 von Nikolaus exkommuniziert und abgesetzt. Photius, wutentbrannt, berief darob 867 eine Synode der Kirchen ein, die die Streitpunkte klären sollte. Zu ihr erschien Nikolaus erst gar nicht; daraufhin wurde er auf der Synode zum Ketzer erklärt und nun seinerseits exkommuniziert und abgesetzt. Dies führte zu der oben erwähnten ersten Spaltung der West- und Ostkirche, dem sogenannten Photianischen Schisma, das man im Westen der Ostkirche anlastete, auch wenn sich diese in ihrer Lehre bzgl. des Heiligen Geistes bei der nächsten Synode (870) vorübergehend durchsetzte. Nikolaus erlebte das nicht mehr, erfuhr auch nichts von seiner Absetzung durch die Ostkirche. Er starb am 13. November 867 in Rom. Wurde Nikolaus von Gerechtigkeitssinn geleitet, oder war es Starrsinn, wie es ihm viele Kritiker vorhielten? War es Ernsthaftigkeit und Willenskraft oder nur Engstirnigkeit und Verbohrtheit, die ihn antrieben, oder gar der Einfluss des von ihm eingesetzten Leiters der Vatikansbibliothek, des Gelehrten Anastasius, wie manche behaupten? Er stützte sich auf die angeblich von Christus verliehene Autorität der Päpste und trachtete sie auch in Form einer allumfassenden Befehlsgewalt auszuüben. Er sah sich wohl auch schon als päpstlicher »Beschützer des Reiches« in einer Zeit, als das Frankenreich nach dem Tode Karls des Großen zerfiel. Seine Standfestigkeit und Prinzipientreue, die ihn auch vor Konflikten nicht zurückschrecken ließen, machten ihn in dem Augen vieler zu einem der bedeutenderen Päpste, so dass er eben auch den Titel »der Große« zugesprochen erhielt. Eine seiner größten Leistungen bestand darin, dass er 866 die Anwendung der Folter als unvereinbar mit der christlichen Lehre verbot. Dieses bei allen Völkern und Kulturen in der Geschichte und gerade auch im römischen Reich übliche Mittel zur »Wahrheitsfindung«, meist aber als Strafe oder Züchtigung und nicht zuletzt als »reine Quälerei aus niederen Motiven« verwendet, wie sie von Beestermöller und Brunkhorst charakterisiert wird, war gerade auch während der Christenverfolgungen gang und gäbe gewesen, wie nicht nur die zahlreichen Märtyrerberichte erweisen, aber am Ende der Antike war sie in den Hintergrund getreten. Diese Entwicklung setzte sich dank der Abschaffung durch Nikolaus weiter fort. Erst im Hochmittelalter griffen weltliche und geistliche Macht wieder immer mehr darauf zurück, und 1252 ermächtigte Papst Innozenz IV. (Pontifikat 1243–1254) die weltliche Obrigkeit ausdrücklich, bei der Inquisition die Folter zu verwenden, »ein Versagen der Kirche« (a. a. O) ohne gleichen. Die Encyclopedia Americana bezeichnet Nikolaus als herausragenden Papst des Mittelalters, fromm, gütig, fähig, würdig, energisch und eloquent. Schließlich wurde er heilig gesprochen – sein Gedenktag ist der 13. November.

Ein diplomatischerer Charakter war Hugo der Große. Auf weitere Träger dieses Namens werden wir später treffen. Er war ein Benediktiner und wurde 1024 in Semur-en-Auxois in Frankreich geboren. Ab 1049 war er Abt des Kosters Cluny. Als Legat und Berater der damaligen Päpste zählte er die Kaiser Heinrich III. (geb.1017; reg. 1039–1056) und Heinrich IV. (geb. 1050; reg. 1056–1106, zunächst unter Vormundschaft), der 1077 den berühmten Gang nach Canossa antrat, zu seinen Freunden. Im Investiturstreit, der in Canossa einen Höhepunkt erreichte, trat er als Vermittler des Kaisers auf. Wie es heißt, kam unter Hugo die kluniazensische Reform zu ihrer höchsten Blüte. Dazu muss man wissen, dass die Gründung der Benediktinerabtei Cluny 910 mit dem Privileg der freien Abtwahl verbunden war; d. h. weder weltliche noch kirchliche Macht hatten darauf Einfluss, und das Kloster war allein dem Papst unterstellt. So konnte sich in Cluny ein weitgehend unabhängiges Klosterleben im Geist der »Freiheit der Kirche« entwickeln; weitere Klöster mit dieser Gesinnung wurden unter der Beobachtung von Cluny gegründet. Unter Hugo dem Großen existierten etwa zweihundert Abteien, Priorate und klösterliche Eigenkirchen; es handelte sich um den größten Klosterverbund seiner Zeit. Die einzelnen Klöster wurden von Prioren geleitet, die dem Abt von Cluny unterstellt waren. Ziel der Kluniazenser war eine grundlegende Erneuerung und geistige Reform des Klosterwesens bzw. des Mönchtums; letztlich war, davon als Keimzelle ausgehend, die Heiligung und Vervollkommnung der Welt das eigentliche Ziel. Cluny und die davon ausstrahlende Bewegung haben die Kirche stark vorangebracht und verloren erst im 12. Jahrhundert an Bedeutung. Hugo der Große starb am 28. 4. 1109 in Cluny, auch er sicher ein rechtmäßiger Träger des Titels, mit dem er offiziell bedacht wurde.
     Unterschiedlicher Ansicht darüber kann man bei dem Heiligen Wilhelm von Maleval sein, der auch nur von seinen Anhängern so genannt wurde. Woher er stammte, ist unbekannt; vielleicht war er ein Franzose. So viel weiß man von ihm, dass er als junger Mann ein eher stürmisches Leben führte und ein tapferer Ritter war, sich aber dann, nachdem er sich ausgetobt hatte, Papst Eugen III. (Pontifikat 1145–1153) fügte, der ihm als Buße eine Reise ins Heilige Land auferlegte, und sich in eine unabnehmbare Rüstung einschmieden ließ. In diesem Büßergewand pilgerte er 1145 nach Rom und – man höre und staune – tatsächlich nach Jerusalem. Bei seiner Rückkehr 1153 ließ er sich in Italien nieder, nach einigen anderen Orten bei Siena in der unwirtlichen Einöde Maleval (»Wildenthal«, wie der Ort und das dort erbaute Kloster noch heute heißen) und lebte dort als Eremit zunächst in einer Erdhöhle, später in einer Zelle, wo er seine strikten Bußübungen vollführte, bis zu seinem Tode 1157. Papst Innozenz III. (geb. 1160/61; Pontifikat 1198–1216) sprach ihn ob der Wunder, die sich an seinem Grab ereignet haben sollen, 1202 heilig; sein Tag ist sein Todestag, der 10. Februar, und seine Schüler stifteten den nach ihm benannten Wilhelmiten-Orden, der seinen geistigen Vater als Wilhelm den Großen verehren ließ; der Orden selbst verbreitete sich in etlichen Ländern und auch in Südwestdeutschland. Zunächst lebten seine Mitglieder sehr streng nach dem Vorbild ihres Meisters, aber Papst Gregor IX. (geb. ca. 1155; Pontifikat 1227–1241) milderte ihre Regeln, indem er ihnen die Benediktiner-Statuten gab. Wilhelm der Große lebte nicht nur im Gedächtnis fort, sondern auch in vielen Bildern und Darstellungen, so in Frankfurt (Städel), Freiburg (Augustinermuseum), sogar in einem Glasfenster im Straßburger Münster und im Dom in Münster, Westfalen, immer mit seiner festen Rüstung, manchmal mit einem Mantel darüber, mit Pilgerstab, Krückstock und Rosenkranz, zumeist auch unbeschuht, und einem mächtigen Schild, das Lilien und Hörner aufweist, neben sich.

Im Zusammenhang mit den Kreuzzügen ragt noch ein weiterer »Großer« hervor. Über die Anfänge der armenischen Kirche und ihre »Großen« Nerses und Isaak ist bereits berichtet worden. Mit ihr erreichte 726 die syrisch-orthodoxe Kirche eine Union; die Entwicklung der letzteren war allerdings nicht minder von Rückschlägen begleitet wie die der armenischen. Schismen im 8. und 9. Jahrhundert beeinträchtigten das kirchliche Leben, und im 10. kamen die Verfolgungen durch Byzanz dazu. Immer wieder überwarfen sich die armenische und die syrisch-orthodoxe Kirche. Aber schließlich kam es im 12. Jahrhundert zu einer Aussöhnung. Sie war dem hervorragenden Patriarchen der syrisch-orthodoxen Kirche Michael I. dem Großen zu verdanken. Er wurde auch Michael der Syrer (Michael Syrus) genannt, aber in die Fachbücher ging er vorzugsweise als Michael der Große ein. Geboren wurde er 1126 in Melitene, dem heutigen Eski Malatya in der Türkei. Mit vierzig Jahren wurde er Patriarch der syrisch-orthodoxen Kirche in Antiochia. Zu den Kreuzfahrern unterhielt er zwar gute Beziehungen, aber er war ja als Untertan muslimischer Herrscher nicht völlig unabhängig, und doch gelang es ihm, seine Kirche zu reformieren und dadurch auch in diesen rauen Zeiten zu erhalten und weiter zu entwickeln. Wiederholt nahm er Einladungen des byzantinischen Kaisers nicht an, sicher nicht nur wegen seiner Zugehörigkeit zur muslimischen Oberhoheit, sondern auch aus dogmatischen Gründen. Michael ist uns weniger als Autor von Büchern zur Liturgie und Dogmatik noch heute bekannt, sondern vor allem als Verfasser einer 21 bändigen Weltchronik, die bis 1194/95 reicht. Erst im 18. Jahrhundert in Europa bekannt und viel später, zwischen 1899 und 1910, aus dem Syrischen ins Französische übersetzt, ist diese Chronik von unvergleichlichem Wert u. a. für die Kreuzfahrerzeit, und das nicht nur wegen ihrer historischen und sozioökonomischen Informationen, sondern auch aufgrund ihrer naturkundlichen Darstellungen. Michael der Große starb am 7. November 1199.

Als Naturforscher und -kundler war ein weiterer »Großer« Pionier, der aber der Nachwelt vor allem als Philosoph und Theologe überliefert ist. Mit Recht trug sicher Albert der Große, Albertus Magnus, diesen Titel. Er wird darüber hinaus auch zu den »echten«, also vom Papst so betitelten Kirchenlehrern gerechnet. Um 1200 (oder 1193) als Sohn eines Ritters von Bollhardt bei Lauingen an der Donau geboren, trat er 1223 (oder 1229) während seines Studiums in Padua in den Dominikanerorden ein und übte später als Naturforscher, Philosoph und Theologe einen enormen Einfluss aus. An verschiedenen deutschen Ordensschulen lehrte er, er hielt sich auch kurzzeitig in Hildesheim auf, worüber der spannende Historienroman von Peter Hereld Das Geheimnis des Goldmachers (dieser ist eben Albertus Magnus), wenn auch natürlich nicht verbürgt, erzählt; aber: »Mit gewissen Vorbehalten bekennt er [Albert] sich zu der Theorie der Alchimisten (heute der Kernphysiker) von der Umwandelbarkeit der Elemente« (Will Durant). Albert verbrachte die Jahre 1245 bis 1248 an der Universität Paris, wo er seinen Doktorgrad erhielt, und ging danach nach Köln als Verweser des neu errichteten Dominikanerhauses, unterstützt von Thomas von Aquin, der in Paris sein Schüler gewesen war. Schon damals bezeichnete man ihn ob seiner herausragenden Bildung als »Doctor universalis«. Von 1254 bis 1257 war er Provinzial der deutschen Ordensprovinz der Dominikaner, von 1260 bis 1262 Bischof von Regensburg; in den Jahren danach predigte er im Auftrag des Papstes Urban IV. (geb. ca. 1200; Pontifikat 1261–1264) in Deutschland und Böhmen den Kreuzzug, und seit etwa 1270 lebte er schließlich als Gelehrter und Lehrer in Köln.
     Der Hauptverdienst Alberts des Großen bestand darin, dass er, der von einer unglaublichen, allumfassenden Wissbegier beseelt war, dem christlichen Mittelalter die Werke des Aristoteles zugänglich machte und arabische und jüdische Wissenschaft nach Europa vermittelte. Er schrieb über viele unterschiedliche Gebiete, entwickelte aber kein einheitliches und in sich homogenes philosophisches System. Er unterschied klar zwischen Theologie und Philosophie und versuchte, aus den Lehren des Aristoteles und des Neuplatonismus eine Synthese zu erstellen. Auch führte er als neuen Weg des Denkens ein, Philosophie und sonstige Studien unabhängig von der Theologie zu betreiben; dass er bezüglich Astrologie und Wahrsagerei ein Kind seiner Zeit war und Seemannsgarn oder Jägerlatein allzu leicht auf den Leim ging, gehört ebenso zu dem Bild, das die Nachwelt von ihm gewann, wie, dass er für mythische Geschöpfe wie Harpyien oder den Vogel Greif allenfalls ein müdes Lächeln übrig hatte (Will Durant). Unter anderem betonte er auch die Geistigkeit und Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Vor allem auf dem Gebiet der Zoologie und Botanik galt er als einer der bedeutendsten Naturforscher seiner Zeit. Nicht nur Bergwerke und Laboratorien besuchte er und studierte die verschiedenen Metalle, sondern er untersuchte konkret die Pflanzen- und Tierwelt seiner Heimat und nahm auch selbst Experimente vor, wenn er sich auch sonst meist an Aristoteles hielt. Da er die »Natur« sehr genau in Augenschein nahm, konnte er im sogenannten Universalienstreit eine mittlere und vermittelnde Position einnehmen. In dieser Auseinandersetzung ging es um die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt der Allgemeinbegriffe (Universalien) im Verhältnis zur Realität der Einzelobjekte. Im Gegensatz zu dem extremen Begriffsrealismus eines Anselm von Canterbury oder Wilhelm von Champeaux (ca. 1070–1122), nach dem die Allgemeinbegriffe eine von der des Einzelobjekts verschiedene Realität in den Ideen haben, aber auch im Gegensatz zu dem Nominalismus, dem gemäß die Allgemeinbegriffe nur Einzelbegriffe zusammenfassen und keine eigene Wirklichkeit haben, wie ihn z. B. Roscelin von Compiègne (ca. 1045 – nach 1120) vertrat, lehrte Albertus Magnus (und mit ihm in unterschiedlichen Akzentuierungen sein Schüler Thomas von Aquin sowie Pierre Abälard (1079–1142)), dass zwar die Allgemeinbegriffe keine eigene Realität, aber eine Verankerung in der Welt der existierenden Dinge haben. Gott müsse man in den Naturursachen suchen, er wirke durch sie, aber die Naturerscheinungen seien nicht gleich dem »Gotteswillen«.So eine Haltung konnte man einnehmen, wenn man die Realität erforschte. Albert wurde zum Pionier der Entwicklung der experimentellen Wissenschaften.
     Albertus Magnus starb am 15. November 1280 in Köln; dieser Tag ist auch sein Gedenktag als Heiliger (die Heiligsprechung erfolgte erst 1622). Seine Gebeine wurden in der Kirche St. Andreas in Köln beigesetzt, aber 1954 aus einem gotischen Holzschrein in einen römischen Sarkophag umgebettet. Von ihm gibt es etliche Darstellungen als einfachen Dominikaner, aber auch als Bischof mit Stab, Buch und Mitra, dazu auch oft noch mit Schreibfeder. Vor der Universität Köln wurde ihm 1956 ein überlebensgroßes Bronzedenkmal aufgestellt. Als im Zusammenhang mit dem Grundlagenstreit der modernen Mathematik und Logik der alte Universalienstreit des Mittelalters eine Neubelebung erfuhr, kam auch Albertus Magnus noch einmal zu neuen Ehren. Allein schon der Umfang seines Riesenwerkes brachte ihm den Titel »der Große« ein.
 

Gertrud

Gertrud die Große (Wikipedia)

   
Unser Streifzug durch die »Großen« in der Geschichte des Christentums endet mit einer Frau, einer Mystikerin, über die man aber in weiter verbreiteten Darstellungen nicht viel findet. Hier steht immer Hildegard von Bingen (1098–1179) im Vordergrund, wahrscheinlich zu Recht, weil diese nicht nur als Visionärin, sondern auch auf anderen Gebieten wie der Naturwissenschaft und der Heilkunde oder auch durch ihre Kontakte zu Papst und Kaiser einen hohen Ruf gewann. Aber ihr hat man den Titel »die Große« nicht verliehen. Gertrud die Große wurde 1256 wahrscheinlich in Thüringen geboren. Schon mit fünf Jahren kam sie ins Zisterzienserinnenkloster Helfta im heutigen Sachsen-Anhalt, wo sie von der gebildeten und feinsinnigen Äbtissin Gertrud von Hackeborn erzogen wurde, die 1251 schon mit 18 Leiterin des Klosters geworden war und ihm bis zu ihrem Tode 1291 vorstand – sie erhob das Kloster zu einer der einflussreichsten Stätten der Bildung und des geistlichen Lebens im damaligen Sachsen bzw. Thüringen, wo viele Töchter des thüringischen Adels eine Heimat fanden. Die Suche nach der religiösen Gewissheit führte zum Aufkeimen mystischen Gedankengutes in dem Kloster. Die Begine Mechthild von Magdeburg (ca. 1207–1282) verbrachte hier die letzten zwölf Jahre ihres Lebens und verfasste das »fließende Licht der Gottheit«; Mechthild von Hackeborn (1241–1299), die jüngere Schwester der Äbtissin, ließ ihre Visionen von anderen Schwestern niederschreiben; ihre Schriften verbreiteten sich und regten viele andere zu ähnlichem Leben an. Hier war auch der richtige Ort für die Entfaltung der Mystik Gertruds, die am 27. Januar 1281 die für sie entscheidende Heilandsvision erlebte. Erst acht Jahre später begann sie mit der (lateinischen) Niederschrift ihrer Offenbarungen. Seit ihrer ersten Vision fühlte sie sich mit Christus in inniger mystischer Verbundenheit vereinigt; ihre Schriften, die auf die Mystik und Erbauungsliteratur einen großen Einfluss ausübten, geben einen geheimnisvollen Einblick in ihr Leben mit dem Heiland; ihre »Jesusminne« ebnete der liturgischen »Verehrung des Herzens Jesu« den Weg. Im Zentrum ihrer persönlichen Frömmigkeit stand die Eucharistie und die Verehrung des Herzens Jesu. Sie starb, genannt Gertrud die Große, am 13. November 1302 in Helfta, das heute zu Eisleben gehört. Erst 1678 wurde sie in das römische Heiligenverzeichnis aufgenommen (ihr Gedenktag ist der 17. November), und daher gibt es Darstellungen von ihr erst ab dem 17. Jahrhundert: u. a. einen Kupferstich, ein Altargemälde und eine Statue aus dem Jahr 1759 in Engelszell in Oberösterreich. Meist wurde sie mit Buch und Kruzifix in ekstatischer Haltung gezeigt. In Zwiefalten steht eine Altarstatue von 1750; hier wird sie in Nonnenkleidung mit Abtstab dargestellt, und sie zeigt auf ihr geöffnetes Herz, in dem ein kleines Jesuskind erscheint. Auf dem Spruchband in ihrer Hand kann man lesen: »In corde Gertrudis invenietis me.« Heute ist Gertrud die Große nur noch Eingeweihten bekannt; in populären deutschen Literaturgeschichten wie die von Frenzel findet sich zwar Mechthild von Magdeburg, aber nicht Gertrud, und auch unter den 30 Beispielen für Mystik im Christentum, die Werner Thiede neuerdings beschrieben hat, ist sie nicht aufgenommen. Zu ihrer Zeit und in den folgenden Jahrhunderten hat sie aber große Bedeutung erlangt, und sie gilt heute dank ihrer Schriften als eine der größten deutschen Mystikerinnen. In der Kathedrale von Palma de Mallorca ist eine Statue von ihr zu bewundern. Was aber kaum jemandem bekannt oder bewusst ist: Die Begeisterung für Gertrud war zu Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in ganz Europa verbreitet und griff auch auf die neue Welt über. Schon 1609, drei Jahre nach den Nonnen des hl. Johannes des Evangelisten in der Stadt Lecce in Süditalien, erhielt die Ordensgemeinschaft von der Unbefleckten Empfängnis der seligen Jungfrau Maria im Vizekönigreich Mexiko ein Offizium nach Art des römischen Breviers für St. Gertrud. Auf Bitten des Königs von Spanien wurde Gertrud die Große zur Patronin von West-Indien, also der Neuen Welt, erhoben, eine unglaubliche Ehre. Das Volk stimmte voll Freude zu und feierte in Peru ihre Ernennung mit einem großen Fest. Gertruds Spuren finden sich noch heute in vielen Kirchen in Lateinamerika, in Brasilien (Sao Paulo, Rio de Janeiro), Peru, Chile, Mexiko und Kuba. Deutschland spielte bei der Eroberung Lateinamerikas durch die Spanier und Portugiesen kaum eine Rolle, und doch ist es die deutsche Mystikerin, die die Patronin der katholischen Neuen Welt geworden ist!

    


  

Teil III – Mittelalter

Kleine Weltgeschichte der »Großen«