»Die Bleichgesichter sind über das große Wasser
herübergekommen. Dort gibt es lichthaarige, die Engländer, und dunkelhaarige,
die Spanier. Zu welchen gehörest du?« – … »Ich gehöre zu dem großen Volke der
Germany, welche Freunde der roten Männer sind und noch niemals ihre Wigwams
angegriffen haben.« – … »Die Germany sind gut. Sie haben nur einen Gott, nur eine
Zunge und nur ein Herz.«
Der Teton-Häuptling
Pokai-po zu Old Shatterhand in Karl Mays Ölbrand
Du hast Dich nicht nur Deines roten
Freundes, sondern auch seiner ganzen verachteten, verfolgten Rasse angenommen … Konnten die Bleichgesichter nicht
alle so zu uns kommen, wie Du, der Einzelne, zu mir, dem Einzelnen kamst? Ich
sage Dir, alle, alle meine roten Brüder wären ebenso gern ihre Schuldner
geworden, wie ich der Deine geworden bin!
Winnetou zu seinem
Blutsbruder Old Shatterhand (in Winnetou IV)
Er war
ein ehrenwerter, aufrichtiger Mann, in dessen Herz kein Falsch zu finden war!
Irokesen-Indianer
über den Missionar Johann Cammerhoff
Er war
der beste Freund, den die Indianer je gehabt!
James Clarke,
Theologe, über Innenminister Carl Schurz
Eisenauge, die Zeit war kurz, welche Du unter meinem Volke lebtest. Aber
sie war doch lang genug, um uns erkennen zu lassen, dass Du als Freund kamest …
Eisenauge, kehre zurück – und Du wirst uns immer als Freunde finden!
Sitting
Bull, Lakota-Führer, zu dem Schriftsteller Rudolf Cronau
Das
wahre Glück dieses Lebens war mir in den letzten beiden Jahren in Deutschland
beschieden!
Häuptling
Two Two 1914
Ich widme die Neuauflage von ›Karl Mays Väter‹ meinem geliebten Enkelsohn
Jannis.
Vorwort
Der deutschen Öffentlichkeit ist der Schauplatz ›Wilder Westen‹ von
Abenteuerbüchern oder -filmen her wohl vertraut. Die Jahr für Jahr erscheinenden
Wildwest-Romane haben ihren festen Leserkreis, und die Steubenschen
Tecumseh-Erzählungen, die Lederstrumpf-Geschichten oder die Karl-May-Romane
haben nach wie vor einen festen Platz im Bücherschrank. Kein
anderer Abschnitt der Weltgeschichte dürfte – und sei es oft auch nur
klischeehaft – so bekannt geworden sein wie die Eroberung des ›Wilden Westens‹.
Insbesondere üben die indianische Welt und Geschichte auf viele Deutsche einen
merkwürdigen Zauber aus. Die Europäer gingen gegen die Ureinwohner anderer
Erdteile nicht weniger grausam vor als gegen die Indianer, aber doch erfreuen
sich weder die Asiaten noch die Afrikaner noch die Südsee-Insulaner einer so
großen Anteilnahme wie der »Rote Mann«, und es gibt wenig andere Völker, in
denen dem Indianer mit derselben Sympathie begegnet wird wie im deutschen Volk,
eine Tatsache, zu der es mittlerweile einige Hinweise und Erklärungsversuche
gibt. Wohl mögen die Sehnsucht nach Freiheit, Abwechslung und Abenteuer, Fernweh
und der Wunsch, das Leben nach eigenem Ermessen zu gestalten, eine Ursache für
die Faszination sein, die der romantisch verklärte ›Wilde Westen‹ auf viele
Deutsche ausgeübt hat und immer noch ausübt. Aber liefern solche Sehnsüchte, die
Schranken einer spießbürgerlichen Industriegesellschaft zu durchbrechen,
wirklich die ganze Erklärung? Oder könnte es nicht sein, dass ein geheimer,
unbewusster ›Seelenzipfel‹, der den Deutschen vielleicht mehr gemein ist als
anderen Völkern, gerade durch die indianische Welt in besonderem Maße
angesprochen wird? Und was, so muss dann die Frage lauten, ist geschehen, als
sich in Amerika deutsche und indianische Welt begegneten? Traten die deutschen
Einwanderer und ihre Führer den Ureinwohnern anders gegenüber als die englischen
oder schottisch-irischen.
Bemerkenswerterweise ist die reichhaltige Geschichte der Begegnungen zwischen Deutschen und Indianern auch in der Fachwelt nur wenig bekannt geworden. In der einschlägigen Literatur füllt sie nicht einmal eine Fußnote. Diese Lücke zu schließen, ist ein Anliegen des vorliegenden Buches. Auf viele Begebenheiten der indianischen Geschichte wird dabei ein bislang wenig bekanntes Licht geworfen. Von den Kolonialzeiten bis zur Befriedung der Apachen war der Einfluss der Deutschen unvergleichlich groß. So verdanken wir einzelnen Deutschen nicht nur die Darstellung der Kultur mancher Stämme vor ihrem Untergang, sondern auch Verbesserungen der Indianergesetzgebung oder die Rettung ganzer Völkerschaften vor der Ausrottung, Fakten, die in der deutschen Öffentlichkeit bisher nahezu unbekannt geblieben sind. Deutsche wurden in indianische Stämme adoptiert oder wurden Schlüsselfiguren in den Auseinandersetzungen zwischen Weiß und Rot. Kaum ein Weißer kannte die Irokesen so gut wie Johann C. Weiser; die Cherokee fanden nie einen besseren Freund als Christian G. Priber; keiner verstand besser mit den Apachen umzugehen als Al Sieber; und keiner nahm sich mehr der Indianer im allgemeinen an als Carl Schurz. Unzertrennliche Freundschaft hat es zwischen Weiser und dem Irokesen-Häuptling Shikellamy gegeben. Der Missionar Cammerhoff wurde von den Irokesen als einer der ihren angesehen. Während puritanische Geistliche dazu aufriefen, die Indianer »auszumerzen«, schützten deutsche sie vor amerikanischem Pöbel, und zu Kolonialzeiten – und auch noch später – wussten die Indianer zwischen Deutschen und Engländern zu unterscheiden. Der Irokesenhäuptling Hendrick und sein Volk hatten mit Pfälzer Flüchtlingen mehr Mitleid als der englische Gouverneur und holländische Landspekulanten. Karl May hat der deutsch-indianischen Freundschaft in der Freundschaft zwischen Old Shatterhand und Winnetou ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt.
Freilich hat es auch unter den Deutschen Ausnahmen gegeben, hartgesottene Skalpjäger oder unfähige Offiziere, die die Indianer verfolgten; aber viele deutsche Immigranten und eine Vielzahl hervorragender einzelner Deutscher begegnete den amerikanischen Ureinwohnern mit Anteilnahme. So konnte es geschehen, dass Deutsche zur Ansiedlung in Minnesota geworben wurden, weil man davon ausging, dass sie sich mit den dort ansässigen Chippewa-Indianern besser vertragen würden als Engländer und Iren.
Auch der Beitrag der deutschen Emigranten zur Erschließung Nordamerikas ist bisher nur selten entsprechend gewürdigt worden. Dabei haben verschiedene Leistungen der Deutschen in Amerika weltgeschichtliche Bedeutung erlangt. Wernher von Braun, der große Raketenspezialist des 20. Jahrhunderts, oder Baron von Steuben, der die amerikanische Armee im Unabhängigkeitskrieg organisierte, stehen stellvertretend für viele hervorragende deutsche Persönlichkeiten, die in der amerikanischen Geschichte einen wichtigen Platz einnehmen. Aber die Geschichte der Vereinigten Staaten war nicht zuletzt immer die Geschichte ihrer Ausdehnung nach Westen. Auch hier haben deutsche Pioniere einen nicht zu unterschätzenden Anteil. Die Deutschen in Pennsylvanien waren früher Gegenstand allgemeiner Verachtung, so dass es kaum ein Historiker der Mühe wert fand, ihre Kultur zu erforschen. Aber nur durch den Zugriff der Deutschen wurde Pennsylvanien die reichste Kolonie in Amerika. Im Mittelwesten verhinderten die Deutschen die Ausweitung der puritanischen Lebensweise, und in den Präriegebieten waren sie als erfahrene Bauern willkommen. Die Besiedlung der kanadischen Präriegebiete wurde erst durch Deutsche begonnen. Deutsche Pioniere waren im Westen unterwegs. Der erste zivile topographische Ingenieur und einige der erfolgreichsten Goldsucher (wie der Entdecker der legendären Lost Dutchman Mine) in Arizona waren Deutsche. Deutsche brachten mit als erste Kulturgüter nach Texas, und die Entwicklung Kaliforniens ist ohne Deutsche überhaupt nicht zu denken. Deutsche Wissenschaftler begleiteten amerikanische Expeditionen in den Westen, ein Deutscher stand als einer der ersten am Fuß des Grand Canyon. Und die wichtigsten Karten, die die Siedler als Führer nach Oregon oder Kalifornien verwendeten, stammten von deutschen Kartographen. Über sie alle findet man in den meisten der in Deutschland bekannten Fachbücher kein Wort. So soll das vorliegende Buch nicht nur die Deutschen während der indianischen Geschichte, sondern allgemein ihren Anteil an der Erschließung der amerikanischen Grenzgebiete zum Inhalt haben. Außerdem ist jedem Kapitel ein Vorspann beigefügt, in dem über andere Leistungen der Deutschen in Amerika berichtet wird.
Dr.
Eckehard Koch
Karl Mays Väter – Die Geschichte der Deutschen im Wilden Westen