Im »Land des himmelfarbenen Wassers«

  

Die bedeutendste Rolle spielten die Deutschen in den Vereinigten Staaten von Amerika zur Zeit des Bürgerkrieges. Kein anderer amerikanischer Präsident hat so viele Deutsche unter seinen persönlichen Freunden gehabt wie Abraham Lincoln, in dessen Amtszeit die Auseinandersetzung zwischen Nord- und Südstaaten ihren Höhepunkt erreichte. Schon während der Wahlkampagne 1860 schrieb Lincoln an den späteren Senator Carl Schurz, dass »in dem Grad unserer begrenzten Bekanntschaft meinem Herzen niemand näher steht als Sie.« Als Lincoln in der Wahlnacht gebannt die telegraphischen Nachrichten abhörte, saß ihm einer seiner besten Freunde zur Seite, der Journalist Carl Bernays (1815–1879) aus Mainz, der den »Anzeiger des Westens« redigierte. Am 6. November 1860 erhielt Lincoln die relative Mehrheit; er war der Erwählte einer »Sektion«, nämlich des Nordens, der numerisch die Mehrheit hatte. Ausschlaggebend waren die Stimmen der Deutschamerikaner gewesen. Geheim und unter Bedeckung reiste er nach Washington, begleitet von seinem intimsten Freund, dem Deutschen Johann G. Nicolay (1832–1901) aus Landau, der lange Zeit sein Privatsekretär und Vertrauter war und später durch eine zehnbändige Lincoln-Biographie Aufsehen erregte. Lincoln, der sich auch um die deutsche Sprache bemühte, anerkannte dankbar die Hilfe seiner deutschen Freunde. Viele erhielten Ämter oder wichtige Auslandsposten. Von 283 auswärtigen Posten waren 21 mit Deutschen besetzt.
     Auf die Wahl Lincolns hin lösten sich die Südstaaten von der Union und bildeten einen eigenen Staatenbund, die Konföderation. Präsident wurde der ehemalige Kriegsminister Jefferson Davis (1808–1889), Finanzminister sein Freund, der Jurist Christopher Gustavus Memminger (1803–1888) aus Nayhingen in Württemberg, der allerdings vor einer hoffnungslosen Aufgabe stand und auch schließlich kapitulieren musste.
     Lincoln erklärte die Erhaltung der Union und die Wahrung aller ihrer Gesetze für seinen obersten Grundsatz. So wurde der Bürgerkrieg, der durch die Konföderation entfacht wurde, zunächst auch gar nicht um die Erhaltung oder Abschaffung der Sklaverei geführt, sondern um die Erhaltung oder Spaltung der Vereinigten Staaten. Erst als Lincoln während des Krieges die Sklaverei abschaffte, erlitt die Konföderation die entscheidende politische Niederlage, der die militärische folgte.
     Als der Krieg ausbrach, strömten Tausende von Freiwilligen zu den Fahnen. Der Beitrag der Deutschen zum Sieg der Union füllt in den meisten Geschichtsbüchern nicht einmal eine Fußnote, doch war er unvergleichlich groß. Etwa 200.000 Deutsche, ein Zehntel der gesamten Streitmacht des Nordens, dienten in der Unionsarmee. Aus New York kamen gleich zu Kriegsbeginn 6000, aus Pennsylvanien 4000; Illinois schickte 6000, Ohio stellte neben Kavallerie und Artillerie elf Infanterieregimenter, 8000 Deutsche kamen aus Missouri, das deutsche 9. Wisconsin Regiment hatte eigene Uniformen. Fünfzehn von 26 Regimentern des 11. Korps der Potomac-Armee waren deutsch. Von den Deutschen stiegen etwa 500 zu Offiziersrang auf, 28 (darunter einige aus der zweiten Generation) wurden General. Führend waren auch hier die Achtundvierziger, die Forty-eighters.
     Als bester deutscher Offizier galt Generalmajor Peter Joseph Osterhaus (1823–1917) aus Koblenz, der sich in den Kämpfen in Missouri, vor Vicksburg, in Chattanooga – als »Held von Lookout Mountain« – und während des Marsches von General William Tecumseh Sherman (1820–1891) zum Atlantik auszeichnete. Umstritten waren die Fähigkeiten von Generalmajor Franz Sigel (1824–1902), der aus Sinsheim stammte; aber der Sieg in der Schlacht von Pea Ridge 1862, der den Staat Missouri der Union erhielt, war in erster Linie seinem Geschick zu verdanken. Darüber hinaus war Sigel einer der Führer des Deutschtums in Amerika vor dem Krieg gewesen und hatte dadurch viel dazu beigetragen, das deutsche Element in den USA zu einen. Kein anderer deutscher Offizier war unter seinen Landsleuten in Amerika so beliebt wie er. Dagegen stieß Generalmajor Carl Schurz auf heftige Kritik, auch von Seiten der Deutschen, die annahmen, er wolle ihren Favoriten Sigel verdrängen. Dazu gesellten sich unglückliche Geschehnisse, die Schurz die Militärzeit sehr betrüblich gestalteten. Seine Freundschaft und sein Briefwechsel mit Lincoln schufen ihm viele Neider, die ihn als »politischen General« ablehnten. Aber der Briefwechsel, in dem Schurz offen seine Meinung über diverse Generale kundtat, war Lincoln offenbar willkommen; nur einmal schien er ihm zu missfallen. Die Regimenter von Schurz trugen den Hauptstoß der Konföderierten während der Schlacht von Chancellorsville Anfang Mai 1863, die mit einer vernichtenden Niederlage endete. Obwohl für das Debakel Schurz’ Vorgesetzte verantwortlich waren, wurde Schurz’ und seinen »deutschen Feiglingen« die Schuld in die Schuhe geschoben. Ähnliches geschah nach der den Krieg zu Gunsten der Union entscheidenden Schlacht von Gettysburg Anfang Juli 1863, in der Schurz vorübergehend ein Korps führte und am 1. Schlachttag eine Niederlage hinnehmen musste. Doch errang Schurz die Achtung seiner Leute, er deckte den Rückzug bei der zweiten Schlacht von Bull Run Ende August 1862, und bei hervorragenden Generalen wie Sherman wurde ihm Anerkennung und Würdigung seiner Dienste zuteil. In der 2. Schlacht von Bull Run zeichnete sich auch der ehmalige preußische Offizier Alexander von Schimmelpfennig (1824–1865) aus, der sich später bei der Einnahme von Charleston (der Verteidiger war, wie erwähnt, sein Landsmann General Wagener, der sich ihm ergeben musste) große Verdienste erwarb – er war einer der besten deutschen Generale im Bürgerkrieg auf Seiten des Nordens, von dem auch sein Vorgesetzter General Schurz viel lernen konnte, und der an den Folgen der Strapazen des Krieges so frühzeitig verstarb.
     Die Taten einzelner deutscher Offiziere sind Legion. Entscheidend auf den Sieg in der Schlacht von Shiloh im April 1862 wirkte sich der brillante Angriff durch die Truppen des aus Posen stammenden Oberst August von Willich (1810–1878) aus, der einer der besten Militärs unter den Forty-eighters war. In der Schlacht am Antietam im September 1862 führte der Forty-eighter Gottfried Becker (1827–1867) aus Frankenthal in der Pfalz sein Regiment als erster über den Fluss Antietam und griff die starke Position der Konföderierten an, während der Badener Max Weber (1824–?) auf einem anderen Teil des Feldes die weit überlegenen Konföderierten wiederholt zurückschlug. Der Achtundvierziger Louis Hofmann, über den sonst nichts bekannt ist, focht vor Vicksburg so hervorragend, dass ihm und seiner Battery auf dem Schlachtfeld ein Denkmal errichtet wurde. Desgleichen erinnert ein Denkmal an Hauptmann Heinrich Dietrich (1832–?) – auch über ihn weiß man sonst nichts - auf dem Feld von Gettysburg, ein anderes an den deutschamerikanischen Arzt Clinton Wagner (1837–1914), einen der bemerkenswertesten Frontärzte während des Bürgerkrieges. Als erster rückte der bereits erwähnte General Kautz bei Kriegsende in Richmond, der Hauptstadt der Konföderierten, ein.
     Auch auf Seiten des Südens fanden sich deutsche Offiziere. Stabschef unter General James ›Jeb‹ Stuart (1833–1864) war der ehemalige preußische Gardekürassieroffizier Oberst Heros von Borcke (1835–1895), den finanzielle Schwierigkeiten nach Amerika getrieben hatten und der in der Südstaatenarmee sehr populär wurde. Der Nürnberger Achtundvierziger Adalbert Johann Volck (1828–1912), ein Freund von Jefferson Davis, war ein erfolgreicher Zahnarzt in Baltimore, berühmt wurde er, ein glühender Vertreter der Sache der Konföderation, aber als Künstler und Karikaturist und handelte sich mit seinen bissigen Karikaturen von Unionsführern Gefängnis ein. Seine Portraits des bedeutenden Südstaaten-Generals Robert Edward Lee (1897–1870) und anderer Führer der Konföderation wurden sehr bekannt. Volck versuchte, mit seinen Karikaturen dem wohl einflussreichsten Karikaturisten dieser Zeit entgegen zu wirken, dem Deutschen Thomas Nast (1840–1902), der aus Landau stammte und 1862 Illustrator der bekannten Zeitung ›Harper’s Weekly‹ wurde. Lincoln nannte ihn »unseren besten Werbesergeanten«, weil er mit seinen Rekruten-Werbungszeichnungen für die Union so erfolgreich war. Nast hat übrigens unsere Vorstellung vom Weihnachtsmann entscheidend geprägt: Er zeichnete ihn, ›Santa Claus‹, 1863 zum ersten Mal für das Magazin ›Harper’s Weekly‹ nach einem Gedicht des Professors für orientalische und griechische Literatur sowie Dichters Clement C. Moore (1779–1863). Die Coca Cola -Werbung hat hat dann später die Vorstellung vom Weihnachtsmann, wie er uns heute geläufig ist, weltweit bekannt gemacht.
     Eine traurige Berühmtheit erlangte der Deutsch-Schweizer Henry Wirz (1823–1865), der den Befehl über das berüchtigte konföderierte Gefangenenlager Andersonville hatte, das zu Kriegsende insgesamt 50.000 Insassen gehabt hatte. Ein Drittel davon starb an Hunger, Seuchen und an der brutalen Behandlung. Wirz, selbst krank, war unfähig, die Lage der Gefangenen zu verbessern und wahrscheinlich auch nicht recht willens dazu. Zu den ganz wenigen Fällen einer geglückten Flucht aus Andersonville gehörte der des Achtundvierzigers Hermann Ulffers (1827–1879). Wirz wurde nach dem Krieg vor ein Kriegsgericht gestellt. Zu seinen Verteidigern gehörte der Berliner Journalist und Anwalt Ludwig Schade (1829–1903). In einem nicht fairen Gerichtsverfahren, was Schade nicht verhindern konnte, wurde der verhasste Mann zum Tode verurteilt.
     Auf der anderen Seite zeichnete sich auch die Union nicht gerade durch humane Kriegsführung aus. Die von ihr verhängte Blockade zermürbte den Süden, dessen reichste und schönste Landschaften mit unglaublicher Brutalität von den durchziehenden Unionstruppen verwüstet wurden. In dieser Zeit des Brudermordes arbeitete der deutschamerikanische Staatsphilosoph Franz Lieber (1798–1872), in Berlin geboren und aufgewachsen und 1827 als politischer Flüchtling in die Vereinigten Sstaaten gekommen, der »Vater der akademischen Staatswissenschaft in den USA« und Begründer der Encyclopedia Americana, Regeln für das Verhalten der Soldaten im Sinn einer humanen Kriegsführung aus, die als »General Order No 100« in etwas abgeänderter Form den Heeresteilen zugeleitet wurden. Es war das erste Werk dieser Art auf der Welt und blieb Grundlage für alle späteren Werke dieser Art wie auch der Haager Landkriegsordnung.
     Während im Osten der Bürgerkrieg tobte, bahnte sich im Westen der Untergang der freien Indianerstämme an.

 
Zur Zeit des Sezessionskrieges waren die »Hohen Ebenen«, das Wohngebiet riesiger Büffelherden, eines der größten Grasgebiete der Erde, noch immer der Tummelplatz freier, farbenprächtiger, nomadisierender Indianervölker. Das Klima, der Boden, der Bürgerkrieg und die Indianerunruhen zögerten ihre Erschließung hinaus. Der 98. Meridian setzte dem Ackerbau eine Grenze. Dahinter begann unberührtes Land, eine trockene, dürre Hochebene, von seichten Flüssen durchzogen und von großen Temperaturschwankungen zerrissen und ausgedörrt. Längst waren Kalifornien und Oregon besiedelt, längst drängten sich an den Grenzstaaten des »Ostens« wie Kansas die landhungrigen Pioniere, bereit, ihre Sachen zu packen, ihre Planwagen zu beladen und ins Grasmeer zu ziehen, da waren die westlichen Ebenen noch unerforschtes, gefährliches Land. Aber die Zivilisation schob sich unaufhaltsam vorwärts. Auf die Forscher, Glücksritter und Missionare und das Militär folgten die Pioniere, die Squatter, auf ihren Spuren zogen Viehzüchter und Farmer, und die Niederlassungen, die von ihnen gegründet wurden, lockten Siedler aller Berufsschichten an, bis die Zivilisation an die Tür des »Wilden Westens« klopfte. Zu ihren Wegbereitern gehörten auch Deutsche. Es gab unter ihnen Abenteurer und Squatter, Goldsucher und Prospektoren, Bauern und Handwerker: namenlose, hunderte. Sie wurden von Landspekulanten übervorteilt, von Indianern getötet; sie bestanden gegen Dürren und Heuschrecken und Kälte und Hunger und Not wie alle anderen Pioniere auch. Die meisten verloren sich im Dunkel der Geschichte.

Zu der Vorhut dieser deutschen Pioniere gehörten oft Deutsche jüdischer Herkunft, von denen die meisten aus Bayern stammten. Bereits seit Beginn der Kolonialzeit kamen sie nach Amerika. Vor allem New York besaß eine große Gemeinde deutscher Juden, die sich, auch wenn sie ihrem Glauben treu blieben, stets als Deutsche fühlten und viel länger die deutsche Sprache bewahrten als die übrigen deutschen Einwanderer. Schon 1654 entstand die erste Synagoge in Nordamerika, in New York, wo 1695 von 4000 Einwohnern etwa einhundert Juden waren. Über die jüdischen Deutschen in Georgia urteilte der Reisende Baron Reck, der uns schon früher begegnet ist, sie seien so ehrlich und aufrichtig, wie man es sonst kaum finde. Sie waren auch in den übrigen Kolonien ausdauernd und unternehmungslustig und brachten es teilweise zu Wohlstand, so dass sie auch soziale Anerkennung fanden, wenn sie auch bei den Kolonialverwaltungen keine Unterstützung fanden. Die meisten allerdings waren arm und ungebildet, doch einige brachten es zu Wohlstand oder wurden berühmte Bankiers und Industrielle, wie z.B. der Agent der Rothschilds in den USA, August Belmont (1816–1890) aus Alzey, der während des Bürgerkrieges in Europa für die Sache der Nordstaaten warb. Die deutschen Juden waren meist reformwilliger und weniger orthodox als die anderen europäischen Juden, unter den Achtundvierzigern gab es eine Reihe deutscher Juden, die in bestem deutschen Gedankengut verhaftet waren, und die erste Ethische Bewegung der Welt wurde 1876 von Felix Adler (1851–1933), einem Deutschen jüdischer Herkunft aus Alzey, in New York gegründet. Die Bruderschaft B'nai B'rith, in der Organisation den Freimaurer-Logen verwandt, die bis in unsere Tage durch ihre Wohltätigkeiten auffällt, war eine Gründung deutscher Juden in New York (1843).

Die bayerischen Emigranten jüdischer Herkunft, die in den Westen gingen, weil sie in den Atlantik-Staaten ihren Lebensunterhalt nicht entsprechend verdienen konnten, waren zwar arm, aber arbeitsam, ehrgeizig und fromm. Viele von ihnen wurden Pedlars, ziehende Händler, die die entferntesten und abgelegensten Farmen und Dörfer belieferten. Ein früher deutscher Reisender berichtete: »Sie beginnen gewöhnlich als Pedlars, wobei sie an jeder Farm halten, und der Farmer ist gezwungen, ihnen etwa abzukaufen, um sie loszuwerden.«

Die Mehrzahl der Deutschen, die vor 1848 in die USA auswanderten, hatte sich im Mittelwesten niedergelassen, da damals an die Besiedlung der Präriegebiete noch nicht zu denken war. Erst nach der Ankunft der Forty-eighters setzte allmählich die Westwanderung ein. Auch die Achtundvierziger beteiligten sich an der Landnahme im Westen. Zwar gehörten sie nicht unmittelbar zu den Pionieren, aber sie kamen mit dem zweiten Schub. Auch sie suchten dort ihr Glück, erfüllt von der Liebe zur Natur, von Abenteuerlust und Tatendrang, gepaart mit einem Hauch Romantik und vor allem der Sehnsucht nach Freiheit, die allen Forty-eighters gemeinsam war. Das Leben, das sie auf sich nahmen, war anfangs hart und entbehrungsreich, eintönig und gefährlich. Sie aßen Mais wie alle Pioniere, schliefen in Blockhäusern, durch deren Dächer der Regen rieselte, erschraken ob dem plötzlichen Eintreten von Indianern in die niedrige Blockhütte – wie alle, die nach Westen zogen. Die Cholera suchte sie in der einen Gegend heim, in einer anderen ein Indianeraufstand.

So waren auch die Forty-eighters Pioniere. Von St. Louis zogen sie in die Siedlungen in Missouri oder nach Illinois: nach Belleville und Quincy. Die Mehrzahl aber fuhr mit dem Dampfschiff stromaufwärts. Keokuk, Burlington, Muscatine, Buffalo, Davenport, Clinton-Lyons, Dubuque und Guttenberg waren ihre Niederlassungen. Sie nahmen eine deutsche Atmosphäre an, sie hatten bald Turnhallen und Zeitungen, Gesangvereine, Theater und Biergärten. Vor allem Guttenberg wurde ganz zu einer deutschamerikanischen Stadt; einstmals lebten dort enthusiastische Turner – nur Deutschen war die Siedlung in Guttenberg erlaubt, heute ist es ein schläfriges Landstädtchen.

Auch im Westen waren die Forty-eighters politisch von Einfluss. Viele von ihnen zogen noch weiter stromauf und ließen sich im »Land des himmelfarbenen Wassers« nieder, in Minnesota, wie der Name des Staates, abgeleitet von Dakota-Wörtern, meist übersetzt wird; hier war der Beginn des Indianerwestens, Neu Ulm war die westlichste Ansiedlung in Minnesota zur Zeit ihrer Gründung.

Einer der ersten Forscher in Minnesota war der »Pfadfinder« John Charles Fremont gewesen. Mit 25 Jahren war er 1838 schon der Assistent des bedeutenden, 1830 aus Frankreich nach Amerika geflohenen Mathematikers und Forschers Joseph N. Nicollet. Nicollet, Fremont und der abenteuerliche Botaniker Charles Geyer, der aus Dresden stammte, leisteten wertvolle wissenschaftliche Arbeit, als sie im Sommer 1838 eine Expedition nach Süd Dakota, ins Coteau des Missouri, zum Minnesota-Fluss und ins Blue Earth (Mankato)-Gebiet unternahmen. Im nächsten Jahr wurde eine neue Expedition ausgerüstet, die nach Fort Pierre und von dort nach Westen ziehen sollte. Zu dem Forschungstrupp gehörte auch der preußische Artillerist Ludwig Zindel, der Fremont später noch öfter begleitete. Von Fort Pierre zogen die Forscher zu den Flüssen James und Cheyenne und hielten sich dann nordwärts zum Devil’s Lake in Nord Dakota. Fremont, den die Romantik des Westens, die bunt geschmückten Indianer, die wogende Prärie, die donnernden Mustangs begeisterten, lernte den Westen nun erst richtig kennen. Er erlebte eine Büffeljagd und tollkühne Jagden zu Pferde, verirrte sich, verbrachte eine Nacht allein im Indianerland und nahm an einer der alljährlichen Zusammenkünfte der Dakota teil.

Vom Teufelssee ging es zum Red River und nach Süden zu Renville’s Fur Station. Dann folgte man dem Minnesota zum »Vater der Ströme«. Der letzte Dampfer, der die Forscher nach Süden hätte bringen können, war bereits abgefahren, und sie mussten einen Landmarsch nach St. Louis antreten – keine Kleinigkeit bei dem hereinbrechenden Winter.

In der zweiten Hälfte der 1860er Jahre brach eine Expedition zur Erforschung des Oberlaufes des Mississippi in Minnesota auf. Dass der Lake Itasca in Minnesota die Quelle des Mississippi darstellte, wusste man schon seit 1832 durch den Ethnologen und Schriftsteller Henry Rowe Schoolcraft (1793–1864), aber nun ging es um das Quellgebiet. An der Expedition nahm der berühmte Luftschiffkonstrukteur Ferdinand Graf von Zeppelin (1838–1917) teil, der 1863 in die USA gekommen war und eine Zeitlang im Bürgerkrieg auf Seiten der Union in der Potomac-Armee als Kavallerieoffizier, Ingenieur und Kriegsbeobachter, u. a. in der Schlacht von Gettysburg, gedient hatte. In Minnesota machte er seine erste Ballonfahrt, nachdem er vorher schon mit militärischen Aufklärungsballons Erfahrungen gesammelt hatte, was sein Interesse daran und an dem Bau von Luftschiffen entfacht haben soll.

Etwa zehn Jahre nach Fremonts Expedition wurde Minnesota das Ziel zahlreicher Siedler, die aus dem überfüllten Osten nach Westen drängten. Eine große Anzahl unter ihnen waren Deutsche, aber ihre Geschichte ist in Deutschland kaum bekannt geworden.

Deutsche Arbeiter, Mitglieder einer Landkompanie aus Chicago, die dem unsicheren Arbeitsmarkt im Osten entgehen und sich auf billigem Land an der Frontier ansiedeln wollten, gründeten 1854 am Minnesota Fluss eine Ortschaft, die sie Neu Ulm nannten, da sie überwiegend aus Baden stammten. Im nächsten Jahr erschienen hier drei Kommissionäre der »Siedlungsgesellschaft der Sozialistischen Turner-Vereinigung«, die eine geeignete Gegend für die Besiedlung mit Deutschen in Minnesota suchte. Leiter des Unternehmens war Wilhelm Pfänder, der 1826 in Heilbronn als Arbeitersohn zur Welt gekommen war. Seine schlechte Gesundheit verhinderte eine Handwerkerausbildung, so wurde er zu einem Kaufmann in die Lehre gegeben. 1844 beteiligte er sich an der Gründung eines Turnvereins in Heilbronn, vier Jahre später zwang ihn die Revolution zur Auswanderung nach Amerika. Wie für viele Einwanderer ohne Englischkenntnisse begann hier für ihn der Existenzkampf, der noch durch seine schlechte Gesundheit verstärkt wurde. Die Arbeit in einer Fabrik war zu schwer für ihn, so verdang er sich als Kellner in Cincinnati. Dort gründete Friedrich Hecker (1811–1881), der neben Franz Sigel und Carl Schurz der prominenteste Streiter in der Badener Revolution und angesehenste Führer des Deutschtums in Amerika war, einen Turnverein, und Pfänder wurde eines der ersten Mitglieder. Seine Erkenntnis und Erfahrung, dass die Immigranten von den Arbeitgebern tüchtig ausgenutzt wurden – die Deutschen, noch viel mehr die Iren – ließen ihn den Plan fassen, eine Siedlung von Arbeitern und Freidenkern im Nordwesten zu gründen, wo Überfluss an Boden und Holz gegeben sein würde. Hier könnte jeder Arbeit finden, und vielleicht würde sogar jeder einen eigenen Garten besitzen. Das Ackerland und größere Besitztümer sollten allen gemeinsam gehören.
 

Wilhelm Pfänder

Wilhelm Pfänder um 1900

 
Unterstützt wurde Pfänder vor allem von dem Forty-eighter Jacob Nix, der aus Bingen stammte, sich als Hauptmann an der Revolution beteiligt und später in Algier, wahrscheinlich in der Fremdenlegion, herumgetrieben hatte. Sein bewegtes Leben hatte ihn nach Cleveland und dann nach Cincinnati geführt. In der Nationalversammlung der Turner von 1855 fand der Plan der beiden bei den westlichen Vereinen Interesse, die Gruppe von Cincinnati wollte sogar finanzielle Unterstützung gewähren. Pfänder entwarf eine Urkunde der Siedlungsgesellschaft, suchte im Auftrag der Gesellschaft Gebiete im Westen und fand sie am Minnesota. Die deutschen Arbeiter aus Chicago verkauften ihr Land an die Turner, der Kaufpreis wurde von diesen durch den Verkauf von 800 Stück Vieh, das 15 Dollar pro Stück brachte, aufgetrieben. 3000 Dollar stellte der Turnverein von Cincinnati für den Kauf von Vorräten für den ersten Winter zur Verfügung. So entstand Neu Ulm, das Nix – er betätigte sich als Lehrer – und Pfänder, der eine Farmwirtschaft betrieb, nun leiteten.

In den nächsten Jahren strömten viele weitere Deutsche nach Minnesota. Der Grund war für die damaligen Zeiten eher merkwürdig, er hatte mit den in Minnesota ansässigen Indianerstämmen zu tun. Am oberen Mississippi lebten Teile der mächtigen Chippewa, Erbfeinde der Dakota. Unter ihnen wirkte seit 1852 der österreichische Missionar Franz Pierz (1785–1880), einer der großen Pionier-Missionare in Minnesota. Schon 1835 hatte er die Missionierung bei den Chippewa-Verbänden in Michigan begonnen. Mit 67 Jahren machte er sich dann zum oberen Mississippi auf, um der katholischen Kirche Neuland zu gewinnen. Jedes Jahr reiste er trotz seines hohen Alters hunderte von Meilen zu den einzelnen Dörfern. Durch seine Schriften trug er dazu bei, dass in Europa Fonds für seine Arbeit unter den Indianern entstanden. Als sich in der Umgebung »seiner« Indianer allmählich Weiße niederließen, wünschte sich Pierz, dass nur deutsche Katholiken dort siedeln sollten, weil davon auszugehen war, dass sie sich mit den Indianern besser vertragen würden als die rauborstigen Iren oder Angloamerikaner. Seine Prospekte und Schriften wie ›Die Indianer in Nordamerika‹ (1855) veranlassten zahlreiche Deutsche und Österreicher, nach Zentral-Minnesota auszuwandern. Pierz setzte seine Missionsarbeit noch bis 1871 fort, 1873 kehrte er in seine Heimat zurück, wo ihm noch sieben Jahre verdienten Ruhestandes vergönnt waren.

In diesem Zusammenhang sollte noch ein weiterer deutscher Missionar in Amerika erwähnt werden: Karl Anton Engelhardt (1851–1934) aus Bilshausen bei Hannover, der im Alter von einem Jahr mit seinen Eltern nach Kentucky kam. Mit 21 trat er in den Franziskaner-Orden ein und erhielt den Namen Zephyrin und wurde 1878 zum Priester geweiht. Viele Jahre missionierte er unter den Menomini in Wisconsin und gab Zeitschriften heraus – wie »Anishinabe Enamiad« in der Sprache der Chippewa (1895–1900). In Wisconsin und dem nördlichen Michigan errichtete er Indianerschulen und lernte verschiedene Indianersprachen zu sprechen und zu schreiben. Schon 1888 bis 1892 hatte er in Kalifornien die Indianermission St. Turibius geleitet; 1900 ging er aus gesundheitlichen Gründen erneut nach Kalifornien und blieb bis zu seinem Tode in Santa Barbara, wo er umfangreiche Werke über die Geschichte der Missionen verfasste. Diese Arbeiten sind von unvergleichlichem historischem Wert. Er schrieb auch 1905 alte spanische Manuskripte aus den Archiven in San Francisco ab; da die Originale dem Feuer nach dem Erdbeben von 1906 zum Opfer fielen, haben seine Transkriptionen natürlich eine besondere Bedeutung erlangt. Engelhardt, ein großer, athletisch gebauter Mann mit einem dichten Vollbart, arbeitete bis zu seiner Erblindung. Seine letzten Worte sollen gelautet haben: »Wie geht die Arbeit voran?« Nach seinem Tode wurde er auf dem alten Indianerfriedhof der Mission neben bedeutenden Padres früherer Zeiten beigesetzt.

Ein bemerkenswertes Detail sei vor diesem Hintergrund noch erwähnt: Die bekannte amerikanische Schriftstellerin Louise Erdrich (geb. 1954) ist die Tochter einer Chippewa und eines Deutschen und in North Dakota geboren. Sie ist auch in Deutschland mit etlichen Werken hervorgetreten, z. B. der wunderschönen Erzählung ›Ein Jahr mit sieben Wintern‹ (2003; ursprünglich ›The Birchbark House‹, 1999) oder vorher schon mit dem dramatischen, eher verstörenden Roman ›Spuren‹ (›Tracks‹, 1988). Beide und noch andere behandeln die Geschichte der Chippewa. So schließt sich der Kreis.

Als Minnesota als Territorium (1849) bzw. als Staat (1858) organisiert war, annoncierte die Verwaltung selbst in irischen Zeitungen, sandte Agenten nach Deutschland und verschickte Prospekte in sechs Länder. Iren, Schotten, Russen, Skandinavier und vor allem Deutsche zogen in Scharen nach Minnesota. Viele Ortschaften tragen noch heute deutsche Namen, wie Hamburg oder Neu München; es entstanden Neu Trier, Potsdam, Fulda, Buhl, Cologne, Flensburg, Hannover, Waldorf, Dresbach und New Germany.

Am interessantesten ist die Entwicklung der Gemeinde Neu Ulm, wo zu achtzig Prozent Deutsche lebten. Hier herrschten eine liberale, freundliche Atmosphäre, Toleranz, Freiheit und Sozialismus – Pfänder und Nix hatten eine sozialistische Gemeinschaft angestrebt, in der es weder Not noch Arbeitslosigkeit geben sollte – obwohl der Sozialismus in seiner extremen Form wie anderswo bald aufgegeben wurde. An seine Stelle trat freier Wettbewerb, aber trotz der Amerikanisierung des Systems blieb das Gemeinwesen in der sozialen Struktur der Grundlage nach den Ideen der deutschen Turner verhaftet. Die Siedlungsgesellschaft übertrug die Verwaltung der Kolonie 1858 dem Ort New Ulm, als über 400 Menschen dort lebten. Ein Jahr danach wurde sie aufgelöst. Bald danach gingen die Mühlen in Privatbesitz über. Auch die Zeitung der Turner in Neu Ulm hielt sich nur ein Jahr als Gemeinschaftsprojekt. 1858 war der ›Neu Ulm Pionier‹ entstanden, mit dem Ziel, »in allem unabhängig, aber nirgends neutral« zu sein, der sich als sozialistisches Blatt zum Anwalt eines »freien Bodens, freier Menschen, freier Arbeit und freier Presse« machte. Die Gründer, Lambert Nägele (1833–1905) und Eugen Gerstenhauer (1834–1916), gaben es als Wochenblatt heraus und verlangten zwei Dollar für ein Jahresabonnement. Die Schwierigkeiten, mit denen sie fertig werden mussten, waren groß: Das Leben an der Indianergrenze, das anfänglich sehr hart war – vor allem der Hunger ging in den ersten Jahren um, manche Farmer mussten Saatkartoffeln ernten – behinderte die Arbeit. Papier war rar, und die Konkurrenz anderer deutscher Zeitungen war groß. In St. Paul gab es seit 1855 die »Minnesota Freie Presse«, eine Zeitung, die erst zur Demokratischen, dann zur Republikanischen Partei neigte. In Chaska erschien 1857 das kleine, parteiabhängige, republikanische Blatt »Minnesota Talbote«. Der gebürtige Ungar Samuel Ludvigh (1801–1869), bekannt durch seine »Fackel« in Baltimore, zog 1858 nach St. Paul, wo er die »Minnesota Staatszeitung« gründete. Einflussreich war auch die »St. Paul Volkszeitung« des Achtundvierzigers Albert Wolff (1825–?) aus Braunschweig, der schon 1855 in die Legislatur von Milwaukee gewählt wurde und von 1864 bis 1871 als Immigrantenkommissionär des Staates den Neuankömmlingen den Zuzug erleichterte.

Diese Konkurrenz zwang 1859 die Herausgeber des ›Neu Ulm Pionier‹, das Gemeinschaftsprojekt in private Hände übergehen zu lassen. Das Schulkomitee übertrug sein Besitztum dem öffentlichen Schuldistrikt New Ulm. Aus dem Erlös des Verkaufes von Land der Gesellschaft wurden Lehrer bezahlt und Lehrbücher für öffentliche Schulen gekauft – allerdings nur unter der Bedingung, dass kein Religionsunterricht stattfinden dürfe. Mehrere Morgen Land wurden für die Gründung von Feuerwehr, Krankenhaus und Schwimmbad verkauft. So entwickelte sich Neu Ulm zu einer Stadt, die noch heute unter den amerikanischen Städten durch ihre Sauberkeit, die großzügige Planung und die breiten Straßen hervorsticht. Aus ihrer ruhigen Entwicklung wurde sie durch einen Indianerkrieg gerissen.

In Minnesota lebte eine Gruppe der östlichen Dakota, die Santee, deren Land von den Siedlern rücksichtslos weggenommen worden war. 1851 mussten die Santee große Gebiete in den Verträgen von Traverse des Sioux und Mendota gegen jährliche Zahlungen und Nahrungsmittellieferungen abtreten, Gebiete, die ihnen ohnehin nur mehr nominell gehörten, und in eine Reservation im Süden Minnesotas ziehen. Ihr Häuptling Little Crow (ca. 1810–1863), ein ehemaliger Trinker, ein überdurchschnittlicher Redner und Krieger, dem es allerdings an »Feldherrngeschick« mangelte und der sehr vorsichtig und entscheidungsschwach war, versuchte, die friedliche Politik seines Vaters Großer Adler fortzusetzen, der sich bereits dem Ackerbau zugewandt hatte und 1834 gestorben war. Bei Ankunft der deutschen Siedler lebte Little Crow mit seinem Stamm schon lange in einem Reservat im Süden Minnesotas; Neu Ulm entstand etwa acht Meilen von der Reservation entfernt. Die Indianer fristeten in ihrer neuen Umgebung ein mehr oder weniger armseliges Dasein. Little Crow beschloss, wie ein Weißer zu leben; er wohnte ein einem festen Haus und betrieb eine Farm. Vor allem versuchte er, seine Stammesangehörigen vom Alkohol fern zu halten. Überwiegend Little Crow war der Frieden mit den Weißen zu verdanken, der über ein Jahrzehnt lang hielt.
 

Little Crow

 
Mit den Siedlern, vor allem den Deutschen, kamen die Santee anfangs gut aus. Aber während es zwischen Delawaren und Irokesen einerseits und deutschen Siedlern andererseits sowie Comanchen und deutschen Immigranten, wie geschildert, echte Freundschaften gegeben hatte, verlief die Geschichte in Minnesota anders. Minnie Bolsch, die Tochter eines deutschen Ansiedlers, schrieb über diese Zeit: »Meine Eltern, Mr. und Mrs. Werner Bolsch, gehörten zu den ersten Siedlern im Renville County. Wir wohnten drei Meilen von Fort Ridgely entfernt, und die Straße zur Lower-Agentur führte in einer Entfernung von knapp neun Meilen an unserem Haus vorbei. Wir sahen die Indianer täglich, und wir brauchten uns nie zu ängstigen, dass sie uns etwas tun würden. Sie waren freundlich, spielten mit uns und kamen sogar oft in unser Haus. Sie brachten Fische mit, um sie bei meiner Mutter gegen Lebensmittel einzutauschen …«

Häufig kamen die Santee auch nach Neu Ulm und tauschten dort ihre Produkte wie Felle gegen Lebensmittel und andere Waren der Siedler. Auch gaben sie dort das Geld ihrer jährlichen Zahlungen der US-Regierung aus. Während ihrer Jagd- und Kriegszüge, oder wenn sie auszogen, den Ahornzucker zu sammeln, passierten sie die Stadt. Nicht selten führten sie in der Stadt auch Tänze auf oder nahmen an Festen teil. Der ›Neu Ulm Pionier‹ versprach seinen Lesern gleich in der ersten Ausgabe vom 1. Januar 1858 ausführliche Informationen über die benachbarten Indianerstämme, und dies geschah auch: Die Leser wurden ausführlich über Kleidung, Waffen und Werkzeuge der Santee, Winnebago und Chippewa in Kenntnis gesetzt, über ihr Verhalten, ihre Sprachen und Beziehungen untereinander, so z. B. über die Feindschaft zwischen Dakota und Chippewa. Viele Berichte stammten aber aus Berichten von Reisenden und weniger aus eigenen Erfahrungen, von der Beschreibung von durchziehenden Santee mit Gefangenen oder frisch gewonnenen Skalpen abgesehen. So waren die Indianer den Deutschen gleichzeitig nahe und doch fremd. Letztere merkten auch selbst nicht, dass sie dazu beitrugen, mit der Zeit die Gesellschaft und Kultur der Dakota auszuhöhlen, schon gar nicht, dass sie bei den Indianern immer mehr Unmut und Animositäten weckten. Auf der anderen Seite finden sich viele Artikel, in denen die Herausgeber des ›Neu Ulm Pionier‹ gegen die amerikanische Indianerpolitik zu Felde zogen und die schlechte Behandlung der Indianer durch die Regierung und das Militär, ihre Vertreibung und den Betrug an ihnen scharf kritisierten. Dies ist höchst bemerkens- und anerkennenswert. Auch kurz bevor schließlich der bekannte Aufstand der Santee 1862 ausbrach, griff der ›Neu Ulm Pionier‹ die amerikanische Indianerpolitik heftig an. Wo gab es so etwas sonst in den Grenzgebieten?

In den Jahren vor dem großen Krieg kamen immer mehr Santee zu den deutschen Siedlern und bettelten um Nahrung. Sie stießen nicht auf taube Ohren. Aber die Deutschen, die den ersten Konflikt mit den Dakota, schon bei ihrer Ankunft ausgetragen hatten, weil einige von ihnen im Winter 1854/1855 im scheinbar verlassenen Sommerlager der Indianer überwintert hatten und diese bei ihrer Rückkehr im Frühling glaubten, man hätte sie um das Land gebracht, wurden von einer wachsenden Zahl Santee im Laufe der Jahre zunehmend als aggressive Fremdkörper wahrgenommen, weil sie sie, sicher zu Unrecht, mit den Angehörigen der Agenturen oder mit dem Militär auf eine Stufe stellten. Die Grenzen zwischen ›weißem‹ und ›rotem‹ Siedlungsgebiet wurden erst 1858 vermessen; bis dahin glaubten viele Santee, auch Little Crow, die Deutschen würden auf Land der Indianer siedeln. Die Darstellung in mancher Literatur, die Deutschen hätten mit den Dakota nicht gehandelt oder getauscht, sondern sie überwiegend als Bettler angesehen und unfair behandelt und ihnen ihr Wild weggeschossen bzw. durch die eigene Lebensweise als Farmer die der Santee zerstört, ist in dieser Einseitigkeit sicher nicht richtig.

Aber im Grunde stießen zwei sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander. Die Dakota vermissten wahrscheinlich die bei ihrem eigenen Volk übliche Großzügigkeit der »Wohlhabenden« gegenüber den »Bedürftigen«, während die Deutschen aufgrund ihrer Sparsamkeit am eigenen Habe hingen, wenn sie auch vielfältig die Santee unterstützt haben (übrigens verkauften sie ihnen unverständlicherweise auch Alkohol, der in Neu Ulm produziert wurde). Der Fortschritt der deutschen Farmer und einiger Stammesmitglieder, die ihnen nacheiferten, frustrierte viele Indianer; wenn sie die Reservation verlassen wollten, brauchten sie eine Erlaubnis des Agenten, unterlagen aber außerhalb der Reservation den Gesetzen der Weißen und konnten sich somit nicht wie früher frei bewegen. All das untergrub das Selbstverständnis und die Kultur der Santee. Man kann mithin die Verhältnisse hier nicht ansatzweise mit den Verhältnissen vergleichen, die zu der Freundschaft zwischen Deutschen und freien Indianern, den Delawaren, Irokesen und den Comanchen, geführt hatten. Daraus allerdings zu konstruieren, die Deutschen seien schuld am großen Aufstand 1862 gewesen, ist abwegig. Wie anderswo waren es auch hier in erster Linie die betrügerischen Agenten und Händler, die die Indianer demütigten und das für sie bestimmte Geld in die eigene Tasche wandern ließen, die letztlich den Indianerkrieg beschworen.

Als mit Beginn des Bürgerkrieges gar kein Teil der versprochenen 20.000 Dollar, die die Santee jedes Jahr erhalten sollten und die natürlich nicht ausreichend waren, mehr die Santee erreichte, waren sie bald am Verhungern. Im Sommer 1862 brachte der Händler Andrew Myrick das Fass der Ungerechtigkeiten und Gemeinheiten zum Überlaufen, als er dem um Nahrung bittenden Little Crow die überlieferte Antwort gab: »Wenn deine Leute hungern, sollen sie Gras fressen.« Nach Meinung von verschiedenen Beobachtern, Missionaren und Historikern war in diesem Fall wie in vielen anderen das falsche Verhalten einzelner Weißer die Ursache des Aufstandes von lange Zeit hindurch friedlichen Indianern.

Damals lebten etwa 150.000 Weiße in Minnesota. Zu der Zeit war es wegen des Bürgerkrieges an Truppen geschwächt. Auch viele Deutsche waren mit gegen die Konföderation gezogen. Pfänder, der 1859 in die Staatslegislatur von Minnesota gewählt worden war, kommandierte eine Batterie Artillerie und zeichnete sich in der Schlacht von Shiloh aus.

Am 18. August 1862 brach der Sturm los. Little Crow und andere Häuptlinge konnten die bis zum äußersten erbitterten Krieger nicht mehr zurückhalten. Little Crow stellte sich gezwungenermaßen an die Spitze des Aufstandes. Fast tausend Weiße kamen durch Scharen unglaublich grausam wütender Santee ums Leben; sie zeigten sich unerbittlich und marterten, massakrierten und schlachteten auch Alte, Frauen und Kinder ab, selbst Babys und alte Freunde. Dass viele Santee im Anblick ihrer eigenen ausgemergelten, verhungernden Kinder die Fassung verloren, gilt bei aller nicht zu leugnenden Brutalität der Krieger aber doch zu berücksichtigen. Die überlebenden Weißen flohen in größter Panik in die wenigen größeren Orte. Die Siedler waren völlig unvorbereitet und überrascht. Neu Ulm war allerdings offenbar gewarnt worden. Jacob Nix organisierte mit seinen wenigen Leuten – nur etwa 200 kampfbereite Männer, vor allem Deutsche, gab es in der Stadt – den Widerstand und ließ Verteidigungsanlagen errichten. Noch am ersten Tag des Aufstandes erschienen Santee vor Neu Ulm. Am folgenden Nachmittag griffen sie an, wurden aber von Nix abgewehrt. Ein paar Tage später kam Captain Charles Flandrau (1828–1903), ein bekannter Jurist und Schriftsteller, mit einigen Freiwilligen zum Entsatz heran. Kurz vorher hatte er die Santee von St. Peter abgewiesen. Flandrau übernahm das Kommando. Immer mehr Santee erschienen vor Neu Ulm. Ihr Anführer war der gefürchtete Häuptling Mankato (1832?–1862). Am 23. August stürmten sie gegen den Ort vor. In kürzester Zeit gelang es den rasenden Santee die Erdwerke zu überwinden. Was folgte, galt später als eine der erbittertsten Straßenschlachten, die je in den Indianerkriegen stattfanden. Mit etwa 250 Siedlern verteidigten Flandrau und Nix einen ganzen Tag den Ort, der bald in hellen Flammen stand. Um jedes Haus wurde erbittert gerungen. Als die Indianer schließlich am Abend abzogen, waren zwischen 150 und 190 Häuser zerstört. Nach verschiedenen Quellen waren acht, 26 oder sogar hundert Verteidiger gefallen, siebzig waren verwundet worden. In Neu Ulm und seiner Umgebung sollen an die 450 Weiße umgekommen sein. Am 24. August kam es noch einmal zu Kämpfen, dann wandten sich die Indianer anderen Orten zu. Die Regierung wies die Räumung der Stadt an, in einem Zug von 150 Wagen flohen die Bewohner in großer Eile über die offene Prärie nach Osten, voller Furcht vor den Indianern, die die Schlacht von Neu Ulm als Sieg verbuchen konnten. Einige der Flüchtlinge begaben sich nach St. Paul. Als Pfänder von dem Aufstand zu hören bekam, eilte er sofort nach Minnesota und fand seine Familie unverletzt vor.
 

Schlacht bei Neu Ulm

Schlacht von Neu Ulm.

 
Die Schlacht von Neu Ulm gehört zu den »klassischen« Kämpfen der Indianerkriege, doch sind anscheinend die Ereignisse nicht restlos rekonstruiert worden. Über das Kampfgeschehen, die genauen Daten und den Verteidigungsbeitrag von Nix und Flandrau findet man in der Literatur nicht übereinstimmende Angaben.

Die Niederlage der Santee war nur eine Frage der Zeit. Sie besaßen kaum Vorräte und erzielten keine nachhaltigen Erfolge. Zudem gab es eine Reihe von prominenten Häuptlingen, die sich nicht Little Crow anschlossen, sondern die Siedler sogar warnten und ihnen halfen. Bemerkenswert ist eine Einzelheit: Als John Otherday (1801–1871), ein Santee, der zum Christentum übergetreten war und die weiße Lebensweise angenommen hatte, die deutschen Siedler vor dem Angriff auf Neu Ulm warnte und viele von ihnen rettete, meinte die Ansiedlerin Brigitta Pelzl bei seinem Anklopfen an die Tür, er wolle nur betteln, und gab ihrem Mann Johann ein Brot für ihn. Dass er sie vor einem Angriff der Indianer warnen wollte, glaubte sie in Anbetracht des bislang freundlichen Verhaltens der Santee gar nicht. Als sie sich dann mit einer Nachbarin beraten wollte, wurde sie von anstürmenden Kriegern getötet. Besser erging es Helen Marble und ihren Kindern, die sich den Dakota gegenüber stets generös verhalten hatte, in den Augen der Indianer ein »echter Mensch«, und die nun verschont blieb, während in der deutschen Gemeinde rundherum die meisten umgebracht wurden. Otherday, der eine Weiße geheiratet hatte, brachte noch 62 Deutsche in Sicherheit nach St. Paul. Er erhielt später eine Prämie von 2500 $ für seine ehrenvolle Tat. Er kaufte sich davon eine Farm, aber als er damit nicht erfolgreich war, bauten ihm die Weißen ein eigenes Haus. Und es gäbe noch viele andere Häuptlinge zu nennen, die sich für die Weißen einsetzten.

Verbündete konnte Little Crow nicht viele gewinnen. Pierz eilte voll Sorge zu seinen Chippewa und hielt sie davon ab, sich den Santee anzuschließen. Nur Häuptling Bagunegijig (»Öffnung im Himmel«, bekannt als Hole-in-the-Day, »Öffnung im Tag«; 1825–1868, von einem Stammesmitglied ermordet) soll den einstigen Feinden verschiedentlich Unterstützung gewährt haben und wurde angeklagt, einen ähnlichen Aufstand wie Little Crow unter den Chippewa geplant zu haben, was sich allerdings als falsch herausstellte. Gouverneure benachbarter Staaten bemühten sich, ein Übergreifen des Aufstandes auf ihr Gebiet zu verhindern. Vor allem Wisconsin war gefährdet. Gouverneur hier war der Deutsche Eduard Salomon (1828–1908), der aus Halberstadt stammte und 1849 nach Wisconsin ging, wo er als Lehrer und Vermesser tätig war. Später machte er eine Anwaltspraxis auf. 1861 wurde er erst stellvertretender Gouverneur und bald Gouverneur von Wisconsin, ein Posten, den er mit Auszeichnung versah. In Wisconsin war das deutsche Element beträchtlich, nach Pennsylvanien galt Wisconsin als »deutscher Staat« - es gab hier sogar Pläne, Deutsch als Amtssprache einzuführen – und heute ist Wisconsin »deutscher« als jeder andere Staat der Vereinigten Staaten. Salomon organisierte Streitkräfte, setzte sich für das Wehrpflichtgesetz ein und achtete darauf, dass sich die einheimischen Indianer nicht Little Crow anschlossen. Aber Struck-by-the-Ree (1804–1888) hielt seine Winnebago ohnehin zurück, und der Gute Donner (ca. 1790–1863), ebenfalls ein Winnebago-Chief, unterstützte sogar die Weißen, was diese nicht hinderte, ihn und seinen Stamm umzusiedeln.

In der Literatur wird allgemein Oberst Henry Sibley (1811–1891) das Verdienst zugesprochen, Little Crows Aufstand niedergeschlagen zu haben. Sibley stammte aus Detroit, machte sich um den Aufbau Minnesotas verdient, wurde der erste Gouverneur und erwarb sich durch seine Betrügereien an den Santee wenig Ruhm. Zwar ist wahr, dass Sibley die Truppen im Felde führte, aber die Rolle von Oskar Malmrose war nicht minder bedeutend – er allerdings ist in Vergessenheit geraten. Malmrose stammte aus Kiel, kam als Anwalt nach Minnesota und wurde Generaladjutant des Staates. In dieser Eigenschaft organisierte er den Feldzug gegen die Santee, der dann schnell Erfolge brachte. Malmrose wurde später Konsul in spanischen und französischen Hafenstädten und starb 1909 in Rouen.

Unter den von Malmrose aufgestellten Einheiten befand sich auch das Minnesota Kavallerie Regiment, in dem Pfänder Oberstleutnant wurde. Bald danach wurde er Kommandant von Fort Ridgely, das die Santee am 20. August erfolglos berannt und in dem sich hunderte von obdachlosen Flüchtlingen in Sicherheit gebracht hatten. Sibleys Infanterie schlug am 23. September Little Crow in der Schlacht von Wood Lake, in der Mankato fiel. 1500 Krieger, die sich Sibley ergaben, gerieten während und nach der Schlacht in Gefangenschaft, aber Little Crow, der wie die meisten Häuptlinge an den Greueln keinen Anteil gehabt hatte, entkam. Er wurde 1863 von einem Siedler erschossen, nachdem er vergeblich versucht hatte, in Kanada Hilfe zu erhalten.

Dreihundertdrei Indianer wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Der in Minnesota bekannte Missionar Henry B. Whipple (1822–1901) setzte allen Einfluss daran, die Urteile aufzuheben. Präsident Lincoln legte daraufhin die Gerichtsprotokolle dem Richter William T. Otto (1816–1905) vor. Otto war ein Nachkomme des während des Unabhängigkeitskrieges bekannt gewordenen deutschen Arztes Dr. Bodo Otto (1711–1787). Unter dem Einfluss von Whipple und Otto begnadigte Lincoln die meisten Verurteilten zu lebenslänglichem Gefängnis, 38 wurden am 26. Dezember 1862 in Mankato gehängt. Die meisten Santee – 2000 Männer, Frauen und Kinder – wurden 1863 in den Westen deportiert. Jahre später schlossen sie sich den letzten Lakota an. Ihr Häuptling Inkpaduta (ca. 1815–ca. 1882) stand in der Custer-Schlacht.

Im Januar 1863 wurde Otto stellvertretender Innenminister (er blieb es bis 1871) und widmete sich seitdem besonders dem Studium der Indianerangelegenheiten. Er überprüfte die Indianergesetzgebung und empfahl eine Verbesserung. Zwei Jahre lang arbeitete er mit dem hervorragenden Irokesen-Häuptling Ely Samuel Parker (ca. 1828–1895) zusammen, der als Ingenieur und General der Unionsarmee Karriere gemacht hatte und von 1869 bis 1871 Kommissar für indianische Angelegenheiten war. Zwar scheiterten beide auf die Dauer doch an der Politik des Kriegsdepartments, aber nicht jede ihrer Ideen ist in Vergessenheit geraten. Der Versuch von Präsident Ulysses S. Grant (1822-1885, 18. Präsident der USA 1869–1877), während seiner Amtszeit gegenüber den Indianern eine friedliche Politik einzuschlagen, beruht zweifellos auch auf dem Einfluss von Otto, der zu seiner Zeit einer der bekanntesten Richter in Amerika war.

Das Presseecho auf den Krieg war geteilt. Es gab Zeitungen, auch deutschamerikanische, die die Vertreibung oder sogar Ausrottung der Indianer forderten. Andere wiederum sahen die Schuld bei der US-Regierung und trafen damit weitgehend ins Richtige. Selbst viele deutsche Siedler in Minnesota machten die eigene Regierung für den Aufstand verantwortlich. Jacob Nix, der sich bei der Verteidigung von Neu Ulm hervorgetan hatte, wetterte in Zeitungsartikeln 1887 sowohl gegen die Indianer als auch gegen die Regierung, aber sah die Schuld vor allem bei den amerikanischen Agenten. Damit sprach er vielen deutschen Siedlern aus dem Herzen.

Noch weiter ging der katholische Pater Alexander Berghold (1838–1918), der aus St. Margarethen in der österreichischen Steiermark stammte, 1864 nach Neu Ulm gekommen war und die alten Berichte studierte und Zeitzeugen befragte. In seinem daraufhin veröffentlichten Buch kommt er zu dem Schluss, dass der Ärger und die Frustration der Santee durchaus zu verstehen waren, aber dass dafür in erster Linie die amerikanische Regierung die Verantwortung trug. Er ging sogar soweit, die Ungerechtigkeiten der Weißen an den Indianern zur Grundursache der Indianerkriege zu machen. Selbst nach der Schlacht am Little Bighorn 1876 blieb er bei der Ansicht, dass die Indianer sich nur gegen Landraub verteidigt hätten. Auch das Massaker vom Wounded Knee 1890 war danach für ihn nur ein Beispiel für die Misswirtschaft der Regierung und die Unehrenhaftigkeit seiner Agenten. Bergholds Schriften und Memoiren sind für die historische Forschung von großem Wert.

Auch in Deutschland ergriffen viele Zeitungen Partei für die Indianer, obwohl die Opfer des Aufstandes deutsche Siedler gewesen waren. In dieser Weise urteilte die Zeitschrift »Das Ausland«, die in etlichen Folgen die Ungerechtigkeiten gegenüber den Indianern darstellte. Und auch in dem Periodikum »Globus« fanden die Indianer ihr Recht.

Minnesota war befriedet. Die Siedler kehrten in die zerstörten Niederlassungen zurück und bauten sie wieder auf. Viele Neuankömmlinge ließen sich in ihrer Nähe nieder. Zwar gab es nach dem Indianerkrieg noch manche Not zu überstehen – 1873 verheerende Schneestürme und in den nächsten Jahren Heuschreckenplagen – aber die Entwicklung verlief nun friedlich. Auch Neu Ulm erlebte einen neuen Aufschwung. Die Eigentümer des ›Neu Ulm Pionier‹ waren in den Bürgerkrieg gezogen, das Pressehaus hatten die Santee zerstört, die Zeitung wurde aufgegeben. Gerstenhauer schrieb für andere Blätter, Nägele gründete die »Minneapolis Freie Presse«, die er 1889 verkaufte, um in Montana eine neue Zeitung zu gründen. Aber schon 1864 erschien ein neues Blatt in Neu Ulm, die ›Neu Ulm Post‹. Der Herausgeber Ludwig Bogen (1810–1886), ein Achtundvierziger, engagierte sich als liberalrepublikanischer, sozialistischer Journalist, hartnäckig kämpfte er gegen die Ausbeutung der Arbeiter durch die Eisenbahn-Mäzene.

Pfänder gab im Dezember 1865 das Kommando von Fort Ridgely ab und kehrte auf seine Farm zurück. 1869 wurde er in den Senat des Staates Minnesota gewählt und nach seiner Amtszeit zum Bürgermeister in Neu Ulm. 1875 bis 1879 leitete er das Finanzressort des Staates. Danach zog er sich ins Privatleben nach Neu Ulm zurück, wo er 1905 gestorben ist.

Von zahlreichen bekannten deutschen Siedlern in Minnesota wurde Frederick Weyerhäuser (1834–1914) am erfolgreichsten: in den neunziger Jahren brachte er es zum führenden Holzmagnaten des Staates, zum »Holz-König«.

Neu Ulm wurde ein kultureller Mittelpunkt des umliegenden Gebietes. In der öffentlichen Schule wurde deutsch gelehrt und Turnunterricht gegeben. Die Turnhalle wurde sogar ein gesellschaftlicher Mittelpunkt. Neben den Gymnastikstunden wurden dort Musik- und Theaterveranstaltungen gegeben und Vorträge von Liberalen und Freidenkern gehalten. Früh besaß die Stadt eine öffentliche Bücherei. Hundert Bücher dafür stiftete der bereits erwähnte deutschamerikanische Schriftsteller und Historiker Friedrich Kapp – der Vater eines missratenen Sohnes, der 1920 in Deutschland durch den ›Kapp-Putsch‹ Aufsehen erregte. Als Neu Ulm mehr Einwohner hatte, erschienen zwei deutsche Zeitungen und wurden eine evangelische und eine katholische Kirche gebaut.

Die Freidenker waren in Neu Ulm in der Mehrzahl, sie zeichneten sich durch ihre Toleranz aus. Einmal wurde durch einen Sturm die katholische Kirche zerstört, doch schon erschien ein Braumeister, der ein Freidenker war, und bot sein Gebäude für die Abhaltung von Gottesdiensten an. Viele Freidenker trafen sich mit Berghold bei einem Glas Bier, und es war ungeschriebenes Gesetz in Neu Ulm, dass von den sechs Mitgliedern der Schulbehörde zwei Freidenker, zwei Protestanten und zwei Katholiken waren.

1876 erhielt Neu Ulm Stadtrechte. 1897 wurde in der Nähe das Hermann Heights Monument, das dem Hermanns-Denkmal im Teutoburger Wald bei Detmold nachempfunden ist, als Zeichen der Verbundenheit zur alten Heimat errichtet; es gilt auch als Symbol des deutschamerikanischen Erbes. Heute zählt die Stadt etwa 14.000 Einwohner. Während sich Neu Ulm zur Stadt entwickelte, drängten die Siedler nach Westen, in die »Hohen Ebenen«.

    


    

Der »Kampf um die Hohen Ebenen«

Karl Mays Väter – Die Geschichte der Deutschen im Wilden Westen