London, Die Herrin des großen Hauses

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rodger
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London, Die Herrin des großen Hauses

Beitrag von rodger »

Zunächst erfrischend zu lesendes, später mehr und mehr ebenso ernstes wie faszinierendes Buch über sehr erwachsene Art und Weise, mit Eifersucht umzugehen. Eine Frau zwischen zwei Männern (ganz ohne Zweifel erleben wir hier Charmian Kittredge und einen Jack London, dem die Felle davonzuschwimmen drohen), sie liebt beide, und da wird nicht drum herum geredet („In tiefster Seele war sie sich bewusst, dass ihre Handlungsweise rücksichtslos und wahnsinnig war und dass es nur mit einer Katastrophe für einen von ihnen enden konnte. Aber sie war es zufrieden, über dem Abgrund hin und her flattern zu können, und wollte ihn nicht sehen. Lachend schlug sie alle weiteren Betrachtungen in den Wind und gab sich zufrieden mit dem flüchtigen Augenblick, glühend und bebend vor Freude, dass sie lebte, wie sie nie zu leben geträumt.“ – „Ich vergleiche euch beide, wäge euch gegeneinander ab.“) Der Autor macht sich überhaupt nichts vor, und sein ebenso starker wie einsichtsvoller Dick Forest, der sich schließlich ganz nüchtern und unaufgeregt in aller Seelenruhe und Gefasstheit das Leben nehmen will, auch nicht („Er versucht nach seinen eigenen Moralgesetzen zu handeln. Er könnte die Philosophen lehren, was angewandte Philosophie ist“).

Etwas besonders hübsches hat sich London, der Meister der verfeinerten Wahrnehmung, kurz vor Schluss des Romans ausgedacht: Dick Forrest findet in den Wohnräumen seiner Frau ein Porträt, das sie von ihm malt, und in dem Moment weiß er, dass sie weiß, dass er es weiß, was da gerade so vorgeht. Weil sie es in seine Züge hat einfließen lassen. Großartig.

Jack London schreibt hier, wenn man so will, nach „Martin Eden“ zum zweitenmal über den eigenen Freitod, auch wenn es in diesem Buch denn doch nicht dazu kommt. „Die Herrin des großen Hauses“ erschien 1916. Im gleichen Jahr starb er.

Und dann ein wirklich furchtbarer Schluss. Nicht Dick Forrest tötet sich, sondern seine Frau bringt sich um. Und beide Männer stehen bei ihr, als sie stirbt, und sie lässt beide noch einmal Lieder singen, alle Anwesenden samt Arzt einigen sich auf schmerzerleichternde Sterbehilfe, und dann ist es aus mit ihr, und Forrest/London weiß, dass sie bis zum Schluss beide geliebt hat, und da steht er nun.

Dieses Buch wird von Biographen und Kritikern oft gescholten und gilt als eines der schwächeren Londons, ich hingegen war fasziniert, habe es in zwei Tagen gelesen und finde es eines seiner besten.
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