rodger hat geschrieben:
Es ist nicht leicht diesen Gedankengängen zu folgen ...
Einer schreibt zwei Texte wiesen die gleiche weltanschauliche Tendenz auf und der andere antwortet daß über zwanzig Jahre später der Autor "das Exemplar" (von welchem Buch ?) nicht mehr besessen haben dürfte und sich auch nicht daran erinnert haben, jenun, das mag sein, indes, was hat das eine mit dem anderen zu tun ?
Nun, ich denke, das hat diesen Zusammenhang:
Ich schrieb oben:
Sowohl was die weltanschauliche Seite betrifft als auch bzgl. konkreter inhaltlicher Dinge.
Manches von dem, was er im BdL schreibt, findet man damit übereinstimmend in späteren Werken wieder.
Beim Lesen des BdL (Abkürzung für "Buch der Liebe") brachte Karl May wie gesagt seine weltanschauliche Sichtweise auf diverse Fragen und Probleme (nicht nur) seiner Zeit zum Ausdruck. Diese wiederum ließ er dann in seinen späteren Werken einfließen in die Gestaltung von Personen und/oder Handlungsaufbau.
Ich meine damit nicht, dass "über zwanzig Jahre später der Autor "das Exemplar"" neu hervorholte um sich Ideen für eine neue Geschichte rauszusuchen. Vielmehr zeigt das in meinen Augen, dass jene Aussagen im BdL so sehr seiner inneren Überzeugung entsprachen, er sie so verinnerlichte, dass sie sowohl in diesem frühen Werk als auch in vielen späteren Werken übereinstimmend auftauchen.
Ich möchte das an ein paar wenigen Textpassagen aus dem BdL aufzeigen. Zitieren tu ich dafür aus dem Band 87 der Gesammelten Werke des KMV.
Da lesen wir auf Seite 70
Der Prediger, welcher von der Kanzel herab soeben das Hohe Lied der Liebe verkündete, eifert im nächsten Augenblicke gegen die Bekenner anderer Religionsformen ...
Finden wir hier nicht die wesentlichen Charakterzüge des Missionars Waller in "Und Friede auf Erden!" wieder?
Seite 70:
... der Geizige verlässt das Gotteshaus, um beim ersten Schritte in seine Wohnung den Armen von sich zu weisen ...
Die literarisch ausgestaltete Variante dieses Teilsatzes liegt uns im Verlornen Sohn, speziell in der Abteilung 2, "Sklaven der Arbeit", vor.
Seite 72:
Unter dem Deckmantel der Religion verbargen sich alle möglichen Gelüste ...
Karl May prangert mehrfach jene Leute an, die für ihn in etwa "Christen nur dem Namen nach" sind.
Seite 72:
Über die "Indianerrasse" schreibt May
Von Millionen sind nur noch wenige Tausende übrig, welche unrettbar der Bestimmung des Aussterbens verfallen sind.
Hier weise ich einfach nur auf die mehr als ähnlichen Aussagen in der Erzählung "Ein Ölbrand" und das Vorwort von "Winnetou I" hin.
Seite 84:
Unzählig sind die Vergleiche, welche zwischen der Rose und dem Liebchen gezogen werden ...
Die Rose als Sinnbild für liebenswerte Frauen findet man öfter bei May, manchmal schon in Titeln: "Die Rose von Ernstthal", "Die Rose von Kairwan", "Die Rose von Sokna", "Wald
röschen". Ribanna wird genannt die "Rose von Quicort". Und in satirischer Überzeichnung haben wir zudem die "Rose von Kbilli" in "Durch Wüste und Harem".
Seite 146:
Um die Größe und Aufopferungsfähigkeit der Mutterliebe zu schildern, hat man von Schlangenbissen erzählt, deren Gift die Mutter ausgesaugt hat.
Hier finden wir beinah schon das Kernthema der Erzählung "Mutterliebe" angekündigt, in der die Mutter nicht nur Gift aussaugt, sondern Schlangen mit eigner Hand erwürgt und Schlangenbisse erleidet, was sie dem Tode nahebringt.
Bei den Beispielen soll es erst mal genug sein.
Aber sie zeigen m.E. doch schon, dass Mays Worte von der vollständigen Disposition seiner Werke auch auf das BdL angewendet werden können.
In meinen Augen sogar fast noch mehr als auf die "Geografischen Predigten" (GP), was das konkrete betrifft.
Allgemein weltanschaulich trifft es wie gesagt und wie von Hermann Wohlgschaft bestätigt auf beide Schriften zu, dass sie dieselbe weltanschauliche Tendenz aufweisen.
Eine Bemerkung zu BdL und GP:
Für mich persönlich ist das BdL um einiges besser lesbar als die GP, aber das ist natürlich Geschmackssache. Auch ist für mich das mit der Disposition beim BdL mehr nachvollziehbar als bei den GP. Das wiederum kann möglicherweise damit zusammenhängen, ob die GP von einem mit den Lehren des Christentums vertrauten Menschen gelesen werden oder von einem "Ungläubigen".
Insgesamt fordert das BdL aber auch regelrecht heraus zu teils kritischer Beschäftigung mit Betrachtungen, die May da einfließen lässt, die sowohl seine eigenen Anschauungen als auch Anschauungen seiner Zeit sein dürften. Z.B. wenn wir lesen
Die Schwangerschaft ist kein normaler (...) Zustand ... (S.150)
(ja was denn dann?)
Aber diese kritischen Betrachtungen können hier im Forum nicht erschöpfend getroffen werden.
Für mich sind das Anregungen, mich mit den verschiedenen Fragen, die das BdL aufwirft, anderweitig noch intensiver zu befassen.
Noch ein Wort zu der Frage, ob May das BdL nun "zwanzig Jahre später" noch besaß oder nicht.
Ganz klar: die Frage können wir nicht beantworten.
Warum sich May nach 1900 von dem Buch distanzierte, wurde im ersten Beitrag angedeutet. Ob er das Buch vor 1900 hatte oder nicht oder ob Klara May nach Karls Tod u.a. auch sein Exemplar des BdL aus seiner Bibliothek entfernen zu müssen glaubte, wissen wir nicht.