Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

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rodger
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von rodger »

Bekehrt werden [...] auch die Leser
Ich glaub's noch nicht ... das kann er nicht ernst meinen ...

:roll:
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rodger
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von rodger »

Nicht mißverstehen; freilich kann man die Passage um den Tod Old Wabbles sehr ernst nehmen und ggf. gar "bekehrt" werden [oder zumindest Denkanstöße [oder auch 'Fühlanstöße' ...] in die Richtung verpaßt kriegen], aber das kann doch nicht "durch die Bank" für alle gelten sollen ...
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rodger
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von rodger »

@Gottesbeweis
Ich habe zuweilen geträumt, ich könne fliegen; der Körper ist vorhanden, hat aber weder Umfang noch Gewicht und scheint sich in eine durchaus rein geistige Potenz verwandelt zu haben, die frei in alle Richtungen streben kann, ohne durch den hindernislosen Raum gestört zu werden. So bin ich geschwebt hoch über der Erde hin, weit über sie hinaus, von Mond zu Mond, von Stern zu Stern, aus einer Unendlichkeit in die andre, von unaussprechlicher Wonne erfüllt. Das war aber nicht eine Wonne des Stolzes darüber, daß ich selbst es war, der den Raum besiegte, sondern die demütige und vertrauensvolle Seligkeit, daß allmächtige Liebe mich trug und immer weiter und weiter führte. Dann lag ich nach dem Erwachen noch lange geschlossenen Auges da, um mich langsam zu besinnen, daß es nur ein Traum gewesen und ich ein ohnmächtiger Knecht der Zeit und des Raumes sei.

Nicht so wie in einem solchen Traume, aber ähnlich ist es, wenn man auf leichtfüßigem Pferde oder Dromedar über die Wüste fliegt. Man kennt nichts Störendes, nichts Hemmendes, denn das einzige Hindernis, welches es giebt, ist der Boden, der hinter einem verschwindet und mehr einen Halt als eine Hemmung bietet. Das Auge haftet nicht auf ihm, sondern auf dem Horizonte, der sich wie eine sichtbare aber nicht zu greifende Ewigkeit immer von neuem gebiert; es richtet sich nach oben, wo zwischen den strahlenden Lichtern des Himmels immer andre und andre, immer mehr und mehr Lichter erscheinen, bis der Blick sie nicht mehr zu fassen vermag. Und wenn der Sehnerv an dieser Anfangs- und Endlosigkeit ermüdet, und die staunend erhobene Wimper sich niedersenkt, so währt die Unendlichkeit im eigenen Innern fort, und es entstehen Gedanken, die nicht auszudenken sind; es steigen Ahnungen auf, die man vergeblich in Worte fassen möchte, und es wallen und wallen Gefühle und Empfindungen empor, die man aber nicht einzeln zu fühlen und zu empfinden vermag, weil sie eine einzige, endlose Woge bilden, auf und mit welcher man weiter und weiter schwebt; immer tiefer und tiefer hinein in ein andächtiges Staunen und ein beglückendes Vertrauen auf die unfaßbare und doch allgegenwärtige Liebe, welche der Mensch trotz des Wörterreichtums aller seiner Sprachen und Zungen nur durch die eine Silbe anzustammeln vermag: - - Gott - - Gott - -Gott - -!
Ob Beweis oder nicht das bleibt sich gleich ... So wird überzeugt bei Karl May in 'Old Surehand'. Und nur so. Nicht mit irgendwelchen theologischen oder sonstigen Spitzfindigkeiten.

Es trifft aber durchaus zu daß Old Shatterhand / May anschließend im Gespräch mit Old Wabble sozusagen nicht die beste Figur macht, er kommt da mit Religionsunterricht, Beten, Vater und Mutter und dergleichen, damit kann man vielleicht bei der "Hausschatz"-Klientel punkten, aber sonst keinen Hund wirklich hinter dem Ofen hervorlocken ... [In Sachen "Hausschatz" mag man wieder einwenden, der 'Old Surehand' sei direkt für Fehsenfeld geschrieben worden und habe mit dem "Hausschatz" nichts zu tun, dennoch ist aber eine gewisse Form von frömmelndem Schreiben sozusagen für die Galerie unserem Autor mittlerweile (= zu Fehsenfeld-Zeiten) offenbar schon in Fleisch und Blut übergegangen ...]

"Nach dieser in der Tat großartigen, hier und heute nun ganz unkommentierten Szene wird es leider ein bisschen peinlich, die Grenzen zwischen tiefer Gläubigkeit und schwülstiger Frömmelei sind bei Karl May manchmal leider fließend. Nein, man "muß" ganz und gar nicht beten, das wäre ja sozusagen ein sehr kleinlicher Gott, der das einforderte, vom kleinkariert moralinsauren Stil, in den der Erzähler hier leider verfällt, mal ganz abgesehen. Setzen wir einmal voraus, es gibt so etwas wie einen Allwissenden, nun, dann weiß der auch vorher, was so ein Menschlein da beten wird, dann kann der Mensch sich die Plapperei eigentlich sparen. (Demut gegenüber der Schöpfung, ja, klar, aber in Form von Gebetsplapperei muß es nicht sein, es sei denn, man sieht das Gebet als eine Art Meditation, als Ausdruck der Verbundenheit (u.ä.). Aber so beschreibt May es hier nicht.)" habe ich mal geschrieben zu der Angelegenheit ...

Old Wabble will Fakten, und die gibt es halt nicht, die kriegt er halt nicht ... Wie hieß der schöne Spruch, 'Wenn Ihr's nicht fühlt, Ihr werdet's nicht erjagen' ... Und da der Erzähler Fakten nicht bieten [will und] kann und sein Gegenüber nicht einmal zuzuhören bereit ist, sagt er ihm halt sinngemäß, seht zu daß Ihr nicht erst in der Todesstunde euren 'Fact' um die Ohren kriegt ... Daß es auch bei Hartgesottenen auch schon zu Lebzeiten zu besserer Einsicht kommen kann, zeigt z.B. der Fall Abu Kital ... Oder Iwan Karamasoff oder sonstnochwer ... Karl May hat die Thematik keineswegs erfunden ...
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Helmut
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Helmut »

Vielleicht erstmal einige allgemeine Dinge.
Der Sammelband mit den Texten ist in der "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschaungsfragen" und enthält - wie ich das sehe - (hauptsächlich) von Theologen (weniger als 1/4 der Verfasser sind Nichttheologen) für Theologen (*) verfasste Texte. Man kann den Band ja auch nicht kaufen, sondern bekommt ihn nach Aufforderung zugeschickt, mit der Bitte eine Spende über den Selbstkostenpreis an diese "Zentralstelle" zu leisten.
Aus diesen beiden Gründen kann und sollte man eigentlich nicht unbedingt die (starken) Kriterien wie über die sonstige May-Sek-Literatur anwenden, was natürlich nicht heißen soll, dass man Falsches nicht falsch nennen soll, und natürlich auch richtiges richtig.


Aufgefallen ist mir, dass mindestens bei zweien der Texte mittlerweile auch das "Karl-May-Wiki" in den Rang der "zitierfähigen Literatur" aufgerückt ist, was sicher Jenny freuen wird, aber ob es tatsächlich angebracht ist, dies als Beleg für (theol.-)wissenschaftliche Aufsätze zu benutzen, da bin ich mir nicht so ganz sicher.
Einer der Autoren, (derjenige, der jetzt als nächster bei Rene an der Reihe ist) hat wenigstens zu den Wiki-Zitaten angegeben, wann er diese "aufgerufen" hat, damit ist es wenigstens nachprüfbar, wenn sich der Wiki-Inhalt mittlerweile geändert haben sollte.

Helmut

(*) für theologisch Interessierte muss es wohl besser und richtiger heißen.
Zuletzt geändert von Helmut am 6.11.2012, 10:39, insgesamt 1-mal geändert.
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Helmut
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Helmut »

Noch eine Nebenbemerkung:
bei den Passagen über den "Surehand" (NB. bei J.F. Coopers "Tausendmorgen" las ich gerade über einen Indianer namens "Sureflint"), ist mir aufgefallen, dass das hier fast überall und oft zitierte "it's clear" fast immer falsch ist, und wirklich das originale "th'is clear" stehen sollte, denn letzeres ist eine Bekräftigung der Aussage, während ersteres eine reine Floskel darstellt.

Helmut
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rodger
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von rodger »

Er sagt nie "It's clear", sondern durchgehend "Th'is clear", th'is clear, das "It's clear" ist aus der Bearbeitung ...

Über Bekräftigung versus Floskel hinaus hat "Th'is clear" etwas Marottenhaftes & Charakteristisches an sich, eine Farbe, sozusagen ... "It's clear" hingegen lediglich sozusagen etwas dummschwätzerhaftes ...

8)
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Helmut
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Helmut »

Karl Mays "Himmelsgedanken" verdienen es mitsamt den eingestreuten Aphorismen, hundert Jahre nach dem Tod des Dichters neu entdeckt zu werden. Wer meint, seine Reimereien seien längst veraltet, verkennt nicht nur vieles zeitlos Gültige in ihnen, sondern auch manch bleibendes Aktuelles, wie noch ein letztes Zitat - aus dem Gedicht "Des Waldes Seele" - belegen mag: "Hör auf, hör auf, die Wälder zu zerstören, / sonst wirst mit ihnen du auch untergehen!" Gerade mit Blick auf unsere durchindustrialisierte, immer hoch technologerische Welt, in der der Mensch selbst immer mehr mit Maschinen zu verschmelzen droht, meine ich zu Karl May ungeachtet aller denkbaren Vorbehalte: Nie war er so wertvoll wie heute!
Dies ist der letzte Absatz von "Werner Thiede : Old Shatterhand zielte mit Brille, Karl Mays menschliche und mystische Seite."
Prof. Dr. theol. Werner Thiede ist Pfarrer und apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, theologischer Referent beim Regionalbischof in Regensburg und Publizist.

Helmut
Zuletzt geändert von Helmut am 6.11.2012, 16:15, insgesamt 1-mal geändert.
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rodger
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von rodger »

rodger hat geschrieben:
Bekehrt werden [...] auch die Leser
Ich glaub's noch nicht ... das kann er nicht ernst meinen ...

:roll:
Nachdem ich den Satz jetzt im Zusammenhang lesen konnte, muß ich feststellen, daß er doch offenbar ganz ernst gemeint ist ...

So blauäugig wird aber auch Karl May nicht gewesen sein, anzunehmen, daß wenn z.B. 5000 Leute sein Buch lesen, anschließend alle zuvor nicht gläubigen unter ihnen "bekehrt" seien ...

Da dürfte ein "sollen" fehlen hinter "Bekehrt werden", zumindest was die Leser betrifft, der ganze Satz lautet "Bekehrt werden jedoch nicht nur die beiden Westmänner, sondern auch die Leser", da das "sollen" nicht auf die Westmänner paßt, denn die werden ja tatsächlich "bekehrt", hätte man, um genau zu sein, schreiben sollen "Bekehrt werden jedoch nicht nur die beiden Westmänner, sondern bekehrt werden sollen auch die Leser", was umständlicher klänge, aber präziser wäre ...

*

Ich habe noch nicht den ganzen Text gelesen, aber geneigten Lesern nicht vorenthalten sei schon mal die urige Fußnote auf S. 43, in der es heißt, die Bamberger Ausgabe weise "Spuren textlicher Bearbeitung" auf ...
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Helmut
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Helmut »

Der zweite Teil des Aufsatzes (über "Friede auf Erden!") ist offensichtlich (wie man deutlich lesen kann) von dem anderen "Teil" des Autorenpaares geschrieben worden; dort wird u.a. auch das "Original" des Buches verwendet (als Literatur ist der "Fehsenfeld-Reprint" angegeben.

Helmut
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Helmut
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Helmut »

Auch dort
http://www.karl-may-franken.de/forum.html
im "Unterforum" "Literatur"

wird hierüber diskutiert.

Helmut
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Helmut
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Helmut »

Helmut hat geschrieben:
Karl Mays "Himmelsgedanken" verdienen es mitsamt den eingestreuten Aphorismen, hundert Jahre nach dem Tod des Dichters neu entdeckt zu werden. Wer meint, seine Reimereien seien längst veraltet, verkennt nicht nur vieles zeitlos Gültige in ihnen, sondern auch manch bleibendes Aktuelles, wie noch ein letztes Zitat - aus dem Gedicht "Des Waldes Seele" - belegen mag: "Hör auf, hör auf, die Wälder zu zerstören, / sonst wirst mit ihnen du auch untergehen!" Gerade mit Blick auf unsere durchindustrialisierte, immer hoch technologerische Welt, in der der Mensch selbst immer mehr mit Maschinen zu verschmelzen droht, meine ich zu Karl May ungeachtet aller denkbaren Vorbehalte: Nie war er so wertvoll wie heute!
Dies ist der letzte Absatz von "Werner Thiede : Old Shatterhand zielte mit Brille, Karl Mays menschliche und mystische Seite."
Prof. Dr. theol. Werner Thiede ist Pfarrer und apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, theologischer Referent beim Regionalbischof in Regensburg und Publizist.

Helmut
Auch der erste Absatz dieses Textes ist (mehr als) erwähnenswert:
Seit über hundert Jahren hat die Öffentlichkeit ein Bild von Karl May, das ihm weitestgehend kaum gerecht wird. Es ist verzerrend geprägt worden nicht nur von fleißigen Gegnern, sondern auch von kräftigen Bearbeitungen seiner Werke durch Verleger - und nicht zuletzt von oberflächlichen Verfilmungen seiner bekanntesten Roman. Die Komplexität seiner Gestalt ist darüber oft aus dem Blickfeld geraten.
Helmut
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rodger
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von rodger »

Etwas Besonderes ist es ja eigentlich nicht, was er da schreibt, das wissen wir ja ...

Aber dann doch wieder etwas Besonderes insofern, daß mal einer etwas Zutreffendes schreibt ... auch das ist ja schon was Besonderes ... und mal nicht diese Friedefreudeeierkuchenduselei von wegen ach wie schön daß er doch in aller Munde ist das sei doch das wichtigste usw. ... Blödsinn ...

8)
Rene Grießbach
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Rene Grießbach »

Weißt du, rodger, bei der Frage ob es etwas besonderes ist, was er da schreibt, geb ich dir recht, solange das Leser betrifft, die sich bereits mehr oder weniger intensiv mit Karl May befasst haben.
Da wir aber wissen, dass zu der Zielgruppe des Buches auch Leute gehören, die sich wahrscheinlich bisher eher weniger intensiv mit dem Thema befassten, denke ich, dass auch solche richtigen und grundlegenden Dinge deutlich benannt werden müssen.


Helmut hat weiter oben treffend geschrieben:
Der Sammelband mit den Texten ist in der "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschaungsfragen" und enthält - wie ich das sehe - (hauptsächlich) von Theologen (weniger als 1/4 der Verfasser sind Nichttheologen) für Theologen (*) verfasste Texte.
(...)
(*) für theologisch Interessierte muss es wohl besser und richtiger heißen.
und damit eine Zielgruppe des Büchleins benannt. Das war mir schon beim Bestellen des Büchleins klar und trotzdem hab ichs bestellt. Aber auch, um möglicherweise wieder mal meinen eigenen Horizont in Karl-May-Fragen zu erweitern.
Und als theologisch interessiert möchte ich mich durchaus auch betrachten, wenn auch nicht in der Tiefe, wie das Gläubige tun werden. Bei Familienfeiern z.B. pflege ich mich gern mit meinem Schwiegervater auch über seinen christlichen Glauben auszutauschen und oftmals fragt er mich, was denn zu der einen oder andern (religiösen) Frage Karl May vertreten hatte.
(Dass er sich mittlerweile vor paar Jahren mal von mir "AM JENSEITS" ausgeliehen hatte nur um nach langer Zeit die relativ wenigen Seiten über El Mizan nachzulesen, schrieb ich hier im Forum irgendwann schon mal.)

So, das wars für heute. Muss jetzt Schluß machen. Bis demnächst :D
Rene Grießbach
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Rene Grießbach »

Zu
"Vom Laienmissionar zum christlichen Philosophen
Eine kurze Lektüre zweier Romane von Karl May: "Old Surehand" - "Und Friede auf Erden!""
von Peter Thaddäus Lang und Bernhard Lang

Helmut hat geschrieben: Der Teil (...) über "Und Friede auf Erden!" ist - meiner Meinung nach - einfach großartig gelungen.
Dem stimme ich vollkommen zu. :D
Sowohl der Abschnitt Personen und Handlung als auch der Abschnitt Interpretation
ist eine qualitativ hochwertige und fundiert verfasste Arbeit über Mays Reiseerzählung.

Gut - wie ich finde - hat der Autor im ersten der beiden Abschnitte folgende Zeilen formuliert:
Das Handlungsskelett füllt der Autor mit allerlei in Dialogform gegossenen Einlagen, die der Völkerverständigung, der Gleichwertigkeit der Religionen, der Illusion von der Überlegenheit des westlichen Menschen und dem Friedensgedanken gewidmet sind - alles Gedanken, die in Mays Zeit alles andere als selbstverständlich waren. (S.57)


um, wie als eine Botschaft des May-Buches auf Seite 59 zusammenzufassen:
Jeder Leser ist sozusagen eingeladen, sich als Mitglied dieses konfuzianisch-christlichen Bundes (die "Shen"; RG) zu fühlen und seine Grundsätze zu befolgen - oder, nach dem Wotlaut des Romans, sich die Anwartschaft auf die Aufnahme zu verdienen.



Auch in dem Abschnitt Interpretation finden sich dann Aussagen, denen ich vorbehaltlos zustimme. Z.B. folgende:
In "Und Friede auf Erden!" lernen wir die reife Weltauffassung des Autors kennen, wie sie sich in den Jahren um 1900 in Auseinandersetzung mit seiner bisherigen schriftstellerischen Tätigkeit und nicht zuletzt im Blick auf zeitgenössische Entwicklungen herausgebildet hat. (...) Drei umfassende, eng miteinander verknüpfte Themen liegen dem Roman zugrunde: Kritik an der herkömmlichen christlichen Missionstätigkeit, Eintreten für Völkerverständigung und Stellungnahme gegen militanten Kolonialismus. (S.60/61)


(Für mich) gleich im Anschluss an obiges Zitat sehr interessant, weil so von mir bisher noch nicht gesehen, ist diese Feststellung:
May vertritt nicht mehr uneingeschränkt die für seine früheren Schriften charakteristische Überlegenheit des Christentums. (S.61)
... wobei hier festzuhalten ist, dass m.E. - wenn dies zutrifft - May später zur Propagierung der Überlegenheit des Christentums zurückkehrte.

Geschickt arbeitet der Bernhard Lang schließlich auch die eine große, von manch einem Leser vielleicht gar nicht wahrgenommene, Schwäche des Friede-Bandes heraus:
"Die bewaffnete Hand", lesen wir bei May, stellt "das Wohl der Völker auf das Spiel und bezahlt mit Menschenblut, was ihr der Friede umsonst und doppelt geben würde". Der schöne Satz ehrt den Pazifismus Mays, doch zeigt er gleichzeitig die Grenze des von ihm beschworenen Antikolonialismus. May kümmert sich nicht um die wirtschaftliche Seite des Kolonialismus: den Wunsch nach billiger Ware, billigen Rohstoffen, schlecht entlohnten Arbeitskräften, nach Herrschaft über Untertanen zweiter Klasse in einem imperialistischen Weltsystem. Diese Probleme tauchen in dem Friedensroman nicht auf, als bestünden sie nicht. So bleibt May, wie die meisten seiner Zeitgenossen, doch dem Kolonialismus verhaftet, wenn er ihn auch von seiner Überheblichkeit befreien, ihn zügeln und veredeln möchte. (S.65)
Hermann Wohlgschaft
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Re: Neuer Sammelband über "Karl May und die Religion"

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Es ist schon ziemlich lange her, seit ich 'Und Friede auf Erden!' das letzte Mal gelesen habe. Dass May nur die militärische Gewalt, nicht aber die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonialländer durch die Europäer kritisiert habe, ist mir bei der Lektüre damals nicht so aufgefallen. Ich habe es anders in Erinnerung, könnte mich aber natürlich auch irren. Falls Bernhard Langs Beobachtung zutrifft, hat Karl May das Problem nur unzureichend erkannt. Dass May ganz bewusst die wirtschaftlich-soziale Seite des Kolonialismus in Kauf genommen oder gar gebilligt hätte, kann ich mir nicht vorstellen.

Zu Mays Einstellung zu den nichtchristlichen Religionen: Im Unterschied zu früheren Büchern vertritt May im Spätwerk (im Friede-Roman wie auch in allen anderen Spätwerken) nicht mehr den absoluten, alle anderen Religionen krass abwertenden Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens. Allerdings möchte ich bezweifeln, dass Karl May sich mit dem Islam oder den fernöstlichen Religionen SO intensiv befasst hat wie heute etwa Hans Küng. Der späte Karl May war der (wohl nicht ganz zutreffenden) Meinung, dass z.B. der Konfuzianismus oder der Taoismus mit dem Christentum im Grunde identisch seien. Man müsse die einschlägigen Texte (z.B. den Koran oder das Tao-te-king) nur richtig lesen um ihre inhaltliche Übereinstimmung mit den christlichen Lehren zu erkennen. Ich meine, hier hat es sich unser Mayster etwas zu leicht gemacht. Wenn ich mich nicht irre ...
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