Das hört sich bitter an, und man könnte annehmen, es habe nach dem Erscheinen von Karl Mays "Erstling" Mitte 1906 nur Verrisse des Mayschen Dramas gegeben. Dem war aber ganz und gar nicht so. Erstaunlich viele Blätter gingen auf Mays Drama ein, und zwar durchaus in der Absicht, dem Autor gerecht zu werden. Ob sie freilich ihr Ziel erreichten, das steht auf einem anderen Blatt. Auch das "Fränkische Volksblatt" brachte Heiligabend 1906 eine Besprechung des Dramas, die mit den Sätzen endet:Ich habe ein einziges Mal etwas Künstlerisches schreiben wollen, mein "Babel und Bibel". Was war die Folge? Es ist als "eldendes Machwerk" bezeichnet und derart mit Spott und Hohn überschüttet worden, als ob es von einem Harlekin oder Affen verfaßt worden sei. (Karl May: Mein Leben und Streben)
Man betrachtete das Werk also wohlwollend, verstand es aber nicht so recht. Möglich, daß diese Besprechung erst auf Betreiben Karl Mays zustande kam. Zur Kenntnis genommen hat er sie auf jeden Fall. Denn ein gutes halbes Jahr später erschien im "Volksblatt" ein Artikel, der sich als Ergänzung zu der "Babel und Bibel"-Rezension verstanden wissen wollte und der seiner ganzen Diktion nach mit hoher Wahrscheinlichkeit von Karl May selbst stammte. -Das Werk wird auch von anderen Blättern sehr gut kritisiert. Die "M.N.N." (=Münchner Neueste Nachrichten) nennen es einen geistigen Monumentalbau von ungewöhnlicher Höhe und Tiefe. - Wir müssen gestehen, daß es uns beim erstmaligen Lesen nicht ganz gelungen ist, in die ganz merkwürdige "Phantasia" und ihren Zweck vollständig einzudringen, so sehr es auch unsere Aufmerksamkeit fesselte.
Nach der Veröffentlichung von "Babel und Bibel" kündigte May in Briefen an seinen Verleger Fehsenfeld als nächstes Projekt zwei neue Bände an, die den Titel tragen sollten: "Abu Kital, der Scheik der An'allah". Auf einem Plakat, so stellte Karl May es sich vor, sollte mit den (auch heute noch hochaktuellen) Worten für den Roman geworben werden:
Karl May hat den Roman jedoch nie geschrieben. (vgl. Ekkehard Bartsch, Jb-KMG, S. 85) Herr Bartsch vermutet: "Wahrscheinlich meinte May noch im Sommer 1907, den Roman - wie er es jahrzehntelang praktiziert hatte -in einem Zuge niederschreiben zu können, so daß er zu Weihnachten vorgelegen hätte." Im Sommer 1907, genauer gesagt am 19. August, erschien dann im "Fränkischen Volksblatt" jene Ergänzung zu der "Babel und Bibel"-Rezension, in der Karl May sich auch zum "Abu Kital"-Roman äußerte. Sie lautete:Ein Versuch zur Lösung der Menschheitsfrage und zur Aussöhnung des Morgenlandes mit dem Abendlande.
Eine Notiz über Abu Kital sucht man in den folgenden Wochen im "Volksblatt" vergeblich. Dafür stößt der Leser am 14. Oktober 1907 auf diese Ankündigung:Karl May.
Wir haben vor längerer Zeit eine ausführliche Besprechung über das merkwürdige Werke des bekannten Reiseromanschriftstellers Karl May, Babel und Bibel, gebracht. Nunmehr geht uns folgende Ergänzung zu mit der Bitte, sie unsern Lesern bekannt zu geben.
"Von gewisser Seite wird gesagt, daß Karl May nichts mehr veröffentliche, weil mit dem 30. Band seiner bekanntlich symbolisch zu nehmenden "Reiseerzählungen" seine literarische Aufgabe gelöst und vollendet sei. Das ist ein Irrtum. Ganz abgesehen davon, daß Mitte September nun endlich auch eine reich illustrierte Ausgabe dieser Bände erscheint, weiß man doch schon längst, daß sie nur vorbereitenden Inhaltes sind, um Späteres leichter verständlich zu machen. Dieses "Spätere" ist nun jetzt im Werke.
Auch das von der deutschen Presse so ernst und sympathisch kritisierte Drama "Babel und Bibel" sollte eigentlich nur die Ouvertüre zu dem zweibändigen "Abu Kital, der Scheik der An'allah" sein, welches Werk soeben in Druck gegeben worden ist und dazu bestimmt erscheint, neben höhern, allgemeinen Menschheitsfragen zugleich auch das Problem "Karl May" zur Klarheit hinzuführen. Man darf wohl mehr als gewöhnlich darauf gespannt sein, in welchem Lichte das so viel angefochtene "Ich" des Verfassers erscheinen wird, denn nichts anderes als nur diese Frage allein entscheidet darüber, ob die gegen May gerichteten Vorwürfe begründet waren oder nicht.
Aus dem Prozeß May-Münchmeyer ist May vollständig rein hervorgegangen, mögen die Verurteilten das einstweilen noch anders darstellen oder nicht. Und soweit mir "Abu Kital, der Scheik der An'allah" in der Revision vorgelegen hat, ist neben dieser juristischen, nun auch die literarische Rehabilitierung des Verfassers zweifellos gewiß. Edeldenkenden Gegnern wird es nicht schwer werden, den Irrtum, dem sie verfielen, einzusehen; die Verbissenheit aber schadet nur sich selbst."
Mit freundlichen Grüßen"Karl May wird nach mehrjähriger Pause seine literarische Tätigkeit im "Deutschen Hausschatz" demnächst wieder aufnehmen und sie mit der großen Reise-Erzählung: "Der 'Mir von Dschinnistan" im 3. Hefte des neuen Jahrganges eröffnen."
Wolfgang Sämmer