Karl May - Ironiker mit scharfem Verstand ?
Karl May - Ironiker mit scharfem Verstand ?
(Übernahme aus dem ausufernden Shatterhand-Thread im Saloon)
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Und nu' ma' ganz im Ernst: ich habe heute Nachmittag gerade den quasi eigentlichen Schluß vom „Weg zum Glück“ gelesen, der im neuen Theater in Scheibenbad spielt, bevor dann mit den letzten paar Dutzend Seiten noch die gleichzeitigen Tode Ludwigs II und des Wurzelsepp „abgehandelt“ werden müssen …
Das ist für mein Empfinden wirklich genial, was er da treibt (diese Theateraufführung mit allem drumrum). Teilweise wirklich lächerlich, absurd, albern (und dann habe ich oft das Gefühl dass ihm das völlig bewusst ist) und dann wieder todernst und überzeugend, gerade eben will man das Buch noch am liebsten kopfschüttelnd aus der Hand legen ob all des Kitsches und Unsinns, und im nächsten Moment erwischt es einen richtig emotional, wie der Anton da mit seinen Eltern konfrontiert wird, da schwankt die Schilderung in sich zwischen Kitsch und wirklichem Anrühren. Und hat eine schillernde Doppelbödigkeit; im Waldröschen findet am Ende ein Maskenball statt, hier hocken sie alle im Theater, wie Kasperlefiguren, und dann „treten“ da zum Entsetzen des Sängers die leibhaftigen Eltern, die er völlig verdrängt hatte, plötzlich „auf“ (nicht auf der Bühne), und bewirken eine (freilich letzten Endes insgesamt doch recht unglaubwürdig wirkende) Katharsis der besonderen Art …
Ich glaube dieser May war mit allen Wassern gewaschen und wurde und wird völlig unterschätzt …
Aber das kann natürlich auch eine reine Wunschvorstellung sein, schon klar, ich sag' es gleich selber, dann brauch ich mir diese Reaktion schon mal nicht anzuhören, wie der Wirt in dem Buch, der auch lieber mit sich selbst als mit den Gästen spricht …
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Und nu' ma' ganz im Ernst: ich habe heute Nachmittag gerade den quasi eigentlichen Schluß vom „Weg zum Glück“ gelesen, der im neuen Theater in Scheibenbad spielt, bevor dann mit den letzten paar Dutzend Seiten noch die gleichzeitigen Tode Ludwigs II und des Wurzelsepp „abgehandelt“ werden müssen …
Das ist für mein Empfinden wirklich genial, was er da treibt (diese Theateraufführung mit allem drumrum). Teilweise wirklich lächerlich, absurd, albern (und dann habe ich oft das Gefühl dass ihm das völlig bewusst ist) und dann wieder todernst und überzeugend, gerade eben will man das Buch noch am liebsten kopfschüttelnd aus der Hand legen ob all des Kitsches und Unsinns, und im nächsten Moment erwischt es einen richtig emotional, wie der Anton da mit seinen Eltern konfrontiert wird, da schwankt die Schilderung in sich zwischen Kitsch und wirklichem Anrühren. Und hat eine schillernde Doppelbödigkeit; im Waldröschen findet am Ende ein Maskenball statt, hier hocken sie alle im Theater, wie Kasperlefiguren, und dann „treten“ da zum Entsetzen des Sängers die leibhaftigen Eltern, die er völlig verdrängt hatte, plötzlich „auf“ (nicht auf der Bühne), und bewirken eine (freilich letzten Endes insgesamt doch recht unglaubwürdig wirkende) Katharsis der besonderen Art …
Ich glaube dieser May war mit allen Wassern gewaschen und wurde und wird völlig unterschätzt …
Aber das kann natürlich auch eine reine Wunschvorstellung sein, schon klar, ich sag' es gleich selber, dann brauch ich mir diese Reaktion schon mal nicht anzuhören, wie der Wirt in dem Buch, der auch lieber mit sich selbst als mit den Gästen spricht …
Zuletzt geändert von rodger am 13.7.2007, 9:04, insgesamt 1-mal geändert.
Oder dies (vorher im Wien-Teil):
Der Pianist verkündete laut, daß Signor Criquolini ein Trinklied vortragen werde. Der Sänger lehnte sich nachlässig mit dem Arme auf das Piano, wartete, bis das Vorspiel zu Ende war und begann dann die 'Rheingauer Glocken' vom Emil Ritterhaus:
»Wo's guten Wein im Rheingau giebt,
Läßt man den Mund nicht trocken.
Drum, wer ein schönes Tröpfchen liebt,
Beacht den Klang der Glocken!
Merk, ob Du hörst den vollen Baß
Ob dünn und schwach der Ton summ'.
Wo edle Sorten ruhn im Faß,
Da klingt es: Vinum bonum!
Vinum bonum, vinum bonum!«
Er hatte halblaut begonnen, sichtlich nachlässig, als ob ihm an dem Beifalle der Anwesenden ganz und gar nichts liege. Von Wort zu Wort aber färbte sich die Stimme energischer. Er richtete sich höher auf. Sein prachtvoller, kräftiger Tenor begann, den Saal zu füllen, und als er dann 'vinum bonum', den Klang der Glocken nachahmte, da klang es wirklich wie Glockengeläut, so metallisch, so tief und brausend, als ob es vom hohen Thurme hin über den Rheingau schalle.
Dann kam die zweite Strophe:
»Doch wo die Rebe schlecht gedeiht,
Muß man die Aepfel pressen;
Da wird gar klein die Seligkeit
Dem Zecher zugemessen.
Der Trank ist matt, das Geld ist rar;
Man spart an Glock und Klöppel -
Und von dem Thurm hört immerdar
Man Eins nur: Aeppelpäppel!
Aeppelpäppel, Aeppelpäppel!«
Man hätte meinen sollen, daß bei diesen humoristischen Zeilen sich die Pracht seiner Stimme nicht documentiren könne, aber grad das Geläute 'Aeppelpäppel' wurde in einer solchen Tonhöhe vorgetragen und klang doch so glockenrein aus tiefster Brust, es war eine so prachtvolle Nachahmung, daß man glaubte, in Wirklichkeit drei kleine Glöcklein eines armen Dorfes läuten zu hören. Als er diese Strophe geendet hatte, wurde er mit einem rauschenden Beifalle belohnt. Er zuckte, anstatt sich dankend zu verbeugen, leicht die Achsel, als ob er sagen wolle: Hört nur erst weiter, bevor Ihr applaudirt. Dann trat er einen Schritt vor und fuhr fort:
»Mein Sohn, wo Du den Ton vernimmst,
Da kann Dein Herz nicht lachen,
Da rath ich, daß Du weiter schwimmst
In dem bekränzten Nachen.
Doch wo das Baßgeläut erscholl,
Da kehre nicht, mein Sohn, um,
Da labe Dich, der Andacht voll,
Und singe: Vinum, bonum,
Vinum, bonum, vinum, bonum!«
Die Aufgabe, welche dieses Lied an den Sänger stellte, war die Nachahmung des Glockengeläutes. Jetzt ließ Anton ein tiefes, melodisches Läuten erschallen, daß man meinte, die Glocken schwingen sehen zu müssen. Die Nachahmung war eine wirklich meisterhafte, und es wurde ihm dafür ein ungeheurer Applaus zu theil. Man rief in stürmische Weise Dacapo. Der Pianist begann auch bereits die Einleitung, da er glaubte, daß der Sänger diesen Beifall doch sicher belohnen werde. Anton aber gab ihm mit der Hand ein verneinendes, unwilliges Zeichen, nickte den Zuhörern leicht zu und schritt zum Saale hinaus. Der Pianist brach natürlich ab und folgte ihm verlegen.
________________________________________
Von alledem mag man ja nun halten was man will, aber da ist m.E. sehr viel drin.
Zunächst einmal ist nicht zu übersehen, dass Karl May etwas von Gesang verstand, so unfreiwillig komisch er sich auch auszudrücken beliebt („so tief und brausend, als ob es vom hohen Thurme hin über den Rheingau schalle“), aber er versteht etwas von Ausstrahlung, Charisma, von „Füllen“ eines Textes und einer Melodie, von Beseeltheit und Kraft, von „künstlerischer Intelligenz“, soviel dürfte hoffentlich klar sein.
Und den Ausdruck „Aeppelpäppel“, den ich zuvor nie gehört hatte, werde ich nun nie wieder vergessen, das ist ein geistiger oder auch Bewusstseins-Zustand, das ist, sozusagen, das abendländische vorläufige Endergebnis, man gehe offenen Auges durch die Straßen und durchs Leben, überall Aeppelpäppel.
Und diese „prachtvolle Nachahmung“, „daß man glaubte, in Wirklichkeit drei kleine Glöcklein eines armen Dorfes läuten zu hören“,
so schreibt Karl May des öfteren, wenn er die Leut’ so schildert, und er ist sich m.E. dessen meistens durchaus bewusst, er kann aber, nochmal durchaus, auch „vinum bonum“. Daß man meint, die Glocken schwingen sehen zu müssen.
Die Formulierung „Ironiker mit scharfem Verstand“ (von Marlies zitiert) trifft es m.E. wirklich sehr gut.
Der Pianist verkündete laut, daß Signor Criquolini ein Trinklied vortragen werde. Der Sänger lehnte sich nachlässig mit dem Arme auf das Piano, wartete, bis das Vorspiel zu Ende war und begann dann die 'Rheingauer Glocken' vom Emil Ritterhaus:
»Wo's guten Wein im Rheingau giebt,
Läßt man den Mund nicht trocken.
Drum, wer ein schönes Tröpfchen liebt,
Beacht den Klang der Glocken!
Merk, ob Du hörst den vollen Baß
Ob dünn und schwach der Ton summ'.
Wo edle Sorten ruhn im Faß,
Da klingt es: Vinum bonum!
Vinum bonum, vinum bonum!«
Er hatte halblaut begonnen, sichtlich nachlässig, als ob ihm an dem Beifalle der Anwesenden ganz und gar nichts liege. Von Wort zu Wort aber färbte sich die Stimme energischer. Er richtete sich höher auf. Sein prachtvoller, kräftiger Tenor begann, den Saal zu füllen, und als er dann 'vinum bonum', den Klang der Glocken nachahmte, da klang es wirklich wie Glockengeläut, so metallisch, so tief und brausend, als ob es vom hohen Thurme hin über den Rheingau schalle.
Dann kam die zweite Strophe:
»Doch wo die Rebe schlecht gedeiht,
Muß man die Aepfel pressen;
Da wird gar klein die Seligkeit
Dem Zecher zugemessen.
Der Trank ist matt, das Geld ist rar;
Man spart an Glock und Klöppel -
Und von dem Thurm hört immerdar
Man Eins nur: Aeppelpäppel!
Aeppelpäppel, Aeppelpäppel!«
Man hätte meinen sollen, daß bei diesen humoristischen Zeilen sich die Pracht seiner Stimme nicht documentiren könne, aber grad das Geläute 'Aeppelpäppel' wurde in einer solchen Tonhöhe vorgetragen und klang doch so glockenrein aus tiefster Brust, es war eine so prachtvolle Nachahmung, daß man glaubte, in Wirklichkeit drei kleine Glöcklein eines armen Dorfes läuten zu hören. Als er diese Strophe geendet hatte, wurde er mit einem rauschenden Beifalle belohnt. Er zuckte, anstatt sich dankend zu verbeugen, leicht die Achsel, als ob er sagen wolle: Hört nur erst weiter, bevor Ihr applaudirt. Dann trat er einen Schritt vor und fuhr fort:
»Mein Sohn, wo Du den Ton vernimmst,
Da kann Dein Herz nicht lachen,
Da rath ich, daß Du weiter schwimmst
In dem bekränzten Nachen.
Doch wo das Baßgeläut erscholl,
Da kehre nicht, mein Sohn, um,
Da labe Dich, der Andacht voll,
Und singe: Vinum, bonum,
Vinum, bonum, vinum, bonum!«
Die Aufgabe, welche dieses Lied an den Sänger stellte, war die Nachahmung des Glockengeläutes. Jetzt ließ Anton ein tiefes, melodisches Läuten erschallen, daß man meinte, die Glocken schwingen sehen zu müssen. Die Nachahmung war eine wirklich meisterhafte, und es wurde ihm dafür ein ungeheurer Applaus zu theil. Man rief in stürmische Weise Dacapo. Der Pianist begann auch bereits die Einleitung, da er glaubte, daß der Sänger diesen Beifall doch sicher belohnen werde. Anton aber gab ihm mit der Hand ein verneinendes, unwilliges Zeichen, nickte den Zuhörern leicht zu und schritt zum Saale hinaus. Der Pianist brach natürlich ab und folgte ihm verlegen.
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Von alledem mag man ja nun halten was man will, aber da ist m.E. sehr viel drin.
Zunächst einmal ist nicht zu übersehen, dass Karl May etwas von Gesang verstand, so unfreiwillig komisch er sich auch auszudrücken beliebt („so tief und brausend, als ob es vom hohen Thurme hin über den Rheingau schalle“), aber er versteht etwas von Ausstrahlung, Charisma, von „Füllen“ eines Textes und einer Melodie, von Beseeltheit und Kraft, von „künstlerischer Intelligenz“, soviel dürfte hoffentlich klar sein.
Und den Ausdruck „Aeppelpäppel“, den ich zuvor nie gehört hatte, werde ich nun nie wieder vergessen, das ist ein geistiger oder auch Bewusstseins-Zustand, das ist, sozusagen, das abendländische vorläufige Endergebnis, man gehe offenen Auges durch die Straßen und durchs Leben, überall Aeppelpäppel.
Und diese „prachtvolle Nachahmung“, „daß man glaubte, in Wirklichkeit drei kleine Glöcklein eines armen Dorfes läuten zu hören“,
so schreibt Karl May des öfteren, wenn er die Leut’ so schildert, und er ist sich m.E. dessen meistens durchaus bewusst, er kann aber, nochmal durchaus, auch „vinum bonum“. Daß man meint, die Glocken schwingen sehen zu müssen.
Die Formulierung „Ironiker mit scharfem Verstand“ (von Marlies zitiert) trifft es m.E. wirklich sehr gut.
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Es kann mit absoluter Sicherheit angenommen werden, dass Karl May während seines Aufenthaltes in Frankfurt am Main vom 26. bis 29. März 1899 ein oder mehrere Gläser "Ebbelwoi" getrunken hat.
Bei einem erneuten Kurzbesuches in Frankfurt am Main am 26.10.1904 ist es eher unwahrscheinlich, dass May die Zeit fand, das Frankfurter Nationalgetränk zu geniessen. Aber wie schrieb schon Sandhofer: "Wir wissen es nicht!"
Bei einem erneuten Kurzbesuches in Frankfurt am Main am 26.10.1904 ist es eher unwahrscheinlich, dass May die Zeit fand, das Frankfurter Nationalgetränk zu geniessen. Aber wie schrieb schon Sandhofer: "Wir wissen es nicht!"
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@ rodger: Woher lesen Sie aus meinem Beitrag, daß ich behaupten will, nur das Getränk (oder gar irgendwelche Apfelbrände) sei gemeint? Als in einer Apfelweingegend Wohnender komme ich sofort auf diese Idee. Natürlich kann sich das auch auf Cidre o. ä. beziehen. Oder nur um der Lautmalerei willen entstanden sein. Oder ... oder ...
Gedichttotinterpretieren (:() war noch nie meine Stärke.
@ Kurt Altherr: Wissen wir das so definitiv? Und 1899 war der "Weg zum Glück" schon lange geschrieben.
Mehr zu Friedrich Emil Rittershaus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Emil_Rittershaus
Möglicherweise entstammen, so der Artikel korrekt ist, die Weinverse einer 1883 erschienenen Gedichtsammlung, können aber durchaus älter sein.
Gedichttotinterpretieren (:() war noch nie meine Stärke.
@ Kurt Altherr: Wissen wir das so definitiv? Und 1899 war der "Weg zum Glück" schon lange geschrieben.
Mehr zu Friedrich Emil Rittershaus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Emil_Rittershaus
Möglicherweise entstammen, so der Artikel korrekt ist, die Weinverse einer 1883 erschienenen Gedichtsammlung, können aber durchaus älter sein.
Ich meinte, es dem Subtext entnehmen zu können. Aber ich kann mich irren. Durchaus.Woher lesen Sie
Übrigens, gleich nebenbei bemerkt: Wenn man generell die Flöhe husten hört und ein paarmal vertut man sich, weil sie in diesen Fällen einmal nicht gehustet, sondern z.B. genießt haben, ist damit noch nicht die Fähigkeit des Flöhehusten-Hörens generell widerlegt. Obwohl heutzutage gern so unpräzis argumentiert wird. Da wird bei einmaligem Verhören gleich zugegriffen: Siehste, er kann es gar nicht.
Bei Karl May finden wir zu dem Thema auch etwas:
„Die Sprache des Grases ist eine sichtbare und keine hörbare“ (In den Cordilleren; GW: - - -)
vermutlich aus einem Gespräch mit Erstgattin Emma inspiriert (Das Gras wächst, unstrittig. Eine Frage der Wahrnehmungsfähigkeit.)