Doro hat geschrieben:tragophil hat geschrieben:Und noch stärker wird dieser Eindruck, wenn man die Doppelkompsition der Szenen betrachtet. Da ist einmal Wabble, der in Todesqualen stirbt und im letzten Moment um Gnade winselt - und Surehand, der danach gesteht, der Sohn von 'Zuchthäuslern' zu sein und vom Ich-Erzähler (an Priester statt) Vergebung erhält. Es ist eben nicht nur eine "Bekehrung im letzten Moment" - es sind subtiler gestaltet zwei...
Eventuell eine Andeutung von Selbstvergebung *nochmal um eine Ecke weiter denk*
Übrigens, ist es Absicht, dass Du hier auch von Old Death schrobst?
Die Erwähnung Old Deaths war Teil des Zitats - der Artikel von Vollmer ist recht tiefgängig und vergleicht verschiedene Stadien, sowie verwandte Figuren in Mays Werk in Hinblick auf seinen Vater.
Und Selbstvergebung - gewissermassen automatisch, nehm ich an. Denn May macht alles selbst, auch wenn er ab und an anderen die Heldenrollen zuschreibt. Da ist Winnetou I recht deutlich: Schon das junge Greenhorn IST KEINES. Denn er lernt kaum etwas, was er nicht selber schon viel besser könnte. Lediglich Winnetou kann ihm noch ein wenig Spuren lesen beibringen und Sam Hawkens bringt ihm etwas Routine mit dem Lasso bei - alles andere, die üblichen Prüfungen auf seiner "Heldenreise" absolviert er, ohne jedwede Vorerfahrung...
rodger hat geschrieben:Interessante Ausführungen. Teilweise sehr interessant. Gestern Hermann Wohlgschaft, heute Du, jeweils nach mehreren Wochen oder gar Monaten Pause, es wäre schön wenn Ihr wieder öfter hier schriebet.
Dankeschön. Ich verbeuge mich imaginär artigst und huldigst. - Und öfter schreiben an sich durchaus gern. Aber einerseits beutelt mein eigenes Leben mich grade immer mal wieder - andererseits ist der Forenbetrieb hier nicht wirklich heimelig... Aber ich arbeite dran. (Also... an mir. Mehr geht ja eh nicht.)
rodger hat geschrieben:Man kann halt Dinge unter diesen und unter jenen Aspekten betrachten, aus verschiedenen Ecken, unter verschiedenen Schwerpunkten ...
Was die "Bekehrung" angeht. Vielleicht war das mit dem Zitat Deines Beitrags nicht hilfreich - aber dass sich immer alle gleich persönlich angesprochen fühlen müssen, ist mal wieder typisch Internet. Ich meinte Droop - und einige andere Verdächtige.
Ich bin davon überzeugt, dass man May 'falsch' liest, wenn man ihn wörtlich liest. Da hat man nach einiger Zeit festgestellt, dass er nicht in den Ländern war, dass man mit dem Henrystutzen nicht schießen kann und dass "Nemsi" kein Wort der arabischen Sprache ist - und dann beißt man sich wieder an Worten fest, weil Theologen das Wort "Gott" in seinem Werk finden. Erst kürzlich habe ich in einer (theologischen) Hausarbeit mit einer Dissertation aufgeräumt, die behaupten wollte, Kino sei wie Gottesdienst. Sicherlich sind Kino wie Kirche 'Orte der Narration' - aber der Reflex vieler Theologen sucht sich die haarsträubendsten Anknüpfungspunkte und schreibt sich Parallelen herbei, die einfach nicht bestehen. - In Mays Fall scheint mir das hier ähnlich zu sein, der entscheidende Punkt (das muss nicht immer mein eigener sein, ich lass mich da gerne von neuen Ansichten überraschen.)- Es ist halt so, als wollte man Aesop mit Brehm's Tierleben abgleichen... Man hat einfach das falsche Werkzeug und die Pointe der Erzählung übersehen...
Die Krux mit May ist ja doch diese: Er schreibt vermeintlich 'realistisch', stellt damit aber über Äußerlichkeiten (Landschaften, Personenbeschreibungen u.ä.) innere Zustände dar. Nur nimmt man ihn dann viel zu gerne wörtlich... Eine Bemerkung von Gert Ueding brachte das -jüngst gelesen- wunderbar auf den Punkt:
Gert Ueding hat geschrieben:Die Genauigkeit, mit der May aufgrund seines Quellenstudiums und trotz des gewaltigen Schreibpensums gearbeitet hat, das ihm seie wirtschaftlichen Verhältnisse aufzwangen, hat den Blick auf die phantastische Dimension des Wirklichen verstellt, die in seinen Büchern eigentlich zum Vorschein kommt. [...] Die Herkunft der Baumaterialien ist von sehr viel geringerer Bedeutung als die Funktion, die sie in einem neuen Ganzen erhalten. [... W]as immer May systematisch oder zufällig sammelte, ersann oder träumte, er gebrauchte es zur Konstruktion einer Welt, die aus den traditionellen Verabredungen gerückt ist und ihr Modell viel eher in Batzendorf oder in der Lügenschmiede erkennt als in dem allgemein kursierenden Bild der Realität. [...] "
http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... /index.htm
Ueding nennt May im Vergleich mit Tolkien, Edgar Allan Poe, Goethe und Eichendorff 'einen der größten phantastischen Dichter der neueren deutschen Literatur' und streicht heraus, dass May eben nicht nur die ganze Welt anschaulich darstellen, sondern eben auch die 'menschliche Innenwelt' miteinbezieht.
Schlenker zurück: Ich habe den Verdacht, dass May theologische Geschichten - vor allem aus dem Neuen Testament sehr gut kannte (vermutlich durch Vermittlung der Großmutter, sowie durch die Schule) und kreativ abwandelte. Die Parallelen zur Messiasgestalt Jesu sind verblüffend, wenn man einmal darauf aufmerksam wird. (Ich wollte da immer schon mal einen Beitrag drüber schreiben... Vielleicht interessiert der ja irgendwen...) Zudem sitzt er auch bei Kirchenliedern 'fest im Sattel'. Er
verbaut aber damit kreativ theologische Bausteine - zu seinen eigenen Zwecken.
Daher bezweifele ich stark, dass es ihm um 'göttliche' Vergebung ging. Der sterbende Wabble ist der liebenswerte und heldenhafte Teil des Vaters, der in allerletzter Minute 'umkehrt', und seinen Starrsinn aufgibt, welchen der Sohn allzu lange toleriert hat (der Genaral wäre die unliebsame strenge Seite des Vaters). Derselbe Wabble ist der Teil des Sohnes May, der sich von der distanziert wahrgenommenen (und inzwischen verstorbenen Mutter) Vergebung für seine Missetaten erwünscht - die in dem gipfelt, was er vermutlich lebenslang vermisst hat: Eine Berührung, eine Umarmung. (" Da
zog sie mich an sich und küßte mich.") - Sehr ähnliche jugendliche Mangelerfahrungen konnte übrigens auch Storm berichten...
Und dann der Surehand, der namentlich so nahe an Shatterhand ist, wenn man die väterlichen Prügel erinnert. Der seine familiären Wurzeln verloren hat - so wie Mays Vater seine eigene Abstammung nicht kannte - und zugleich von "Zuchthäuslern" abstammt - wie es ein Sohn Mays von sich hätte ähnlich formulieren können. (Nebenbei: Die Familien- speziell Vaterdimension findet sich neben dem Surehand ähnlich existentiell, aber verdeckter in Satan und Ischariot wieder...)
Schmankerl am Rande und zugleich Teil des Eindrucks: Das 'Alte Lied von der Ewigkeit' das Wabble zum Schluß aufsagt ist mitnichten von May ihm einfach untergeschoben. Es existierte tatsächlich (etwa in "Neu-eingerichtetes Kirchen- und Haus-Gesang-Buch: welches nach der Ordnung..." von 1832. Allerdings wohl kaum 'natürlich in der englischen Übersetzung' - es war ein deutsches Kirchenlied, von Bach in eine Kantate (BWV 60) als Choral aufgenommen. May bearbeitet auch hier kreativ: während die erste Strophe noch fast wörtlich abgeschrieben ist, bearbeitet er die "zweite" (im Gesangbuch immerhin die Neunte) dezent, die "dritte" (im Gesangbuch 13. von 16) recht frei, um mit der "Gnade" zu enden, die im Original fehlt. Seine Bearbeitung ist unschwer in den Himmelsgedankenknittelversen zu erkennen: "Die Zähne klappern mir vor Pein - wie mag es erst da drüben sein!". May hat
bearbeitet, er hat ein Kirchenlied "Vor der entgegenstehenden Verdammnis" umgearbeitet zu einem -innerhalb des Kontextes des Geschehens drumrum- zwar düsteren Lied mit hoffnungsvollerer Pointe. Denn wärend die Gesangsbuchfassung lediglich auf Jesu Willen hofft (im Sinne eines Calvin, der annahm, es sei schon bei der Geburt entschieden, wer in den Himmel komme) setzt May auf aktives Bekenntnis der Sünden, das auf Gnade hofen darf. Gewissermassen ein Mittelweg zwischen dem "sola gratia" des Protestantismus und dem Beichtgedanken des Katholizismus.
Rüdiger hat geschrieben:oder womöglich versucht zu erfahren, ob Mays Religion eher katholisch oder protestantisch geprägt war...
Wer hat denn davon gesprochen ? (Rhetorische Frage weil Du einen Beitrag von mir zitierst und dann das bringst.) (Ich habe zwar erwähnt daß Droop May irrtümlicherweise für katholisch hielt aber nicht weil ich diese Frage der Konfession für wesentlich hielte ...)
Das bezog sich auf theologische Jungspunde, die nicht merken, dass sie hineindeuten anstatt herauszulesen. (Wie Heller mal sang: "Alle jene, die meinen, sie hätten eine Meinung...")
Rüdiger hat geschrieben:Und wer May theologisch kritisiert darf dies nur unter dem Vorbehalt tun [...]
Weder Droop noch ich haben May "theologisch kritisiert". Es ging darum, daß eine "Bekehrung" (das Wort ist bzw. klingt ja sozusagen ziemlich albern ... [es geht um] Einsicht, Erkenntnis, Besinnung, Gewahrwerdung [,sonstwie] ...) überzeugender herüberkommen würde, wenn einer nicht in höchster Qual den Tod vor Augen hat ... Andererseits: ist wiederum auch schön wenn aufgezeigt wird es ist nie zu spät ...
"Kritik" war von mir übrigens weiter gefasst gemeint. Im Sinne einer kritischen Diskussion, nicht im Sinne von "Das ist falsch"... Aber ich müßte mich schon sehr irren, wenn das wirklich die Hauptaussage des Textes ist: 'Es ist nie zu spät'... - bzw. Jein, es mag die Aussage des Textes sein, aber sie ruht nicht etwa in Mays Biographie. Es ist eine
Hoffnung für ihn selber und zugleich eine bittere
Absage an seine eigenen Eltern, bei denen es eben zu spät war. (Sofern man mir nicht sagen kann, dass irgendwo verzeichnet ist, dass Mays Eltern auf ihrem Totenbett ihren Sohn noch final verstehen lernten - aber dann hätte sich das Vatermotiv nicht so lange fortgesetzt...)
"So scheint mein Rohr besser zu sein als das Eurige, obgleich es viel kleiner ist."
[Der Schatz im Silbersee, 217.]
"Der Deutsche pflegt zwar albern, aber auch ehrlich zu sein."
[Der Sohn des Bärenjägers, 508.]