Harald Mischnick
 

Nachfahr von Geistlichen und Gelehrten

Honoratioren in Freiberg als Vorfahren von Karl May

 
 
 

1. Vorbemerkungen

Als ich meine Ausarbeitung über Karl Mays Großmutter Kretzschmar[1] veröffentlichte, kündigte ich eine zweite zu weiteren Vorfahren an, die in den letzten etwa zwanzig Jahren die Ahnenliste des Schriftstellers ergänzten und bereicherten. Die Ergebnisse meiner danach durchgeführten wesentlich erweiterten Recherchen führen nun jedoch dazu, dass ich den Stoff auf zwei Abhandlungen verteile; die hier vorgelegte beschränkt sich auf seine Vorfahren in der Bergstadt Freiberg, die allesamt dorthin zuwanderten und auch nach höchstens drei Generationen Freiberg vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges wieder verließen, sowie auf deren bemerkenswerte Verwandtschaftskreise.

Die meisten hier Besprochenen sind zwar schon länger als Vorfahren von Karl May bekannt, aber noch wenig über ihr Leben und Wirken, sie sind nicht in deren Bedeutung eingeordnet, das Netzwerk um sie herum ist noch nicht erkannt worden. Die Verwandtschaftskreise rund um die Layritz in Ernstthal sind quasi nur ein gutbürgerlicher Nachhall der nicht dem einfachen Bürgertum entstammenden Prominenz in Freiberg zwischen 1550 und 1620 als Karl Mays Vorfahren beziehungsweise deren enge Verwandte.
 

2. Digitalisierte Archivalien als Grundlage

Freiberg ist heute nur noch Hauptstadt des Kreises Mittelsachsen und Universitätsstandort, also Dresden im Rang sehr nachgeordnet. Um 1560 und auch noch 1600, als Karl Mays Vorfahren in Freiberg lebten, war ihnen bewusst, dass sie in der einwohnerstärksten Stadt Sachsens lebten und dass ihr Landesherr an jedem Sonntag in einer ihrer Kirchen Gottesdienstbesucher sein konnte; vor allem war der Dom St. Marien zu Freiberg bis 1700 Grablege aller sächsischen Fürsten und ihrer Familien. In diesem Jahr jedoch trat der Landesherr des polnischen Königstitels wegen zum Katholizismus über und konnte deswegen nach seinem Tode nicht mehr in einer evangelischen Kirche beigesetzt werden.
 

Freiberg 1850

Freiberg um 1850. – Quelle: Wikipedia

 
Freiberg hat eine große städtische und amtliche archivalische Überlieferung, denn die Stadt war auch Sitz drs Schössers des nach der Stadt benannten Amtes, nach heutigem Sprachgebrauch eines kleinen Kreises. Von den immens vielen erhalten gebliebenen alten Akten des Stadtarchivs ist nur sehr wenig aus der Zeit vor 1700 digitalisiert im Internet vorhanden. Das verbieten allein schon die Mengen an wertvollen Archivalien. Allerdings kann man zum Beispiel unter irreführendem Titel[2] die Ratsprotokolle 1571 bis 1574 bei familysearch einsehen. Diese waren so genannte Ergebnisprotokolle. Strukturierte Anwesenheitslisten, unterschieden nach Anwesenden aus sitzendem und ruhendem Rat, wurden geführt und ein breites Spektrum von Angelegenheiten aufgezeichnet, von Streitereien unter Bürgern über Baumaßnahmen und Rechnungswesen sowie das Verhältnis zum Amtsschösser bis hin zur Schließung der Badestube und regelmäßigen Berichten über das Sterbegeschehen während der Pestepidemie 1572. Die äußere Gestaltung der Protokolle scheint festen Vorgaben zu folgen, denn die Anwesenheitsliste befindet sich immer an der gleichen Stelle, und für Fehlende wurden Lücken gelassen. Der Rat tagte unregelmäßig, mal wöchentlich, mal werktäglich, sogar zu Neujahr morgens um sechs Uhr für eine Stunde. Im Internet bei familysearch ebenfalls zu finden ist das älteste Bürgerbuch ab 1404, das allerdings vor längerer Zeit auch in Buchform veröffentlicht wurde; für meine Recherchen zog ich das digitalisierte Original zu Rate.

Auf den Seiten des Sächsischen Hauptstaatsarchivs[3] einsehbar sind die Freiberger Kaufbücher, sehr früh einsetzend 1464, mit Lücken vor 1521, komplett ab dann. Diese sind allerdings 1521ff. nicht mehr chronologisch für die Stadt insgesamt geführt worden, sondern unterteilt nach den vier inneren Stadtvierteln und mehreren Vorstädten, und darin mit Bezugspunkt Häuserverkäufe und Zahlungsregelungen, sodass oft für den gleichen Zeitraum der Größe der Stadt wegen auch für die Quartiere gern zwei Bände gleichzeitig herangezogen werden müssen. Das Stadtviertel des Doms ist allerdings bei der Recherche auf der Seite des Hauptstaatsarchivs wie vor über 500 Jahren so benannt unter St. Virginia zu suchen. Und wie in Ernstthal sind Texte auch jenseits des Hauptkomplexes eingetragen, wo eben im Band noch Platz war, vor oder nach dem eigentlichen Vorgang, auch oft zum Beispiel mit Großbuchstaben (oder auch leider überhaupt nicht) nummerierte Zusatzblätter vorhanden, und reichlich eingelegte lose Zettel sind allesamt mit verfilmt worden. Sie alle müssen beachtet werden und können wichtige Zusatzinformationen enthalten.

Leider sind bei der Neunummerierung der Archivalien im Hauptstaatsarchiv vor Dekaden die alten Bezeichnungen manchmal fast schon gnadenlos mit den neuen durchgehenden Nummerierungen überklebt worden, die so vergeben wurden, wie die Folianten auf den Tisch des Registrators kamen, sodass das Nachgehen von Rückverweisen im Stile von (fiktiv) ›Nicolai2 Bb‹ erschwert werden kann. Auch die Chronologie ist nicht durchgehend eingehalten worden, also kann ein früher einsetzendes Buch auch eine höhere Nummer haben. Da für die Käufe Erbgeldzahlungen oft über Jahrzehnte eingetragen wurden, kann man viele familiäre und pekuniäre Zusammenhänge erkennen, die sich in den zeitweise geradezu lakonisch geführten Kirchenbüchern oder vor Beginn der Traubücher nicht feststellen lassen. Eine nur mittelbar zum Thema gehörige ausführliche Überschrift sei hier als allerdings extremes Beispiel wiedergegeben: »Hieronimus Horn Ein Erbe und Keuffer, Herr Michael Blum Bürger und des Rathes zu Wittenbergk in Vormundschaft seiner Schwester frauen Katharinen Herrn Caspar Horns des grossen hinterlassener witwen, Herr Michael Horn Bürger und des Rathes zu Wittenbergk, vor sich, Herr Caspar Horn der Artzney Doctor, bestalter Medicus in St. Joachimsthal, vor sich, Herr Friedrich Rölingk Ehelicher Vormund seines Weibes frauen Annen, Herr M. Basilius Zeiling Vormund Daniel Horns, Herr Elias Bernhart Vormund Gabriel Horns, Alle Caspar Horns des grössern hinterlassene Erben«, ein Vorgang vom 7. 11. 1606[4].

Die Gerichtsbücher können jedoch viele Unklarheiten aufwerfen. Um 1580 herum bis nach 1595 verrät auch das Bürgerbuch nur sehr selten, woher Fremde zuzogen. Allerdings sind auch Todesmeldungen wichtiger Personen vorhanden, die mangels seinerzeitiger Totenbücher in den Kirchgemeinden nicht gefunden werden können, außerdem Inhaber vieler wichtiger städtischer Ämter im betreffenden Jahr. Die Aufgliederung der Blätter des somit nicht nur Neubürger enthaltenden Buches ist über viele Jahre hinweg stets annähernd identisch. Eine aufgeschlagene Doppelseite enthält somit stets ein Jahr.

Die Einträge in den Kirchenbüchern der insgesamt fünf Gemeinden, die überhaupt Taufen, Heiraten, Sterbefälle dokumentieren, beginnen für jegliche Gattung sehr unterschiedlich, weisen Lücken und die Folianten leider auch teils deftige Papierschäden bis hin zu deswegen abhandengekommenen Einträgen oder gar Blättern auf. So setzen zum Beispiel als früheste die Taufbücher von St. Nicolai bereits Anfang 1556 ein, in den ersten Monaten ohne Nennung der Paten, Traubücher aber erst 1610. Die Kopien sind teils sehr dunkel, können aber dank der von archion zur Verfügung gestellten Hilfsmittel aufgehellt werden. Im ersten Taufbuch St. Nicolai 1556 bis 1562 findet man auf den letzten Blättern teils arg beschädigt Notizen zu einigen wenigen Hochzeiten um 1564. Manche Eintragungen verraten nicht einmal die Berufe der Herren, das erste Traubuch des Doms hingegen nennt zeitweise sogar Trauzeugen. Auch in Freiberg war wie in Ernstthal und im westlichen Erzgebirge üblich, dass Kinder drei Paten hatten, davon zwei vom eigenen Geschlecht und eine/r vom anderen.

Das genannte Traubuch enthält zeitweise auch Trauzeuginnen. Das kommt sehr selten vor. Die Stellung der Frau war damals eine ganz andere, da sie in Rechtsgeschäften aller Art lebenslang unter Vormundschaft gestanden haben, und besaßen sie Immobilien, mussten sie gegenüber der Obrigkeit einen männlichen so genannten Lehnträger vorweisen.

In Freiberg ist schon vor über hundertfünfzig Jahren sehr fleißig zur Stadtgeschichte geforscht worden. Abhandlungen zu den berühmten Geschlechtern Alnpeck, Hilliger[5], Trainer, Schönleben, Buchführer sind inzwischen teils auch als Digitalisate im Internet zu finden, ebenso die schon 1653 erschienene von Andreas Möller verfasste erste Stadtgeschichte Freibergs ›Theatrum Freibergenisis‹ mit ausführlichen Listen von herrschaftlichen Amtsträgern, Bürgermeistern, Ratsherren, Klerikern, Honoratioren und manchmal kurzen Lebensläufen im Amte. Dieses Buch ist mehrfach digitalisiert worden, aktuell (Mai 2023) am besten zu lesen ist die Aufbereitung durch die Universität Halle; diese beinhaltet sogar spätere handschriftliche Nachträge, momentan erreichbar unter digitale.bibliothek.uni-halle.de

Andere Quellen zu Freiberg findet man oft versteckt oder gegen Gebühr. Seit Ende März 2023 kann man die Kirchenbücher bei archion[6] kostenpflichtig einsehen. Dank der Digitalisierungsmaßnahme konnten für diese Abhandlung weitere Erkenntnisse einbezogen werden. Man muss allerdings, forstet man die Taufbücher gründlich durch, sich mit nicht unter 400 Taufen in Freiberg jährlich schon um 1580 beschäftigen, deren Einträge manchmal sehr wenig informativ sein können, zum Beispiel nicht unterscheiden, welcher von drei Michael Richter gleichzeitig, die aller paar Jahre das Kirchspiel wechselten, nun sein Kind zur Taufe brachte. Zudem fehlen für St. Nicolai in den Jahren 1607 bis 1609 alle Taufen. Auch die Kirchenbücher der der anderen Gemeinden weisen teils drastische Lücken auf oder fangen teils recht spät an.

Einige Quellen, die man im Internet einsehen kann, wurden von mir im Verlauf von Recherchen Personen betreffend ausgewertet und erwiesen sich als teilweise ergiebig, darunter Homepages von sehr alten Traditionsbibliotheken. Diese werde ich im Verlauf dieser Abhandlung benennen und würdigen. Anscheinend sind diese Quellen bislang noch nicht miteinander in Zusammenhang gebracht worden.
 

3. Bisheriges Wissen

Schon seit dem verdienstvollen Forschungen von Hainer Plaul, dargelegt in den Jahrbüchern der Karl-May-Gesellschaft 1979 und 1981[7], vorher Karl Streller und Hans Zesewitz, ist bekannt, dass der Pfarrer Johann Niederstetter, der Notar Christoph »Drechsel« und die beiden Glöckner Martin Lindner, Vater und Sohn, zu Karl Mays Vorfahren in Freiberg zählen und dass der Sohn Michael des Pfarrers Hofprediger in Dresden wurde, Pfarrer Gottfried Dechsel in Dorfchemnitz bei Sayda Begründer einer kleinen Pfarrerdynastie wurde. Pfarrer Johann Niederstetter stammt samt Ehefrau aus Torgau, die Forschung bezeichnet seinen Schwiegervater als Kornschösser, doch ist das ein klein wenig ungenau. Tatsache ist, dass bis auf den jüngeren Martin Lindner, seine Tochter Salome, Barbara Niederstetter und Gottfried »Drechsel« keiner in Freiberg geboren wurde, weitere ebenda getaufte Vorfahren hingegen durch Beruf und Ehe bedingt abwanderten. Leider scheinen keine Bilder oder Holzschnitte der Herren bekannt zu sein.

Eine soziale Einordnung der Vorfahren ist bislang nicht vorgenommen, ebenso wenig sind bis auf das dürre Datengerüst Taufe, Heirat, Tod, soweit vorhanden, und Beruf der Herren kaum Einzelheiten ermittelt worden, einfach weil weiterführende Informationen lange Zeit schwer bis gar nicht zugänglich und teils sehr verstreut zu lokalisieren waren, zudem nicht jeder Schreiber sich um spätere Lesbarkeit seiner Eintragungen bemühte. Natürlich ist auch vieles den Zeitläuften zum Opfer gefallen.
 

4. Niederstetter und Kronberger – von Torgau über Wittenberg nach Freiberg

Mit hoher Sicherheit begegnete Pfarrer Johann Niederstetter in Torgau seiner späteren Gattin. Er studierte im nahen Wittenberg, ist im September 1544 (als »Niderstedter«) dort immatrikuliert worden[8]. Im Sommer sollen Vorlesungen auch in Torgau stattgefunden haben. Zeitweise war der Lehrbetrieb wegen kriegerischer Ereignisse unterbrochen oder konnte nur mit Mühe aufrecht erhalten werden. Sein Schwiegervater Johann »Cronberger« amtierte auch in Torgau als Amtsschösser. Dessen Status lässt sich mit dem Landrat unserer Tage vergleichen, allerdings ernannt und versetzt von der Obrigkeit, sprich, den Fürsten.

Eine Veröffentlichung aus dem Jahre 2014[9] weist in Torgau für mindestens das Jahr 1552 einen am dortigen Markt wohnenden Michael Niederstetter nach; dieser könnte durchaus der Vater des Pfarrers sein, der ja einen gleichnamigen Sohn hatte. Ein Michael Cronberger ist von spätestens 1542 bis mindestens 1562 in Torgau wohnhaft gewesen, vielleicht derselbe in den Jahren 1537 und 1538 als Ratsherr nachgewiesen; nicht von der Hand zu weisen ist auch die Möglichkeit eins gleichnamigen Vaters. Im gleichen Haus wie er wohnt von 1572 bis 1577 ein Hans Cronberger[10]. Wenn Michael 1537 schon Ratsherr war, muss er vor 1507 geboren worden sein, denn diese Aufgabe durfte man nicht gerade volljährig geworden übernehmen. Im Jahre 1552 sind vier Brüder Kronberger aus Torgau gemeinsam in Wittenberg immatrikuliert worden, Michael, Andreas, Leonhardus und Hans. Ein Michael Cronberger wurde 1543 Kornschreiber in Torgau laut einem im Internet einsehbaren Register zu den Dienerbestallungen im Ernestinischen Gesamtarchiv, Reg. Rr[11]. Für das Jahr 1482 ist ein Sekretär J. Kronberger im damals noch jungen Schneeberg mit einem Bittschreiben laut meiner Internetrecherche in sächsischen Archivbeständen nachgewiesen[12].

Zum erstenmal in Freiberg im Kirchenbuch genannt wird ein Michael Kronberger ohne seine Amtsbezeichnung, aber auch ohne anderweitige Ortsangabe, am 1. 1. 1561 im Taufbuch des Doms St. Marien als Pate bei einer Kindstaufe des Abel Grobitz.

In den 1560er Jahren sind in Freiberg nebst dem Amtsschösser Michael Kronberger auch Andreas und Hans Kronberger belegbar, beide je einmal als Pate: am 17. 12. 1563 steht in St. Petri Hans Kronberger Pate bei einem Sohn des Peter Wolkenstein, am 17. 2. 1564 ebenfalls in St. Petri Andreas Kronberger bei einem Sohn des Blasius Nobis, weiterhin erscheint Elisabeth Tochter eines in Torgau lebenden Michael Kronberger mit zwei Patenschaften im Taufbuch St. Petri, am 2. 10. 1567 bei einem Kind des Michael Jehmlich, am 19. 10. 1569 bei einem Kind des Veit Müller, demzufolge dürfte sie spätestens 1553 geboren worden sein, da man ab knapp 14 Jahren Kommunikant, was heute Konfirmation heißt, werden konnte und von dann an berechtigt war, Pate zu sein. Ist der Amtsschösser[13] am Anfang seiner Freiberger Jahre noch mit allen seinen Brüdern in Freiberg wohnhaft gewesen? Ein Hausverkauf in Freiberg laut Belehnung vom 7. 12. 1579 weist nach, dass Andreas Kronberger, der Amtsschösser in Stollberg wird, mit Anna Tochter des Urban Kühn in Freiberg verheiratet ist und ein Schwager Dr. med. Johann Göbel Leibarzt des sächsischen Kurfürsten. Das Haus in der Petersgasse zwischen Bürgermeister Wolf Hilliger und dem Sohn Joseph des Erblassers geht an Witwe Magdalena mit Vormund Friedrich Löser um 1500 Gulden.

Ab 1560 nennen die Kaufbücher in Freiberg zwei Michael Kronberger. Die von diesen besessenen und wieder verkauften Häuser haben zweifelsfrei nebeneinander gestanden. Dass die Vorgänge nicht stets den gleichen Namensträger betreffen, macht, obgleich etliche Unklarheiten nicht vermieden werden, die Bezeichnung des einen als »Michael Kronberger junior« deutlich, wie am 3. 7. 1564[14] geschehen; dieses Datum erscheint innerhalb der Niederschrift einer Verkaufshandlung und der daraufhin erfolgten Erbgeldzahlungen vom 23. 2. 1563[15], und dieser Verkauf betrifft jenes Haus, das Herr Michael Kronberger am 25. 8. 1560[16] von Jacob Stam als Vormund der Anna Valten Wendekampin als Käufers Schwiegerin um 600 Gulden plus 95 Gulden zu entrichtender Schulden erwirbt. Dessen Weiterverkauf erfolgt laut Belehnung vom 2. 10. 1562 an Monsignor Bartholomäus Schade um 450 Gulden.

Am 19. 6. 1560, also mehrere Monate vor der ersten Patenschaft, wird einem Herrn Michael »Kramberger« ein Haus verliehen, das er von seinem Weib Anna Valten Schneiders hinterlassener Tochter mit Vormund Peter Schmidt erhalten hat[17]. Dieses Haus verkauft der Amtsschösser Michael Kronberger laut Verschreibung vom 10. 9. 1561 an Wolf Roth um 1250 Gulden. Zwischen diesem Haus und dem kleinen Häuslein, das Michael Kronberger weiterhin besitzt, sind alle Türen sowie die Kammer, die durch die Mauer geht, zuzumachen. Die Anzucht vom Hof des kleinen Hauses in des Käufers Hof hinein soll bleiben und nicht vermauert oder verbaut werden, weil das Wasser sonst im anderen Haus nicht abgeführt werden kann, doch soll kein Röhrwasser durch Wolf Roths Haus, sondern nur das Tagwasser geführt werden.

Per Datum 11. 8. 1562 wird Michael Kronberger der Amtsschösser mit einem Haus belehnt, das er den Vormunden der Hans Kühnin um 1900 fl abgekauft hat. Die letzten Quittungen werden am 8. 3. 1597 ausgestellt, zu dieser Zeit ist Kronberger längst Amtsschösser in Dresden. Dessen Ehegattin heißt wahrscheinlich Elisabeth, und aus gutem Grund muss die Ehe vor 1557 geschlossen worden sein[18], sodass wir von einer Geburt des Michael vor 1535 ausgehen müssen. Seine Schwester Margaretha dürfte um 1530 zur Welt gekommen sein, denn als Johann Niederstetter 1574 stirbt, ist sie schwanger. Als beider Vater ist der Schösser in Torgau Hans Kronberger nachgewiesen. Der Michael Niederstetter von 1537 muss aber wie bereits angedeutet nicht zwingend mit dem von 1562 identisch sein.

Ungeachtet der Tatsache, dass bis auf den Kauf von seinem Eheweib Anna als Valten Schneiders Tochter, bei dem nicht nur Michaels Nachname verunstaltet ist und keine Amtsbezeichnung genannt wird, alle Vorgänge dem Amtsschösser zugeschrieben werden, ist davon auszugehen, dass zwei Namensträger betroffen sind und der so genannte Kramberger der Michael Kronberger in Torgau ist und wahrscheinlich die geborene Schneider in zweiter Ehe zur Frau hatte, seine definitive Tochter Elisabeth vielleicht als zeitweilige Hausangestellte ihres Cousins in Freiberg weilte. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der ältere Michael als erster seiner Familie Verbindungen nach Freiberg begründete; vielleicht führten ihn ursprünglich dienstliche Obliegenheiten dorthin in einer Zeit, in der Freiberg noch bedeutsamer als Dresden war, und eine dienstliche Beorderung nach Freiberg konnte seinerzeit dem Ansehen nur zuträglich und somit auch erstrebenswert sein. Das bedeutet auch, dass die Beziehung der Kronbergers nach Freiberg bereits bestand, als Pfarrer Johann Niederstetter die Schösserstochter ehelichte.

Michael Kronberger ist nicht nur kraft Amtes in etliche Vorgänge verwickelt, die in die Kaufbücher eingetragen wurden, sondern auch als Vormund seiner Schwester Margaretha. Einmal ist sein Namenszug bei einemanderweitigen Vorgang, bei dem er ebenfalls als Vormund fungierte, in Abschrift eingetragen worden, in dieser Angelegenheit schrieb er sich »Kronbergk«.

Als Hochgestellter konnte Michael Kronberger auch wichtige Freiberger Amtsträger die Patenschaft für seine Kinder antragen. Sein Sohn Michael ist 1557 oder etwas früher nicht in Freiberg geboren worden, vielleicht in Wittenberg. Auch die Tochter Elisabeth ist außerhalb von Freiberg zur Welt gekommen, sie ist Patin in Freiberg bei Kindern von Zebedes (!) Klöckler 12. 5. 1578, Paul Lotter 3. 2. 1581 und Bastian Zeiling 12. 6. 1581. In Freiberg getaufte Kinder sind Anna 23. 4. 1561 in St. Nicolai mit Pate Pfarrer Johann Niederstetter, alle anderen Kinder sind in St. Petri getauft als Martha 30. 9. 1566, Caspar 1. 8. 1568, Valten 8. 3. 1570, Anna im Februar (Datum in der Foliobindung) vor dem 21. 1572, Beata 21. 3. 1574, Valentinus 2. 1. 1576, Heinricus 12. 9. 1577, Maria 15. 5. 1580, Beata 20. 2. 1582. Zu den Paten des zweiten Valentinus zählt Junker Heinrich Günderrode aus einer Familie, die seinerzeit vor allem in Frankfurt am Main und eben Freiberg begütert war, zu denen des Heinrich Junker Vitzthum, zu den Paten der zweiten Beata Jacob Dürbeck churfürstlich Sächsischer Forstmeister. Heinrich wird 1590 (!) in Leipzig immatrikuliert und 1594 in Wittenberg.

In Torgau ebenfalls nachgewiesen ist ein gewisser Hans von Pagk. Er war in mehreren Ämtern nacheinander Schösser oder Amtshauptmann, um 1515 in Giebichenstein, in Moritzburg 1521, in Delitzsch 1522 bis 1529, Mai 1533 bis 1536 in Torgau, dann kurz in Grimma, in Düben 1538, Flucht ins ernestinische Sachsen 1541; er soll an einer Kirchenvisitation zusammen mit dem bekannten Theologen Spalatin beteiligt gewesen sein. Er hatte gute Verbindungen zum sächsischen Kanzler Gregor Brück und scheint sich intensiv für die evangelische Sache engagiert zu haben. Die Familie besaß das Rittergut Döbernitz in der Nähe von Leipzig und soll schon vor 1417 erstmalig erwähnt worden sein. Zur Familie von Pack sollen auch Namensträger mit dem Vornamen Heinrich gezählt haben[19].

Jahrzehnte später sandten auch Freiberger Theologen an Hans von Pagk Trostschriften, die von ihm sorgfältig zusammen mit anderen Schriften christlichen Inhalts in einem Band vereinigt und mit eigenen Gedichten angereichert wurden. Sein Aufenthalt in Freiberg im Alter scheint den an seiner Biographie Interessierten nicht bekannt geworden zu sein. Der nächste Besitzer der Schriften hielt sie in Ehren und fügte ein Register sowie eine kurze eigene Familiengeschichte hinzu. Er gab sich auch mit vollem Namen zu erkennen. Zu denen, die Trostschriften an Hans von Pagk sandten, gehörte nebst anderen Freiberger Theologen auch Johann Niederstetter. Derjenige, in dessen Hände sie nach Hans von Pagk kamen, war der Glöckner Martin Lindner. Und weswegen hat ausgerechnet er sie erhalten? Eine intensive persönliche Beziehung muss vorhanden gewesen sein. Drucke zu sammeln dürfte schon damals unproblematisch gewesen sein, Handschreiben jedoch waren nicht so einfach zu erlangen, besonders wenn sie persönlich waren. Das Vererben besonders von Büchern, die viel rarer waren als heutzutage, wurde seinerzeit sehr ernst genommen. Im Jahre 1561 dürfte Hans von Pagk schon hochbetagt gewesen sein.
 

5. Aus Buchholz nach Freiberg – Martin Lindner der Ältere und seine Vorfahren

Der erste in Freiberg in Erscheinung tretende Vorfahr Karl Mays ist Martin Lindner. Alle mir zugänglichen Quellen, auch sein Selbstzeugnis, melden, dass Martin Lindner 1523 in Buchholz geboren wurde, und anscheinend kam er Ende der 1540er Jahre nach Freiberg. Zwar heiratete am 7. Sonntag nach Trinitatis 1554 in Buchholz die Witwe Margaretha eines Merten Lindner einen Veit Müller, doch steht das im Widerspruch zu Martin Lindners Selbstzeugnis, das besagt, seine Mutter, eine geborene Simon, sei am 2. 5. 1565 gestorben. Dass sie in weiterer Ehe verheiratet gewesen sein könnte, scheint nicht aus der Familienchronik hervorzugehen. Keinesfalls aber kann sie die Stiefmutter gewesen sein. Ein im Sächsischen Hauptstaatsarchiv befindliches und im Internet digitalisiert einsehbares Buchholzer Gerichtsbuch, GB Annaberg-Buchholz 046, enthält mehrere einen Merten Lindner betreffende Vorgänge.

Dieser ist in wohl zweiter Ehe mit Margaretha Witwe eines Wolf Dromer verheiratet und muss nach deren Tode in den 1530er Jahren verheiratete Töchter ausbezahlen, deren Ehemänner laut deren Verzichten Andreas Kestel Sonnabend nach ?Ernesti 1535, Merten Gruner und Brosius Friedel Donnerstag Martini 1535 sind. Mit Brosius Dromer als dem Bruder des Wolf berechnet er sich Mittwoch nach Cruci 1535 und Sonnabend nach Exaudi 1538[20]. Mittwoch nach Invocavit 1536 erscheint Oswald Meurer[21] vor den Stadtgerichten, Merten Lindner kann, da »mit diensten behafftet«, nicht kommen und hat samt seinem Weib Vollmacht erteilt. Wegen ihrer Weiber sind er und Meurer in Altenburg in Unfrieden geraten. Die Stadtgerichte verfügen, dass Meurer an Lindner 6 Gulden zahlen soll. Aus wohl erster Ehe hat Martin Lindner einen Sohn Christoph und leiht ihm 15 Gulden, geschehen Mittwoch nach Cruci 1537[22], also ist Christoph auf jeden Fall vor 1516 geboren worden. Die Register der ersten vier Kaufbücher ab 1500 bis 1521ff. des erst 1495 gegründeten Gemeinwesens enthalten keinen Wolf Dromer betreffenden Vorgang, zu den späteren Bänden ist leider keine derartige Sucherleichterung vorhanden.

Dieser Merten Lindner ist Sohn des Hans Lindner, der definitiv schon früh als der erste aus dieser Familie in Buchholz nachgewiesen werden kann: Dienstag nach Exaudi 1506 berechnet sich Hans Lindner auch in Gegenwart des Richters in Mildenau Oswald Goldschmidt sowie einiger weiterer Zeugen mit der Witwe Katharina seines Sohnes Thomas; die ihr Drittteil als »lxxxv Gulden« erhält. Dessen Haus ist dem Vater heimgefallen, zu dem auch ein Acker mit Früchten gehört, und er verpfändete das Haus seinen Kindern, damit sie das Geld ausgezahlt erhalten konnten. Er übergibt seinem Sohn Nickel sein Haus um 215 Gulden, darf dieses aber weiterhin gebrauchen. Das Pferd reicht er ihm für 4 alte Schock. Sein Sohn Merten Lindner hat wegen seines Bruders Thomas Gelder erhalten und quittiert ihm Freitag nach Ursula 1536, auch Valten Reusch verzichtet wegen seines Weibes Gertrud, weiterhin Barthel Herig ∞ Anna, also volle 30 Jahre später, und nirgendwo ist vermerkt, dass die Brüder beim Verkauf unter Vormundschaft gestanden hätten. Freitag nach Trium Regum 1516 quittiert Käufers Bruder Valten. Verzichte mit Quittungen erfolgten stets dann, wenn alle Ansprüche voll ausbezahlt worden waren, und solche Zahlungen konnten sich über sehr viele Jahre erstrecken. Im Gegensatz zu den Freiberger Kaufbüchern ist in den Buchholzern nicht jede Zahlung akribisch vermerkt worden[23].

Der um 1535 mehrfach genannte Merten Lindner ist mindestens zweimal verheiratet. Weder Martin noch Christoph gehören in Buchholz zu den Hauskäufern.

Samstag nach Lätare 1541 wird Frantz Lindner mit dem hinterlassenen Haus seines Vaters Nickel belehnt, das er der Mutter und den Miterben um 435 Gulden abgekauft hat. Auf dem Haus stehen etliche Gelder, die abbezahlt werden müssen. Seine Brüder Hans und Christoph quittieren Montag nach Reminiscere 1553, Michael Schwender ∞ Barbara Sonntag nach Vocem Jucunditatis 1555, Jobst Lindner Andreastag 1555, Käufers Mutter Freitag nach Conversionis Pauli 1556, Andreas Lindner Mittwoch nach Reminiscere 1557, Georg Lindner Mittwoch Ursulae 1557, also bis 16 Jahre nach dem Hauskauf[24]. Frantz Lindner muss allerdings das Haus Dienstag nach Invocavit 1569 hoch verschuldet um 510 Gulden an den Hüttenreuter Merten Müller verkaufen; laut Verkauf ist er Schmied[25]. Er hat also keinen Bruder namens Martin.

Nicht nur aufgrund der Aussage des Glöckners in Freiberg Merten Lindner, dass seine Mutter Margaretha geborene Simon am 2. 5. 1565 gestorben sei, kann er nicht Sohn eines Merten Lindner sein, dessen Witwe wie bereits erwähnt 7. Sonntag nach Trinitatis 1554 in Buchholz neuerlich heiratet. Der sicherlich ältere Merten Lindner in Buchholz ist schon vor 1535 eine zweite Ehe eingegangen. Dessen Witwe könnte die 1554 erneut Heiratende sein; als eher theoretische Mutter des Merten in Freiberg müsste sie dann mit über 50 Jahren nochmals geheiratet haben. Von den Brüdern des Frantz erscheint nur Hans mit einem Kauf und späterem Verkauf eines Hauses in den Gerichtsbüchern. Alle Brüder des Nickel bis auf Merten finden nach ihren Verzichten keine weitere Erwähnung. Die Kinder des Hans können zwischen 1470 und 1490 nicht in Buchholz geboren worden sein, vielleicht in Mildenau[26], die Kinder des Nickel vor 1520 in Buchholz. Nach aktuellem Forschungsstand dürfte Mertens Sohn Christoph der wahrscheinlichste Vater des Glöckners Merten Lindner sein.

Martin Lindner muss zu Geld gekommen oder vermögend gewesen sein, denn sonst hätte er nicht in Freiberg zum Hauskauf schreiten können. Von der Vatersseite jedoch scheint das Geld nicht herzurühren.

Montag 29. 7. 1555 wird Martin Lindner in Freiberg St. Nicolai mit einem von Frantz Jenichen um 730 Gulden erkauften Haus beliehen und gibt als Angeld 150 Gulden. Wann weitere Tagzeiten in welcher Höhe zu bezahlen sind, anfänglich jährlich 15 Gulden, wird genau festgelegt, ebenso die Empfänger der Tagzeitgelder. Jenichen ist aber nur kurzzeitig Hausbesitzer gewesen, Merten Lindner der vierte Hauseigentümer seit 1545, und so muss Lindner auch Forderungen früherer Hausbesitzer erfüllen, ebenso spätere Hausbesitzer seine[27]. Im Jahr 1569 fangen bei Lindner finanzielle Probleme betreffend die anstehenden Tagzeiten an, die in Freiberg Erbgelder genannt werden, also vererbbare Forderungen, er verpfändet spätestens Pfingsten 1569 sein Haus den Gerichten, muss Gelder stunden lassen, kann sein Haus am 23. 10. 1573 noch einmal loszählen, jedoch im Jahre 1574 sein Haus an einen Gläubiger abtreten, der das gerichtlich erklagt hatte.

Martin Lindner nimmt gerichtliche Hilfe zu Christoph Richters Haus in Anspruch 4. 3. 1579, ebenso 23. 5. 1579[28], Das sagt aus, dass Merten Lindner nicht nur Ziel finanzieller Forderungen war, sondern auch selbst solche zu stellen hatte, die stets auf das Haus, sofern Besitz vorlag, geschrieben wurden. Wenn sie zum drittenmale in einer Sache in Anspruch genommen wurde, bedeutete das für das Objekt der gerichtlichen Hilfe Zahlung, ohne sich Versäumnis erlauben zu dürfen. Merten Lindner ist also in einem akzeptablem Zeitraum zu seinem Geld gekommen.

Wann Martin Lindner geheiratet hat, ist unbekannt. Die Taufbücher Freiberg St. Nicolai setzen 1556 ein. Sie enthalten etliche Kinder, die ihm zweifelsfrei zugeordnet werden können. Bis auf die genannten vier Söhne sind aber in erster Ehe alle Kinder wieder gestorben. Lediglich zweimal erscheint seine Gattin Margaretha in den Taufbüchern für St. Nicolai als Patin. Die Gerichtsbücher führen ihn mehrfach als Vormund auf.

Am 3. 6. 1586 erhält Nickel Weis von Stadtrichter Hans Büttner (Vorfahr des Autors) als kriegischer Vormund und Lehnträger der jetzigen Ehefrau Katharina des Martin Lindner ein Haus in Lehn verschrieben, das diese den Brüdern Nickel und Caspar Horn um 700 Gulden abgekauft hatte (Auch der Vorbesitzer der Horns steht in Beziehung zu Karl Mays Vorfahren). Mittwoch 4. 7.1595 regelt Heinrich, Sohn des Martin Lindner, mit Caspar Farrenberger anstehende Geldforderungen. Am 25. 7. 1593 erfolgt die Erbregelung und nennt nebst der Witwe Katharina, jetzt mit Vormund Peter Blum, die Kinder Heinrich, Zacharias, der Valten Alnpeck schriftlich bevollmächtigt hat, Tobias und Merten, allesamt Kinder erster Ehe, und den unmündigen Sohn Caspar zweiter Ehe. Dieser stirbt einige Jahre später[29].

Die Söhne Heinrich und Zacharias sind vor Taufbuchbeginn 1556 geboren worden, die anderen Kinder in den Taufbüchern St. Nicolai zu finden. Am 10. 8. 1559 ist Martha ∞ Martin Lindner Patin bei Kilian Eyssenkremers Tochter, die Taufe des Sohnes Thobias findet am 30. 8. 1557 statt, am 18. 3. 1559 ist Merten Lindner Pate eines Sohnes des Merten Richter (Dessen Beziehung zu Merten Lindner lässt sich aus den Häuserkaufbüchern nicht klären), danach folgt mit Datum 9. 5. 1561 die Taufe der Tochter Juditha, deren erster Pate der neue Amtsschösser Michael »Kronperger« (kurz nach seiner ersten eigenen Kindstaufe am 23. 4. 1561), am 30. 8. 1563 wird ein weiterer Sohn Tobias getauft mit Patin Katharina Tochter des Lorenz Fleischer des Stadtschreibers, die Merten Lindnerin ist Patin bei einer Kindstaufe des Georg Schneider in Si. Petri 21. 9. 1573, Merten Pate in St. Petri bei einer Kindstaufe des Paul Rawe 4. 12. 1563, ebenso bei einer des Wolf Satler 28. 6. 1564, sie Patin in St. Petri bei einem Kind des Nicolai Seifner 20. 1. 1565, Martha ∞ Merten Lindner ist Patin bei einem Kind des Merten Richter 5. 5. 1565, am 6. 12. 1570 erfolgt wie bereits bekannt die Taufe des Sohnes Merten mit Paten Herr Hans Prager, Jonas Stumpfel, Elisabeth Tochter des Amtsschössers Michael Kronberger, die somit 1556 oder früher geboren wurde. Am 29. 8. 1573 ist Merten Lindner Pate bei Georg Zer… (Rest des Nachnamens in der Buchbindung) in St. Petri. Am 21. 11. 1574 wird eine Tochter Judith eines Merten Lindner eingetragen, unter dem 21. 12. 1574 ein Sohn Zacharias ebenfalls eines Merten Lindner. Dieser kann nicht Sohn des Kirchendieners sein, da dessen Sohn Zacharias lebt und in Leipzig studiert, zudem wäre er bei der Erbregelung unmündig gewesen. Weitere Taufeinträge weisen den Namensvetter als Bergmann aus. Der Sohn zweiter Ehe Caspar des Glöckners wird am 5. 2. 1578 mit seiner Taufe eingetragen. Am 8. 2. 1596 erfolgt seine Immatrikulation in Wittenberg.

Martin Lindner ist mehrfach Vormund oder Lehnträger, nachweislich Vormund der Jungfer Sybilla Pirck 19. 5. 1565, Vormund des Peter Sohn des Matern Teicher 2. 6. 1568, Lehnsträger der Wolf Händelin 17. 3. 1571, Vormund des Sohnes Melchior des Herrn Johann Heinz 6. 5. 1575, Vormund der Jungfer Judith Scheil 11. 6. 1589. Der Verlust seiner Hauses bedeutet also nicht das Ende für Berufungen zu verantwortungsvollen Aufgaben. Ob er als Mieter im Haus bleibt oder nicht, scheint sich nicht belegen zu lassen.

Weitere interessante Details zu ihm lassen sich aus zwei ungewöhnlichen Quellen erschließen; eine habe ich oben bereits kurz angesprochen. Im Bestand der seit 1572 existierenden Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel befindet sich unter der Signatur Cod. Guelf. 38.1 Aug. 4° eine Handschrift in Form eines schweinsledergebundenen Sammelbands, der vor allem Theologica enthält, weiterhin teils sehr umfangreiche Trostschreiben, alle gerichtet an Hans von Pack. Außerdem sind gereimte Gebete und Sprüche gemäß der Bibel vorhanden, dieses Teilkompendium datiert am Ende eines eigenhändigen Gedichts des Hans von Pagk in Freiberg auf den 4. 4. 1561. Das alles ist auch mit Leichenpredigten zusammengebunden worden – und dazu eine kurze Chronik der Familie Lindner, angelegt von Martin Lindner Kirchendiener in Freiberg, fortgesetzt von Sohn Zacharias bis 1598. In den Hauskaufbüchern von Freiberg ist kein Beleg für Grundbesitz des Hans von Pagk vorhanden. Der Bruder Otto des Hans von Pagk war Auslöser der so genannten Packschen Händel, gefälschte Dokumente, die das damalige Deutschland an den Rand eines Religionskrieges brachten.

In der Ratsschulbibliothek Zwickau, die vor 1498 gegründet wurde, ist unter der Signatur XCVIII/I ein leider unvollständig erhaltener Stimmsatz katalogisiert (das Fehlende mag in einen verschollenen zweiten Band enthalten gewesen sein); zur Einbandverstärkung einer der Stimmen sind laut einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1999[30] zwei Brieffragmente herangezogen worden, das eine in lateinischer Sprache gerichtet an Zacharias Lindner 1579, der seit 1576 in Leipzig studierte; vom unbekannten Schreiber als consobrinus, also Vetter mütterlicherseits, bezeichnet, das andere an den lieben Vater Martin Lindner Bürger in Freiberg. Er kommt als Arrangeur der Stimmen für Aufführungen geistlicher Chormusik infrage, denn der leider unvollständige Stimmsatz enthält zwar Abschriften von seinerzeit bekannten Kompositionen, die für Aufführungen eingerichtet wurden, doch deutet anscheinend nichts auf hinzugefügte eigene Werke hin.

Diese beiden bis jetzt vorhandenen Dokumente zeigen einen talentierten Musiker, schriftstellerisch und an der eigenen Familiengeschichte Interessiert, der das, was auf ihn überkam, sorgfältig behandelte und aufbewahrte und seine Fähigkeiten seinen Söhnen vererbte. Sein Sohn Martin wurde sein direkter Amtsnachfolger, ist aber anscheinend schon im Laufe des Jahres 1608 früh gestorben. Er erwarb sein eigenes Haus. Auch der Sohn Tobias blieb in Freiberg und wurde Bildhauer, Zacharias und Heinrich betreffend konnte leider nichts Näheres festgestellt werden, und beide haben Freiberg verlassen.

Das Bürgerbuch für Freiberg nennt Martin ohne Datum oder Herkunftsangabe im Jahre 1554 als fremden Neubürger. Vorher wäre er auch nicht zum Hauserwerb berechtigt gewesen, denn dafür musste man das Bürgerrecht erworben oder einen Lehnträger haben.

Regulärer Glöckner ist Martin Lindner wahrscheinlich erst seit 1573 gewesen, da in diesem Jahr sein Amtsvorgänger Johann Steinhard laut ›Theatrum Freibergensis‹ hochbetagt im Alter von 77 Jahren starb, aber vielleicht substituierte er ihm schon vorher. Manche Kirchendiener mussten ihre Substituten selbst bezahlen, wie Äußerungen in Möllers Chronik belegen. Der Familienname seiner zweiten Ehefrau Katharina konnte bislang noch nicht festgestellt werden. Sie scheint aber in verwandtschaftlicher Beziehung zu einem Caspar Farrenberger gestanden zu haben.

Im gleichen Semester wie Zacharias Lindner, Sommer 1576, wurde ein junger Mann ebenfalls in Leipzig immatrikuliert, der anderthalb Dutzend Jahre später Schwager eines seiner Brüder sein sollte, ein gewisser Wenzel Tilianus, dessen Heimatgemeinde allerdings nicht Freiberg war. Ein Jahr später kaufte dessen Vater in Freiberg ein Haus. Dieser muss aber nicht im Zusammenhang mit dem Studiumsbeginn seines Sohnes stehen.
 

6. Martin Lindner der Jüngere

Merten Lindner war nicht nur Amtsnachfolger seines Vaters als Glöckner 1593, sondern auch dortiger Kastenschreiber und nahm diese beiden Ämter 15 Jahre lang wahr. Er bewarb sich zweimal vergeblich für höher dotierte Positionen.

Im Sommersemester 1585 erfolgte seine Immatrikulation an der Universität Leipzig, wo auch sein Bruder studiert hatte[31]. Damals war er erst vierzehneinhalb, aber im Gegensatz zu heute konnte man sich schon im gymnasialen Unterstufenalter unserer Tage oder noch früher immatrikulieren (lassen) und die universitäre Laufbahn beginnen. Für diesen Vorgang ist ein halber Gulden entrichtet worden. Aufgrund des Universitätsstudiums und der Besserqualifizierung dürfte er zum Kastenschreiber berufen worden sein. Eventuell haben sich dadurch Schriftzeugnisse aus seiner Hand erhalten können.

Martin Lindner dürfte im Jahre 1592 vor Traubuchbeginn St. Nicolai geheiratet haben. Er lässt in Freiberg St. Nicolai mehrere Kinder taufen, wobei hier nicht alle Paten namentlich genannt werden: Karl Mays Vorfahrin Salome 4. 8. 1593 mit den Paten Hans Prager junior, Barbara ∞ Magister Jacob Sattler, Maria Simon Kölerin, dann Martinus (Referenz an Vater und Großvater) am 3. 9. 1594 mit den Paten Valten Buchfürer aus den Honoratiorenkreisen, Hans Beseler der Amtsschösser, Margaretha ∞ Wenzel Tilianus, danach 5. 5. 1596 den Sohn Wenzeslaus (auch eine Referenz) mit Pate Valten Buchfürer der Jüngere, Maria 7. 4. 1598, Susanna 19. 2. 1600, Zacharias 11. 8. 1601 mit Patin Barbara ∞ Nickel Horn. Martin ist Pate bei einer Kindstaufe des Elias Fischer 11. 9. 1597. Ob bei seinem Tode noch weitere Kinder außer Salome am Leben waren, lässt sich derzeit nicht erschließen. Bis einschließlich 1631 wurden im zuständigen Traubuch St. Nicolai keine Heiraten der Kinder gefunden, ebenso wenig in St. Petri und im Dom.

Laut einem eingehefteten Zettel im Kaufbuch direkt nach der Erbteilung musste Merten Lindner sein mütterliches Erbteil einklagen; das seinerzeitige städtische Kummerbuch befindet sich aber entweder nicht im Hauptstaatsarchiv oder ist dort nicht digitalisiert worden.

Mttwoch 16. 6. 1596 wird Merten Lindner ein Haus überschrieben, das er von Hans Rost um 727 Gulden erkauft hat. Als Angeld erlegt er 117 Gulden. Danach bezahlt er regelmäßig Tagzeiten, am 1. 2. 1611 jedoch nach einer Unterbrechung seine Witwe. Bald danach ist ein Kaufvertrag in das Gerichtsbuch eingetragen worden[32]. Am 9. 2. 1611 wird Martin Reiff als Lehnträger seiner Mutter Martin Reiff des Älteren Witwe mit einem Haus in der Engen Gasse zwischen Thomas Strobel und der alten Merten Lindnerin belehnt, das dessen Mutter von Martin Lindners Witwe Maria und ihrem Vormund, ihrem Bruder Herrn Wentzel Tilian, im Jahre 1608 um 800 Gulden abgekauft hatte. Merten Lindner hat etwas Geld und abzubezahlende Schulden hinterlassen[33].
 

7. Ehefrau und Schwiegervater des jüngeren Martin Lindner

Am Mittwoch dem 25. 2. 1596 wird Margaretha Witwe des Herrn Wentzel Tilianus, deren Vormund Hans Rost ist, mit dem am 20. 4. 1594 von den Miterben um 700 Gulden erworbenen Haus in Freiberg belehnt. Diese sind Wenzel Tilianus der Amtsschreiber für sich, Georg Günter ∞ Sabina, Georg Frosch ∞ Martha, Merten Lindner ∞ Maria als Kinder erster Ehe, Kinder II. ∞ Magdalena mit Vormund Matthes Schirmer (Vorfahr des Autors), Regina mit Vormund Matthes Clix, Barbara mit Vormund Michael Auermann, David mit Vormund Hans Rost[34].

Maria ∞ Merten Lindner ist nur einmal Patin, das bei einer Kindstaufe des Nickel Gerstenberger 10. 10. 1596 Freiberg St. Nicolai.

Der Sohn Wenzel Tilianus heiratet am 19. 9. 1587 im Freiberger Dom in erster Ehe Agnes Tochter des Herrn Joseph Schlegel Cantor in Freiberg, sein Vater, Pfarrer in Krummenhennersdorf nördlich Freiberg, ist Trauzeuge, Agnes † 20. 7. 1592, und am 16. 10. 1593 ebenfalls im Dom erfolgt die zweite Eheschließung, heuer mit Margaretha Tochter des † Joseph Weiss Bürger in Dresden. Sowohl sein Vater als auch der aktuelle Amtsschösser Hans Beseler sind seine Trauzeugen. Als am 27. 4. 1613 im Dom seine Tochter Sabina den Pfarrer Georgius Wagner zu »Grotha in Böhmen« heiratet, ist er Amtsschösser zu Tharandt und Grillenburg, Wie oben bereits vermerkt, ist er zum Sommersemester 1576 an der Universität Leipzig immatrikuliert worden, im gleichen Jahr wie der Bruder Zacharias seines Schwagers Martin Lindner, und als seine Herkunft wird korrekt Krummenhennersdorf angegeben.

Am Tag Bartholomäi als dem 24. 8. 1577 wird Andreas Schröter als Lehnträger des Herrn Wentzel Tilianus Pfarrer zu Krummenhennersdorf mit einem Haus in Freiberg in der Meißnischen Gasse an der Ecke neben dem Brauhaus beliehen, das er von der Simon Tischerin und ihrer Tochter der Silvester Löbnitzin und ihren Vormunden um 800 Gulden erworben hat. Die Simon Tischerin hat nebst einer Dienerin im Hinterstübel und der Kammer nebenan freie Herberge, mindestens aber solange wie Tilianus und sein Weib das Haus in Besitz haben werden[35]. Laut GB Freiberg 436 für Krummenhennersdorf ist der Vorname des Sohnes zweiter Ehe jedoch Jonas, alle anderen Namen sind identisch. Die jüngeren Matrikel der Universität Leipzig vermerken seine Immatrikulation als Donat Tilianus im Sommersemester 1603. In Krummenhennersdorf erwirbt Sonntag nach Michaelis 1595 der Sohn Wentzel Tilianus das väterliche Gut zwischen Benedix Losnitzer und Salomon Ölschlegel von den Miterben um 290 Gulden[36].

Der ältere Wentzel Tilianus wurde ungefähr 1529 in Auerbach geboren, war Rektor in Roßwein 1556 und dann ab 1559 jahrzehntelang bis zu seinem Tode 1594 Pfarrer in Krummenhennersdorf nördlich Freiberg. Das Wittenberger Ordinirtenbuch[37] nennt als Datum für diesen Vorgang den 15. 2. 1559, also nach seiner Rektortätigkeit in Roßwein. Er gehört zu den Unterzeichnern der Concordienformel 1577. Laut Sächsischem Pfarrerbuch war er auch sehr bekannt als großer Geometer, zählte also zu den Mathematikern. Im Gegensatz zur Heirat seiner Tochter ist deren Bruder mit seinen beiden Heiraten im Kirchenbuch des Doms vertreten; viele Heiraten sind seinerzeit am Wohnort der Braut durchgeführt worden. Die Gerichtsbücher für Krummenhennersdorf beginnen erst 1595 mit ebendiesem Kauf. In Auerbach im Vogtland ist um 1530 der Familienname Lindner nachweisbar, doch ist das seinerzeitige Gerichtsbuch 107 ab 1535 großenteils quasi in ausgelaufener Tinte ertränkt worden, und die Einträge sind deswegen nur sehr rudimentär zu lesen.

Bei einer Durchsicht der Gerichtsbücher für Roßwein wurde im GB Roßwein 174 ein interessanter Kaufvertrag gefunden, leider teilweise aufgrund von Verschmierungen und durchgeschlagener Rückseitenschrift schwer lesbar: Am 22. 3. 1567 sind vor dem Rat zu Roßwein erschienen Paul Koler in Vormundschaft der Witwe des Hans Melhorn, Er Hans Schultze in Vormundschaft der Matz Richterin, Merten und Hans Melhorn Gebrüder und haben freiwillig und öffentlich ausgesagt, dass sie Hans Melhorns ihres Vaters Haus zwischen Henrich Melhorn und Marx Richter dem »wirdigen Herrn Wenzeslaus Lindner« Pfarrherr zu Krummenhennersdorf um 8 ½ gute Schock verkauft haben[38].

Hier fragt sich: Warum kauft ein Pfarrer acht Jahre nach dem Abschied von seiner alten Wirkungsstätte, damals noch drei Jahre als Rektor, ebenda ein Haus? Von Roßwein nach Krummenhennersdorf ist in jenen Zeiten eine gehörige Entfernung. Und warum verkaufen des Hans Melhorn Erben ausgerechnet an ihn? Zu dieser Familie hat unzweifelhaft eine Beziehung bestanden. Er ist aber nicht Miterbe. War Hans Melhorn sein erster Schwager? Rein rechnerisch dürfte zu diesem Zeitpunkt seine erste Ehe noch bestanden haben, und bei Verkäufen waren in jenen Zeiten Familienmitglieder und Verwandte bevorrechtigt gegenüber Fremden. Weitere Käufe des Wenzel Lindner oder Tilianus sind in den Stadtbüchern für Roßwein nicht eingetragen. Also besteht die Möglichkeit, dass seine erste Gattin eine gebürtige Melhorn aus Roßwein war.

Er war nicht der einzige auswärtige Pfarrer, der in Freiberg Grundbesitzer war, wenn auch mit Lehnträger, da kein Freiberger Bürger, denn in den Kaufbüchern sind etliche auch auswärtige Pfarrer als neu belehnte Eigentümer eingetragen worden.
 

8. Pfarrer Johann Niederstetter

Johann Niederstetter wurde eine Zeitlang nach dem Jahreswechsel 1552 zu 1553, als er kurz vor der Heirat stand, am 22. 11. 1553 als Priester ordiniert und direkt von der Universität als Diacon nach Gräfenhainichen nahe Wittenberg und 1555 nach Freiberg als Pfarrer (Amtsprediger) an St. Nicolai berufen. Seinerzeit waren in seiner Freiberger Pfarre nach heutigen Begriffen drei Vollzeitstellen für Theologen vorhanden, nebst dem Amtsprediger noch Frühprediger und Freitagsprediger, dazu Organist und Glöckner. Einige Jahre später erwirbt er in der Pfarre St. Petri sein privates Wohnhaus.

Laut Möllers Freiberger Chronik war er 1566 in die Religionsstreitereien nach dem Tode von Luther und Melanchthon verwickelt, machte sich bei seinem Fürsten unbeliebt und konnte nur durch Intervention der Gattin Anna des Fürsten, bei der er nach einer sehr herzlichen Trostschrift zum Tode ihres Sohnes Alexander in großer Gunst stand, und Fürsprache seitens eines hochrangigen Amtskollegen, des Superintendenten Caspar Zeuner, vor fürstlicher Ungnade und Amtsenthebung bewahrt werden. Im Jahr darauf verhinderte der Hofprediger ein Ansinnen des dortigen Rate, dass er zum Superintendenten in Annaberg berufen werde.

Herrn Magister Johann Niederstetter Pfarrherr zu St.Niclas wird ein Haus zwischen Herrn Magister Blasius Zeiling und Christoph Wirschberger verliehen, das er am 11. 7. 1559 Blasius Zeiling um 1200 Gulden abgekauft hat, Angeld 250 Gulden. Im Kaufvertrag wird festgelegt, dass die drei Türen zu Zeilings Haus samt der Gosse zugemauert werden, das Küchenfenster samt den anderen Fenstern auf dem Boden am Giebel sollen verglast werden, damit nicht etwas daraus gegossen, geworfen oder geschüttet werde. Die Quermauer sollen beide zugleich erhalten. Die Anzucht[39] soll Zeiling dulden und leiden, weil sie zuvor in seinem Keller Anzucht gewesen[40].

Dieses Haus verkauft der Amtsschösser Michael Kronberger als Vormund seiner Schwester Margaretha Witwe des Pfarrers Johann Niederstetter um 1000 Gulden an Magdalena ∞ Heinrich Kölbel zu Sattensdorf mit Lehnträger Magister Gabriel Schütz am 18.12. 1574[41]. Witwe und Erben waren noch 130 Gulden Erbgelder schuldig. Die Erben des seinerzeitigen Verkäufers Magister Zeiling sind Peter und Hans Zeiling, Bastian Hofberg ∞ Ursula, Magdalena, Basilius und Bastian Zeiling, dann Anna ∞ Heinrich Burkhardt, Katharina, Margaretha ∞ Paul Heusen auch als Burkhardts Erben.

Zwischen Johann Niederstetter und Zeilings Erben waren Irrungen entstanden. Ein Vertrag zwischen Zeiling und Herrn Benedix Meisner von Mittwoch nach Invocavit 1549 wegn des »Höfelein«, das vom Kirchhof zu Zeilings Haus gekommen war, abgeschlossen worden, beim Rat hinterlegt aber den Gerichten nicht geschickt worden, und die Meldung des Kaufes ist vergessen worden. Niederstetter hat einen Stall in diesen Hof bauen wollen, was Herrn Benedix Meisners Erben angefochten haben. Der Zehnder und Bürgermeister Wolf Prager wegen seiner Hausfrau, Hans Meusgen (später Schwiegervater des jüngeren Amtsschössers Michael Kronberger), Hans Prager und Paul Trainer in Vormundschaft ihrer Weiber als Meisners Erben haben aus freundschaftlichem, nachbarlichem und schwegerlichem Willen gewilligt und nachgelassen, dass Niederstetter von seinem Haus bis an die Scheidemauer des Kirchhofs ein »Badestübchen und Behausung der Heimlichkeit« gemacht, sechs Ellen breit (= 3,42 Meter) an seines Nachbars des Täschners Haus anzugehen im Hofraum und ein Gang darauf, doch dass er das Querdach nicht höher als des Taschners Hinterhaus gegen den Hof bauen möge. Niederstetter hat das Dach der Scheidemauer im Kirchhof niedriger machen lassen, damit es dem Aussehen aus Meisners Haus nicht hindere. Daran will er sich samt Weib, Kindern, Erben und künftigen Nachbesitzern halten. Auch soll nichts Stinkendes aus dem Fenster geschüttet, Holzhau gemacht oder Mist geschüttet werden. Der Hof wird bald mit breiten Steinen besetzt, auch das Röhrwasser so er darin führen will samt den Tagewässern durch den Raum des engen Gässleins, so von der Frau Reich zum Haus geschenkt, durch ein Gerinne auf der Gasse ausführen. Dem Meißnerschen Haus darf kein Schaden entstehen. Eingetragen 30. 7. 1574 (also nach Niederstetters Ableben). Das Original ist im Kasten Nr. 13 zu befinden. Von Herrn Michael Kronberger Amtsschösser und Vormund seiner Schwester Margaretha Witwe des Pfarrers Johann Niederstetter und Hans Prager den Gerichten übergeben 5.12. 1574[42].

Die Streitigkeiten zwischen Pfarrer Johann Niederstetter und Zeilings Erben werden auch in den Freiberger Ratsprotokollen im Band ab 1571 thematistiert; aus den Eintragungen kann man schließen, dass der Pfarrer der Differenzen so müde wae, dass er am liebsten das Haus zurückgegeben hätte.

Anscheinend war Johann Niederstetter auf seine Sauberkeit und Reinlichkeit und die seiner Familie bedacht und mied öffentliche Badestuben, die seinerzeit bei Epidemien auch Ansteckungsgefahr bedeuteten. Mit dem Wort Heimlichkeit wurde die seinerzeitige Version von Toilette umschrieben. Außerdem lässt der Vertrag darauf schließen, dass man schon damals in der Großstadt Freiberg einige Prinzipien des Umweltschutzes praktizierte.

Wie Hainer Plaul bereits berichtete, wurde der Sohn Michael Niederstetter Superintendent in Freiberg und churfürstlicher Hofprediger in Dresden. Die Gerichtsbücher nennen seinen Bruder Hans mehrfach als Vormund und auch als Hausbesitzer in Freiberg. Demzufolge sind alle vier überlebenden Kinder des Pfarrers Johann Niederstetter durch Heirat oder im Falle der Söhne persönlich zu Ansehen gekommen und der Sohn Michael noch höherrangiger Geistlicher als der Vater geworden.
 

9. Margaretha Cronberger verheiratete und verwitwete Niederstetter

Nach dem Tode ihres Mannes befand sich die Witwe in derartigen finanziellen Schwierigkeiten, dass sie eine Supplikation an ihre Fürstin richtete und auch den anstehenden Verkauf des Hauses meldete. In dieser wird außerdem vermerkt, dass Niederstetter als Student in Wittenberg noch Luther hörte.

Montag nach Leonhardi als 18. 11. 1574 verleiht Stadtrichter Bernhard Hannemann (ein weiterer Vorfahr des Autors) an Herrn Michael Kronberger den Amtsschösser in Vormundschaft seiner Schwester Frau Margaretha Witwe des Ehrwürdigen Herrn M. Johann Niederstetter ein Haus mitsamt Brauhaus in der Petersgasse zwischen Bastian Leupold und Herrn Sigismund Röhling, das die Witwe des Balthasar Patzschke und deren Vormunden um 1300 Gulden abgekauft hat, Angeld 250 Gulden[43]. Laut Belehnung vom 12. 2. 1581 verkauft die Witwe, vertreten durch ihren Vormund und Bruder Michael Kronberger, dieses Haus an Hans Schleiffer um 1400 Gulden[44].

Freitag nach Cathedra Petri 23. 2. 1582 wird der Amtsschösser Michael Kronberger als Vormund und Lehnträger seiner Schwester Margaretha Witwe des Pfarrers Johann Niederstetter mit einem Haus am Niclaskirchhof beliehen, das sie am 24. 1. 1582 ihrem Eidam Hans Köler um 800 Gulden abgekauft hat, dessen Bevollmächtigter bei der Beleihung ist Herr Friedrich Köler der Baumeister in Freiberg. Die Witwe zahlt selbst bis 11. 2. 1586. Hans Köhler ist Amtsschösser in Schkeuditz und bekleidet dieses Amt auch in Nossen[45].

Laut einem nachträglich eingetragenen Vertrag hat Herr Christoph Dachsel Not. Publ. ein Haus am Niclaskirchhof zwischen Elias Weißens und Friedrich Richters Witwe am 23. 12. 1591 von seines Eheweibes Miterben und deren Vormunden um 800 Gulden erworben. Die Miterben waren Hans Niederstetter, Herr Michael Niederstetter churfürstlicher Hofprediger zu Dresden, NN ∞ Johann Köhler Bürgermeister. Dieses Haus wird am 7. 10. 1619 an Herrn Michael Cochius Pfarrer zu Oederan um 1000 Gulden weiterverkauft. Die Namen der Söhne Gottfried und Christian als Miterben sind nur in der umfangreichen Überschrift des Kaufvertrags enthalten. Beide sind Pfarrer und haben Freiberg verlassen.

Als Kinder von Johann Niederstetter und Margaretha geborene Cronberger konnten in den Taufbüchern von Freiberg St. Nicolai ab 1556 festgestellt werden, wobei in dieser Ehe vorher mit Sicherheit noch Taufen erfolgten (nicht alle Paten sind hier namentlich aufgeführt worden): Maria 25. 3. 1557 mit Patin Katharina von Schönberg Priorin im Jungfrauenkloster, Johannes 21. 2. 1559, Katharina 9. 10. 1560, Michael (der spätere Hofprediger) 8. 10. 1562 mit Paten Herr Merten Manewitz und Magdalena ∞ Bürgermeister Wolf Hilliger, Katharina 12. 4. 1565, Barbara 18. 7. 1566 mit Patin Walpurgis ∞ Michael Schönleben, Barbara 17. 6. 1570, also Karl Mays Vorfahrin, mit den Paten Michael Schönleben, Magdalena ∞ Urban Richter, Magdalena ∞ Abraham Thiel, Hans 15. 9. 1572. Der nach dem Tode des Vaters geborene Sohn Johannes ist ohne Nennung des Berufs seines Vaters im Kirchenbuch St. Petri eingetragen am 29. 10. 1574 mit den Paten Herr Wolf Hilliger, Herr Wolf Prager, Catharina Tochter des Wolf Mergethal. Die den Vater überlebende Tochter Elisabeth, geboren definitiv vor 1556, steht Patin bei einer Kindstaufe des Simon Olsner in St. Petri 26. 2. 1576, † 20. 9. 1585 Freiberg St. Marien im Hause des (jüngeren) Amtsschössers Michael Kronberger. Tochter Margaretha, auch vor 1556 geboren, ist Patin in St. Nicolai bei einer Kindstaufe des Wolf Druschwitz 18. 6. 1571, steht Patin in St. Petri bei einem Kind des Caspar Poller 20. 4. 1577, einem des Hans Köhler 15. 5. 1577 und einem des Matthes Ditz Mitte 7. 1577. Johann Niederstetter steht mindestens zehnmal Pate, seine Gattin mindestens zweimal. Sein nachgeborener Sohn Hans erlernt einen Handwerksberuf mit damals hohem Ansehen und wird Tuchmacher. Er heiratet am 26. 9. 1598 in St. Petri Magdalena Witwe des Caspar Wolckenstein. Die Mutter geht nach dem Tode des Vaters ungeachtet der Tatsache, dass sie sehr kleine Kinder hat, keine weitere Ehe mehr ein. Der Pate Michael Schönleben war Oberhüttenverwalter, also sehr hoher sächsischer Bergbaubeamter.

Als Namen für Jungen werden auffallenderweise nur Michael und Hans vergeben, und stirbt ein Mädchen, erhält bald wieder eines den gleichen Vornamen. Ihre Söhne Hans und Michael heiraten, ebenso die beiden überlebenden Töchter, die eine den Schkeuditzer Amtsschösser Hans Köler, die andere, Karl Mays Vorfahrin, den schon genannten Notarius Publicus Christoph Dachsel.
 

10. Christoph Dachsel N. P.

Bislang war nur dessen Heirat irgendwann mit Barbara Niederstetter bekannt. Gerichtsbücher und Kirchenbücher jedoch enthalten eine vorige Ehe. In den Gerichtsbüchern ist er als Dachsel, sporadisch Dächsel, eingetragen, in den Kirchenbüchern auch als Dexel oder Dechsel, nie jedoch als Drechsel. Seine beiden Heiraten sind mit ihren Daten vor Beginn der zuständigen Traubücher geschehen. Seine erste Kindstaufe in Freiberg überhaupt wurde unter dem 22. 4. 1582 der Sohn Mauritius im Kirchenbuch St. Nicolai. Dessen Paten sind Elias Greuß, Caspar Horn der Lange und Regina (Tochter des Stadtschreibers Lorentz Fleischer) ∞ Friedrich Köler (ein Baumeister). Greuß ist Ratsherr, Caspar Horn der Lange (auch: Der Große) zählt bei der späteren Erbteilung der Familie zu den Vormunden.

In das Taufbuch St. Nicolai ist als erstem überhaupt in Freiberg Anfang des Jahres 1556 einzutragen begonnen worden; möglicherweise ist das von Johann Niederstetter veranlasst, aber nicht von ihm selbst geführt worden, denn nach seinem Tode tritt kein Schriftwechsel ein. Die Totenbücher Nicolai beginnen erst 1610, die von Petri 1596. Der Tod der ersten Frau kann also in den Kirchenbüchern nicht gefunden werden. Unter dem 14. 5. 1591 ist im Kirchenbuch von St. Petri das erste Kind zweiter Ehe eingetragen, als Christina, was jedoch falsch ist, denn Paten sind die Frau Hans Köhlerin, Herr Michael Kronberger, Herr Tobias Buchbach. Alle drei kommen von der Niederstetter-Seite, also waren von Vatersseite keine Verwandten in Freiberg vorhanden. Tobias Buchbach ist Amtsschösser zu Augustusburg und kauft Herrn Michael Kronberger jetzt Amtsschösser zu Dresden dessen Haus mit Hinterhaus am Markt an der Ecke der Petersgasse am 8. 9. 1593 um 1900 Gulden ab. Am Freitag 30. 3. 1604 lässt Michael Kronberger der Ältere durch seinen Sohn Heinrich Kronberger hinterstellige Erbgelder quittieren, die ihm sein Eidmann Tobias Buchbach entrichtet hatte, da Buchbach gestorben war und seine Witwe ∞ Abraham Öhmichen Lehnrichter in Olbernhau[46], und als die Witwe am 16.1. 1607 ein Haus in Freiberg verschrieben erhält, wird Christoph Dachsel ihr Lehnträger, also ihr angeheirateter Cousin.

Somit muss die Heirat des Christoph Dachsel sich 1590 ereignet haben. In diesem Jahr setzen jedoch die Traubücher St. Nicolai noch nicht ein.

Frantz Sohn des Simon Mauckisch wird am 11. 12. 1595 ein Haus in Lehn gegeben, des er von Moritz Beudners Witwe und den Vormunden ihrer Erben um 1400 Gulden und 100 Gulden Zinsen dem geistlichen Einkommen erworben hatte, Angeld 400 Gulden. Die Erben sind die Witwe Anna mit Vormund Asmus Richzenhain, Christoph Dachsel in Vormundschaft seines Sohnes Christoph und in Vollmacht Moritz Beudners junior, Georg Gerngroß ∞ Anna, Georg Erlicher Vormund des Gedeon, Christoph Mager Vormund des Zacharias, Jacob Günzel Vormund des Tobias, Caspar Horn der Große Vormund der Eva. Am 18. 3. 1592 quittiert die Witwe in Gegenwart ihres Beistands und Eidmanns Christoph Drechsel Not. Publ. Zahlungen. Am 1. 9. 1595 bekundet Dachsel erhaltene Gelder wegen seines unmündigen Sohnes Christoph. Weitere Erbgelder verkauft er an Caspar Horn. Die Tochter Eva ∞ vor 3. 12. 1595 Caspar Dachsel. Dieser ist definitiv nicht verwandt mit dem Notarius[47].

Barbara ∞ Christoph Dechsel ist am 12. 2. 1593 in St. Nicolai Patin eines Kindes des Georg Gerngroß, der in erster Ehe ihres Ehemannes einer seiner Schwäger war. Weitere Kinder: Am 19. 11. 1595 erfolgt die Taufe des Sohnes Hans des Christoph Dechsel, und einer der Paten ist Herr Hans Prager. Die Taufe des Sohnes Gottfried findet zuvor einwandfrei am 12. 9.1593 mit den Paten Valten Buchfürer, Hans Helwege und Anna ∞ Hans Krackau statt, nicht jedoch am 17. 9. Die Schrift des Eintragenden unterscheidet deutlich zwischen 2 und 7, allerdings sind hier die Taufen nicht in der korrekten Reihenfolge eingetragen worden. Tochter Margaretha wird getauft am 18. 4. 1598 mit Patin Maria ∞ Hans Beseler, Sohn Justinianus (!) am 23. 2. 1600, einer der Paten ist Johann Prager. Barbara ist Patin bei einem Sohn des Hans Grallen 20. 11. 1600, alle zu St. Nicolai.

Als Notarius Publicus konnte er Hochgestellten Gevatterbriefe schreiben. In vielen Kommunen mussten in jenen Zeiten die Stadtschreiber ebendiesen Titel vorweisen können. Eine Stufe über ihm mit Aufgaben und Privilegien angesiedelt waren jedoch die Not. Publ. Caesaris, die Kaiserlichen Notare.

Die Söhne Gottfried und Christian als seine beiden nachgewiesenen Erben werden Pfarrer. Christian heiratet als Diacon der evangelischen Kirche in Brüx am 14. 11. 1616 in St. Petri Christina relicta filia des Asmus Richzenhain gewesener Stadtvogt in Freiberg; sie ist am 18. 5. 1620 Patin der Tochter Barbara Maria des Pfarrers Gottfried Dechsel in Dorfchemnitz. Der aktuelle Dienstort ihres Ehemanns, …den in Böhmen, ist leider tintenverschmiert und teilweise unleserlich. Wie bereits bekannt, heiratet Gottfried am 29. 6. 1618 in Dorfchemnitz bei Sayda als dortiger Pfarrer Salome Tochter des Merten Lindner. In sein Amt wird Gottfried 1617 im Alter von 24 Jahren berufen.

Am 6. 5. 1584 werden die Brüder Nickel und Caspar Horn mit einem Haus in der Angergasse hinter dem …haus beliehen, das sie Moritz Beudners Witwe abgekauft hatten, also jenem Haus, das danach Merten Lindners zweite Ehefrau erwirbt, siehe oben[48].

Der Sohn Christoph Dachsel ist in Freiberg definitiv nicht getauft worden. Eine Verwechslung mit dem Sohn Mauritius mag ich nicht postulieren. Das Freiberger Bürgerbuch führt den Notarius im Jahre 1593 mit Beruf unter den Fremden auf, die neue Bürger wurden, ohne aber den Herkunftsort zu benennen. Seine Söhne Christian und Gottfried, die späteren Pfarrer, sind bereits sehr jung 1606 in Leipzig immatrikuliert worden; das war damals aber nicht immer identisch mit dem Studiumsbeginn[49].

Die Wittenberger Matrikel listen als bislang einzige nahe und auch seinerzeit auf sächsischem Territorium gelegene Universität im infrage kommenden Zeitraum einen Studenten Christoph Dexelius auf, was weiter nichts ist als eine Latinisierung des Familiennamens Dexel. Die Immatrikulation erfolgte im Jahre 1569, und der Herkunftsort des Studenten ist – Torgau. Eine Nachfrage per Mail bei Jürgen Wagner, einem der in den Endnoten benannten Buchautoren[50], dem ich vor Jahren bei mehreren Genealogentreffen begegnete, zu Einwohnern von Torgau ergab, dass um 1530 ein Jacob und ein Barthel in Torgau nachgewiesen sind, vorreformatorisch (Definition Jürgen Wagner) ein Nicolaus. Das sind zwar andere Vornamen, jedoch belegen sie das Vorhandensein der Familie. Das leider nicht immer zuverlässige alte Generalregister nach Familiennamen[51] zu den Kaufbüchern Freiberg ab 1520 bis 1602 nennt unter Tachsel (!) Balthasar, Donat, Georg, Gregor, Jonas, Laux (= Lucas), Paul und Wolf; bei den Erbregelungen erscheinen dann natürlich noch mehr Vornamen. Ungeklärt ist, ob zwischen den Dachsel oder ähnlich in Freiberg und den Torgauer Dexel familiäre Beziehungen bestehen.
 

11. Hochgestellte Verwandtschaftskreise

Obengenannte Personen sind Angehörige eines durch Heirat und Abstammung entstandenen Verwandtschaftsnetzwerks unter Hochgestellten. Das wird an zwei Beispielen deutlich.

Barbara, Tochter des Pfarrers Johann Niederstetter und Ehefrau des Not. Publ. Christoph Dechsel oder Dachsel, ist nebst eben Pfarrerstochter auch Enkelin eines Amtsschössers, Nichte zweier Amtsschösser, deren einer Vater und Schwiegervater zweier weiterer Amtsschösser ist und der andere Schwager des seinerzeitigen churfürstlichen Hofmedicus, Cousine eines Amtsschössers, Schwägerin eines Amtsschössers, Schwester eines Hofpredigers und Mutter zweier Pfarrer.

Salome Tochter des Glöckners Merten Lindner und Gattin des Pfarrers Gottfried Dexel ist wahrscheinlich Urenkelin eines in der Reformationszeit stark engagierten Adligen, sicher Enkelin eines Pfarrers, Nichte eines Amtsschreibers und späteren Amtsschössers, Tochter und Enkelin von Kirchenmusikern, und als Schwiegertochter des Notarius Publicus in dessen Heiratskreise eingebunden worden. Ob sie finanziell eine gute Partie für den Pfarrer war, mag dahingestellt sein, sicher jedoch in Bezug des Ansehens der mütterlichen Heiratskreise, was damals sehr viel zählte, denn mit guten verwandtschaftlichen Verbindungen konnte man schon seinerzeit viel bewerkstelligen.

Johann Niederstetters Schwager war 21 Jahre lang Amtsschösser, bevor er in gleicher Position nach Dresden berufen wurde und dort noch viele Jahre amtierte. Dessen Sohn Michael trat die Nachfolge des eigenen Vaters im Amte an, quittierte aber nach einem Jahrzehnt den sächsischen Staatsdienst und wechselte in den Rat der Stadt Freiberg; die nachgelassene Tochter Justina heiratete am 12. 7. 1612 in St. Petri in die Glocken- und Geschützgießerfamilie Hilliger ein, wodurch die Kronbergerschen Verwandten auch solche bedeutender Freiberger Ratsgeschlechter wurden. Ihr Ehemann Michael Hilliger war Sohn des Bürgermeisters Oswald Hilliger aus der genannten Glocken- und Geschützgießersippe, der mit einer Tochter des genannten Michael Schönleben verheiratet war.

Seinerzeit waren gute verwandtschaftliche Beziehungen, die heute im schlechten Ruch der Vetternwirtschaft stehen können, sehr wichtig beim angestrebten beruflichen Aufstieg. Im ungünstigsten Falle jedoch konnte Verwandtschaft, kam jemand bei seinem Landesherrn in Ungnade und wurde gar gefänglich eingezogen, wie man damals sagte, auch Sippenhaft und brutale Folter nach sich ziehen. Der bereits genannte Oberhüttenverwalter Michael Schönleben fiel nach dem Tode seines kurfürstlichen Gönners einer Intrige zum Opfer, wurde auf Befehl des neuen Kurfürsten ebenso wie einer seiner Söhne und ein wahrscheinlicher Cousin ins Gefängnis geworfen und brutalsten Verhörmethoden unterzogen, wollte und konnte, da unschuldig, nichts gestehen und schließlich mit schwerer Folter bedroht, der er sich auf derbe finale Weise entzog. Seinen Leichnam verscharrte der Henker unter dem Galgen – fürwahr ein trauriges Ende für einen hochgestellten Bürgerlichen und ein Beispiel dafür, dass Verwandtschaft unter ungünstigen Umständen auch gefährlich werden kann!
 

12. Zum guten Schlusse

Wie obige Ausführungen belegen, sind Karl Mays geistliche und gelehrte Vorfahren nicht nur Familiensage. Pfarrer müssen ihre Predigten selbst konzipieren und niederschreiben. Von Johann Niederstetter ist Schriftliches erhalten geblieben, ebenso vom älteren Merten Lindner, dem Glöckner, und Gedichte des wahrscheinlichen Vorfahren Hans von Pack. Pfarrer Wenzeslaus Lindner oder Tilianus stand im Rufe, in der mathematischen Disziplin Geometrie Gutes geleistet zu haben. Unbekannt ist jedoch, woher der Verfasser des Sächsischen Pfarrerbuchs seine Information bezog. Der jüngere Glöckner Merten Lindner durfte sich zu den Studierten zählen und somit auch als gelehrt gelten. Schriftliches aus der Hand des Amtsschössers Johann Cronberger kann durchaus noch in Archiven vorhanden sein, vielleicht auch Korrespondenz des Pfarrers Johann Niederstetter mit Theologen. Die Eingabe seiner Witwe 1574 an den kurfürstlichen Hof muss nicht von ihrem Bruder konzipiert worden sein, denn als Tochter und Schwester von Amtsschössern dürfte sie das flüssige auch höfische Schreiben im Gegensatz zu den meisten ihrer damaligen Geschlechtsgenossinnen beherrscht haben.

Christoph Dechsel war studierter Jurist, wenn auch nicht promovierter, und zählt somit gemäß damaligen Begriffen ebenfalls zu den Gelehrten, denn ein Universitätsstudium erfolgreich abgeschlossen zu haben, gehörte vor nun über 400 Jahren zu den Seltenheiten. Zudem war, wie oben bereits erwähnt, den von ihm erlangten Titel vorzuweisen Voraussetzung für die Besetzung höherer Ämter zum Beispiel in Reichsstädten.

Interessant ist, dass sich Mays Freiberger Vorfahren mit ihren Heiraten stets in ihrer sozialen Schicht bewegten und auch ein einfacher Glöckner und wohl auch Kirchenchorleiter zu den Bessergestellten gehörte, die in Chroniken Erwähnung fanden und deren Töchter auch in gute Kreise heiraten konnten, und ein einfacher Amtsschreiber war ein Herr und konnte bei guten Leistungen und Treue zu seinem Landesherrn zum Amtsschösser befördert werden.

Was in Karl Mays Familie als Sage galt, nämlich die Abstammung von Geistlichen und Gelehrten, hat sich also als Wahrheit erwiesen.

 



  
Anmerkungen
    




[1]  Harald Mischnick: Karl Mays Großmutter Kretzschmar und ihre Verwandten

[2] Vorgeblich: ›Bürgerbuch 1571–1574‹.

[3archiv.sachsen.de

[4]  GB Freiberg 073 F. 282

[5]  Otto Hübner: ›Die Familie Hilliger‹, in: Mitteilungen des Freiberger Altertumsvereins, 42. Heft, 1906., S. 1ff.

[6archion.de

[7]  Vgl. Hainer Plaul: Der Sohn des Webers. Über Karl Mays erste Kindheitsjahre 1842–1848. In JB-KMG 1979, Hamburg 1979, S. 12–98. – Vgl. Hainer Plaul: Ererbte Imagination. Über drei schriftstellernde Stammverwandte Karl Mays. In: JB-KMG 1981, Hamburg 1981, S. 227–261.

[8]  Siehe Datenbank civ-online.org

[9]  Karl-Heinz Lange: ›Häuserbuch der Stadt Torgau‹, Torgau 2014. Freundliche Auskünfte daraus wurden mir erteilt von Herrn Jürgen Wagner.

[10] Weitere Mitteilungen verdanke ich Herrn Jürgen Wagner aus seinem Buch ›Torgauer Bürger und Einwohner in Spätmittelalter und frühe Neuzeit (1300 bis 1535)‹, erschienen 2019 bei Cardamina in Koblenz.

[11archive-in-thueringen.de Ernestinisches Gesamtarchiv Reg. Rr Dienerbestallungen (Online-Findbuch), Archivsignatur 963a Inventarsignatur 6-11-0043, Vorgang wurde von mir allerdings nicht eingesehen.

[12]  Aus Freiberg nach Schneeberg ist um 1456 der Bergmeister Hans Raspe gekommen.

[13]  GB Freiberg 044 F. 462ff.

[14]  GB Freiberg 074 F. 349

[15]  Ebenda, F. 358b

[16]  Ebenda, F. 356

[17]  GB Freiberg 074, F. 141ff.

[18]  GB Freiberg 042 F. 292ff.

[19]  Laut architektur-blicklicht.de

[20] GB Annaberg-Buchholz 046, F. 114ff.

[21]  Genau gleichzeitig sind ein Oswald Meurer in Beutha (heute Ortsteil von Stollberg) und Namensträger Drommer ebenda nachgewiesen. Zusammenhänge festzustellen dürfte jedoch wegen schlechter Dokumentenlage sehr schwierig sein.

[22GB Annaberg-Buchholz 046 F. 143

[23]  Kauf- und Handelsbuch Buchholz Nr. 2, F. 11b ff. – Achtung, Überschrift erst F. 12! – Einzusehen bei familysearch.

[24] Kauf- und Handelsbuch Buchholz 7, F. 270 ff., 57b und 58

[25]  Kauf-und Handelsbuch Buchholz 13 F. 114ff.

[26] Eine im Internet einsehbare von Alfred Maschke leider alphabetisierte Steuerliste für Mildenau scheint nur einen Teil des Ortes zu umfassen, da sie nicht nur keinen Lindner enthält, sondern auch der Name des Richters Goldschmidt ist nicht vorhanden!

[27]  GB Freiberg 073 F. 219ff.

[28]  GB Freiberg 581 F. 1. Das Gerichtsbuch verfügt über kein Register und ist deswegen nur teilweise gesichtet worden. Die Einträge sind allerdings sehr kurz gehalten, sodass auf einem Blatt eine ganze Anzahl von Vorgängen gefunden werden kann.

[29]  GB Freiberg 073 F. 221b ff.

[30]  Armin Grinzing: ›Vokale Dissonanzen in einer Zwickauer Bibliothek‹, in: Jürgen Heidrich, Uwe Conrad: ›Traditionen in der mitteldeutschen Musik des 16. Jahrhunderts‹, Göttinger Symposium 1997, Göttingen 1999, S. 37ff. Der Tagungsband kann auszugsweise im Internet eingesehen werden.

[31]  Georg Erler: ›Die jüngeren Matrikel der Universität Leipzig‹, S. 268. Mehrere Digitalisierungen im Internet vorhanden.

[32]  GB Freiberg 075 F. 392b ff.

[33]  GB Freiberg 077 F. 326b ff.

[34]  Freiberg 061 F. 397ff.

[35]  Freiberg 059 F. 359b ff. und F. 364

[36]  Freiberg 436 für Krummenhennersdorf F. 1ff.

[37]  Georg Buchwald: ›Wittenberger Ordinirtenbuch 1337–1572‹, Leipzig 1894, Digitalisat medit.lutheran.hu

[38]  GB Roßwein 174 F. 76ff.

[39]  Die Anzucht hat nichts mit Gemüse- oder sonstigem Anbau zu schaffen, sondern ist ein speziell gestalteter Stolln zur Entwässerung, also Vorläufer der heutigen Kanalisation. Viele dieser Anlagen sind bis heute in Freiberg vorhanden, anscheinend bis heute funktionsfähig und laut Internetseite des Fremdenverkehrsvereins Freiberg möglicherweise weiterhin in Betrieb.

[40]  GB Freiberg 040 F. 248ff.

[41]  GB Freiberg 044 F. 238ff.

[42]  GB Freiberg 040 F. 237ff.

[43]  GB Freiberg 044 F. 304ff.

[44]  GB Freiberg 044 F. 298ff.

[45]  GB Freiberg 075 F. 14ff.

[46]  GB Freiberg 045 F. 295ff.

[47]  GB Freiberg 075 F. 264 ff.

[48]  GB Freiberg 073 F. 220f.

[49]  Der Theologieprofessor Georg Major, geboren 1502, wurde 1511 in Wittenberg immatrikuliert, war aber zu jung für das Studium, wurde zum kurfürstlichen Sängerknaben ausgebildet und begann erst danach 1521 das Studium.

[50]  Jürgen Wagner forscht als Genealoge mit jahrzehntelanger Erfahrung intensiv zu Luthers Ehefrau und betreibt die Website von-bora.de

[51]  GB Freiberg 003. Auffällig die Darstellung der Namen, die nur am Seitenkopf stets ausgeschrieben werden, alle anderen Erwähnungen ohne den ersten Buchstaben, fiktives Beispiel: ›Lindner‹, dann ›.indner‹. Das wird konsequent durchgehalten, innerhalb einer Seite volle Schreibweise, wenn überhaupt, danach nur beim nachfolgenden nächsten Familiennamen.

 


 

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